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Jenische-die Karrner

Was sagt Ihnen das Wort Jenische oder Karrner?


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JKV-Ö

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Die Karrner -Jenische


Die Karrner (Jenische) waren nicht nur eine verachtete Minderheit, sie sind auch heute noch ein Teil unbewältigter Tiroler Vergangenheit. Dabei hatten sie eine sehr differenzierte Vorstellung von Ehre und Freiheit. Es ist deshalb schade, dass der Name dieser Tiroler Bevölkerungsgruppe, deren Ideal die Ehre war, heute, zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch, nur mehr als Schimpfwort gebräuchlich zu sein scheint." Dies stellt der Mundartdichter Luis Stefan Stecher wehmütig in seinem Gedichtband "Korrnrliadr" fest.


Dabei ist es gar nicht so lange her, dass im oberen Vinschgau noch Abkömmlinge von Karrner-Familien in den Dörfern lebten. So verstarb erst vor 15 Jahren der in weiten Teilen Südtirols bekannte und geschätzte Ross- und Obsthändler Alois Federspiel, ein Nachfahre einer großen Karrner-Sippe, wie ihn Alois Trenkwalder in seiner Geschichte "Vinschgauer Storchen" (Vom fahrenden Volk in vergangenen Zeiten, erschienen im Reimmichl-Kalender) beschreibt.


Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung von Laatsch, Stilfs, Schleis und Planeil waren laut Trenkwalder im letzten Jahrhundert Karrner gewesen. Mit Früchte-, Käse-, Geschirr-, Essig-, Salz-, Glas-, Knochen- und Lumpenhandel verdienten die Karrner ihr hartes Brot. Im 16. Jahrhundert trieb die wirtschaftliche Not immer wieder Menschen aus ihren Dörfern und Tälern fort. Besonders verarmte Bauern und Tagelöhner aus dem oberen Vinschgau versuchten anderswo ihr Glück. Mit Kraxen trugen sie Waren von einem Dorf zum nächsten, wurden zu Wanderhändlern. Damals tauchte der Name Karrner auf.


"Karrner sind Karrenzieher, Wanderhändler, die auf Märkten mitgeführte Waren zum Kauf anboten, aber auch dort selbst Produkte erstanden, um sie andernorts zu verkaufen." (A. Trenkwalder). Im nördlichen Tirol wurde aus Karrner Lahninger, Dörcher und Grattenzieher. Die Sesshaften belegten vagabundierende Menschen, die Landfahrer, mit diesen Begriffen.

Um der enormen Zunahme der Karrner zuvorzukommen, erließen die Dorf- und Talgewaltigen Heiratsverbote. Half dies nichts, wurden die wehrfähigen Männer zur Karrnerjagd aufgerufen. Unter dem Vorwand der Hexenbekämpfung ließ 1675 der Erzbischof von Salzburg, Max Gandolf von Khuenberg, 180 Landstreicher vor Gericht stellen, "wo sie fast restlos zu einem möglichst grausamen Tod verurteilt wurden, Männer und Frauen bis zu hundert Jahren und Kinder bis zu drei Jahren herunter", schreibt Norbert Mantl in "Die Karrner", erschienen in den Heimatblättern des Tiroler Heimatpflegeverbandes.


Auch im 18. Jahrhundert weist die Chronik Karrnerverfolgungen auf. 15 bis 20 Mann machten sich auf Karrnerjagden, um das fahrende Volk zu vertreiben. Grund dieser Menschenjagd, so Mantl, sei gewesen, die "Heimatberechtigung durch Ersitzen" zu verhindern. Trotzdem überlebten die Karrner. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Stilfs, Laatsch und Tartsch noch die Stammheimat der so genannten Vinschgauer Storchen gewesen. Geflochtene Körbe boten sie an, zogen mit Zeltwagen, Pferde-, Hunde- und auch Menschengespann durch den Vinschgau. Im Sommer kampierten die Landfahrer an Wassergräben. Bevorzugte Rastplätze waren der Prader Sand, die Eyrser Lahn, die Tscharser Weidenzone und die Rablander Lahn. Im Winter stellten die Heimatgemeinden dem fahrenden Volk Notunterkünfte zur Verfügung.


1935/36 war dann der große Wendepunkt. In Tartsch wurde damals die Staatsstraße erweitert. Die Karrner mussten weichen und wurden in einer Behelfsunterkunft untergebracht. Diese Karrner verließen 1939 als erste Südtiroler im Zuge der Option ihre Heimat. Zurück blieben jene Karrner, die ihre Identität aufgegeben hatten, zu anerkannten Bürgern aufgestiegen waren. Seitdem gibt es die Storchen nicht mehr.

Würde man meinen.


DIE JENISCHE SIPPE


Wer hat sie nicht schon gebraucht, die Worte „ Karrner, Laninger, Jenisches Gesindel.“ Im Volksmund sind es Schimpfworte. Aber wer kennt heute noch die richtige Bedeutung dieser Worte? Was steckt hinter Karrner, Laninger und Jenischen? Was waren und sind Jenische? Sind das nicht alles Asoziale, die früher mit Kind und Kegel durch ganz Europa gewandert sind? Waren es nicht die Leute, die gestohlen, betrogen und unten am Inn ihre Lagerplätze hatten? Alle samt Arbeitsscheu und verlaust? Kesselflicker und Korbmacher, Messerschleifer und Trunkenbolde? Nichts zu Essen, aber ein Dutzend Kinder? Sind das nicht diejenigen, die sogar eine eigene Sprache hatten? Menschen dritter Klasse, gesetzlose Herumtreiber?
Ja, jetzt wissen wir, was die Jenischen sind. So hat man es in unsere Köpfe gemeißelt. So kennen wir sie. So wird es über Generationen erzählt.
Nach meiner Geschichte, die ich Ihnen erzählen werde, frage ich dann noch einmal „ Was sind Jenische?“ Die Antwort darauf liegt dann bei Ihnen!


