Ein altes Steinkreuz.
Von Hermann Mang.
In den meisten Ländern Europas finden sich alte Steinkreuze. Gewöhnlich sind sie durchaus nicht in der Art unserer Feldkreuze, sondern klein und niedrig, von einem halben bis zu einem Meter, nur selten höher, und meist haben sie etwas Schwerfälliges, Plumpes in ihrer Form. Oft sind sie nach Art des bekannten eisernen Kreuzes (I), also mit erweiterten Balkenenden, meistens sind die Balken gleichmäßig breit (II), manchmal ist das Kreuz in eine Steinplatte eingehauen (III), so dass man nicht von einem Steinkreuze, sondern von einem Kreuzstein spricht: das älteste datierte Steinkreuz in Deutschland vom Jahre 1260 ist ein Radkreuz (IV).
Allermeist sind die Steinkreuze ohne jegliche Zeichen, ohne Ziffern und Buchstaben, aber es gibt auch solche mit eingemeißeltem Wappen, Schild oder Helm, mit vertieft oder erhaben gearbeiteten Kreuzen, mit Rillen und Grübchen, mit Kelch, Pflugschar, Messer oder Beil in der Mitte und endlich solche mit Jahreszahlen oder Buchstaben oder vollständiger Inschrift.
Gewöhnlich stehen die Steinkreuze vereinsamt an Straßen oder Feldwegen, in Wald oder Flur, oft genug verwittert oder übermoost. Und je weniger aus Inschrift, Urkunde oder unmittelbarer Überlieferung darüber bekannt ist, umso leichter ranken sich Sage und Legende um das einsame Denkmal. In vielen Fällen bringt das Volk solche Ereignisse damit in Zusammenhang, die der Schrecken ihrer Zeiten waren und die darum noch jahrhundertelang in der Seele des Volkes nachzittern. Pestkreuze heißen sie oder Hunnen- oder Schwedenkreuze oder es hängt daran die Sage von Totschlag oder Richtplatz oder von einem alten Asylrecht oder von uralter Grenze.
Seit die Altmeisterin volkskundlicher Forschung, Maria Andrée-Eysn im Jahre 1897 zum ersten Male die Steinkreuze eines geschlossenen Gebietes mit allen Merkmalen und Überlieferungen beschrieben hat (Zeitschrift für österreichische Volkskunde 1897. S. 65 ff.: Über alte Steinkreuze und Kreuzsteine in der Umgebung Salzburgs), ist viel Literatur über diese seltsamen Denkmäler entstanden, urkundliches Material wurde gesucht, die Überlieferungen wurden verglichen und durchforscht und in Dresden wurde sogar eine Zentralstelle für Steinkreuzforschung gegründet: Form und Ausbreitung der Steinkreuze wurden behandelt und es wurde festgestellt, dass sich dieselben mehr oder minder zahlreich vom Kaukasus bis nach Nordspanien, von Italien bis Skandinavien finden und bei 3300 solcher Kreuze wurden eingehend beschrieben und alle einschlägige Literatur verzeichnet.
Die Steinkreuzforschung ist aber noch sehr weit entfernt von einer restlosen Erklärung dieser seltsamen Denkmale: doch das scheint sicher zu sein, dass diese Kreuze nicht an ehemalige Asyle für Verfolgte erinnern, auch nicht an einstige Gerichtsstätten oder Grenzen: auch die Verbindung mit Pestzeiten ist nicht sicher gestellt. Manche Steinkreuze sind wohl Gedenkzeichen für plötzlichen Tod oder andere Unglücksfälle, wie es ja in weiten Gebieten heute noch Brauch ist, an Unglücksstellen ein Kreuz zu setzen, um die Vorübergehenden zum Beten zu mahnen. Sicher nachgewiesen ist von manchen Kreuzen, dass sie als Sühnezeichen nach verübtem Mord gesetzt wurden und ebenso sicher ist aus vielen Prozessakten, dass besonders vom 14. bis zum 16. Jahrhundert die Setzung von Steinkreuzen nach Totschlag gerichtlich auferlegt wurde (Deutsche Gaue 1908. S. 146 ff.). Kuhfahl, der unermüdliche Leiter der Zentralstelle für Steinkreuzforschung, schreibt (Wissenschaftliche Beilage des Dresdner Anzeigers vom 2. Dezember 1930.), dass ihm aus alten Stadt- und Gerichtsbüchern mehr als 500 Totschlagurteile bekannt sind, welche die Setzung von Sühnekreuzen verordnen.
Neuestens wird die Ansicht vertreten, dass die Steinkreuze eine Äußerung vorchristlichen, frühgermanischen Wesens seien, doch scheint diese Annahme nicht genügend gestützt zu sein.
