Meine russische Kriegsgefangenschaft
Willibald F. berichtet von seinem Erleben vom Ende des 2. Weltkrieges und der darauf folgenden Kriegsgefangenschaft in Russland.
Willibald F., geb. am 19. Mai 1926 in Wien, aufgewachsen in Wien, ab 1939 in Krakau (Polen). Militär 1944 – 1945, bis 1947 russische Kriegsgefangenschaft. Lebt in Wien.
Willibald F. würde sich freuen, wenn sich Leser melden könnten, die auch in den beschriebenen Lagern die russische Kriegsgefangenschaft erlebt haben.
2. Mai 1945
Der Kampf in Berlin war nicht mehr überschaubar, es wurde nur mehr planlos herumgerannt und jeder dachte an Flucht. Man hörte, dass Berlin von den alliierten Truppen bereits eingeschlossen war, möglich wäre noch ein Fluchtweg durch den U-Bahn-Tunnel. So kam ich mit einer Gruppe von ca. 30 Mann zum Bahnhof Friedrichstrasse. Da drängten sich schon hunderte Kameraden durch die Eingänge und über Stufen zum Tunnel. Auch ich erreichte den sogenannten Fluchtweg (das war eine Finte der russischen Truppen, um uns geschlossen abzufangen), wir marschierten in Richtung Stettiner Bahnhof. An den Seitenwänden des Tunnels gab es Lüftungsstellen, aus denen plötzlich Russen auftauchten, mit angehaltenen MP's uns die Uhren abnahmen und wieder verschwanden. Etwa auf der Hälfte des Weges gab es einen Stau. Ungefähr 30 m vor uns senkte sich eine riesige Eisenwand herab und blieb ca. einen Meter über dem Gleis stehen. Nun zwängten sich hunderte Menschen unter der Wand hindurch. Man hörte später, dass der U-Bahntunnel von dem darüber führenden Kanal geflutet wurde und viele Menschen ertranken.
Mittlerweile waren wir am Stettiner Bahnhof angelangt und traten ins Freie. Plötzlich stand da ein russischer Soldat und wedelte mit einer weißen Fahne. Es waren noch einige Leute bewaffnet, doch es fiel kein Schuss und das war gut so, denn es kamen mit einem Mal hunderte russische Soldaten aus den zerbombten Trümmern mit angehaltenen MP's hervor und man hieß uns an einem großen Platz zu sammeln. Wer noch Waffen hatte, musste diese auf einen Haufen werfen, restliche Uhren wurden abgenommen.
Das war der Beginn meiner russischen Gefangenschaft.
Wir wurden in großen Gruppen mit 3-4 russischen Posten durch Berlin geführt. Vorerst wurden wir am Stadtrand in irgendeinem alten Theatersaal untergebracht. Am nächsten Tag wurden wir mit LKW's nach Ketschendorf bei Fürstenwalde/Spree gebracht - ich war hier nun Kriegsgefangener, wo ich kurze Zeit vorher als Soldat stationiert war.
Am nächsten Tag, es war der 4. Mai, wurde eine Gruppe mit ca. 30 Mann gebildet, bei der ich mit dabei war. Mittlerweile waren schon hunderte Kriegsgefangene im Lager. Wir wurden auf zwei LKW's verladen und fuhren nach Fürstenwalde/Spree zu einem ehemaligen Rüstungsbetrieb. Sämtliches Inventar dieser Fabrik wurde auf LKW's verstaut. Das alles unter strenger Bewachung von russischen Soldaten. Schwere Maschinen wurden mit Kränen verladen. Wir verbrachten im Lager Ketschendorf ca. 14 Tage. Eines Morgens wurden wir von einer russischen Ärztin untersucht, aber nicht wegen unserer Gesundheit, sondern es hieß den Oberkörper frei machen, den linken Arm hochzunehmen und die Ärztin ging durch die Reihen um eventuell noch einen ehemaligen SS-Mann (Blutgruppentätowierung) zu finden. Wir waren ein bunter Haufen von ehemaligen Wehrmachts-, Luftwaffen-, und SS-Angehörigen. Dieser Vorgang wiederholte sich öfters im Lauf der Gefangenschaft. Wurde die Ärztin fündig, kamen diese Männer nicht unter 8-10 Jahre Internierung weg, falls sie diese überhaupt überleben sollten. Ich hatte keine Blutgruppe am Arm tätowiert, durch einen glücklichen Zufall hatte man damals diesen Vorgang bei mir vergessen.