UNTEN AM INN


In einem Dorf im Oberland im Jahre 19…..
Es ist Sonntag. Der Tag des Herrn. Die ganze Gemeinde fand sich ein in der Kirche. Man dankte dem Herrgott dafür, dass der lange harte Winter zu Ende war. Bald konnten sie wieder ihre Felder pflügen und das Vieh auf die Weide bringen. Es war gut, so wie es war. Alles in dem Dorf hatte seine Ordnung. Man war unter sich und man kannte und schätzte sich.
Die Glocken läuteten das Ende des Gottesdienstes ein. Fein herausgemacht im Festtagsgewand, verließen die Bürger die Kirche. Um den Bürgermeister versammelten sich die Männer der Gemeinde. Man plauderte und lachte, bis man dann, wie jeden Sonntag beschloss, noch zum Frühschoppen zu gehen. Die Frauen in ihren Trachten, machten sich bald auf den Weg nach Hause. Es musste ja gekocht sein, wenn der Hausherr heim kam.
Im Gasthof „zum Löwen“ fanden sie sich ein, die Männer. Rosa, die Kellnerin, versorgte alle mit Bier. Am Stammtisch, wo der Herr Pfarrer und der Lehrer, der Gendarm und der Bürgermeister saßen, ging es hoch her. Man war besorgt. Unten am Inn sind die Jenischen angekommen. Eine üble Sippe. Der Bürgermeister wischte sich den Schweiß von seinen dicken, geröteten Wangen. Er zog kräftig an seiner Zigarre und beobachtete dabei mit gierigen Blicken Rosa.
„Andreas, wie viele sind heuer gekommen? „ Andreas, der Gendarm atmete tief aus.“ Eine ganze Sippe, mindestens fünf Karren hab ich gesehen.“ „ Du weißt, was du zu tun hast, Andreas? Noch heute will ich wissen, wie viele es sind. Ich will alle Namen, alle Ausweise und alle Gewerbebewilligungen sehen.“ Andreas nickte dem Bürgermeister zu. Da schrie aus der hinteren Ecke der Gaststube ein schon angeheiterter Bauer:“ Was ist los, Bürgermeister? Was tuschelt ihr da drüben? Dürfen wir Bauern nicht mitreden?“ Die übrigen Gäste lachten und wollten auch wissen was am Stammtisch besprochen wurde. „ Aber sicher sollt ihr alle erfahren was los ist“ sagte der Bürgermeister. „ Ihr werdet gleich nicht mehr so gut gelaunt sein. Die Jenischen sind wieder unten in der Au!“ Bei diesen Worten wurde es still in der Gaststube. „ Was? Dieses Lumpenpack ! Die wollen sicher wieder den halben Sommer hier bleiben! Du musst was tun dagegen! „ So schrieen sie alle durcheinander. Rosa, die gerade wieder mit einer neuen Ladung Bier unterwegs war knallte die Krüge auf den Tisch.“ Haltet doch euer Maul!“ schrie sie.“ Was haben euch denn die Jenischen getan? Sie schleifen eure .Messer, flicken eure alten Töpfe, weil ihr zu faul seid es selbst zu tun!“ Der Gruberbauer nahm Rosa beim Arm und zog sie an sich.“ Ja, du kannst sie wohl gut leiden? Das wundert mich überhaupt nicht. Du bist ja fast eine von ihnen. Deine Mutter, Gott hab sie selig, der alte Schlampen, hat uns nie gesagt wer dein Vater ist! Eine Magd halt und du bist um nichts besser.“ Schallendes Gelächter brach aus. Rosa riss sich los und spuckte dem Gruberbauer ins Gesicht. Dann rannte sie in die Küche um zu weinen.
Sie hatte es nie leicht die Rosa. Mit ihren zwanzig Jahren hatte sie schon einiges hinter sich. Die Mutter kannte sie nicht. Sie starb bald nach ihrer Geburt, bei dem Bauern wo sie im Dienst stand. Rosa hat man dann halt behalten. Sie war bald eine billige Arbeitskraft. Doch nicht nur dass, sie gefiel auch dem Bauern immer besser. Ein hübsches Balg. Mit sechzehn haute sie ab vom Hof. Sie ging ins Dorf und fing im „ Löwen“ zu arbeiten an. Lohn gab es nie viel. Brauchte sie neue Schuhe, oder ein neues Kleid, musste sie zum Wirt recht nett sein. So lernte Rosa über ihre Gefühle hinwegzusehen. Sie wurde hart und berechnend. Sie hasste alles was männlich war. Oft sehnte sie sich nach der Mutter. Deshalb liebte sie es, wenn die Jenischen kamen. Es gefiel Rosa, wenn die Frauen mit ihren Kindern im Dorf waren. Sie wirkten alle so stark und selbstbewusst. Man konnte sehen, wie sehr alle zusammenhielten. Da waren oft drei Generationen zusammen unterwegs. Die Kinder der Jenischen lebten in einer Freiheit die Rosa nie kannte. Es waren arme Kinder, aber sie waren glücklich. Sie hatten Eltern, die bedingungslos zu ihnen hielten. Rosa zog es magisch zu den Jenischen. Bei ihnen hatte sie das Gefühl willkommen zu sein. Darum wurde sie so wütend über das Geschwätz in der Gaststube. Rosa freute sich. Endlich waren die Jenischen wieder unten am Inn. Da riss Konrad der Löwenwirt die Küchentür auf, packte die Rosa am Hals und drückte sie nach unten. „Du faules Luder! Wie lange willst du noch hier herumstehen? Geh hinaus, aber schnell! Und wenn du noch einmal meine Gäste derart beleidigst! Dann, dann......“ „Was ist dann?“ fragte Rosa. Noch bevor sie weiter sprechen konnte, schlug der Löwenwirt ihr ins Gesicht. Rosa wollte sich losreißen. Da wurde der Konrad noch wütender und schlug das Mädchen durch die Küche. Mit den Fäusten schlug er zu, bis Rosa am Boden lag. Er riss sie an den Haaren hoch und schnaubte sie an.“ Na? hast du jetzt genug? Wasch dir das Blut von deiner Goschen und mach dich an die Arbeit!“ Er ließ Rosa endlich los und verschwand aus der Küche. Rosa taumelte zum Brunnen und wusch sich mit zitternden Händen das Gesicht. Auf ihren Lippen klaffte eine tiefe Wunde. Der ganze Körper schmerzte. Doch Rosa konnte nicht weinen. Ein unsagbarer Hass erfüllte sie. Ihr Atem wurde immer schneller und sie flüsterte leise, es war als würde sie einen Schwur sprechen.“ Das werde ich dir heimzahlen! Dir und deinen Freunden. Mich schlägt keiner mehr! Mich sperrt keiner mehr ein! Lieber verrecke ich! Ihr Schweine, ihr geilen alten Säcke!“ Rosa schmiss das blutige Handtuch auf die Küchenbank und stieg durch das Fensterhinaus. Sie rannte den Weg hinunter in Richtung Inn. Sie rannte zu denen auf die sie schon so lange gewartet hatte. Hinunter zu den Jenischen.

