• Willkommen im SAGEN.at-Forum und SAGEN.at-Fotogalerie.
    Forum zu Themen der Volkskunde, Kulturgeschichte, Regionalgeschichte, Technikgeschichte und vielem mehr - Fotogalerie für Dokumentar-Fotografie bis Fotogeschichte.
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst Du eigene Beiträge verfassen und eigene Fotos veröffentlichen.

SAGEN.at

Administrator
Teammitglied
Meine russische Kriegsgefangenschaft

Willibald F. berichtet von seinem Erleben vom Ende des 2. Weltkrieges und der darauf folgenden Kriegsgefangenschaft in Russland.
Willibald F., geb. am 19. Mai 1926 in Wien, aufgewachsen in Wien, ab 1939 in Krakau (Polen). Militär 1944 – 1945, bis 1947 russische Kriegsgefangenschaft. Lebt in Wien.
Willibald F. würde sich freuen, wenn sich Leser melden könnten, die auch in den beschriebenen Lagern die russische Kriegsgefangenschaft erlebt haben.



2. Mai 1945

Der Kampf in Berlin war nicht mehr überschaubar, es wurde nur mehr planlos herumgerannt und jeder dachte an Flucht. Man hörte, dass Berlin von den alliierten Truppen bereits eingeschlossen war, möglich wäre noch ein Fluchtweg durch den U-Bahn-Tunnel. So kam ich mit einer Gruppe von ca. 30 Mann zum Bahnhof Friedrichstrasse. Da drängten sich schon hunderte Kameraden durch die Eingänge und über Stufen zum Tunnel. Auch ich erreichte den sogenannten Fluchtweg (das war eine Finte der russischen Truppen, um uns geschlossen abzufangen), wir marschierten in Richtung Stettiner Bahnhof. An den Seitenwänden des Tunnels gab es Lüftungsstellen, aus denen plötzlich Russen auftauchten, mit angehaltenen MP's uns die Uhren abnahmen und wieder verschwanden. Etwa auf der Hälfte des Weges gab es einen Stau. Ungefähr 30 m vor uns senkte sich eine riesige Eisenwand herab und blieb ca. einen Meter über dem Gleis stehen. Nun zwängten sich hunderte Menschen unter der Wand hindurch. Man hörte später, dass der U-Bahntunnel von dem darüber führenden Kanal geflutet wurde und viele Menschen ertranken.

Mittlerweile waren wir am Stettiner Bahnhof angelangt und traten ins Freie. Plötzlich stand da ein russischer Soldat und wedelte mit einer weißen Fahne. Es waren noch einige Leute bewaffnet, doch es fiel kein Schuss und das war gut so, denn es kamen mit einem Mal hunderte russische Soldaten aus den zerbombten Trümmern mit angehaltenen MP's hervor und man hieß uns an einem großen Platz zu sammeln. Wer noch Waffen hatte, musste diese auf einen Haufen werfen, restliche Uhren wurden abgenommen.

Das war der Beginn meiner russischen Gefangenschaft.

Wir wurden in großen Gruppen mit 3-4 russischen Posten durch Berlin geführt. Vorerst wurden wir am Stadtrand in irgendeinem alten Theatersaal untergebracht. Am nächsten Tag wurden wir mit LKW's nach Ketschendorf bei Fürstenwalde/Spree gebracht - ich war hier nun Kriegsgefangener, wo ich kurze Zeit vorher als Soldat stationiert war.

Am nächsten Tag, es war der 4. Mai, wurde eine Gruppe mit ca. 30 Mann gebildet, bei der ich mit dabei war. Mittlerweile waren schon hunderte Kriegsgefangene im Lager. Wir wurden auf zwei LKW's verladen und fuhren nach Fürstenwalde/Spree zu einem ehemaligen Rüstungsbetrieb. Sämtliches Inventar dieser Fabrik wurde auf LKW's verstaut. Das alles unter strenger Bewachung von russischen Soldaten. Schwere Maschinen wurden mit Kränen verladen. Wir verbrachten im Lager Ketschendorf ca. 14 Tage. Eines Morgens wurden wir von einer russischen Ärztin untersucht, aber nicht wegen unserer Gesundheit, sondern es hieß den Oberkörper frei machen, den linken Arm hochzunehmen und die Ärztin ging durch die Reihen um eventuell noch einen ehemaligen SS-Mann (Blutgruppentätowierung) zu finden. Wir waren ein bunter Haufen von ehemaligen Wehrmachts-, Luftwaffen-, und SS-Angehörigen. Dieser Vorgang wiederholte sich öfters im Lauf der Gefangenschaft. Wurde die Ärztin fündig, kamen diese Männer nicht unter 8-10 Jahre Internierung weg, falls sie diese überhaupt überleben sollten. Ich hatte keine Blutgruppe am Arm tätowiert, durch einen glücklichen Zufall hatte man damals diesen Vorgang bei mir vergessen.

Wenn ich mit der Wachmannschaft sprach, konnte ich paar Brocken Russisch, da in meiner Handelschule in Krakau russisch Pflichtsprache war. Wir hörten, dass wir mit LKW's und Bahn in die Heimat gebracht werden sollten. Das war natürlich eine Finte, um den Haufen der Gefangenen mit geringerer Wache zusammenhalten zu können. Mit LKW's und Bahn stimmte wohl, etwa um den 18. Mai 1945 wurden wir zum Bahnhof Fürstenwalde gebracht, wo ein Personenzug bereit stand. Man hieß uns einsteigen, pro Mann gab es 200 Gramm Brot und Wasser fürs Kochgeschirr. Das war das einzige an Utensilien, was uns noch blieb. Man hatte uns alles abgenommen, sogar die Zahnbürste. Die Türen des Waggons wurden versperrt. Nach einer Woche Fahrt landeten wir in Posen (heute Poznań). Wir kamen in ein Sammellager, dort befanden sich ca. 60.000 Mann, von denen starben täglich mindestens 10 Mann. Von hier aus wurden die Gefangenen in allen Richtungen verschleppt.

