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Einen sehr schönen Einblick in das Handwerk des Buchbinders bringt das Buch von Karl Baumann "Alt-Dillinger Handwerk, ein Beitrag zur Geschichte einer verlorenen Welt". Dillingen an der Donau liegt im Donauried in Bayern.

Die Buchbinderei Sauer (1843-1953)

Mitten in der Königstraße fällt auf der Nordseite ein an sich bescheidenes, dreistöckiges Giebelhaus auf, in dessen Erdgeschoß sich über Jahrhunderte hinweg drei Kalksteinsäulen noch unversehrt erhalten haben. Diese Säulen, die seit 1865 in das Ladengeschäft integriert sind, bildeten ehedem den westlichen Anfang eines Arkadenganges, der bis zur Kirchgasse (heute Basilikastraße) reichte und im Volksmund „die Schupfe" hieß. In diesem Bürgerhaus wohnten vier Generationen lang die Sauer, die hier am Ort von 1843 bis 1953 die Buchbinderei, ein in Dillingen jahrhundertealtes und angesehenes Handwerk, ausübten.

Der Urahne der Dillinger Linie, Benedikt Sauer (1820 bis 1894), stammte aus Lauingen und hatte nach dem Tod des Buchbinders Leonhard Speck im Jahre 1843 dessen Haus in der Webergasse (No. 22) erworben, um sich dort als Buchbinder - übrigens seit 1743 der fünfte in direkter Folge - niederzulassen. Sauer blieb dort allerdings nicht lange. Schon einige Jahre danach, spätestens im Jahre 1848, finden wir ihn in der Königstraße, wo er im Hause des Kaufmanns Gruber (No. 18) unter der Schupfe wohnte und einen Laden besaß.

Was hatte nun Buchbindermeister Sauer um die Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Kunden anzubieten?

Zunächst waren es laut Zeitungsinserat Bücher, gebunden in Samt, Seide, Leder, Leinwand und Papier, was vor allem für katholische Gebet- und Andachtsbücher galt. Heiligenbilder, Medaillen, Rosenkränze und Sterbekreuze sollten noch sein Angebot an religiösen Artikeln vervollständigen. Dazu kamen jegliche Art von Schreibbüchern, alle Gattungen von Papp-, Galanterie- und Schreibmaterialien, ferner Brief-, Zeichen- und Notenpapier sowie Schreibfedern, Bleistifte und Siegellack. Nach und nach weitete sich das Angebot noch mehr aus.

Man bekam bald „das allerneueste und feinste an Cigarren- Etuis, Portemonnaies, Schreibmappen, Brieftaschen", und als sich gegen Ende der 1850er Jahre der erste Photograph hier niederließ, „das Photographie-Album zu 24, 50, 100, 200 Stück in den geschmackvollsten Einbänden, dazu die entsprechenden Photographie-Rahmen in allen verschiedenen Größen." Auch die heute wieder in Mode kommenden Poesie-Alben konnte man bei Buchbinder Sauer kaufen. Gratulations- und Neujahrskarten sowie die populären Taschenkalender gab es damals auch schon bei Sauer, während die Bildpostkarte noch bis Mitte der 1890er Jahre warten musste, ehe der Verlag Sauer die zahlreichen Stadtmotive des Photo-Ateliers Simson in verschiedenen Ausführungen und Techniken verlegte. Für die Kinder wiederum gab es Zeichen- und Farbenkästchen, Modellier- Cartons, Bilderbücher und vor allem die lehrhaften kolorierten Bilderbögen, von denen der Verfasser vor etwa 15 Jahren noch einen ganzen Stoß in Dillingen entdeckte. Am 18.Febraur 1850 teilte Benedikt Sauer „dem hiesigen und auswärtigen Publikum" als Novum mit, dass er „im Besitz einer Linier-Maschine ist, womit alle Arten von Schreibbüchern, Notenpapier und Schreibhefte liniert werden können." Vier Jahre später überraschte Buchbinder Sauer nochmals die Leser des Dillinger Wochenblattes mit der Ankündigung, dass er Besitzer eines Lese-Instituts geworden sei, dem er später den verständlicheren Namen „Leih-Bibliothek" gab. Interessenten konnten seitdem bei ihm Bücher zum Preis von monatlich 24 Kreuzer bzw. vier Gulden 48 Kreuzer jährlich ausleihen. Er erbot sich auch, „stets geeignete Bücher von privat anzukaufen". Aus einem Zeitungsinserat des Jahres 1868 erfahren wir, dass die Sauersche Leihbibliothek 3000 Bände enthalte, was für einen Buchbinder in einer Kleinstadt von 5200 Einwohnern ein doch recht beachtliches Angebot darstellte. Von Neuanschaffungen erfuhr der Bürger in regelmäßigen Abständen durch die Tagespresse. „Folgende, ganz neue, meist auf historischen Tatsachen begründete Romane sind angekommen und zu haben", heißt es da z. B., worauf eine Liste von etwa 20 Titeln folgt, darunter „Napoleon in Deutschland", „Der Jude von Verona" oder „König Heinrich VIII. und sein Hof", um nur einige Titel zu nennen. Ab 1858 stand Buchbinder Sauer mehr Platz zur Verfügung, denn er konnte das Haus kaufen und seine Geschäftsräume durch den Umbau nach Süden hin wesentlich erweitern. Im Jahre 1880 übergab Benedikt Sauer, der sich auch als Gemeindebevollmächtigter und Magistratsrat verdient gemacht hatte, seinem Sohn Ludwig das Haus, das damals einen Wert von fl 6000 besaß, ferner „das vorhandene Handwerkszeug sowie die Maschinen", deren Wert auf fl 1500 veranschlagt wurde. Benedikts Sohn Ludwig (1847-1920) und Enkel Ludwig (1881-1960) führten seit 1881 bzw. 1919 die Buchbinderei im Sinne ihrer Vorfahren weiter und gliederten dieser noch ein gutsortiertes Papier- und Schreibwarengeschäft an, das den zunehmend anspruchsvolleren Bürobedarf von der kleinsten Feder bis zur modernsten Schreibmaschine deckte. Hinzu kam der Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften. Ludwig Sauer, der 1919 die väterliche Buchbinderei übernahm, hatte von 1895 bis 1898 in Augsburg sein Handwerk gelernt, war dann von 1898 bis 1909 Buchbindergeselle und machte im Jahre 1909 die Meisterprüfung. Dass die Sauersche Buchbinderei um die Jahrhundertwende florierte, zeigt ein Blick in die Werkstatt, in der neben dem Meister noch drei Gesellen und zwei Lehrlinge tätig waren.