Die Sippe

Als Rosa schon ein Stück dem Inn entlang ging, hörte sie von der Weite das Spielen einer Gitarre. Sie blieb stehen und lauschte. Das kann nur der Franz sein, dachte sie. Keiner konnte so die Gitarre zupfen wie er. Wenn der Franz da ist, dann ist auch die Berta da. Sie ist es, die Rosa in ihr Herz geschlossen hatte. Berta ist die Frau vom Franz. Sie ist die Klügste und temperamentvollste Frau, die Rosa je begegnet ist. Sie hatte langes pechschwarzes Haar. Ihre braunen Augen spiegelten ihre Klugheit wieder. Sie hatte eine kräftige, kleine Statur. Mit ihren gut fünfzig Jahren und den acht Kindern die sie geboren hatte, war Berta eine sehr hübsche Frau. Ihre große Leiden¬schaft ist die Kräuterkunde. Sie kennt jedes Gras, jede Blume und macht daraus die verschiedensten Teesorten, Einreibungen, Salben und Tinkturen. Damit hat sich die Berta im ganzen Land einen guten Namen gemacht. Die Damen aus der feinen Ge¬sellschaft vertrauten der Berta mehr als ihren Ärzten. Eine reiche Geschäftsfrau aus der Stadt, konnte keine Kinder bekommen. Da erfuhr sie von der Berta und ihren Heil¬mitteln. So suchte sie Berta heimlich auf. Der Gatte durfte nichts erfahren. Man konn¬te doch in so einer hohen gesellschaftlichen Stellung nicht mit dem Zigeunerpack ver¬kehren.
Berta schaute sich die feine Dame an, mischte ihr einen Beutel Tee zusammen und gab ihr noch gute Ratschläge. Berta konnte es selbst nicht glauben, als sie nach einer Weile die Geschäftsfrau wieder aufsuchte. Überglücklich erzählte sie Berta, dass sie schwanger war. Die Entlohnung war dementsprechend gut. Die Mundwerbung auch. So ging es der Berta und ihrer Familie ziemlich gut. Natürlich tat Franz das Seine dazu. Franz ist ein gottbegnadeter Musikant und Schnitzer. Oft hat Rosa zugeschaut, wenn er ein Stück Holz nahm, es genau betrachtete und anfing zu schnitzen. Schon nach kurzer Zeit konnte man eine Figur oder ein Tier erkennen. Seine Weihnachtskrippen und Heiligenfiguren verkauften sich sehr gut. Für die Kinder machte er aus Zweigen vom Haselnussstrauch kleine Flöten.
Der Franz hatte eine sehr schwere Kindheit. Schon als ganz kleiner Bub, wurde er der Mutter weg genommen.. Man behauptete, dass er bei den Jenischen Eltern kein rechtschaffener Mensch werden könne. So nahm man der Mutter ihr Kind. Den Vater, der das verhindern wollte, sperrte man einfach ein. So verbrachte der Franz viele Jah¬re in den wohl schlimmsten Heimen, die man sich vorstellen konnte. Oft erzählte er Rosa, wie sie auf ihn einschlugen. Wie die Erzieher ihn missbrauchten und quälten. Wie er immer und immer wieder hören musste was für ein Abschaum er war. Ein Karrner, ein Jenischer. Doch der Franz hat sich nicht unterkriegen lassen. Als er dann ein junger Bursch war, hat man ihn nach Hause geschickt. Die Mutter musste wohl einen guten Draht zum Jugendamt gehabt haben. Wahrscheinlich, so dachte der Franz immer, hat man ihr sehr viel Geld abgenommen, oder sie hatte diese Herren mit irgendetwas in der Hand. Franz hat es nie erfahren. Er war nur froh, dass er ein freier Mensch war. Seinen Stolz und seine Ehre konnten sie ihn in all den Jahren nicht brechen. Im Gegenteil. Franz war stolz, dass er ein Jenischer war.
So in Gedanken versunken ging Rosa weiter. Sie konnte schon den Rauch des Lagerfeuers riechen. Dann, endlich sah sie den Lagerplatz. Sie erkannte gleich den Franz. Er saß auf einem Baumstamm, trug am Kopf seinen grauen Filzhut und im Mundwinkel hatte er wie immer seine selbst gedrehte Zigarette. Er hat sich gar nicht verändert, dachte Rosa. Er trug immer noch seinen schmalen schwarzen Oberlippen¬bart und seine kräftige Stimme hallte durch die Au. Da hörte Rosa ein rascheln neben sich. Die Sträucher bogen sich zur Seite und heraus kam Berta.
„ Rosa, Möschl (Mädchen) wie schaust denn du aus? Wer hat dich denn so zugerichtet?“ Rosa wollte Berta eine Antwort geben. Aber sie brachte kein Wort heraus. Ihre Lippen die arg angeschwollen waren, fingen an zu zittern. Sie fiel der Berta um den Hals, drückte sie fest an sich und konnte endlich weinen. Berta sagte kein Wort. Sie streichelte der Rosa übers Haar und spürte ein tiefes Mitleid in ihr.“ Ist schon gut Rosa komm, der Franz und die Anderen werden sich freuen, dich wieder zu sehen.“ Rosa wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht, nickte und ging mit Berta weiter zum Lagerplatz.
Als der Franz die Beiden kommen sah schrie er:“ Hegel, spann (Mann, schau) wer da kommt! Die schuggere ( schöne) Rosa!“ Er ging auf Berta und Rosa zu. Franz wollte gerade die Rosa umarmen, als er erschrocken zurückfuhr. Seine dunklen Augen¬brauen zogen sich zusammen. Er spreizte seine Nasenlöcher. Seine Hände ballte er zu Fäusten und wütend fauchte er:“ War das der Konrad, der Löwenwirt?“ Rosa senkte den Kopf, sie fing sich an zu schämen. Berta bemerkte wie peinlich es der Rosa war und gab dem Franz einen Schubs.“ Geh weiter, lass das Mädel erst einmal zur Ruhe kommen.“ Der Franz verstand, nahm die Rosa bei der Hand und sagte:“ Komm, jetzt trinkst du erst einmal einen Schluck Guri (Schnaps), dann schaut die Welt gleich anders aus.“
Rosa war nun endlich im Lager. Sie sah nur drei Karren, nicht fünf, wie der Andreas behauptet hatte. Sie standen kreisförmig auf der Lichtung. Zwischen den Wägen waren Leinen gespannt. Darauf hing die im Inn gewaschene Wäsche. In der Mitte vom Platz war wie immer die Feuerstelle. Eingebettet in Bachsteine, knisterte das Holz in den Flammen. Ein großes, gewachstes Stück Leinen, straff gespannt an den Baumstämmen, gab Schutz bei Regen. Die drei Rösser, welche die Karren zogen, weideten etwas abseits die frisch gewachsenen Gräser. Rosa sah auch den Stapel Körbe, den Schleifbock, eine Holzkiste mit Stoffen und den alten Bernhardiner Arko.
Da saßen sie nun alle, die bekannten und vertrauten Gesichter. Der Pepi, seine Frau die Nanni, das Busenfriedale, (sie wurde von den Jenischen so genannt, wegen ihre großen Brust) der kropferte Joggl (hatte einen Kropf), die dürrlocherte (dünne) Maria und der Schnapstoni (trank gerne Schnaps).
Rosa wurde von ihnen mitleidig und herzlich begrüßt. Als sie nun alle zusammen saßen, erzählte Rosa was heute Vormittag im Gasthof vorgefallen war. Berta schimpfte und regte sich furchtbar auf. Sie schmierte der Rosa Salbe auf die Lippen und machte ihr an den geschwollenen Körperteilen wohltuende Umschläge. Franz schaute nachdenklich.“ Wie soll es jetzt weitergehen mit dir, Rosa?“ „ Ich weiß es auch nicht. Zurück gehe ich auf keinen Fall mehr! Am besten wäre es, ich spring ins Wasser. Ich kann und will so nicht mehr leben!“
Bei diesen Worten, bekreuzigten sich die Jenischen Frauen. So etwas wollten sie nicht hören. Dazu waren sie alle viel zu abergläubisch. Der Freitod bedeutete für sie als verlorene Seele, verstoßen von Himmel und Hölle herumzuirren. Berta, die vor Rosa kniete um ihre blauen Flecken zu versorgen, schaute Rosa entsetzt an.“ Möschl, versündige dich nicht! Wie kannst du so etwas sagen? Annette, deine Mutter, wird sich im Grab umdrehen!“ Rosa zuckte zusammen.“ Meine Mutter.....Annette? Du kanntest meine Mutter?“ Berta stand auf und wischte sich nervös die Hände in ihre Schürze. Der Franz schlug sich die Hände vor sein Gesicht und schüttelte den Kopf. „Ja, freilich hab ich sie gekannt.“ sagte Berta etwas unsicher.“ Warum hast du mir nie davon erzählt?“ fragt Rosa enttäuscht. „Möschl, du hast mich nie danach gefragt. Darum hab ich auch nie von deiner Mutter gesprochen. Ich wollte nie alte Wunden aufreißen. Aber ich wusste, dass du eines Tages fragen würdest. Es braucht halt alles seine Zeit.“ Gedrückte Stimmung herrschte im Lager. Der Franz winkte den Anderen zu und sagte:“ Kommt, lasst die beiden alleine. Seid nicht so neugierig.“ Nicht gerne, aber verständnisvoll, ließen sie Berta und Rosa alleine.