Einmal am Tag gab es Wassersuppe und 200 Gramm Brot. Eine Gulaschkanone war 200 m von der Unterkunft entfernt. Täglich waren zwei Mann bestimmt die Suppe zu holen, auch ich kam zu dieser Ehre, es war da ein riesiger 20-Liter Topf mit Griffen dran. Dieser Topf wurde bis obenhin angefüllt, unterwegs über unebenes Gelände schwappte die Suppe über und floss über unsere Finger und Beine.

In der ersten Nacht im Lager fiel mir auf, dass die meisten Gefangenen vor der Baracke schliefen. Ich ging in die mir zugewiesene Baracke, machte elektrisches Licht an: das hätte ich nicht tun dürfen, binnen kurzer Zeit regnete es Wanzen von der Decke. Nach dieser Überraschung verbrachte auch ich die Nacht im Freien. Das gesamte Lager wurde während des Krieges für russische Kriegsgefangene verwendet.

Von der russischen Leitung wurden aus den Gefangenen einige Leute bestellt, die Befehle an uns weitergeben sollten, es waren das ehemalige Volksdeutsche mit polnischer Herkunft, die sich auf Grund ihrer Muttersprache mit den Russen einigermaßen verständigen konnten. Diese Leute entwickelten sich aber zu unsympathischen Kommandanten und vergaßen dabei, dass sie auch Kriegsgefangene waren.

Von diesem Monsterlager wurden Gefangene in alle Richtungen verfrachtet. So wurde eine Gruppe von 300 Mann zusammengestellt, bei der auch ich dabei war. Wir marschierten Anfang Juni zum Bahnhof in Posen. Auf einem Abstellgleis stand ein Güterzug in den man uns verfrachtete. Wir waren ca. mit 15 Mann im Waggon geschlichtet. Als Unterlage dienten Strohballen. Wir bekamen ein Stück Brot und einige Kochgeschirre mit Wasser. Die Toilette bestand aus vier Eimern, etwas Wasser war drinnen. Die Luft war schlecht, es durfte die Türe nur einen Spalt offen sein und draußen patrouillierten die Russen. Zwei Tage lang ereignete sich gar nichts. Am dritten Tag morgens - ein Ruck - eine Lokomotive koppelte an. Kurze Zeit später fuhr der Zug an, wohin wussten wir nicht. Man konnte nur an Hand der Sonne feststellen, dass es nach Osten ging. Nach einer Woche Fahrt und längeren Zwischenstopps erreichten wir die polnisch-russische Grenze. Am nächsten Morgen ging die Tür des Waggons auf, wir mussten alle aussteigen, mit militantem Gebrüll antreten und marschierten über einige Geleise zum nächsten Güterzug, der dort bereit stand und fanden die gleichen Verhältnisse wie vorher. Zu dieser Zeit hatte Russland eine breitere Dimension der Geleise, darum dieses Manöver. Hier gab es auch etwas zu essen, Konserven mit wurmigen Erbsen und Brot. Es gab auch noch Machorka-Tabak und Zeitungspapier, das brachte dann im Waggon die Luft zum Schneiden. Nun begann die längste Bahnfahrt meines Lebens. Die Zustände im Waggon waren unerträglich und wir hatten kein Wasser mehr. Fallweise regnete es, so konnte ich mein Kochgeschirr zum Fensterschlitz hinaushalten und so paar Tropfen auffangen.

Am dritten Tag hielten wir an und der Zug bewegte sich nach rückwärts, wieder auf ein Abstellgleis. Beim langsamen vorbeifahren bemerkte ich an einem Wartehäuschen eine Tafel in kyrillischer Schrift „Moskwa“! Erst am nächsten Morgen wurden die Waggons geöffnet. Vor dem Zug befand sich ein Hydrant, der zum Befüllen der Dampflokomotiven bestimmt war, davor einige Fässer, die mit Wasser gefüllt waren. Wer wollte konnte sich nun vorerst die Füße vertreten und dann eine Körperreinigung vornehmen. Wir hatten weder Seife noch Handtuch und mussten uns mit den eigenen, verdreckten Klamotten abtrocknen. Die Bewachung war lockerer geworden, da eine Flucht kaum mehr in Frage kam. Wir waren 2.000 km von der Heimat entfernt.

Nachmittags wurde ein Küchenwagen angekoppelt und es gab am Abend warmes Essen, „Kascha“ (Hirsebrei) und 200 Gramm Brot. Etwas später bekamen wir noch Decken, man brauchte nicht mehr am bloßen Stroh liegen. Am gleichen Abend ging die Fahrt ins Ungewisse weiter, eine Fahrt die noch weitere 14 Tage unter katastrophalen Bedingungen andauerte. Man informierte uns in keiner Weise wohin es ging, später wusste ich, dass man uns weitere 2000 km von Moskau, über Kasan nach Swerdlowsk (heute Jekaterinburg), verschleppte.

Ende Juni kamen wir in Swerdlowsk an und wurden am Bahnhof entladen. 300 abgemagerte Gestalten in verschlissenen Uniformen marschierten eine Stunde mit stärkerer Bewachung zum Hauptlager für deutsche Kriegsgefangene. Im Lager angekommen wurden wir zur Entlausung geschickt und mussten dazu die Klamotten abgeben. In der Zwischenzeit konnten wir ins „Bad“ gehen. Da waren einige alte Waschschüsseln aufgestellt, Seife und Handtuch war vorhanden. Nach einer Stunde fanden wir unser Zeug wieder auf einen Haufen geworfen und jeder suchte mit Mühe das Eigene heraus. Jedem wurde der Kopf und Körperhaare geschoren.
 