Als letzter Vertreter dieses Gewerbes trat der Urenkel Ludwig Sauer, geboren 1920 in Dillingen, in die Fußstapfen seiner Vorfahren. Auch er bekam, ähnlich wie sein Vater, seine Ausbildung in Augsburg. „Ich habe dort in der Buchbinderei Kraus", so erinnert er sich, „speziell Einbände in Leder gefertigt, z. B. die Speisekartenhüllen für den Ratskeller, Laudate in Flexibel-Leder mit Rotgold- Hohlschnitt und nicht zuletzt Messbücher in allen Ausführungen - in Halbleder, Volleder, Pergament, mit oder ohne Beschläge. Zwei meiner Lederbände habe ich noch in eigenem Besitz. Bei ihnen handelt es sich um die „Geschichte des kgl. Bayer. 4. Feldartillerie-Regiments König" und das Buch „Mein Kampf", dessen Einband mein damaliges Gesellenstück war." Auch das Stadtarchiv Dillingen bewahrt noch einen qualitätvollen Ledereinband Ludwig Sauers, signiert und datiert 1945, der für das Grund- und Lagerbuch der bischöfl. Residenzstadt aus dem Jahre 1692 in Auftrag gegeben wurde. „In der Dillinger Studienbibliothek", so schreibt Ludwig Sauer an den Verfasser, „sind sicher noch einige Tausend Bände, die von meinen Vorfahren gebunden worden sind. Ich selbst habe nur noch einige Dutzend Lederbände gefertigt. Sehr viele Ledersachen musste ich allerdings nach meiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg 1945 für die Amerikaner fertigen. Dazu wurde ich in einen Jeep geladen, nach Stuttgart zur Lederfirma Roser gefahren, wo ich die Felle bzw. die Häute aussuchen musste. Diese hatte ich dann dutzendweise zu Schreibmappen zu verarbeiten, und zwar in Ganzleder. Alles in Handarbeit. Da taten nachts die Finger weh!"

Im Jahre 1953 musste Ludwig Sauer die Buchbinderei aufgeben. Schuld daran war die Erblindung seines rechten Auges als Folge einer Kriegsverletzung. Seine Firma „Papier Sauer" führte er jedoch noch bis 1968 weiter. Dann verkaufte er sie aus familiären Gründen.
Stadtarchiv Dillingen; Wochenblatt der Stadt Dillingen, diverse Jahrgänge; Erbvertrag des Ludwig Sauer und der Wilhelmine Zunhammer vom 28.7. 1880; Briefwechsel mit Ludwig Sauer vom 21.2. 1978 und 24.11. 1980.

Bildanhänge:
- Das Haus des Buchbinders Ludwig Sauer (1847 - 1920) in der Königstraße in Dillingen.
- Der Buchbinder Ludwig Sauer (1881 - 1960) in seinem Ladengeschäft. Mai 1929.

Quelle: Karl Baumann, Alt-Dillinger Handwerk, ein Beitrag zur Geschichte einer verlorenen Welt, Dillingen 1993, S. 132 -134.


Wolfgang (SAGEN.at)
 

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