Annette

„ Komm, Rosa, geh mit mir zum Wagen. Ich muss dir was zeigen“. Rosa folgte Berta die paar Schritte zum Wagen. Es war eine schöne große hölzerne Karre. Die kleinen Fenster blitz blank geputzt. Vom Dach herunter hingen viele gebündelte Kräuter zum Trocknen. Über eine kleine Holzleiter gelangte man ins Innere des Wagens. Drinnen war es sehr geschickt eingerichtet. Es gab einen Kasten, ein schön bezogenes Bett, kleine Wandschränke für Geschirr und Bertas Kräutermischungen, einen Waschtisch und eine Werkbank, zum Schnitzen. Rosa sah sich staunend um. Noch nie war sie in einem Wagen der Jenischen gewesen. Berta zog einen Hocker unter dem Waschtisch vor.“ Komm, setz dich Möschl“. Rosa setzte sich und Berta wühlte in einer Schachtel. Rosa konnte erkennen, dass es Fotos waren. Dann hatte Berta gefunden, was sie suchte.“ Ja, ich wusste doch, dass ich es noch habe.“ Berta betrachtete ein altes schon zerknittertes Foto. Sie beugte sich zu Rosa.“ Schau, erkennst du diese zwei Frauen auf dem Bild?“ Rosa nahm das Foto und schaute es sich genau an. Sie sah Berta, noch jung und sehr hübsch, mit einer Ladung Körbe vor dem Dorfbrunnen. Daneben stand noch eine junge Frau. Sie trug ein schwarzes, sehr altes Kleid. Schlank war sie, sehr schlank. Ein Kopftuch verdeckte ihre Haare. Doch ihr Gesicht, war wunderschön. Rosa konnte sich nicht satt sehen. Die Frau am Bild hatte große, traurige Augen. Ihre Nase war wohlgeformt und auf ihren Lippen lag ein schüchternes Lächeln. Rosa spürte ein eigenartiges Wohlgefühl beim Betrachten des Bildes. Bertas Stimme rüttelte Rosa aus ihren Gedanken.“ Na? dämmert es dir bald?“ Rosa immer noch den Blick am Foto hängend antwortete:
„ Ja, Berta, ja.........diese Frau neben dir ist......meine Mutter.“ Berta lächelte:“ So ist es Rosa, das ist deine Mutter“. Rosa war ganz aufgeregt. Sie zerrte Berta die vor ihr stand an der Schürze und bettelte:“ Bitte, bitte, Berta erzähl mir alles was du weißt von meiner Mutter! Alles, Berta hörst du, alles!“ „ Schon gut Rosa, dann hör mir zu:“ Dieses Foto ist vor ungefähr 24 Jahren gemacht worden. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Es war gerade Markttag. Wir und die Gatschi( Nichtjenische) haben unsere Waren verkauft. Ich hab beim Dorfbrunnen meine Körbe, Stoffe und sonst noch allerhand aufgestellt. Da kam deine Mutter und schaute mir zu. Ich fragte sie ob sie was kaufen will. Ganz erschrocken hat sie sich, weil ich sie ansprach. Mir war gleich klar, dass sie ein armes Möschl ist. Ich spürte aber auch gleich, dass sie keine Einheimische war. Sie hatte nicht so derbe Gesichtszüge wie die ganzen Bauernköpfe vom Dorf.
Also sagte ich zu deiner Mutter:“ Mädel, du musst dich vor mir nicht fürchten. Bestimmt haben dir die Dörfler wilde Geschichten über uns Jenische erzählt. Du kannst mir glauben, wir tun keiner Seele was zu leide. Schon gar nicht so einem netten Möschl wie dir. Übrigens, ich bin die Berta und du?“ Deine Mutter lächelte und sagte ganz leise:“ Ich bin Annette.“ Noch bevor wir weiter reden konnten, preschte die Postkutsche bei uns vorbei. Sie machte im Dorf halt. Neugierig schauten wir alle, wer da wohl ankommen würde. Ein elegant gekleideter Hegel stieg aus. Der Kutscher lud eine eigenartige Kiste mit langen Holzstehern ab. Der noble Hegel trug das komische Ding unter seinem Arm und schaute sich um. Da entdeckte er mich und deine Mutter. Er kam auf uns zu, stellte sein Krempelwerk auf und fing mit uns auf Französisch zu sprechen an. Ich wollte dem komischen Kauz gerade klar machen, dass wir nichts verstehen. Doch da fing Annette an sich mit ihm zu unterhalten. Mir blieb der Mund offen, so staunte ich. Sie redeten eine ganze Weile miteinander, bis es mir zu dumm wurde. Ich stupste Annette an der Schulter und fragte:“ Was will dieser Hegel von dir?“ Annette lachte und sagte:“ Das ist ein Fotograf. Er möchte von uns ein Bild machen. Dieser Herr arbeitet für eine Zeitung. Vielleicht wirst du noch berühmt Berta!“ Deine Mutter und ich konnten herzhaft lachen und der Fotograf begann den Kasten aufzustellen. Als er fertig war stand schon das halbe Dorf da und glotzte blöd. Auch Franz und Pepi schauten zu. Der Fotograf schaute in seinen Kasten und plötzlich puffte es laut. Rauch stieg auf und die Leute schrieen erschrocken. Da sprang der Franz und der Pepi nach vor und hauten dem Fotografen seinen Kasten um. „ Der will meine Mugga (Frau) umbringen!“ schrie mein Franz. Dann hat er den armen Hegel gufft( geschlagen). Annette ging dazwischen und erklärte dem Franz, dass es beim Foto machen immer so pufft und raucht. Eine gescheite Frau war deine Mutter. Ich aber hatte danach Bauchweh vom Lachen. Annette ging es nicht besser. Ich glaube deine Mutter hat nicht oft so gelacht wie damals. Nie werde ich diese Geschichte vergessen, nie im Leben.