Meine russische Kriegsgefangenschaft (Teil 2)

Die nächsten Tage vergingen mit Arbeiten auf einer Baustelle in der Stadt. Die heimische Bevölkerung war uns - erklärlicher Weise - nicht gut gesinnt und die Posten mussten öfters einschreiten. Mitte Juni 1945 wurde ich mit 29 Mann, fast alles Österreicher, mit einem LKW in ein anderes Lager verlegt. Ich kann mich an die Lagernummer nicht genau erinnern, es könnte um „Lager 300“ gewesen sein. Das Lager war am Rande eines Dorfes angelegt und das ganze Umland war Verbannungsgebiet der russischen Bevölkerung. In dieser Umgebung gab es eine zerstörte Mühle, daneben ein Rohbau einer neuen Mühle die dann von Kriegsgefangen fertig gestellt wurde, ferner gab es in der Nähe noch einen Steinbruch, wo wir auch eingesetzt wurden.

Hier begann nun ein Leben, dass alles andere in den Schatten stellte.

Bei der Ankunft am Lagertor wurden wir vorerst kräftig gefilzt, wir hatten außer Kochgeschirr und Löffel ohnehin nichts. Das Lager war nicht sehr groß, dort befanden sich eine große und zwei kleinere Baracken um einen größeren Platz. Wir mussten mit militanten Sitten antreten und man befahl uns abzuzählen. Dann kam ein russischer Offizier und erzählte uns, dass „Gitler kaputt“ sei (im russischen Sprachgebrauch wird ein „H“ als „G“ gesprochen) und wir viel Robota (Arbeit) machen müssten. Danach stellte er uns drei Österreichern namens Lauber, Lackner, Patzelt und einen Deutschen (dieser Name ist mir entfallen) vor. Wir sollten jeden Befehl folgen, ansonsten droht Strafe. Der russische Offizier entfernte sich und Lauber übernahm das Kommando. Es hieß abtreten und man verteilte uns in verschiedene Stuben zu den anderen, die schon länger in diesem Lager waren. Das Inventar in einer Stube bestand aus fünf Stockbetten ohne Matratze und eine Wolldecke. Die Toiletten befanden sich in einer kleinen Hütte mit Senkgrube und „Donnerbalken“.

Das ganze Lager zählte 340 Mann, davon waren 40 ehemalige Offiziere österreichischer und ungarischer Herkunft. In einer kleineren Baracke befand sich die Küche mit einer Durchreiche zum Speisesaal. Der Koch war ein Österreicher aus Linz und hieß Lindhuber. Es gab früh und abends Essen, meistens Brennesselsuppe und Kascha, 200 Gramm Brot am Tag. Das Essen wurde in Tonschüsseln ausgegeben, die leeren Schüsseln mussten wieder abgegeben werden. Nachdem das Wasser im Lager verseucht war, daher durften wir nur abgekochtes Wasser von der Küche holen. Des Weiteren wurden wir mit Hosen und Jacken aus groben Lodenstoff und Holzpantoffeln eingekleidet und an der Jacke war ein Zeichen „Wojena Pleni“ (Kriegsgefangener) zu sehen.

Wir - die neuen - wurden schnell zur Arbeit eingeteilt, ein Posten begleitete uns zu einem nahe gelegenen Steinbruch. Es wurde Granit abgebaut und wir mussten Steine zerschlagen. Diese Tätigkeit übte ich 14 Tage bei jedem Wetter aus, man bekam dabei nur eine Wasser-Brühe. Daraufhin wurde ich krank und musste im Lager in eine Krankenstube wo ich der dritte im Bunde war. Der Krankheitsverlauf war der Ruhr ähnlich. Man hatte in der Stube drei Eimer aufgestellt, die wir abwechselnd benutzten. Es war zwar ein Fenster offen, doch es stank erbärmlich. Es gab auch einen deutschen Arzt, auch ein Gefangener, doch er konnte kaum helfen, da fast keine Medikamente vorhanden waren. Zu allem Überfluss bekam ich noch einen fürchterlichen Ausschlag (Krätze), ich war übersäht mit Pusteln und Kratzwunden. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, einmal fiel ich vom Eimer, was da passierte, möchte ich nicht schildern. Nach drei Wochen dahinvegetieren trat eine leichte Besserung ein, ich schrieb es meinem verbliebenen Abwehrsystem zu. Ich wog zu dieser Zeit bei 1,80 cm Körpergröße gerade noch 45 kg. Es gab auch eine russische Ärztin, die mich zum sogenannten Dystrophiker stempelte. Dieser Ausdruck hatte damals mit Unterernährung zu tun. Ich war dann halbwegs genesen und musste kleine Arbeiten im Lager verrichten. Da sah ich erst was diese vier von Russen bestimmten Anschaffer den ganzen Tag trieben.

In der Kommandostube waren einige ehemalige deutsche Offiziere untergebracht, die laut Genfer Konvention nicht zur Arbeit herangezogen wurden und auch besseres Essen bekommen sollten. Letzteres wurde von den Russen ignoriert. In dieser Stube hausten auch Lauber, Lackner, Patzelt und der Deutsche (ich nenne ihn weiteres Müller, sein Name ist mir entfallen). Der Lackner holte eines Tages fünf Mann aus den anderen Stuben, sie mussten sich vor der Kommandostube aufstellen, wurden einzeln herein gerufen, drinnen stand der Müller, der im Lager als Schläger bekannt war und verabreichte, völlig grundlos dem Mann einen Schlag ins Gesicht und jagte ihn zur Tür hinaus. So wurden die fünf Mann behandelt. Ich konnte diese Begebenheit mitverfolgen, weil ich an diesen Tag zum Boden schruppen in dieser Stube eingeteilt war.

Außen an der Baracke gab es einen Kasten, 160cm hoch, 70cm tief und 70cm breit, dieser wurde Karzer genannt. Wer sich den Befehlen des Lauber widersetzte wurde in diesem Karzer eingesperrt, auch ich war einmal einen halben Tag darin, ich konnte nur gebückt stehen oder gekrümmt sitzen, die Sonne brannte auf das Blechdach, es war kaum zum Aushalten. So wurden im Lager verbliebene von vier „Möchtegern's“ terrorisiert.