Noch in der neuesten Literatur (Wiener Zeitschrift für Volkskunde 1931. Seite 35) ist berichtet, dass an den großen Übergängen der Zentralalpen nur ein einziges Steinkreuz zu finden sei, das bei Kilometer 18 zwischen
Innsbruck und Matrei. Unser Land galt bisher immer als Gebiet ohne Steinkreuz. Aber auch im Oberetsch steht sicher ein altes Steinkreuz, und zwar an der Straße von Bressanone [Brixen] gegen Millan am Fuße des Bildstockes, der für die dort begrabenen Soldaten aus der Franzofenzeit im Jahre 1855 errichtet worden ist. Ganz unscheinbar steht das Steinkreuz aus Granit, es ragt 60 Zentimeter aus der Erde, der Längsbalken erweitert sich von 17 Zentimeter an der Spitze auf 23 Zentimeter am Grunde, der Querbalken ist 40 Zentimeter lang und 13 Zentimeter breit; an den drei sichtbaren Ballenenden ist je ein Kreuz erhaben herausgearbeitet, eine Eigentümlichkeit, die ich noch nirgends beschrieben gefunden habe.
Dieses Steinkreuz stand nicht immer in der Millander Au. Vor ungefähr 50 Jahren kam es beim Palbiterhof, dem alten Adelssitz oberhalb des Brixner Bahnhofes, am alten Weg nach Tschötsch zum Vorschein, als der Bauer, der Vater des jetzigen Besitzers, einen Obstbaum setzte. Der heutige Besitzer der Karlsburg in Millan erwarb es im Jahre 1904 und ließ es an den jetzigen Standort bringen. Niemand weiß, wie lange dieses Steinkreuz vergraben gelegen, niemand weiß von Ursprung und Bedeutung des Kreuzes, und wenn je eine Überlieferung bestanden, auch sie ist längst begraben.
Es ist kaum wahrscheinlich, dass dieses Steinkreuz das einzige in unserem Gebiete ist. Vielleicht geben diese Zeilen Anregung, auf solche verwitterte, charakteristische Denkmäler aus alter Zeit zu achten und davon an den Schlern zu berichten.
Quelle: Mang, Hermann, Ein altes Steinkreuz, in: Der Schlern 12. Jahrgang 1931, S. 168 bis 169.
Bildanhänge: Steinkreuztypen, Altes Steinkreuz bei Bressanone [Brixen]
Ergänzungen und aktuelle Fotos erbeten.
Wolfgang (SAGEN.at)
Von Hermann Mang.
In den meisten Ländern Europas finden sich alte Steinkreuze. Gewöhnlich sind sie durchaus nicht in der Art unserer Feldkreuze, sondern klein und niedrig, von einem halben bis zu einem Meter, nur selten höher, und meist haben sie etwas Schwerfälliges, Plumpes in ihrer Form. Oft sind sie nach Art des bekannten eisernen Kreuzes (I), also mit erweiterten Balkenenden, meistens sind die Balken gleichmäßig breit (II), manchmal ist das Kreuz in eine Steinplatte eingehauen (III), so dass man nicht von einem Steinkreuze, sondern von einem Kreuzstein spricht: das älteste datierte Steinkreuz in Deutschland vom Jahre 1260 ist ein Radkreuz (IV).
Allermeist sind die Steinkreuze ohne jegliche Zeichen, ohne Ziffern und Buchstaben, aber es gibt auch solche mit eingemeißeltem Wappen, Schild oder Helm, mit vertieft oder erhaben gearbeiteten Kreuzen, mit Rillen und Grübchen, mit Kelch, Pflugschar, Messer oder Beil in der Mitte und endlich solche mit Jahreszahlen oder Buchstaben oder vollständiger Inschrift.
Gewöhnlich stehen die Steinkreuze vereinsamt an Straßen oder Feldwegen, in Wald oder Flur, oft genug verwittert oder übermoost. Und je weniger aus Inschrift, Urkunde oder unmittelbarer Überlieferung darüber bekannt ist, umso leichter ranken sich Sage und Legende um das einsame Denkmal. In vielen Fällen bringt das Volk solche Ereignisse damit in Zusammenhang, die der Schrecken ihrer Zeiten waren und die darum noch jahrhundertelang in der Seele des Volkes nachzittern. Pestkreuze heißen sie oder Hunnen- oder Schwedenkreuze oder es hängt daran die Sage von Totschlag oder Richtplatz oder von einem alten Asylrecht oder von uralter Grenze.