Aber der Spaß, war schnell vorbei. Aus der Menge neugieriger Dörfler, sprang die Gurgelbäuerin heraus. Sie stürzte sich auf Annette und riss sie an den Haaren. Mit ihrer rauen Stimme schrie sie:“ Was machst den du da? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich nicht mit dem Jenischen Pack unterhalten? Schämen kann ich mich mit so einer Magd!“ Franz, Pepi und ich brachten einen Moment kein Wort heraus. Aber dann, Rosa, dann hat es mir gereicht. Ich gab der Gurgelbäuerin, der alten hässlichen Trud, eine Watschen, das es nur so krachte. Sie schrie und wollte mir auch eine rein¬hauen. Da hab ich sie bei ihren zwei großen Ohren gezogen und sie gebeutelt, wie einen alten Kartoffelsack. Der Franz und der Pepi schrieen:“ Hau sie nieder Berta, lass dir nichts gefallen von der alten Schix!“ Daraufhin haben sich die anderen Bauern eingemischt. Im Nu, war beim Dorfbrunnen die Hölle los. Eine riesige Rampferei (Rauferei) begann. Wir haben die Gatschi ganz schön vergufft. Natürlich kam gleich die Glischti(Polizei) und hat uns Jenische verhaftet. Der Annette schrie ich noch zu:“ Möschl, du weißt ja wo du uns finden kannst!“ So sperrten sie uns ein paar Tage ein. Immer musste ich an deine Mutter denken. Ich konnte mir vorstellen, wie sie alles büßen musste.
Rosa, vergaß fast zu atmen, so aufmerksam lauschte sie den Worten von Berta. Auf¬geregt fragte sie:“ Was war dann Berta? Hast du meine Mutter wieder gesehen?“ Berta lächelte und klopfte der Rosa auf die Schulter:“ Natürlich, ein paar Tage später kam sie zu uns ins Lager. Genau wie du, wollte sie nicht mehr zurück zu dem Ge¬sindel da oben. Sie hat geweint und geflucht. Der Franz hat dann seine Gitarre gepackt und spielte die lustigsten Lieder. Bald war deiner Mutter wieder zum Lachen. Bis spät in die Nacht saßen wir alle zusammen, sangen, tranken und tanzten. Annette ging dann mit mir noch hinunter zum Inn. Sie half mir beim Geschirr waschen. Endlich war ich mit deiner Mutter alleine. „ Annette?“ sagte ich.“ Wo hast du so gut französisch gelernt?“ Sie sagte leise:“ Ich hab es nicht gelernt. Es ist meine Muttersprache.“
„Deine Muttersprache?“ fragte ich neugierig. „ Du bist Französin? Was machst du dann hier? Hast du keine Familie mehr? Oder haben dich deine Eltern verschenkt?“ Annette winkte ab.“ Nein, nein Berta. Man hat mich nicht verschenkt. Ich bin schon selbst die Schuld, dass ich hier gelandet bin. Meine Eltern hatten in Genf eine große Schuhfabrik. Mein Vater war immer unglücklich, dass er eine Tochter hatte. Die Mutter kümmerte sich lieber um ihre geschäftlichen Beziehungen, als um mich. Ich kam dann in ein Internat, für angeblich höhere Töchter. Es war ein katholisches Internat. Nur geistliche Schwestern . Es waren die schrecklichsten Jahre meines Lebens. Mit vierzehn, als ich die Schule abgeschlossen hatte, dachte ich, dass ich nun endlich heraus komme aus dieser Hölle. Alle Mädchen wurden von ihren Eltern ab¬geholt, nur ich nicht. Die Oberin berichtete mir mit Genugtuung, dass meine Eltern beschlossen hatten, ich solle hier bleiben und Nonne werden. Für mich brach die Welt zusammen. Bei der erst besten Gelegenheit flüchtete ich. So kam ich in dieses gottverlassene Nest. Der Gurgelbauer hat mich dann aufgenommen. Als Magd. Ich erzählte ihnen, ich wäre eine Waise deren Eltern verstorben sind. So lebe ich nun schon seit vielen Jahren hier.“ Keiner hier kennt meine Vergangenheit. Keiner weiß, dass ich, Annette Bardot, aus Genf komme. Berta, du musst mir dein Wort geben es niemanden zu sagen.“
Ich gab deiner Mutter mein Wort und wir beide gingen wieder hinauf zum Lager. Annette wollte diese Nacht bei uns verbringen. Sie schlief bei mir im Karren. Am Morgen, als ich munter wurde war Annette schon fort. In den nächsten Tagen hab ich deine Mutter nicht mehr gesehen. Zum Gurgelbauer konnte ich leider nicht hinauf. Der hätte mich wahrscheinlich mit seinem Stutzen erschossen. Als wir unsere Geschäfte in diesem Dorf erledigt hatten, zogen wir weiter. In den folgenden zwei Jahren kamen wir nicht mehr in diese Gegend. Wir verbrachten die Sommer in Bayern und unsere Männer halfen bei der Hopfenernte. Erst im dritten Jahr waren wir wieder hier. Gleich erkundigte ich mich bei den Tratschweibern im Dorf nach Annette. Ich hör sie heute noch bösartig sagen:“ Die, die ist verreckt, diese Hure! Ein Kind hat sie hinterlassen! Die arme Gurgel hat jetzt den Balg am Hals! Mir wurde sehr schwer ums Herz. Am liebsten hätte ich die ganzen Trutnen erwürgt. Wir hätten Annette mitnehmen müssen. Franz und ich machen uns heute noch Vorwürfe deswegen. So, Möschl, jetzt hab ich dir alles erzählt.“
Rosa senkte den Kopf. Da hörten sie den Franz schreien:“ Berta, Rosa, wann kommt ihr den endlich raus! “Die Sonne geht bald unter und der Butt( Essen) wird auch schon kalt!“ Erschrocken sprangen die zwei Frauen auf.“ Schau, Rosa es wird wirklich schon bald dunkel. Steck das Foto ein, es gehört jetzt dir. Jetzt kriegst du erst einmal an g‚scheiten Butt. Du musst ja schon halb verhungert sein.“ So gingen Berta und Rosa zu den Anderen, die schon alle beim Essen waren. Obwohl der Rosa sehr schwer ums Herz war, haute sie kräftig rein. Da wurde Arko unruhig. Er knurrte und schaute hinauf zum Weg, der ins Lager führte. Franz wurde stutzig. Er lauschte aufmerksam und flüsterte:“ Ich glaub wir bekommen Besuch. Rosa, schnell geh zurück in den Wagen und verhalt dich ganz ruhig.“ Rosa ließ ihr Teller fallen und rannte zum Wagen. Da hörten sie schon das klappern von Hufen und das Scheppern einer Kutsche. Der Toni sprang auf und schrie:“ Hegele, spann, die Gatschi kommen uns besuchen!“ So war es auch. Eine offene Kutsche blieb ein Stück vom Lager entfernt stehen. Darin saßen der Bürgermeister, der Andreas und der Konrad.