Ende August 1945 war ich wieder fit und kam wieder auf Außenarbeit. Unweit des Lagers wurden wir beim Bau der Mühle eingesetzt. Vorher war ich bei einer Behelfsmühle, mit drei Mann beim Ausladen von Weizen beschäftigt. Ein offener Waggon mit Weizenkörnern beladen, wurde bereitgestellt, wir öffneten die Tür und etwa ein Drittel rann in einen riesigen Trichter, den Rest mussten wir mit Henkelschaufeln entleeren. Anschließend wurde der Waggon in den Steinbruch überstellt und mit Steinen beladen. Während einer Pause, rösteten wir am Gleis, neben dem Waggon, mit einem Blech Weizen als Zubuße zur Verpflegung. Die Leute im Steinbruch wurden auch von uns bedacht. Ich besorgte einen leeren Mehlsack, der mit Weizen gefüllt und unter dem Waggon fast unsichtbar verstaut wurde, nun hatten auch die Steinbrucharbeiter etwas zum Kauen.

Nach kurzer Zeit wurde ich zum Neubau der Mühle versetzt. Für den kommenden Winter wurden an etlichen Stellen Kanonenöfen aufgestellt, da hatte ich die Idee, etwas einheizen und Weizen rösten. Das tat ich dann während der Mittagspause. Ich wusste, dass derlei Tätigkeiten unter Strafe verboten waren. Russische Posten waren nur rund um den Bau zu sehen aber für die Aufsicht im inneren des Baues war eine Art von Baupolizei zuständig. Ich war eben dabei ein Blech mit Weizen über das Feuer zu halten, plötzlich stand einer dieser Polizisten hinter mir und fragte was ich hier mache. Nach einer Schrecksekunde machte ich kehrt und goss dem Polizisten den noch nicht heißen Weizen über den Kopf. Die Überraschung des Mannes half mir blitzschnell im Bau zu verschwinden.

Am Abend mussten wie üblich am Lagertor einige Männer die Taschen mit Weizen leeren und es hieß, alles antreten und abzählen. Es erschien der russische Direktor mit dem Polizisten vom Bau und sie gingen die Reihe durch. Nachdem es schon sehr dämmerte ging der Mann unverrichteter Dinge an mir vorbei, er erkannte mich zum Glück nicht.
Wir gingen in den Speisesaal, es gab Brennesselsuppe und seltenerweise ein kleines Stück geräucherten Lachs.

Doch das Gehirn eines hungernden Menschen ruht nicht. Ich befreundete mich mit einem Kameraden im Lager an, dessen Namen ich leider auch nicht mehr weiß. Dieser war am Bau in einer Hütte mit dem Bedienen eines Materialaufzuges beschäftigt. Er war Deutscher aus Wanne-Eickel gebürtig. Er beschaffte sich ein Stück Ofenrohr, wickelte Asbest und dünnen Draht rund herum und der Backofen war fertig. Ich belieferte ihn mit Mehl von der Behelfsmühle, er fertigte dann aus Wasser und Mehl ein Gebäck. Das ging so paar Tage dahin. An einem Tag war ich wieder mit Mehl unterwegs, da sah ich den Baudirektor mit unserem Backrohr heraus kommen, das war's dann. Wenn mein Freund den Backofen am Strom anschloss, blieb nämlich der Aufzug stehen, der Strom war zu schwach. Das kam der Direktion zu Ohren, es gab aber keine Konsequenzen.

Es war Mitte Oktober 1945, man merkte schon Vorboten des Winters, zeitweise Regen, der nachts in Schnee überging. Wir bekamen warme Kleidung, Wattehosen, Wattejacken, Filzstiefel und eine Pelzkappe, man konnte uns von der hiesigen Bevölkerung kaum unterscheiden. Die Arbeit am Mühlenbau ging weiter. Man steckte mich am Bau in eine Schmiede als Zuschläger. Der Schmied, ein deutscher, biederer Typ, sah für diese Verhältnisse beruhigend aus. Er lernte mir das Umgehen mit dem Vorschlaghammer, wir arbeiteten gut zusammen. Vor allem war immer Feuer und man konnte den Speiseplan aufbessern. Das ging sogar so weit, dass russische Posten auch was abbekamen, denn auch sie hatten Hunger, die meisten waren junge Rekruten, die in diesem Verbannungsgebiet lebten. Es waren die Dörfer jeweils auf zwei Seiten mit Schlagbäumen versehen. Wollte ein Einheimischer in ein anderes Dorf, brauchte er eine Genehmigung.

Der Schmied hatte die Aufgabe, für eine Transmission Gewindebolzen mit Sechskantkopf zu fertigen. Eine ca. 50cm lange Eisenstange wurde an einem Ende glühend gemacht, man klopfte oben drauf, damit eine Verdickung entstand, der Schmied formte dann noch den Sechskant. Das war der fachmännische Vorgang. Der russischen Bauleitung ging das zu langsam, wir sollten schneller arbeiten. Nach dieser Beschwerde machte der Schmied den Bolzen heiß, knickte die Spitze, formte den Sechskant, das ging dann schneller. In der Schlosserei wurde das Gewinde gedreht und die Montage der Transmission begann. Der erste Testversuch klappte nicht, da beim Bolzen der Sechskantkopf abriss.

Nach diesem Vorfall wurde am Abend im Lager nicht der Schmied sondern ich zum russischen Lagerleiter befohlen. Es waren da noch ein Dolmetsch und zwei Mann vom russischen Geheimdienst dabei. Man warf mir Sabotage vor. Ich hätte dem Schmied sagen müssen, dass die Fertigung der Bolzen so nicht funktionieren würde. Meine Verantwortung, dass nicht ich der Fachmann wäre, stieß auf taube Ohren. Man drohte mir mit Internierung nach Sibirien und einigem Gefasel. Einerlei war mir der Vorgang gar nicht. Man sagte mir, dass es noch einen Ausweg gebe: ich sollte im Lager herum hören, was die Gefangenen so über die russische Lagerleitung sprachen. Ich war einverstanden, denn ich dachte, das wäre eine Möglichkeit, die Zustände im Lager zu verbessern. Ich musste dann 2-3 mal im Monat berichten was im Lager vorging, ich erzählte nur von den Taten der vier Männer, die uns die Hölle heiß machten. Der Geheimdienst war damit zufrieden und die Angelegenheit verlief im Sand. Es sollte sich im Lager sehr vieles ändern, aber erst ein halbes Jahr später.