Seit die Altmeisterin volkskundlicher Forschung, Maria Andrée-Eysn im Jahre 1897 zum ersten Male die Steinkreuze eines geschlossenen Gebietes mit allen Merkmalen und Überlieferungen beschrieben hat (Zeitschrift für österreichische Volkskunde 1897. S. 65 ff.: Über alte Steinkreuze und Kreuzsteine in der Umgebung Salzburgs), ist viel Literatur über diese seltsamen Denkmäler entstanden, urkundliches Material wurde gesucht, die Überlieferungen wurden verglichen und durchforscht und in Dresden wurde sogar eine Zentralstelle für Steinkreuzforschung gegründet: Form und Ausbreitung der Steinkreuze wurden behandelt und es wurde festgestellt, dass sich dieselben mehr oder minder zahlreich vom Kaukasus bis nach Nordspanien, von Italien bis Skandinavien finden und bei 3300 solcher Kreuze wurden eingehend beschrieben und alle einschlägige Literatur verzeichnet.
Die Steinkreuzforschung ist aber noch sehr weit entfernt von einer restlosen Erklärung dieser seltsamen Denkmale: doch das scheint sicher zu sein, dass diese Kreuze nicht an ehemalige Asyle für Verfolgte erinnern, auch nicht an einstige Gerichtsstätten oder Grenzen: auch die Verbindung mit Pestzeiten ist nicht sicher gestellt. Manche Steinkreuze sind wohl Gedenkzeichen für plötzlichen Tod oder andere Unglücksfälle, wie es ja in weiten Gebieten heute noch Brauch ist, an Unglücksstellen ein Kreuz zu setzen, um die Vorübergehenden zum Beten zu mahnen. Sicher nachgewiesen ist von manchen Kreuzen, dass sie als Sühnezeichen nach verübtem Mord gesetzt wurden und ebenso sicher ist aus vielen Prozessakten, dass besonders vom 14. bis zum 16. Jahrhundert die Setzung von Steinkreuzen nach Totschlag gerichtlich auferlegt wurde (Deutsche Gaue 1908. S. 146 ff.). Kuhfahl, der unermüdliche Leiter der Zentralstelle für Steinkreuzforschung, schreibt (Wissenschaftliche Beilage des Dresdner Anzeigers vom 2. Dezember 1930.), dass ihm aus alten Stadt- und Gerichtsbüchern mehr als 500 Totschlagurteile bekannt sind, welche die Setzung von Sühnekreuzen verordnen.
Neuestens wird die Ansicht vertreten, dass die Steinkreuze eine Äußerung vorchristlichen, frühgermanischen Wesens seien, doch scheint diese Annahme nicht genügend gestützt zu sein.
Noch in der neuesten Literatur (Wiener Zeitschrift für Volkskunde 1931. Seite 35) ist berichtet, dass an den großen Übergängen der Zentralalpen nur ein einziges Steinkreuz zu finden sei, das bei Kilometer 18 zwischen
Innsbruck und Matrei. Unser Land galt bisher immer als Gebiet ohne Steinkreuz. Aber auch im Oberetsch steht sicher ein altes Steinkreuz, und zwar an der Straße von Bressanone [Brixen] gegen Millan am Fuße des Bildstockes, der für die dort begrabenen Soldaten aus der Franzofenzeit im Jahre 1855 errichtet worden ist. Ganz unscheinbar steht das Steinkreuz aus Granit, es ragt 60 Zentimeter aus der Erde, der Längsbalken erweitert sich von 17 Zentimeter an der Spitze auf 23 Zentimeter am Grunde, der Querbalken ist 40 Zentimeter lang und 13 Zentimeter breit; an den drei sichtbaren Ballenenden ist je ein Kreuz erhaben herausgearbeitet, eine Eigentümlichkeit, die ich noch nirgends beschrieben gefunden habe.
Dieses Steinkreuz stand nicht immer in der Millander Au. Vor ungefähr 50 Jahren kam es beim Palbiterhof, dem alten Adelssitz oberhalb des Brixner Bahnhofes, am alten Weg nach Tschötsch zum Vorschein, als der Bauer, der Vater des jetzigen Besitzers, einen Obstbaum setzte. Der heutige Besitzer der Karlsburg in Millan erwarb es im Jahre 1904 und ließ es an den jetzigen Standort bringen. Niemand weiß, wie lange dieses Steinkreuz vergraben gelegen, niemand weiß von Ursprung und Bedeutung des Kreuzes, und wenn je eine Überlieferung bestanden, auch sie ist längst begraben.
Es ist kaum wahrscheinlich, dass dieses Steinkreuz das einzige in unserem Gebiete ist. Vielleicht geben diese Zeilen Anregung, auf solche verwitterte, charakteristische Denkmäler aus alter Zeit zu achten und davon an den Schlern zu berichten.
Quelle: Mang, Hermann, Ein altes Steinkreuz, in: Der Schlern 12. Jahrgang 1931, S. 168 bis 169.
Bildanhänge: Steinkreuztypen, Altes Steinkreuz bei Bressanone [Brixen]
Ergänzungen und aktuelle Fotos erbeten.
Wolfgang (SAGEN.at)