Die Flucht

Ohne ein Wort zu sprechen und fast im Gleichschritt, schritten sie auf die Jenischen zu. Franz stand auf und fragte:“ Was verschafft uns die Ehre, meine Herren. Es wäre nicht notwendig gewesen uns persönlich zu begrüßen.“ Maria und Frieda lachten unverschämt laut und Pepi spuckte seinen Kautabak genau vor die Füße vom Bürgermeister. Dem quollen die kleinen dicken Augen hervor, so zornig wurde er. In einem bedrohlichen Ton sprach er:“ Ihr scheint ja recht übermütig zu sein, was? Sagt mal, habt ihr Rosa gesehen? Oder ist sie vielleicht gar hier?“ Franz zog genüsslich an seiner Zigarette und fragte:“ Was für Rosa? „ Der Bürgermeister fauchte zurück:“ Du weißt ganz genau wem ich meine. Die Kellnerin vom Löwenwirt. Eure Freundin, die alle Jahre bei euch hier herum schleicht.“ Franz grinste und sagte ganz erstaunt:“ Ach, die Rosa, das schuggere Möschl. Ja, warum soll die bei uns sein? Ist sie euch endlich davongelaufen? Mich hat es immer gewundert, dass sie es so lange bei euch ausgehalten hat.“ „Davongelaufen? „ fragte Konrad.“ Dieses Luder hat heute Vormittag meine Gäste bedroht. Halb durchgedreht ist sie, wie sie erfahren hat dass ihr wieder da seid. Ich konnte mich fast nicht wehren vor ihr. Wie eine Furie ist sie auf mich losgegangen. In die Küche musste ich sie sperren. Da muss sie wohl aus dem Fenster gesprungen sein. Das ist ja nicht das Schlimmste. Aber Rosa hat meinen Lederbeutel mit samt den ganzen Geld darin gestohlen.“ Der Bürgermeister nickte bejahend. Nur Andreas der Gendarm, senkte den Kopf vor Scham.
Rosa, die im Wagen am Boden liegend alles hören konnte, schnürte es die Luft ab. Sie hörte die Lügen und konnte sich nicht dagegen wehren. Da erhob Berta das Wort:“ Wie ihr sehen könnt ist bei uns keine Rosa. Uns interessieren eure Geschichten nicht. Schleicht euch endlich und lasst uns in Ruhe!“ Der Bürgermeister schaute Berta verächtlich an. Dann sagte er zu Andreas:“ Herr Gendarm, walten sie ihres Am¬tes.“ Die Jenischen lachten wieder alle los. Andreas räusperte sich:“ Bitte zeigen sie mir ihre Gewerbescheine und ihre Ausweise. Unsere Flebber (Ausweis, Papiere) wollt ihr sehen?“ fragte Toni.“ Aber gerne, kommt Hegel Flebber herzeigen!“ Pepi, Toni, Joggl und Franz, standen auf und stellten sich in einer Reihe vor Andreas auf. Sie drehten sich gleichzeitig um und rissen die Hosen runter. Andreas sah vier nackte Ärsche vor sich hin und her wackeln. Franz schaute zwischen seinen zwei Beinen durch und fragte:“ Genügt das, oder sollen wir dir noch einen Stempel aufdrücken?“ In den Gesichtern der drei Gatschi, stand das blanke Entsetzen. Schnaubend schrie der Bürgermeister:“ Schluss jetzt, das wird ein Nachspiel haben! Kommt, wir gehen! Es hat keinen Sinn, dieses Zigeunerpack versteht nur eine Sprache!“ Unter schallendem Gelächter der Jenischen, verließen sie fluchtartig das Lager.
Als keine Pferdehufe und Kutschenräder mehr zu hören waren, ging Franz zum Wagen um Rosa zu holen. Sie lag immer noch am Boden und erschrak, als Franz die Türe öffnete. „ Schon gut Rosa, sie sind fort. Du brauchst keine Angst zu haben.“ „ Franz“, flüsterte Rosa.“ Das sind alles Lügen! Ich hab dem Konrad nichts gestohlen! Es war so wie ich es euch erzählt habe!“ Franz nahm Rosa bei der Hand und sagte:“ Still Möschl. Sei ganz beruhigt. Wir wissen, dass du die Wahrheit sagst.“ Berta ging nervös auf Franz und Rosa zu.“ Möschl, du bist in Gefahr. Wenn dich die Gatschi erwischen, werden sie dich sicher einsperren. Oder sie stecken dich in ein Irrenhaus. Du musst so schnell wie möglich von hier verschwinden.“ „ Berta hat recht“, sagte Franz. Rosa bekam es mit der Angst zu tun.“ Wo soll ich denn hin? Kein Geld, keine Papiere, was soll ich den jetzt nur tun?“ Berta zog Rosa und Franz zurück in den Wagen. Sie schloss die Tür und dachte kurz nach.“ Möschl, du gehst nach Genf. Dort sind die Wurzeln deiner Familie. Deine Mutter würde mir jetzt sicher zustimmen. Vielleicht lebt noch einer von deinen Großeltern. Du musst es versuchen Rosa! Was sagst du dazu Franz?“
„Ja Berta, du hast Recht. “ Rosa dachte nach. Nach Genf soll sie gehen? Ihre Großeltern suchen? Zu jenen Menschen, die ihre Mutter ins Verderben gestürzt haben? Aber sie hätte die Gelegenheit ihnen zu erzählen was alles geschehen war. Sie könnte ihrer Mutter, die sie leider nie kannte, eine letzte Ehre erweisen. „Ihr habt recht, aber wie soll ich nach.“.....Rosa konnte den Satz nicht zu ende sprechen, denn Berta fiel ihr ins Wort.“ Nichts aber, mach dir keine Sorgen, hör mir nur gut zu.“ Berta fasste sich in ihre Bluse und zog einen Stoffbeutel heraus. Sie öffnete ihn eine Menge Geld war darin. Rosa staunte nicht schlecht.“ Das ist der sicherste Platz an dem eine Frau ihr Geld aufbewahren kann. Da kommt nicht einmal der Franz dazu, außer ich will es.“ Berta zwinkerte bei diesen Worten Rosa zu. Berta drückte Rosa das Bündel Geld in die Hand.“ Das müsste reichen. Du gehst jetzt den Inn aufwärts. Pass auf, dass dich keiner sieht. Die Dunkelheit gibt dir Schutz. Die Gatschi schlafen sicher schon alle. Du musst hinaus nach Vorarlberg. Fahr mit dem Zug oder mit dem Postauto, aber sei immer auf der Hut. Traue niemand und rede nicht viel mit den Leuten. Kurz vor der Schweizergrenze ist ein Zigeunerlager. Dort leben die Roma. Mit Fremden gehen sie ziemlich hart um. Sag ihnen, dass dich die Berta aus Tirol schickt. Frag nach Patron. So nennen sie ihren Ältesten Sippenführer. Erkläre ihm, dass du einen Fleppen (Papiere)brauchst um über die Grenze zu kommen. Er soll dir einen guten Preis machen sonst kriegt er es mit mir zu tun. Ich gebe dir Guri und Salbe für sein kaputtes Kreuz mit. Frag Patron an wem du dich in Genf wenden sollst, damit du deine Großeltern finden kannst. Er kennt sicher jemanden der dir dort weiterhelfen kann. Grüße Patron recht schön von uns. Sag ihm wir kommen im Spätsommer in sein Lager. Jetzt brauchst du nur noch anständige Kleidung. Mit den blutverschmierten Fetzen kommst du sicher nicht weit.“ Berta zog einen Rucksack aus ihren Kasten, steckte eine Flasche Schnaps hinein und einen Tiegel Salbe.“ Hier Möschl, nimm den Rucksack und komm mit. Berta ging mit Rosa zum Wagen von Maria. „ Du bist ja fast so dürrlochert wie unser Maria. Von ihr die Kleider passen dir sicher. Maria war gleich bereit, Rosa ein Kleid zu schenken. Vom Busenfriedale, bekam Rosa noch einen warmen Mantel. Der Joggl gab Rosa noch ein Stück Speck und Brot mit. Franz und Berta gingen mit Rosa noch einmal alle Einzelheiten durch. Rosa steckte das Geld genau wie Berta in ihre Bluse. Auch das Foto ihre Mutter. Sie wollte es am Herzen tragen. Es gab ihr Mut. Ihre alten Kleider packte sie noch schnell in den Rucksack.“ Berta, Franz, ihr werdet sicher Schwierigkeiten bekommen! Wie soll ich euch allen nur Danken. Das kann ich euch nie Vergelten.“ „ Mach dir um uns keine Sorgen“, sagte Franz.“ Geh jetzt und find dein Glück. Wir werden uns sicher irgendwann wieder sehen.“ Rosa fiel Franz um den Hals. Dann kam der wohl schmerzhafteste Abschied, der Abschied von Berta. Es brauchte keine Worte. Berta drückte Rosa noch einmal fest an sich. Sie flüsterte ihr ins Ohr:“ Pass gut auf dich auf mein Möschl. Geh jetzt, du wirst schon alles richtig machen.“
So ging Rosa los. Hinein in die dunkle Nacht. Mit der unheimlichen Ungewissheit, was alles passieren wird.

