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Rote Kugeln. Eine Weihnachtsgeschichte

Babel

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I
„Super”, sagt er, „also haste echt super gemacht. War sicher viel Arbeit. Hättste doch was gesagt.”
Sie stehen vor dem Weihnachtsbaum, er bewundernd, sie stolz.
„Sieht gut aus, so ganz in Silber”, sagt er. „Bei uns zu Hause hatten wir immer rote Kugeln. War auch ganz schön.”
„Glaub ich”, sagt sie, „können wir ja auch mal ausprobieren. Nächstes Jahr, meine ich.”
„Ja.” Er kriegt ganz träumerische Augen angesichts des silbernen Kunstwerks. „Weißte”, sagt er, „ich hab schon mal gedacht, also nur so als Idee, verstehste? Ich meine, vielleicht könnten wir ja auch heiraten.”
„Ich weiß nicht”, meint sie, „womöglich wird mir dann das Stipendium gestrichen, weil du schon verdienst.”
„Glaub ich nicht. Wir können uns ja mal erkundigen. Also, echt total schön, du.”
In der WG nebenan wird schrecklich laute Musik aufgelegt.


II
„Schön”, sagt er, „also wirklich, wie schön du das immer machst.”
„War auch viel Arbeit. Naja, aber eine Arbeit, die Spaß macht.”
„Bei uns zu Hause waren die Kugeln immer rot”, sagt er.
„Haste schon mal gesagt. Deine Mutter hat wohl auch ein Händchen für sowas. Meinetwegen können wir sie gern mal wieder besuchen.”
„Naja, irgendwann mal. Also, ehrlich gesagt, der Familienklüngel bei der Hochzeit hat mir für einige Zeit gereicht. Wir haben ja uns, nicht?”
Auf der Straße fährt laut tutend die Feuerwehr vorbei. „Wahrscheinlich Leute, die immer noch echte Kerzen haben”, sagt er, „so mit offenem Feuer und so. Unverantwortlich.”


III
„Na, was macht sie denn, unsere Süße?” fragt er in einem Ton, den er für kindgemäß hält, und kitzelt das Baby an der Nasenspitze.
„Und dazu sagst du nichts?” fragt sie vorwurfsvoll mit einer Kopfbewegung zum silbernen Weihnachtsbaum hin.
„Klar. Schön wie immer. Du hast das halt raus. Bei uns zu Hause waren die Kugeln immer rot.”
„Das war bei euch zu Hause, und dies ist hier zu Hause.”
„Ich sag doch gar nichts. Komm, gib sie mir mal. Wie sie auf die Lichter guckt, nicht?”
„So ein Kind macht doch aus Weihnachten erst ein richtiges Fest”, sagt sie und zieht die Spieluhr auf, die irgendjemand aus der Verwandtschaft dem Baby zu Weihnachten geschenkt hat. Ganz zart erklingt „Stille Nacht”.


IV
„Hättest du nicht ein bisschen früher kommen können?” fragt sie, als er seinen Mantel im Flur aufhängt.
„Ging nicht. Hab ich dir doch gesagt. Ich musste nochmal nach der Anlage sehen.”
„An Heiligabend!”
„Na, wir haben höchstens heiligen Mittag. Was gibt’s zu essen?”
„Also wirklich – das Kind und Kochen, und den Baum hab ich auch noch geschmückt, während du ...”
Er weiß, dass ein Lob von ihm erwartet wird, und sagt: „Doch, also mit dem Baum hast du dich wirklich wieder mal selbst übertroffen. Wundervoll, dieses Silber. Zu Hause hatten wir immer ...”
„Hör mir bloß auf mit euren roten Kugeln.”
Er dreht den Fernseher an. Der Regensburger Knabenchor, vor verschneiter Stadtkulisse aufgestellt, singt „Stille Nacht”.


