Auf Anregung von Harry hier ein paar Pressestimmen zum Untergang der "Titanic" am am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr.
Die "Neue Freie Presse" berichtet am Dienstag den 16. April 1912 (verfasst am 15. April) erstmals vom Unglück der Titanic. Der Artikel schildert recht eindrucksvoll die technikgläubige Aufbruchstimmung dieser Zeit und gibt einen guten Einblick, warum die Hoffnungen genau an diesem Schiff lagen: Das "Zusammenwirken menschlichen Talents", die "Vollendung der technischen Kultur", der "Sieg über die Entfernung" und endlich eine Form zu Reisen "wie auf einer Brücke, die Weltmeere verbindet".
Und dann das Unvorstellbare: "Das schwimmende Eis, auch eine Art von Schiff, aber ein Totenschiff, dem kein lebendiges nahen darf, zertrümmert das Erzeugnis einer Zeit, die gewohnt ist, die Natur wie selbstverständlich ihrem Bedürfnisse nach Ausbreitung und Verbindung dienstbar zu machen." - Ein Satz, der wohl bis heute kaum verstanden und immer noch gültig ist...
Quelle: Neue Freie Presse, 16. April 1912
Wolfgang (SAGEN.at)
Die "Neue Freie Presse" berichtet am Dienstag den 16. April 1912 (verfasst am 15. April) erstmals vom Unglück der Titanic. Der Artikel schildert recht eindrucksvoll die technikgläubige Aufbruchstimmung dieser Zeit und gibt einen guten Einblick, warum die Hoffnungen genau an diesem Schiff lagen: Das "Zusammenwirken menschlichen Talents", die "Vollendung der technischen Kultur", der "Sieg über die Entfernung" und endlich eine Form zu Reisen "wie auf einer Brücke, die Weltmeere verbindet".
Und dann das Unvorstellbare: "Das schwimmende Eis, auch eine Art von Schiff, aber ein Totenschiff, dem kein lebendiges nahen darf, zertrümmert das Erzeugnis einer Zeit, die gewohnt ist, die Natur wie selbstverständlich ihrem Bedürfnisse nach Ausbreitung und Verbindung dienstbar zu machen." - Ein Satz, der wohl bis heute kaum verstanden und immer noch gültig ist...
"Wien, 15. April.
Das Schiff „Titanic“ wäre beinahe durch einen Eisberg vernichtet worden. Es ist das größte Schiff der Welt; selbst ein schwemmender, haushoher Berg, eine wandelnde Stadt, die aber, von mächtigsten Triebkräften in Bewegung gesetzt, über den Ozean in ferne Länder geht. Das größte Schiff der Welt! Und doch nur ein armseliger Zwerg, der vor der Wucht eines Eisberges in die Knie sinkt, nach allen Seiten hin um Hilfe ruft und noch glücklich sein muss, wenn das Element in seiner Übermacht ihn nicht ganz zerstört. Vierzehnhundert Menschen waren seit gestern Nacht in schwerster Gefahr, vierzehnhundert lebensfrohe, wegfreudige, reiselustige Männer und Frauen; gewiss viele verwöhnt und unbekümmert, mit jener anmaßenden Sorglosigkeit, die aus der Vollendung unserer technischen Kultur entspringt, deren Siege so oft hochmütig genossen werden. Die meisten aber wohl mit jenem Gefühl der Befreiung und des Vordringens, mit jener seltsam prickelnden, hinreißenden Erregung, die ein so organisierter, gleichsam selbstverständlich gewordener Sieg über die Entfernung und das Meer hervorruft. Fast wirkt es altvaterisch, daran zu erinnern, dass Horaz gesungen hat: Dreifach gepanzert müsse die Brust dessen gewesen sein, der zuerst das Schiff dem wilden Meere anvertraute. Schon die Namen der jetzt in England gebauten Dampfer klingen wie eine schmetternde Fanfare des Erfolges. Es ist etwas Napoleonisches in dieser Durchbildung jeder Einzelheit, in dem gigantischen Zusammenströmen und Zusammenwirken menschlichen Talents und elementarer Kräfte. Die Vorstellung kann kaum heftiger angeregt werden als durch das Bild eines jener Rauchfänge, in welchen bequem und ohne Mühe eine Lokomotive mit ihren Waggons Platz fände. Alle Dimensionen, alle Verhältnisse sind wie durch einen Zauberspruch ins Unüberblickbare gesteigert. Es ist, als würde durch menschliche Begabung die Urweltgröße wieder aufstehen. Als dieser größte Dampfer der Welt vor fünf Tagen von Southampton wegfuhr, wirbelte ein so reißender Strom aus dem Meere auf, dass ein Schiff, von seinen Ketten losgerissen, beinahe niedergefahren worden wäre. Das erinnert an die alten Sagen, in denen erzählt wird, wie der Mahlstrom den Schiffer mit schauriger Schnelligkeit in die Tiefe zieht.