Lüge und Hass

Am nächsten Morgen ging es Berta gar nicht gut. Die ganze Nacht dachte sie an Rosa. Ständig in Sorge wie es ihr wohl ging. Müde und mürrisch machte sie Feuer. Sie klapperte mit Töpfen und Teller, dass alle im Lager munter wurden. Franz kam gähnend aus dem Wagen und beobachtete seine Frau. Er ahnte böses. Wenn Berta in aller Früh schon so werkelte, dann wusste der Franz, dass es heute besser ist, seiner Mugga aus dem Weg zu gehen. Franz drehte sich eine Zigarette und ging zu Berta. Er setzte sich auf den Baumstamm vor dem Feuer und wärmte sich die Hände. Berta fauchte:“ Musst du schon in aller Früh tebern? (rauchen) Sitz nicht so faul herum, hol Wasser, sonst könnt ihr heute meinen Schund butten (Dreck essen).“ Franz war nicht erstaunt über diese harten Worte. Er war es gewohnt. So lange es nicht schlimmer wurde, ignorierte er es meistens. Franz zog Berta neben sich auf den Baumstamm.“ Mugga, mach dir keine Sorgen wegen der Rosa. Es geht ihr sicher gut. Sie ist ein kluges Möschl, fast so wie du. Der passiert schon nichts.“ Berta schaute ihrem Franz in die Augen und sagte:“ Ja, hoffentlich, ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ihr etwas zustößt.“ „ So gefällst du mir schon besser,“ Franz gab der Berta einen dicken Kuss. Langsam kamen auch die übrigen der Sippe zum Lagerfeuer. Es war ein grauer und trüber Tag. Dicker Nebel zog durch die Au. Die Luft war kühl und feucht. So saßen sie alle da und wärmten sich die Hände an den heißen Tassen Kaf¬fee. Joggl unterbrach das Schweigen und fragte:“ Es wird wohl Zeit, dass wir ins Dorf gehen und unsere Geschäfte machen, oder sind wir auf Sommerfrische hier?“ Bertas Augen funkelten zornig den Joggl an.“ Spar dir deine Worte, gropferter Dollerbacher( Idiot). Du wirst schon noch dein Rewag (Gewinn) machen.“ Joggl traute sich nicht zu widersprechen. Er, so wie auch alle anderen, kannten nur zu gut die Wutausbrüche von Berta. Die schlechte Laune von Berta war wohl ansteckend. Franz erhob sich, schaute seine Frau ermahnend an und sprach:“ Der Joggl hat recht. Es wird Zeit, dass wir unser Lobi( Geld) machen. Ich möchte auch bald weiterziehen. Diese Oberlandler Niggl( Teufel) nasch ma aufn Gigus( gehen mir auf die Nerven).“ Geht nur, ich bleibe da. Es gibt genug zu tun im Lager. Bei so vielen Schundbeckern, (schlampige Leute) wie ihr es seit.“ Man nahm kommentarlos hin was Berta sagte. Die Jenischen Männer packten den Schleifbock, die Schnitzereien von Franz und das Werkzeug zum Kesselflicken auf einen größeren Leiterwagen. Die Frauen füllten Zoani(Buckelkörbe) mit Malli(Stoffen) und Kramuri(Kurzwaren) voll. Berta schaute ihnen wütend zu. Sie wusste selbst nicht, warum ihr heute alles so auf die Nerven ging. Sie freute sich endlich alleine zu sein.“ Der Tschuggl (Hund) bleibt bei dir“ sagte Franz. Dann zogen sie los.
Berta machte Ordnung im Lager. Es regnete leicht. Sie ging in den Wagen und schnitt Kräuter. Sie dachte dabei immer an Rosa.
Franz kam mit den Seinen im Dorf an. Die sonst so neugierigen Gatschi, mieden ihre Blicke. Franz wunderte sich. Normalerweise, wenn die Jenischen in ihr Dorf kamen, scharten sie sich um sie. Die Dörfler wollten wissen, was es Neues gibt im ganzen Land. Die Jenischen verstanden es wahre Begebenheiten mit Phantasie zu unter¬mauern. So entstanden die unglaublichsten Geschichten. Entweder die Gatschi konnten herzhaft darüber lachen, oder es blieb ihnen der Mund offen vor Schrecken. Doch heute schien es anders zu sein. Am Dorfplatz, wo immer reges Treiben herrschte, fing man an zu tuscheln, als die Jenischen auftauchten. Franz, Toni, Pepi und Joggl machten sich an die Arbeit und wollten den Dörflern ihre Dienste anbieten. Doch man schlug ihnen verachtend die Tür vor der Nase zu, oder man öffnete sie gleich gar nicht. Den Jenischen Frauen ging es nicht besser. Sonst kaufte man gerne die modernen Stoffe aus den fremden Städten. Man erkundigte sich auch, wie es dort ist, wo das schöne Gewebe herkommt. Für die Frauen im Dorf war es immer eine schöne Abwechslung zu erfahren wie es draußen in der großen Welt ist. Sie selber kannten ja nur ihr Dorf, die Arbeit und die Felder. Doch heute wollte keiner mit ihnen sprechen. „ Das ist bestimmt wegen gestern. Die Flebberkontrolle hat sich sicher herumgesprochen“ sagte Maria. Nanni nickte und lachte dabei.“ Ja, aber so schöne Ärsche kriegen die sicher nimmer zu sehen“ spöttelte Frieda. Im Gemeindehaus, schaute der Bürgermeister aus seinem Fenster. Er beobachtete wie Franz und die Anderen sich bemühten ihre Geschäfte zu machen. Mit seiner dicken Zigarre im Mund, griff er zum Telefon:“ Hallo, Herr Bezirksrichter. Das Jenische Gesindel ist so eben im Dorf angekommen. Wir können die gerichtliche Festnahme nun durchführen. Ich warte im „Löwen“ auf ihre Anordnungen.“ Mit diesen Worten legte er den Hörer wieder auf und machte sich mit seinem dreckigen Lächeln im Gesicht auf den Weg ins Gasthaus. Konrad und Andreas warteten schon. Als der Bürgermeister eintrat sagte Konrad leise:“ Hast du dem Richter bescheid gesagt?“ „ Ja“ antwortete der Bürgermeister. „ Die Gendarmerie ist schon unterwegs. Sie müssten bald hier sein. Kann es kaum erwarten. Bin schon gespannt auf die Gesichter der Jenischen. So schnell wie heuer haben sie unser Dorf noch nie verlassen.“ Andreas schaute sich in der Gaststube um, ob wohl keiner der Gäste lauschte.“ Glaubt ihr wirklich, dass die Jenischen Rosa ermordet haben?“ Konrad packte Andreas am Arm und flüsterte ihm ins Ohr:“ Hast nicht du die Kleider von der Rosa aus dem Inn gefischt? Ist nicht Rosa schon seit zwei Tagen spurlos verschwunden? Sie war sicher unten bei dem Pack. Die haben dann das viele Geld gesehen, dass Rosa bei sich hatte. Dann haben sie die Rosa beraubt und in den Inn geschmissen. So einfach ist das. Oder hast du eine andere Erklärung?“ Andreas nickte deutlich ein nein und steckte den Kopf wieder in sein Bierglas. Da läutete das Telefon. Der Bürgermeister stürmte hinüber zu der Theke und riss den Hörer herunter. Man sah, wie er sich immer wieder verbeugte und ständig ja, sehr wohl Herr Rat sagte. Dann legte er auf. Ein eigenartiges Funkeln war in seinen Augen zu sehen. Mit Wohlwollen und äußerster Genugtuung sagte er zu Konrad und Andreas:“ Es ist so weit. Sie sind da. Kommt wir gehen hinaus.“