Mitte November standen wir im tiefsten Winter, es gab durchschnittlich 30 Grad minus. Man musste trotzdem zur Arbeit, wir waren zwar gut gekleidet, doch es kam immer wieder vor, dass einigen Leuten Finger, Zehen und vor allem die Nase abfror. Im Jänner 1946 sank die Temperatur oft nach klarer Nacht auf 50 Grad. Die Entfernung vom Lager zur Arbeitsstätte betrug hin und zurück ca. 2 km. Im Lager wurde in der Küche mit Schnee gekocht, da der Wasserzufluss gefroren war. In den Stuben im Lager wurde mit Holz in kleinen Öfen geheizt. Das besorgten ehemalige Offiziere.
 
Meine russische Kriegsgefangenschaft (Teil 3)

Der Bau der Mühle ging trotz eisiger Kälte weiter. Man hat mich von der Schmiede abgezogen und mit einem zweiten Mann in die Schlosserei gesteckt. Unsere Aufgabe war Gewinde schneiden, ferner bekamen wir den Auftrag in der fertiggestellten Transmissionshalle eine Stahlwelle mit einem Durchmesser von 10 cm mit einer Eisensäge durchzuschneiden. Man merkte zu spät, dass sich einige Riemenscheiben mit einer anderen Geschwindigkeit drehen müssten. Ich dachte damals, dass dieses Ansinnen ein Scherz war. Jeglicher Widerstand war zwecklos, man versorgte uns mit zwei einfachen Eisensägen und 20 Ersatzblättern und wir begannen am nächsten Tag um 8 Uhr Früh mit dem Sägen. Um 12 Uhr mittags hatten wir 2 cm geschafft, wir wechselten nach jeweils 15 Minuten die Seite. Bis Feierabend schafften wir noch 3 cm. Am nächsten Tag schnitten wir weiter und um 19 Uhr war die Welle durch. Die Arbeit wurde dann im Lager mit zwei Schüsseln Kascha und einer Hand voll Machorka honoriert. Ich war zwar Raucher, doch tauschte ich öfters Tabak gegen Brot.

Ende April 1946 war der erste Uralwinter überstanden. An einem dieser Tage mussten wir nach Feierabend im Lager antreten. Der Lauber erzählte etwas von der Genfer Konvention, dass uns als Kriegsgefangene Geld zustünde. Der Betrag wäre aber so gering, dass auf die Lagerinsassen aufgeteilt wenig übrig blieb und wir uns so und so nichts kaufen könnten. Er schlug daher vor, von diesem Geld ein Musikinstrument für die bestehende Musikkapelle zu kaufen. Er fragte gar nicht ob wir einverstanden wären und ließ uns abtreten. Schon am nächsten Tag brachte man ein kleines Akkordeon mit zwei Oktaven und 24 Bässen, so ein Instrument war eigentlich nur für Kinder geeignet. Bei der Lagerkapelle, die aus einen Trompeter, einem Klarinettisten, einer Tuba und einem Schlagzeuger bestand, konnte keiner Akkordeon spielen. Man fragte, wer auf dem Ding spielen könnte. Es meldete sich ein anderer Mann und ich. Wir mussten eine Probe unseres Könnens abgeben und endlich fiel die Wahl auf mich. Der Schlagzeuger der Kapelle war übrigens mein Freund von der Aufzugshütte an der Arbeitsstelle.

Nun am 1. Mai 1946, dem größten Feiertag der damaligen Sowjetunion, musste auf Befehl des russischen Lagerleiters die Lagerkapelle von früh bis abends spielen. Das hatte nur einen großen Nachteil: die Leute konnten nur einen Marsch spielen und den außergewöhnlich falsch. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich mein Leben im Lager, ich nützte jede freie Zeit um mit dem Akkorden zu üben, es war zwar nicht, was ich mir vorstellte, aber besser als Nichtstun.

Ich versuchte mich anfänglich der Lagerkapelle anzuschließen, hatte jedoch keinen Erfolg, da die Leute keine Lust hatten zu üben oder einige neue Lieder zu lernen. Wie schon erwähnt, war mein Freund von der Aufzughütte der Schlagzeuger der Lagerkapelle. Es war an einem Sonntagnachmittag. Ich saß im Speiseraum mit dem Akkordeon und spielte dem Koch, nicht ohne Hintergedanken einige Lieder vor. Plötzlich kam mein Freund mit einer großen Trommel ohne jegliche Zusatzteile in den Speiseraum und setzte sich zu mir. Während ich spielte, begleitete er uns indem er mit dem Daumen im Takt an der Bespannung auf und ab fuhr. Das ergab dann einen Ersatz für Schlagbesen. Die Leute von der Lagerkapelle waren neidisch und gaben die Zusatzteile nicht heraus. Von dieser Zeit an spielten wir im Duo.