Wenn ich mit der Wachmannschaft sprach, konnte ich paar Brocken Russisch, da in meiner Handelschule in Krakau russisch Pflichtsprache war. Wir hörten, dass wir mit LKW's und Bahn in die Heimat gebracht werden sollten. Das war natürlich eine Finte, um den Haufen der Gefangenen mit geringerer Wache zusammenhalten zu können. Mit LKW's und Bahn stimmte wohl, etwa um den 18. Mai 1945 wurden wir zum Bahnhof Fürstenwalde gebracht, wo ein Personenzug bereit stand. Man hieß uns einsteigen, pro Mann gab es 200 Gramm Brot und Wasser fürs Kochgeschirr. Das war das einzige an Utensilien, was uns noch blieb. Man hatte uns alles abgenommen, sogar die Zahnbürste. Die Türen des Waggons wurden versperrt. Nach einer Woche Fahrt landeten wir in Posen (heute Poznań). Wir kamen in ein Sammellager, dort befanden sich ca. 60.000 Mann, von denen starben täglich mindestens 10 Mann. Von hier aus wurden die Gefangenen in allen Richtungen verschleppt.
Einmal am Tag gab es Wassersuppe und 200 Gramm Brot. Eine Gulaschkanone war 200 m von der Unterkunft entfernt. Täglich waren zwei Mann bestimmt die Suppe zu holen, auch ich kam zu dieser Ehre, es war da ein riesiger 20-Liter Topf mit Griffen dran. Dieser Topf wurde bis obenhin angefüllt, unterwegs über unebenes Gelände schwappte die Suppe über und floss über unsere Finger und Beine.
In der ersten Nacht im Lager fiel mir auf, dass die meisten Gefangenen vor der Baracke schliefen. Ich ging in die mir zugewiesene Baracke, machte elektrisches Licht an: das hätte ich nicht tun dürfen, binnen kurzer Zeit regnete es Wanzen von der Decke. Nach dieser Überraschung verbrachte auch ich die Nacht im Freien. Das gesamte Lager wurde während des Krieges für russische Kriegsgefangene verwendet.
Von der russischen Leitung wurden aus den Gefangenen einige Leute bestellt, die Befehle an uns weitergeben sollten, es waren das ehemalige Volksdeutsche mit polnischer Herkunft, die sich auf Grund ihrer Muttersprache mit den Russen einigermaßen verständigen konnten. Diese Leute entwickelten sich aber zu unsympathischen Kommandanten und vergaßen dabei, dass sie auch Kriegsgefangene waren.
Von diesem Monsterlager wurden Gefangene in alle Richtungen verfrachtet. So wurde eine Gruppe von 300 Mann zusammengestellt, bei der auch ich dabei war. Wir marschierten Anfang Juni zum Bahnhof in Posen. Auf einem Abstellgleis stand ein Güterzug in den man uns verfrachtete. Wir waren ca. mit 15 Mann im Waggon geschlichtet. Als Unterlage dienten Strohballen. Wir bekamen ein Stück Brot und einige Kochgeschirre mit Wasser. Die Toilette bestand aus vier Eimern, etwas Wasser war drinnen. Die Luft war schlecht, es durfte die Türe nur einen Spalt offen sein und draußen patrouillierten die Russen. Zwei Tage lang ereignete sich gar nichts. Am dritten Tag morgens - ein Ruck - eine Lokomotive koppelte an. Kurze Zeit später fuhr der Zug an, wohin wussten wir nicht. Man konnte nur an Hand der Sonne feststellen, dass es nach Osten ging. Nach einer Woche Fahrt und längeren Zwischenstopps erreichten wir die polnisch-russische Grenze. Am nächsten Morgen ging die Tür des Waggons auf, wir mussten alle aussteigen, mit militantem Gebrüll antreten und marschierten über einige Geleise zum nächsten Güterzug, der dort bereit stand und fanden die gleichen Verhältnisse wie vorher. Zu dieser Zeit hatte Russland eine breitere Dimension der Geleise, darum dieses Manöver. Hier gab es auch etwas zu essen, Konserven mit wurmigen Erbsen und Brot. Es gab auch noch Machorka-Tabak und Zeitungspapier, das brachte dann im Waggon die Luft zum Schneiden. Nun begann die längste Bahnfahrt meines Lebens. Die Zustände im Waggon waren unerträglich und wir hatten kein Wasser mehr. Fallweise regnete es, so konnte ich mein Kochgeschirr zum Fensterschlitz hinaushalten und so paar Tropfen auffangen.
