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Kornspeicher in Obermühl im Mühlviertel an der Donau in Oberösterreich

Mein Vater hat den Renaissance Kornspeicher aus 1674 im Jahr 1964 erworben um ihn vor dem Verfall zu retten. Im Zuge des Kraftwerkbaus von Aschach wurde die Donau aufgestaut. So verlor der Speicher sein unterstes Geschoß, aber er konnte erhalten werden. Das 16 Meter hohe Dach wurde erneuert, der Speicher unter Denkmalschutz gestellt.


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Er liegt direkt an der Donau, wo heute ein Radweg verläuft. Im Bereich der Schlögener Schlinge, wo die Kleine Mühl in die Donau mündet. Eine kleine Fähre dient dem Wechsel ans andere Ufer. Früher wurde das Gebäude, wie sein Name schon sagt, als Getreidespeicher verwendet.

Durch das Interesse meines Vaters kam dieses beeindruckende Gebäude auch in mein kindliches Blickfeld. Wir kennen uns also schon über 60 Jahre. Die Geschichte, wie das Gebäude in unseren Besitz kam, und welches nun von uns immer wieder aufgesucht wurde, ist ein Teil meiner Kindheit. Um mit Goethe zu sprechen: „Nur was der Augenblick erschafft, das kann man nützen“.

Manchmal durften wir mit der Fähre, die an dieser Stelle besonders breite Donau überqueren. Das war – und ist bis heute - wunderbar. Man nähert sich dem Kornkasten langsam und hat das Gefühl, er käme auf einen zugeschwommen. Umrahmt von dem blauen Wasser und den rundherum liegenden grünen Hügeln. Die frische Luft und die natürlichen Gerüche ergänzen den herrlichen Eindruck.

Mein Bruder und ich waren dort stets sehr intensiv beschäftigt – elterliche Aufsicht brauchten wir beim Kornspeicher keine. Zuerst erforschten wir immer das Äußere: Dieses war altersbedingt natürlich bereits etwas mitgenommen. Jedes Mal, wenn wir mitfahren durften, entdeckten wir wieder neue Sprünge und Risse in den alten Mauern. Durch Löcher an den morschen Fenstern warfen wir einen Blick in das Innere. Was wir sahen mutete schaurig und gruselig an. In den alten, brüchigen Ziegeln des Mauerwerks hatten kleine Tiere ihre Nester gebaut. Pflanzen wuchsen aus den Rissen des abbröckelnden Verputzes heraus. Sie veränderten sich immer wieder aufs Neue, je nach Jahreszeit.

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Hatten wir den Speicher lang genug umrundet, erkundeten wir das weite Innere. Die im hinteren Teil des Gebäudes liegenden Räume mieden wir, da der modrige Geruch, welcher in der feuchten Dunkelheit lag, für unsere Nasen ekelerregend war. Aber in den vorderen, großen Räumen, wo in früheren Jahren das Getreide lag, roch es dafür umso besser. Der Geruch nach Weizen und Sommer umfing uns durch die schräg einfallenden Sonnenstrahlen. Sie erwärmten die Holzbohlen und durchfluteten die riesigen Räume. Wir spielten auf den warmen Holzbalkendecken. Die vielen Holzsäulen waren unser Versteck. Unsere Spiele, „Moinzi“ und „Dass sie mich nicht anrührt“, lebten auf. Im Gebälk des riesigen Dachstuhls konnten wir stundenlang herum klettern. Dann träumten wir davon, dass uns die aufsteigenden Balken direkt zum Mond führten – so hoch kamen wir hinauf.

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Eines Tages – unsere Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt – trauten wir uns doch, in einen weiteren Raum im Erdgeschoß vorzudringen. Und was fand sich da? Ein altes Motorrad – so hatten wir nun auch unser eigenes Fahrzeug! Natürlich wurden dem Fahrzeug bereits seit langem die Räder genommen und es fehlte auch sonst allerhand. Aber für unseren Zweck - Reisen ins Land der Träume – war es ideal. Christoph und ich konnten loslegen.