Nun wieder einmal erschien der Lauber auf der Bildfläche. Wir waren eben dabei einige Lieder zu üben, als ich sah, dass zwei Mann eine lange Leiter brachten und an die Baracke lehnten. Der Lauber unterbrach mein Spiel und sagte dass ich über die Leiter mit dem Akkordeon aufs Dach der Baracke steigen und da oben spielen sollte. Ich erwiderte, dass mir das zu gefährlich wäre. Daraufhin drohte er mit dem „Karzer“. Nun schulterte ich das Akkordeon wie einen Rucksack und kroch auf der Leiter bis zum Sims und verharrte einen Augenblick. Ich legte meine Holzpantoffel zur Seite und kroch fünf Meter auf allen Vieren zum vorderen Teil des Giebels und setzte mich rittlings hin. In diesem Augenblick war mir nicht zum Spielen. Der Lauber brüllte herauf, ich sollte schon beginnen. Was blieb mir anderes übrig, ich spielte das russische Lied „Kalinka“ . Was mich in dieser misslichen Lage entschädigte, da die russischen Posten an den vier Wachtürmen plötzlich das Lied mitsangen.

Gott sei Dank kam ich wieder heil herunter.

Im Juli 1946 gab es im Lager eine große Änderung, der russische Lagerleiter wurde gewechselt. Der neue Mann stellte sich im Lager vor, als Russe hatte er einen deutschen Namen und hieß Schlick. Er war vom Anfang an sehr sympathisch und ließ uns mittels Dolmetsch mitteilen, dass das Quartett Lauber und Co mit sofortiger Wirkung als normale Gefangene zu behandeln seien. Das saß wie eine Bombe. Sie wurden auf verschiedene Stuben aufgeteilt und mussten mit uns zur Arbeit. Dass diese Leute keine ruhige Minute mehr hatten, kann man sich lebhaft vorstellen. Außerdem waren sie bis zur Heimkehr im Steinbruch eingesetzt. Ferner sollten wir uns einen Mann im Lager bestellen, der es versteht mit Menschen umzugehen.

Man konnte schon 1945 in die Heimat Briefe schreiben, doch die russische Lagerärztin hielt ein Jahr aus Hass gegen Deutsche alle Briefe zurück, die dann doch noch von dem neuen „Natschalnik Schlick“ gefunden und versandt wurden. Von da ab kam wieder Antwort aus der Heimat.
Auf der Baustelle gab es einige Schwierigkeiten: in der Transmissionshalle hatte man eine Türe vergessen, zwei Mann mussten daher wieder ein Loch für die Tür herausstemmen. Im tiefsten Winter wurde am Bau ein Holzgerüst aufgestellt, man missachtete eine etwa 10 cm hohe Eisschicht am Erdboden und im Frühjahr als es zu tauen begann, kam das ganze Gerüst herunter.

Unsere „Musikkapelle“ bekam Zuwachs. Es fand sich ein Klarinettist, gemeinsam organisierten wir von einer anderen Kapelle eine Klarinette, die Leute gaben aber kein Blättchen dazu. Ohne Blättchen konnte man mit der Klarinette nichts anfangen. Der neue Mann wusste Rat. Bei einer Rückkehr von der Baustelle lief ein einheimischer Bub mit einem Bambusstock neben uns her. Unser Neuer nahm dem Buben den Stock ab, das zu sehen tat mir wirklich leid, weil ich im Augenblick nicht wusste was das sollte. Noch am gleichen Abend schnitzte der Musiker ein Blättchen für seine Klarinette und gab eine Kostprobe seines Könnens.

Ende August 1946 änderte sich das Wetter, es regnete sehr oft und die Temperatur fiel auf null Grad. Das Lagerleben hatte sich wesentlich gebessert, doch den Leuten fehlten die notwendigsten Grundstoffe, Vitamine etc. und im Laufe der Zeit starben viele an Avitaminose. Uns Musiker ging es besser, weil wir doch hie und da zusätzlich etwas besser verpflegt wurden.

Einmal pro Woche wurden fünf Mann bestimmt um mit einem LKW nach Swerdlowsk zu fahren um Brot zu holen. Es war dies eine willkommene Abwechslung, bei der ich einige Male dabei war. Ich saß neben dem russischen Kraftfahrer, die anderen rückwärts im Laderaum. Wir luden das Auto voll und bekamen vom Bäcker einen halben Ziegel (Brotlaib) geschenkt. Bei der Rückfahrt wurde dann das frische Brot viel zu rasch verspeist, was sich meist zu Magenschmerzen und Durchfall im Lager entwickelte.

Ende September 1946 zeigte das Thermometer schon 15-20 Grad minus. Ich hatte Glück und konnte noch immer in der Schlosserei arbeiten. Musikalisch ging es bergauf, ein ehemaliger Offizier, namens Tibor, stammte aus Ungarn konnte singen und tanzen wie eine Frau und war für uns eine echte Bereicherung.

Es war knapp vor Weihnachten als meine Freunde und ich nach dem Abendessen einige Stücke probten. Da kam der russische Lagerleiter und hörte uns eine halbe Stunde lang zu. Er sagte nur einmal „charascho“ (sehr gut) und als er ging „doswidania“ (auf Wiedersehen). Am Abend des nächsten Tages kam ich in den Speiseraum. Dort stand ein Klavier in einer Ecke, ein sogenannter Stutzflügel. Das hatte der „Natschalnik“ (Direktor) veranlasst. Der Flügel war jedoch in einem erbärmlichen Zustand, es fehlte ein Bein, man hatte eine Kiste darunter gestellt. Am nächsten Tag besorgte ich von der Schlosserei einen Kaminschlüssel und konnte so das Klavier, es war total verstimmt, so gut es ging, stimmen. Wir konnten noch einen Pianisten aus dem Lager bekommen, er war Wiener, und die Kapelle war komplett. Die russische Lagerleitung bemühte sich sehr, diese Angelegenheit zu fördern. Wir Musiker bekamen weiße Hemden, eine dunkle Hose und durften uns sogar die Haare wachsen lassen.

Im Februar 1947 gab es das erste Konzert, im Speisesaal wurden Sessel und Bänke aufgestellt. In der ersten Reihe saß der russische Direktor und einige russische Soldaten und wo noch Platz war Lagerinsassen. Wir spielten Teile aus der Operette „Maske in Blau“, Tibor tanzte in Frauenkleidern und sang dazu. Die Russen waren begeistert, es gab viel Beifall. Anschließend gab es für uns eine große Portion Hirsekascha und ein Stück Räucherlachs. Im Sommer veranstalteten wir noch mehr Konzerte dieser Art am Lagerplatz und die heimische Bevölkerung war immer zahlreich vertreten.