Die „Titanic“ ist ausgefahren wie ein stolzes Admiralsschiff unserer technischen Kultur. Im Innern: Wärme, höchster Luxus und Behaglichkeit. Tennisplätze, Schwimmbäder, ein türkisches Bad und, als Kuriosität, ein Café Parisien, das mit Efeu geschmückt ist, der am Gitterwerk sich emporrankt; Staatsräume zu fabelhaften Preisen, ganze Wohnungen mit Schlafzimmer, Salon und Bad, mit abgeteiltem Promenaderaum. Keine Rede mehr von den dumpfen, unbequemen Kabinen, welche früher die Qual und Plage der Überfahrt vermehrten. Keine Rede auch von der Einpferchung der ärmeren Passagiere ins Zwischendeck. Silbernes Besteck für zehntausend Menschen, Fassungsraum für mehr als zwanzigtausend.
Die drahtlose Telegraphie verbindet das Meer mit dem Festland und vermindert die Gefahren der Isolierung. Gefahr? Gibt es für solche Riesen wirklich noch eine Gefahr? Für diese bis zur Vollendung ausgerüstete, zur Einheit gewordene Armada, die siegreich das Meer durchzieht? Wird ein Leck geschlagen und dringt Wasser ein, so schließen sich sofort Stahlklappen, die jede Verbreitung, jedes Vorwärtsströmen der Wellen verhindern. Bricht ein Brand aus, so bedarf es nichts als eines Handgriffes in jeder Kabine, in jedem Zimmer, und ein Strahl schießt hervor, der stark genug ist, die wildeste Flamme zu beherrschen und zu ersticken. Und dennoch Gefahr? Dennoch keine Ruhe und vollständige Sicherheit? Wie seltsam und zugleich wie furchtbar berühren die Nachrichten, die von den Ängsten und Hilferufen und von der Rettung der Passagiere, von der Eile all der Schiffe erzählen, die den Notschrei auf Hunderte von Meilen weg vernommen hatten. Ein Eisberg gegen ein Schiff; ein Stück Gletscher wird von der Strömung abgerissen, oft mit Moränenschutt beladen. Umbrandet von Wellen, ragt er wie ein Plateau oder wie ein ungeheurer Keil aus ihnen hervor. Von Grönland schwimmt er langsam nach Süden hin, der Schrecken aller Schiffahrer, ein Schrecken besonders jener Küsten von Neufundland, wo die „Titanic“ getroffen wurde. Und so groß ist dieser Schrecken, dass die Seewarte in Hamburg, das Seeamt in Newyork Eisprognosen anstellen, Eiskarten anlegen, die den auslaufenden Schiffen mitgegeben werden. So groß ist dieser Schrecken, dass die einander begegnenden Schiffe sich gerade bei der Neufundlandbank Signale geben, die den Eisverhältnissen gelten. Dieses Urgebilde, dieser barbarische Klumpen, der vielleicht im Nebel unsichtbar blieb, stößt nun wie ein Sturmbock donnernd an die Wände des großen Schiffes. Ist es nicht, als wäre hier an einem phantastischen Beispiel wieder der alte Kampf, zwischen der scheinbar unterjochten, scheinbar schwächer gewordenen Natur und der menschlichen Energie aufgenommen? Das schwimmende Eis, auch eine Art von Schiff, aber ein Totenschiff, dem kein lebendiges nahen darf, zertrümmert das Erzeugnis einer Zeit, die gewohnt ist, die Natur wie selbstverständlich ihrem Bedürfnisse nach Ausbreitung und Verbindung dienstbar zu machen. In den tiefsten Wildnissen von Zentralafrika wird über die Stromschnellen des Zambesi in schwindelnder Höhe eine Brücke gebaut: für eine Bahn, die das Kap mit Kairo verbinden, ganz Afrika mit einem einzigen Strange durchmessen soll. Geschosse gibt es, die eine Entfernung etwa von Krefeld nach Düsseldorf bestreichen. Wie in Stockwerken und Türmen richten sich die Stahlgehäuse der Dampfmaschinen, der Turbinen mit ihren Tausenden von Schaufelordnungen und kolossalen Dynamos auf.