V
„Naja, spät wie immer”, sagt sie giftig.
„Ich hab eben zu tun”, sagt er.
„Hab ich etwa nichts zu tun?” faucht sie. „Den Haushalt und das Kind und den Job ...”
„Job! Dass ich nicht lache! Deine paar Stunden in der Eheberatungsstelle. Überhaupt, was du denen erzählst, möchte ich mal wissen.”
„Ihr könnt alle froh sein, dass es nicht nur Techniker gibt, sondern auch ein paar Leute, die sich ums Zwischenmenschliche kümmern.”
Streit ist lästig, und er möchte seine Ruhe haben, jetzt, wo er notgedrungen zweieinhalb Tage zu Hause ist. „Ist schon gut,” sagt er, „du hast ja recht. Wo ist denn unsere Süße? Und den Baum hast
du wirklich wieder toll geschmückt. Hab ich eigentlich mal erzählt, dass wir zu Hause ...”
„Ja! Hast du! Jedes verdammte Weihnachten! Ich warte immer schon direkt drauf!”
„Nun sei doch nicht so. Guck, du kriegst auch was von mir.”
Sie packt das Päckchen auf. „Schön”, sagt sie. „Die waren bestimmt teuer. Aber hast du vergessen, dass meine Ohrlöcher zugewachsen sind? Ich will mir auch keine mehr stechen lassen.”
„Na, du kannst sie ja umtauschen.” Er verzieht sich nach nebenan. Wozu hat er jetzt, in der größeren Wohnung, ein eigenes Arbeitszimmer?


VI
„Guck mal, Papa”, sagt das Kind und tippt entzückt die silbernen Ketten und Kugeln an. „Hat Mama gemacht.”
„Ja, das macht sie sehr sehr schön.”
„So einen schönen Baum wie wir hat bestimmt keiner.”
„Bestimmt nicht, Süße. Aber weißt du, als ich klein war – wir hatten zu Hause rote Kugeln ...”
„Hetzt du jetzt auch schon das Kind auf mit deinen verdammten roten Kugeln?” schreit sie. „Ich weiß gar nicht, was du hier eigentlich noch tust. Warum hast du nicht gleich deine Mutter geheiratet?”
Sie knallt die Türe hinter sich zu. Das Kind fängt an zu weinen.


VII
„Schön”, sagt das Kind. „Beinah so schön wie im Kindergarten.”
„Aber schau, wir haben diesmal rote Kugeln”, sagt die nunmehr alleinerziehende Mutter.
„Gefallen sie dir nicht? So eine schöne Farbe.”
„Doch. Aber Gold wär erst toll!”
Scheißleben, denkt sie, sagt es aber nicht, weil ja Weihnachten ist.


VIII
„Wir hatten doch früher immer rote Kugeln”, sagt der Mann, während er im Sessel sitzt und zuschaut, wie seine Mutter den Baum schmückt.
„Die alten Dinger!” sagt sie verächtlich. „Also, ich kann das bunte Zeug nicht mehr sehen. Ich schmücke jetzt jedes Jahr in einer anderen Farbe, konsequent monochrom, verstehst du? Ist doch entschieden eleganter, das musst selbst du als Mann sehen. Letztes Jahr war alles in Blau. Phantastischer Effekt. Ich hatte Dr. Bleibtreu und seine Frau zu Besuch, die waren hin und weg. Und die verstehen ja was davon, als Kunsthistoriker. Na, dieses Jahr wird alles silbern. Man muss eben den Mut zum Experiment haben, nicht?”
Der Mann greift zum Telefon und ruft seinen alten Schulkumpel an. „Hör mal, Leo, du machst deine Kneipe nicht zufällig auch an Heiligabend auf?”
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe Babel, vielen Dank für diese etwas andere Weihnachtsgeschichte.
Du hast vergessen: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein
zufällig .. anzumerken. Im Ernst: Ich habe mich köstlich amüsiert -
wie im wirklichen Leben. Nun Dir noch ein besinnliches Fest!
Viele Grüße aus dem verregneten Westfalen: Ulrike
 
Eine Weihnachtsgeschichte I-VIII

Tja, das sind halt Geschichten, wie nur das Leben sie schreibt!

Aber sind wir ehrlich, Weihnachten ist nur mit Kindern wirklich schön, denn ihre Gebete kommen von Herzen!


"Lieber Gott, bitte schenk dieses Jahr
all den armen Frauen auf Papas
Computer was zum Anziehen, Amen."


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