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In einem weiteren Raum fanden wir die Reste einer ehemaligen Küche. Im Herd hätten wir noch Feuer legen können, aber das trauten wir uns dann doch nicht. Jedoch das Geschirr öffnete neue Möglichkeiten: Keine Puppenküche - ich hatte meine eigene Küche! Kräuter sammelten wir vor dem Speicher und mit dem Wasser aus unseren Trinkflaschen bereiteten wir Opa’s herrliche Kräutersuppe: 7 Kräuter müssen es sein, sagte Christoph: junge Brennnessel, Himmelschlüssel, Mausleiterln – so benannten wir die Schafgarbe –, Löwenzahnblätter, Spitzwegerich, Sauerampfer und Veilchenblätter. Mein Bruder, etwas älter als ich, erklärte mir alles sehr genau. Unser Gebräu brachten wir Opa nach Hause. Er verfeinerte es dann noch mit etwas geröstetem Speck und Zwiebeln. Vor dem Essen wurde ein Löffel Rahm auf die Suppe gegeben.

Manchmal trafen wir auf ein Kätzchen. Das freute sich, wenn wir kamen. Die Spiele veränderten sich. Alles verlief ruhiger und beschaulicher. Wir sahen der Katze zu, wie sie versuchte, ihren Schweif zu fangen. Lange ließ sie sich von uns streicheln. Dann legten wir uns auf die Bohlen und sahen aus dem Fenster. Jenes hohe Fenster, durch das einmal das Korn bewegt wurde. Wir sahen, wie die Fähre auf uns zu schwamm. Viele Radfahrer, einige Fußgänger stiegen aus, auch ein Auto war auf der Fähre.

Aber zu bald hieß es: „Kinder, wir müssen fahren!“ Wir wollten unseren neuen Spielgefährten gerne mit nach Hause nehmen. Beim Getreidespeicher ging das Mitnehmen ja nicht, aber wenigstens das Kätzchen? Den Eltern gefiel die Idee rein gar nicht. Sie meinten: „In unserem Garten sitzen doch so viele kleine Vögel“. Das verstanden wir.

Unseren neuen, wunderbar wandelbaren Spielgefährten, liebten wir. Denn welches Kind hat schon je ein Gartenhaus in Großformat mit Tieren zum Spielen direkt an der Donau?

Das imposante Gebäude wäre heute vielleicht als Herberge zu nutzen; so ähnlich wie die Quartiere am Jakobsweg – ein authentischer, praktischer Anziehungspunkt für Radler und Wanderer. Zwei Gasthäuser gibt es in dem kleinen Dorf. Interessenten könnten den Zuschlag für den Kornspeicher um einen symbolischen Betrag bekommen, wenn sie ein durchdachtes Sanierungskonzept vorlegen.

Für mich wäre es nur wichtig, dass der alte Herr, den ich so liebe, erhalten bleibt.
©leitl
 
Zuletzt bearbeitet:
Phantastischer Beitrag!
Bei meinem Besuch in der Schlögener Schlinge vor etlichen Jahren ist mir dieses Gebäude nicht aufgefallen. Man sollte halt doch auch mehr auf das Umfeld schauen!
Ich liebe solche interessante Lokalitäten!
far.a
 
Wunderschöne Geschichte, die dem Leser nahe geht! Vielen Dank dafür!

Verstehe ich das richtig?

Das Gebäude des Kornspeichers war vorher viergeschossig. Beim Aufstauen der Donau ist ein Stockwerk verloren gegangen.

Hat man das unterste Stockwerk irgendwie etwa mit Ziegel "aufgefüllt" als die Donau gestaut wurde und dann den Eingang in den ersten Stock eingebaut? Das ist mir von der Vorgangsweise etwas unklar?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Danke für den interessanten Beitrag, seit ich diesen "alten Herren" kennengelernt habe, liebe ich ihn. Man erfuhr einiges in Obermühl über seine Geschichte und überhaupt die frühe Geschichte dort. Auch ich liebe es, mit der Fähre überzusetzen und den Speicher zu bewundern.
Da hat sich einst vieles an Geschichte abgespielt.
 
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