Am dritten Tag hielten wir an und der Zug bewegte sich nach rückwärts, wieder auf ein Abstellgleis. Beim langsamen vorbeifahren bemerkte ich an einem Wartehäuschen eine Tafel in kyrillischer Schrift „Moskwa“! Erst am nächsten Morgen wurden die Waggons geöffnet. Vor dem Zug befand sich ein Hydrant, der zum Befüllen der Dampflokomotiven bestimmt war, davor einige Fässer, die mit Wasser gefüllt waren. Wer wollte konnte sich nun vorerst die Füße vertreten und dann eine Körperreinigung vornehmen. Wir hatten weder Seife noch Handtuch und mussten uns mit den eigenen, verdreckten Klamotten abtrocknen. Die Bewachung war lockerer geworden, da eine Flucht kaum mehr in Frage kam. Wir waren 2.000 km von der Heimat entfernt.
Nachmittags wurde ein Küchenwagen angekoppelt und es gab am Abend warmes Essen, „Kascha“ (Hirsebrei) und 200 Gramm Brot. Etwas später bekamen wir noch Decken, man brauchte nicht mehr am bloßen Stroh liegen. Am gleichen Abend ging die Fahrt ins Ungewisse weiter, eine Fahrt die noch weitere 14 Tage unter katastrophalen Bedingungen andauerte. Man informierte uns in keiner Weise wohin es ging, später wusste ich, dass man uns weitere 2000 km von Moskau, über Kasan nach Swerdlowsk (heute Jekaterinburg), verschleppte.
Ende Juni kamen wir in Swerdlowsk an und wurden am Bahnhof entladen. 300 abgemagerte Gestalten in verschlissenen Uniformen marschierten eine Stunde mit stärkerer Bewachung zum Hauptlager für deutsche Kriegsgefangene. Im Lager angekommen wurden wir zur Entlausung geschickt und mussten dazu die Klamotten abgeben. In der Zwischenzeit konnten wir ins „Bad“ gehen. Da waren einige alte Waschschüsseln aufgestellt, Seife und Handtuch war vorhanden. Nach einer Stunde fanden wir unser Zeug wieder auf einen Haufen geworfen und jeder suchte mit Mühe das Eigene heraus. Jedem wurde der Kopf und Körperhaare geschoren.
Willibald F. berichtet von seinem Erleben vom Ende des 2. Weltkrieges und der darauf folgenden Kriegsgefangenschaft in Russland.
Willibald F., geb. am 19. Mai 1926 in Wien, aufgewachsen in Wien, ab 1939 in Krakau (Polen). Militär 1944 – 1945, bis 1947 russische Kriegsgefangenschaft. Lebt in Wien.
Willibald F. würde sich freuen, wenn sich Leser melden könnten, die auch in den beschriebenen Lagern die russische Kriegsgefangenschaft erlebt haben.
2. Mai 1945
Der Kampf in Berlin war nicht mehr überschaubar, es wurde nur mehr planlos herumgerannt und jeder dachte an Flucht. Man hörte, dass Berlin von den alliierten Truppen bereits eingeschlossen war, möglich wäre noch ein Fluchtweg durch den U-Bahn-Tunnel. So kam ich mit einer Gruppe von ca. 30 Mann zum Bahnhof Friedrichstrasse. Da drängten sich schon hunderte Kameraden durch die Eingänge und über Stufen zum Tunnel. Auch ich erreichte den sogenannten Fluchtweg (das war eine Finte der russischen Truppen, um uns geschlossen abzufangen), wir marschierten in Richtung Stettiner Bahnhof. An den Seitenwänden des Tunnels gab es Lüftungsstellen, aus denen plötzlich Russen auftauchten, mit angehaltenen MP's uns die Uhren abnahmen und wieder verschwanden. Etwa auf der Hälfte des Weges gab es einen Stau. Ungefähr 30 m vor uns senkte sich eine riesige Eisenwand herab und blieb ca. einen Meter über dem Gleis stehen. Nun zwängten sich hunderte Menschen unter der Wand hindurch. Man hörte später, dass der U-Bahntunnel von dem darüber führenden Kanal geflutet wurde und viele Menschen ertranken.
Mittlerweile waren wir am Stettiner Bahnhof angelangt und traten ins Freie. Plötzlich stand da ein russischer Soldat und wedelte mit einer weißen Fahne. Es waren noch einige Leute bewaffnet, doch es fiel kein Schuss und das war gut so, denn es kamen mit einem Mal hunderte russische Soldaten aus den zerbombten Trümmern mit angehaltenen MP's hervor und man hieß uns an einem großen Platz zu sammeln. Wer noch Waffen hatte, musste diese auf einen Haufen werfen, restliche Uhren wurden abgenommen.