Herbst 1947:
der nächste Winter sandte schon seine Vorboten. Ich unterhielt mich oft mit den russischen Posten auf der Baustelle, dadurch erfuhr ich, dass ein Teil der Kriegsgefangenen unseres Lagers verlegt werden. Am 12. November 1947 war es dann so weit. Zwei Tage vorher wurden alle Österreicher zur Untersuchung bestellt. Eine russische Ärztin hieß uns Oberkörper frei machen, linken Arm hoch heben, um zu sehen, ob nicht doch noch ein ehemaliger SS-Mann darunter war. Weiteres mussten wir uns umdrehen und die Ärztin kneifte jeden in den Hinterteil, vermutlich, um zu sehen ob die Haut noch widerstandsfähig war. Das war es dann. Man brachte uns mittels LKW ins Hauptlager nach Swerdlowsk, es entging mir nicht, dass die beiden Lauber und Lackner, da sie Österreicher waren, mit uns fuhren. Wir verbrachten ungefähr eine Woche in diesem Lager. Es kamen noch von anderen Lagern kriegsgefangene Österreicher an, sodass nach einer Woche ein Heimkehrertransport aus der Sowjetunion komplett war. Am 19. November marschierten wir geschlossen zum Bahnhof. Es stand da auf einem Abstellgleis eine Garnitur Güterwaggon bereit und wir wurden auf den ganzen Zug aufgeteilt. Im Wagen waren Stockbetten für 12 Mann gerichtet und auch Wolldecken für jeden. Es wurde ein Sanitäts-, Küchen- und Kommandowagen angekoppelt. Wir bekamen Verpflegung, doch noch weniger als im Lager. Es kamen uns zu diesem Zeitpunkt natürlich Zweifel auf, wo die Reise eigentlich hingehen sollte, man hatte uns in keiner Weise informiert. Doch als wir merkten, dass kaum ein russischer Posten zu sehen war, zerstreuten sich langsam die Zweifel. Erst am nächsten Abend um ca. 23 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Es war sehr kalt, geschätzte 20 Grad minus, wir saßen mit Wattezeug und Filzstiefel in Decken gehüllt auf der Britsche, an Schlaf war nicht zu denken.

Nach einer Woche mit vielen Zwischenstopps erreichten wir Kazan, wo wir zwei Tage anhielten. Für den Kommandowagen wurde ein Mann bestimmt, um einen aufgestellten Kanonenofen zu heizen und Reinigungsarbeiten im Wagen zu verrichten. Dieser Mann wurde krank und musste in den Krankenwagen. Bei einem Aufenthalt zwischen Kazan und Moskau vertrat ich mir im Freien kurz die Beine. Da kam ein russischer Offizier auf mich zu und fragte mich, ob ich im Kommandowagen heizen und sauber machen wolle. Da sagte ich zu und war nun Putzer beim Transportkommando. Ich durfte dort schlafen und bekam die gleiche Verpflegung wie die Russen. Leider wirkte sich der Kostwechsel negativ aus, denn nach einer Woche, wir hielten in Moskau, musste ich wieder in den Waggon zu den anderen zurück. Meinem Vorgänger ging es genauso. Wir erreichten Anfang Dezember 1947 die russisch-rumänische Grenze, wurden wegen der Spurbreite ausgeladen und setzten uns in einen Personenzug. Das war sehr angenehm. Man konnte auf Bänken sitzen, und die Temperatur fiel inzwischen auf zwei Grad minus und wir hatten sogar eine Toilette im Wagen.

Bei Aufenthalten in Rumänien fiel mir auf, dass jedes Mal neben dem Zug kleine Buben herum liefen und immerzu riefen „Mamaliga-Mamaliga“! Daraufhin sah man, dass einige Kameraden die Wattejacken auszogen und gegen irgendeine alte Jacke tauschten. Dazu bekamen sie so ein Mamaliga, das war ein gebackener Maiskuchen. Auch ich tauschte meine Wattejacke gegen einen alten Uniformrock und Mamaliga.

Am 8. Dezember endete die Fahrt in Foczany an der ungarischen Grenze, wieder mussten wir in das dortige Auffanglager. Nach zwei Tagen saßen wir in einem österreichischen Personenzug 2.Klasse und fuhren durch Ungarn. Das war sehr eindrucksvoll, bei jedem Aufenthalt beschenkte man uns mit Lebensmittel. Wir passierten am 12. Dezember 1947 die österreichische Grenze und kamen mit einigen Stopps um 19 Uhr am Wiener Südbahnhof an. Langsam fuhr der Zug in die Station ein, ich stand am Fenster und konnte es nicht fassen, dass ich nach nahezu vier Jahren wieder Heimatluft schnuppern durfte. Man lotste uns in die Bahnhofshalle. Dort gab es noch ein paar Würstel mit Senf und eine Semmel. Nach einigen Formalitäten konnten wir den Bahnhof verlassen.

Was sich aber draußen vor dem Bahnhof abspielte werde ich niemals vergessen können! Es standen hunderte Menschen vor dem Bahnhof, teilweise zeigten sie fragend Fotos ihrer Angehörigen. Scheinwerfer richteten sich auf uns, wir konnten daher kaum die wartenden Menschen erkennen. Meine Eltern wussten von unserer Ankunft, da damals der Rundfunk mehrere Male am Tag die Namen der Ankömmlinge durchgab. Wir waren der 31. Transport. Mit lauter Stimme hörte ich meinen Namen rufen: es war mein Vater der mich erkannte, ich fiel den Eltern in die Arme und damit schloss sich für mich dieser Abschnitt meines Lebens.



Bildanhang:

Heimkehrer-Entlassungsschein von Willibald F. (die schwarz gefärbten Stellen über dem Namen wurden vom Administrator eingefügt).
 