Dennoch hat diese Maschinenkraft nicht ausgereicht, um die „Titanic“ zu retten. Die Menschen sind ans Land gebracht worden, sie haben ihr Leben, mühsam gewiss und mit vielen Gefahren, erhalten. Erhalten nach einer Nacht, die wie ein einziger großer Hohn gewesen sein muss auf all die feinen Köstlichkeiten und fabelhaften Luxusdinge, die ihnen auf dem Schiffe geboten waren. Wie die Bilder aus der alten Zeit Schiffbrüchige zeigen, die zusammengedrängt, angstzitternd ihr Schicksal erwarten, Boote, die mit den Wellen kämpfen, aussenden, so mag auch hier auf der Glanzstätte siegreichster Vollendung alles wie- in der armen verachteten Vergangenheit zugegangen sein. Verschwunden alle Sicherheiten, verschwunden alle Tünche des „modernen“ Reisenden, der sich wie auf einer Brücke fühlt, die Weltmeere verbindet, und wie im Traum ganze Länder durcheilt. Und was ist Zurückgeblieben? Der arme, schwache, von einer starken Faust niedergeschmetterte Mensch, der als letzten Rest dieser gloriosen „Jungfraufahrt“ der „Titanic“ ein Wrack in den Wellen treiben sieht und mit allen großartigen Hilfsmitteln eben nur sein Leben rettet.
Aber diese Stimmung, die ein bisschen an die Melancholie des guten „Jedermann“ erinnert, der von seinem Freudenmahl, von seinem Geld und Gut abgeholt und abberufen wird, vergeht sehr rasch. Wie geringfügig ist dieses einzige Unglück, das schließlich nur ein Schiff und kein Leben getroffen hat, gegen die regelmäßige, unbeirrbare, eherne Sicherheit des Weltverkehrs, der uns wie eine von Menschen geschaffene Natur zur Denkgewohnheit geworden ist. Die Küste von Neufundland, wo die „Titanic“ vom Unglück getroffen wurde, ist dieselbe, wo im elften Jahrhundert Normänner schon gewohnt haben sollen, es ist dieselbe Küste, die im sechzehnten Jahrhundert ein Spanier entdeckt und in Besitz genommen hat. Sie alle haben dem Meere mit seinen Stürmen, den Eisbergen auf ihren armseligen Wikingerbooten, deren Reste wir jetzt ausgraben, auf ihren Gallionen getrotzt, und das Unglück der „Titanic“, es ist doch nur ein, wenn auch furchtbares Rückzugsgefecht der Natur, die den Übermütigen zeigt, dass ihre Kräfte nur schlummern, dass sie immer noch wuchtiger, immer noch brutaler ist, als die Menschen in ihrer ganzen Klugheit und List vermuten. Wenn sie ganz sicher zu sein glauben, wenn sie sich am freudigsten den, glänzenden Genüssen hingeben, erhebt sie nur ein klein wenig den Finger und pflanzt drohend und schaurig ihre Übermacht als Warnung auf. Die „Titanic“ hat so eine böse Laune des Elements zu spüren bekommen. Freuen wir uns, dass kein Menschenleben verloren ging. Freuen wir uns, dass selbst gegen ein solches Unglück noch Hilfsmittel gefunden wurden. Freuen wir uns, dass wir stark genug sind, auch solchen Gefahren gegenüber den Mut zu wahren, der nicht rückwärts sieht, sondern der aus der Erfahrung und aus dem Kampfe sich neue Waffen schmiedet und den Zufall durch die Erkenntnisse, die er bringt, zum Glück werden lässt. An mehr als vierzehnhundert Menschen ist der Tod schaurig nahe vorbeigegangen. Das klingt furchtbar. Aber es bedeutet nur das, was täglich und stündlich das allgemeine Schicksal ist, und dennoch sagen wir in dieser Zeit, wo alle Kräfte zu so ungeheurer Leistung angespannt sind, wo selbst ein so großes Unglück zwar das Schiff zerstören, aber die Rettung der Menschen nicht verhindern konnte: Es ist eine Freude zu leben!"
Quelle: Neue Freie Presse, 16. April 1912
Wolfgang (SAGEN.at)