Das war der Beginn meiner russischen Gefangenschaft.
Wir wurden in großen Gruppen mit 3-4 russischen Posten durch Berlin geführt. Vorerst wurden wir am Stadtrand in irgendeinem alten Theatersaal untergebracht. Am nächsten Tag wurden wir mit LKW's nach Ketschendorf bei Fürstenwalde/Spree gebracht - ich war hier nun Kriegsgefangener, wo ich kurze Zeit vorher als Soldat stationiert war.
Am nächsten Tag, es war der 4. Mai, wurde eine Gruppe mit ca. 30 Mann gebildet, bei der ich mit dabei war. Mittlerweile waren schon hunderte Kriegsgefangene im Lager. Wir wurden auf zwei LKW's verladen und fuhren nach Fürstenwalde/Spree zu einem ehemaligen Rüstungsbetrieb. Sämtliches Inventar dieser Fabrik wurde auf LKW's verstaut. Das alles unter strenger Bewachung von russischen Soldaten. Schwere Maschinen wurden mit Kränen verladen. Wir verbrachten im Lager Ketschendorf ca. 14 Tage. Eines Morgens wurden wir von einer russischen Ärztin untersucht, aber nicht wegen unserer Gesundheit, sondern es hieß den Oberkörper frei machen, den linken Arm hochzunehmen und die Ärztin ging durch die Reihen um eventuell noch einen ehemaligen SS-Mann (Blutgruppentätowierung) zu finden. Wir waren ein bunter Haufen von ehemaligen Wehrmachts-, Luftwaffen-, und SS-Angehörigen. Dieser Vorgang wiederholte sich öfters im Lauf der Gefangenschaft. Wurde die Ärztin fündig, kamen diese Männer nicht unter 8-10 Jahre Internierung weg, falls sie diese überhaupt überleben sollten. Ich hatte keine Blutgruppe am Arm tätowiert, durch einen glücklichen Zufall hatte man damals diesen Vorgang bei mir vergessen.
Wenn ich mit der Wachmannschaft sprach, konnte ich paar Brocken Russisch, da in meiner Handelschule in Krakau russisch Pflichtsprache war. Wir hörten, dass wir mit LKW's und Bahn in die Heimat gebracht werden sollten. Das war natürlich eine Finte, um den Haufen der Gefangenen mit geringerer Wache zusammenhalten zu können. Mit LKW's und Bahn stimmte wohl, etwa um den 18. Mai 1945 wurden wir zum Bahnhof Fürstenwalde gebracht, wo ein Personenzug bereit stand. Man hieß uns einsteigen, pro Mann gab es 200 Gramm Brot und Wasser fürs Kochgeschirr. Das war das einzige an Utensilien, was uns noch blieb. Man hatte uns alles abgenommen, sogar die Zahnbürste. Die Türen des Waggons wurden versperrt. Nach einer Woche Fahrt landeten wir in Posen (heute Poznań). Wir kamen in ein Sammellager, dort befanden sich ca. 60.000 Mann, von denen starben täglich mindestens 10 Mann. Von hier aus wurden die Gefangenen in allen Richtungen verschleppt.
Einmal am Tag gab es Wassersuppe und 200 Gramm Brot. Eine Gulaschkanone war 200 m von der Unterkunft entfernt. Täglich waren zwei Mann bestimmt die Suppe zu holen, auch ich kam zu dieser Ehre, es war da ein riesiger 20-Liter Topf mit Griffen dran. Dieser Topf wurde bis obenhin angefüllt, unterwegs über unebenes Gelände schwappte die Suppe über und floss über unsere Finger und Beine.
In der ersten Nacht im Lager fiel mir auf, dass die meisten Gefangenen vor der Baracke schliefen. Ich ging in die mir zugewiesene Baracke, machte elektrisches Licht an: das hätte ich nicht tun dürfen, binnen kurzer Zeit regnete es Wanzen von der Decke. Nach dieser Überraschung verbrachte auch ich die Nacht im Freien. Das gesamte Lager wurde während des Krieges für russische Kriegsgefangene verwendet.