Anhänge

  • Heimkehrer_Entlassungsschein.jpg
    Heimkehrer_Entlassungsschein.jpg
    214,2 KB · Aufrufe: 18
  • Heimkehrer_Entlassungsschein_2.jpg
    Heimkehrer_Entlassungsschein_2.jpg
    205,6 KB · Aufrufe: 16
Meine russische Kriegsgefangenschaft - Erfahrungen eines Österreichers

Damit schließt der Bericht von Willibald F. aus Wien, erstellt im Sommer 2011 und aktualisiert im Februar 2013.

Willibald F. würde sich freuen, wenn sich Leser melden könnten, die auch in den beschriebenen Lagern die russische Kriegsgefangenschaft erlebt haben.

Zusendungen auch per E-Mail an den Administrator, sie werden an Willibald F. weitergeleitet.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
wow, vielen dank!!! ich lese mir das morgen nochmal in ruhe durch und es interessiert mich SEHR weil mein opa auch in russischer gefangenschaft war (auf der krim) und nie viel darüber geredet hat. aber er wollte als alter mann noch gerne dort hin, weil er die gegend so wunderschön fand. er hatte aber immer angst davorm, dass ihn die russen nicht mehr zurück nach österreich lassen. und so saßen wir mit opa vor dem computer und zeigten ihm per google earth die krim und er bekam feuchte augen und strahlte wie ein kleines kind zu weihnachten. irgendwann möchte ich diese reise für opa nachholen. opa ist vor einigen jahren gestorben und kam nie wieder nach russland.

ich freu mich schon aufs lesen morgen.
liebe grüße, sonja
 
So, ich hab es heute gelesen und hab jetzt Tränen in den Augen, so vieles erinnert mich an die Erzählungen meines Großvaters. Er wurde damals an die Front nach Rumänien geschickt und von Constanza per Schiff nach Sewastopol, er erzählte, dass er drei Tage und drei Nächte unterwegs gewesen sei und es gab ebenfalls nur Brennesselsuppe und Brot. Er erzählte, dass sie hungrig waren und auf ihren Märschen seien einige am Boden liegen geblieben, manche davon hätten noch Brot in den Taschen gehabt, das die anderen dringend gebraucht hätten, aber wenn man sich danach bückte oder die Taschen durchsuchen wollte, musste man damit rechnen, einen Gewehrkolben in den Rücken gestossen zu kriegen, also taten sie es nicht. Opa war in einer Kolchose und musste Feldarbeit verrichten. Er war vier Jahre in Gefangenschaft und wurde dann mit anderen Österreichern in einen Zug gesetz. Deutsche mussten weiterhin dort bleiben, ein Russe sagte: "Die Deutschen bleiben so lange, bis jeder Stein wieder dort liegt, wo er gelegen hat".
Als er mit dem Zug aus Wr. Neustadt nach Waidhofen/Ybbs kam und da am Hauptbahnhof ausstieg, war das Erste was er gesehen hat, russische Uniformen. Er erzählte mir einmal, dass er glaubte, jetzt wärs vorbei, sie würden ihn wieder zurück schicken. Aber er durfte zwischen den Russen durch gehen und keiner hielt ihn auf. Er ging zu Fuß von Waidhofen nach Opponitz (14 Kilometer) und dann noch auf den Berg zu seinem Elternhaus. Als seine Mutter die Tür öffnete erkannte sie ihn kaum wieder, weil er so aufgebläht war vom Hunger.... Ausserdem mussten sie auf dem Gemeindeamt Kleidung beantragen, weil seine eigene Kleidung zwischenzeitlich umgenäht wurde und den anderen Gerschwistern gegeben wurde. (Die Schwester brauchte eine Kochschürze, dazu wurde eines seiner Flanellhemden umgenäht)
Opa hatte seitlich am Bauch eine Narbe von einem Streifschuss. Erst 20 Jahre später begann diese Narbe plötzlich zu eitern und es kam ein Stück Metall dabei raus. (Das hat Oma erzählt) Ausserdem fehlte ihm ein Stück eines Fingers, den er bei der Explosion eines Zuges verloren hat. Damals kam er in ein deutsches Lazarett wo er behandelt wurde.

Wenn ich Opa bat, zu erzählen, was er im Krieg erlebt hat, sagte er nur: "Was soll ich da erzählen, das sind keine schönen Sachen. Wenn eine Bombe fiel, is net viel übrig geblieben".
Dann hat er wieder geschwiegen. Er hat auch mit der Oma nie viel egredet darüber. Er hat nur immer von der Krim geschwärmt, wie schön es dort gewesen sei und dass er da gerne noch einmal hin wollte. Aber er traute sich nie, weil er Angst hatte, die Russen würden ihn nicht mehr heim lassen.
Diese Reise werde ich für ihn einmal machen. Durch Rumänien und von Constanza nach Sewastopol.

Liebe Grüße, Sonja
 

Anhänge

  • Bild3.jpg
    Bild3.jpg
    44,2 KB · Aufrufe: 18
  • Scannen0008.jpg
    Scannen0008.jpg
    110,3 KB · Aufrufe: 14
  • Bild4.jpg
    Bild4.jpg
    53,3 KB · Aufrufe: 15
  • Bild5.jpg
    Bild5.jpg
    65,9 KB · Aufrufe: 13
Hallo, mein Opa War über 5 jahre in russischer kriegsgefangenschaft. Ich habe alle Briefe und Karten aus den Lagern und ein Buch darüber geschrieben. Es heißt " Irmas Erinnerungen ". Irmas War seine Mutter.
Lg C.Jacker
 
Ich lese dergleichen mit Interesse! - Mein Vater war (zu seinem" Glück")
in amerikanischer Gefangenschaft. Würde mich freuen, auch darüber
Erlebnissberichte zu lesen. Kennt jemand hier Berichte aus am.
Kriegsgefangenschaft? -Ulrike
 
Zurück
Oben