Von der russischen Leitung wurden aus den Gefangenen einige Leute bestellt, die Befehle an uns weitergeben sollten, es waren das ehemalige Volksdeutsche mit polnischer Herkunft, die sich auf Grund ihrer Muttersprache mit den Russen einigermaßen verständigen konnten. Diese Leute entwickelten sich aber zu unsympathischen Kommandanten und vergaßen dabei, dass sie auch Kriegsgefangene waren.
Von diesem Monsterlager wurden Gefangene in alle Richtungen verfrachtet. So wurde eine Gruppe von 300 Mann zusammengestellt, bei der auch ich dabei war. Wir marschierten Anfang Juni zum Bahnhof in Posen. Auf einem Abstellgleis stand ein Güterzug in den man uns verfrachtete. Wir waren ca. mit 15 Mann im Waggon geschlichtet. Als Unterlage dienten Strohballen. Wir bekamen ein Stück Brot und einige Kochgeschirre mit Wasser. Die Toilette bestand aus vier Eimern, etwas Wasser war drinnen. Die Luft war schlecht, es durfte die Türe nur einen Spalt offen sein und draußen patrouillierten die Russen. Zwei Tage lang ereignete sich gar nichts. Am dritten Tag morgens - ein Ruck - eine Lokomotive koppelte an. Kurze Zeit später fuhr der Zug an, wohin wussten wir nicht. Man konnte nur an Hand der Sonne feststellen, dass es nach Osten ging. Nach einer Woche Fahrt und längeren Zwischenstopps erreichten wir die polnisch-russische Grenze. Am nächsten Morgen ging die Tür des Waggons auf, wir mussten alle aussteigen, mit militantem Gebrüll antreten und marschierten über einige Geleise zum nächsten Güterzug, der dort bereit stand und fanden die gleichen Verhältnisse wie vorher. Zu dieser Zeit hatte Russland eine breitere Dimension der Geleise, darum dieses Manöver. Hier gab es auch etwas zu essen, Konserven mit wurmigen Erbsen und Brot. Es gab auch noch Machorka-Tabak und Zeitungspapier, das brachte dann im Waggon die Luft zum Schneiden. Nun begann die längste Bahnfahrt meines Lebens. Die Zustände im Waggon waren unerträglich und wir hatten kein Wasser mehr. Fallweise regnete es, so konnte ich mein Kochgeschirr zum Fensterschlitz hinaushalten und so paar Tropfen auffangen.
Am dritten Tag hielten wir an und der Zug bewegte sich nach rückwärts, wieder auf ein Abstellgleis. Beim langsamen vorbeifahren bemerkte ich an einem Wartehäuschen eine Tafel in kyrillischer Schrift „Moskwa“! Erst am nächsten Morgen wurden die Waggons geöffnet. Vor dem Zug befand sich ein Hydrant, der zum Befüllen der Dampflokomotiven bestimmt war, davor einige Fässer, die mit Wasser gefüllt waren. Wer wollte konnte sich nun vorerst die Füße vertreten und dann eine Körperreinigung vornehmen. Wir hatten weder Seife noch Handtuch und mussten uns mit den eigenen, verdreckten Klamotten abtrocknen. Die Bewachung war lockerer geworden, da eine Flucht kaum mehr in Frage kam. Wir waren 2.000 km von der Heimat entfernt.
Nachmittags wurde ein Küchenwagen angekoppelt und es gab am Abend warmes Essen, „Kascha“ (Hirsebrei) und 200 Gramm Brot. Etwas später bekamen wir noch Decken, man brauchte nicht mehr am bloßen Stroh liegen. Am gleichen Abend ging die Fahrt ins Ungewisse weiter, eine Fahrt die noch weitere 14 Tage unter katastrophalen Bedingungen andauerte. Man informierte uns in keiner Weise wohin es ging, später wusste ich, dass man uns weitere 2000 km von Moskau, über Kasan nach Swerdlowsk (heute Jekaterinburg), verschleppte.
Ende Juni kamen wir in Swerdlowsk an und wurden am Bahnhof entladen. 300 abgemagerte Gestalten in verschlissenen Uniformen marschierten eine Stunde mit stärkerer Bewachung zum Hauptlager für deutsche Kriegsgefangene. Im Lager angekommen wurden wir zur Entlausung geschickt und mussten dazu die Klamotten abgeben. In der Zwischenzeit konnten wir ins „Bad“ gehen. Da waren einige alte Waschschüsseln aufgestellt, Seife und Handtuch war vorhanden. Nach einer Stunde fanden wir unser Zeug wieder auf einen Haufen geworfen und jeder suchte mit Mühe das Eigene heraus. Jedem wurde der Kopf und Körperhaare geschoren.