Draußen standen die Jenischen beim Dorfbrunnen und wollten gerade wieder zurück ins Lager gehen. Da hörten sie Motorgeräusche, quietschende Reifen und im Nu waren sie von schwarzen Limousinen eingekreist.
Gendarmen stiegen aus und richteten ihre Waffen auf die Jenischen.“ Im Namen des Gesetzes, ihr seid verhaftet. Wegen Raubmord und Landstreicherei. Die Hände in den Nacken und keine Fluchtversuche, sonst erschießen wir euch gleich hier!“ Franz wollte gleich auf den Glischti losgehen, aber bevor er etwas tun konnte, schlug einer der Gendarmen dem Franz mit einem Schlagstock über den Kopf. Er sank in die Knie. Pepi und Toni stürzten sich auf die graue Meute. Auch die Frauen verfielen in eine Art Trans. Mit ungeheurer Kraft und Mut versuchten sie die Ungerechtigkeit mit ihren Fäusten zu verteidigen. Es war ein sinnloses Unterfangen. Brutal wurden sie alle zusammengeschlagen und in Handschellen gelegt. Die Dörfler, sowie der Bürgermeister und seine Freunde staunten nicht schlecht. So brutal hätten sie es sich nicht vorgestellt. Einer der Gendarmen ging auf den Bürgermeister zu und fragte:“ Sind das Alle oder fehlt noch wer?“ Mit weichen Beinen ging er hinüber zu den Verhafteten. Er schaute in die geschändeten Gesichter und sprach:“ Eine fehlt noch. Die Frau vom Franz. Die Berta. Die muss im Lager sein. Ich hab sie nicht kommen sehen.“ Joggl wollte samt den Handschellen auf den Bürgermeister losgehen. Er riss sich von einem der Schergen los und schlug mit seinen gefesselten Händen direkt in den fetten Bauch des Bürgermeisters. Dieser krümmte sich vor Schmerzen. Doch Joggl musste diese Tat dreifach büßen. Sofort riss man ihn an seinen Haaren zurück. Mit Fußtritten bearbeiteten sie den Joggl. Als er immer noch laut schrie und Schimpfwörter an die Köpfe der Gatschi warf, fiel ein Schuss. Alle starrten auf den Joggl. Er griff sich an die Schulter und brach zusammen. Nun lag er neben dem Franz. Beide waren blutverschmiert und es hatte den Anschein als wäre ihr leidgeprüftes Leben zu Ende. Die Dörfler bekamen es mit der Angst zu tun. Sie liefen schnell in ihre Häuser und der Dorfplatz wurde leer. Da standen sie nun. Der Konrad, der Andreas, der Bürgermeister. Bleich waren ihre Gesichter. Sie konnten den Anblick der Jenischen nicht mehr ertragen. „ Führt sie endlich ab!“ schrie Andreas. „Keine Sorge Herr Kollege, wir sind fertig mit unserer Arbeit. Wir müssen nur noch wissen wo sich das Lager befindet. Wir wollen doch nicht, dass eine kriminelle Missgeburt vergessen wird.“ „ Natürlich nicht!“ schrie der Bürgermeister.“ Ich werde euch begleiten und zum Lager führen!“ So zerrten sie die Jenischen in die Autos. Den Franz und den Joggl, wickelten sie in Decken, damit sie die Sitze nicht schmutzig machten. Dann fuhren sie los. Nur ein Wagen machte sich auf den Weg ins Lager. Mit dabei, der Bürgermeister.
. Berta zog sich eine warme Jacke über und ging zu den Pferden, die sehr unruhig wurden. Es regnete jetzt sehr stark und es war kalt. Auch Arko der Hund winselte lei¬se vor sich hin. Berta führte die Pferde in den dichteren Auwald. Dort unter dem Schutz der Bäume waren sie geschützt vor der Nässe. Arko schlich neben Berta her und schaute sie ganz wehmütig an.“ Ach du gschuwerierter Boltl (dummer Hund). Hör endlich auf zu wimmern. Dein Herrl wird bald da sein, bei dem Sauwetter.“ Arko zog seinen Kopf ein und trottete zurück unter das Plachendach. Doch plötzlich stellte er seine Nackenhaare auf und fing an zu knurren.“ Tschuggl( Hund), was ist denn los mit dir?“ Berta schaute aufmerksam im Lager herum. Sie wusste genau, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Auf das Gespür von Arko war immer Verlass. Sie konnte aber nichts aussergewöhnliches entdecken. Da schoss Arko hoch, bellte und lief hinauf zum Weg der ins Lager führte. Berta hörte Motorgeräusch. Sie rannte Arko nach um ihn aufzuhalten. Schon wenige Meter weiter, bremste ein schwarzer Wagen vor ihr. Arko wurde ganz wild. Mit seinen großen Pfoten sprang er auf die Motorhaube und fletschte die Zähne. Berta versuchte zu erkennen wer in dem Wagen saß. Doch die Scheiben waren nass und beschlagen. „ Arko“, schrie sie.“ Arko, komm her!“ Nur langsam beruhigte sich das Tier und schlich knurrend zu Berta. Da öffnete sich die Wagentür und einer der zwei Gendarmen stieg aus. Er zog sofort seine Pistole und richtete sie auf Arko. Berta schrie:“ Hegel, bist du gschutzt! Steck sofort deine Garamaschgera( Pistole) weck! Der Boltl tut dir nichts!“ Langsam ging der Beamte auf Berta und Arko zu.“ Nimm die Hände hoch!“ schrie er Berta an. Berta verstand gar nichts mehr. Was will dieser Hegel von ihr? Warum soll sie die Hände hoch nehmen. Wie ein Blitz schoss es Berta durch den Kopf. Franz! .Ihr Blick wurde starr vor Angst und sie schrie:“ Wo ist mein Franz! Was habt ihr mit den Meinen getan! Hegel ich reiß dir deinen Kopf aus, wenn ihnen was passiert ist.“ Arko wurde durch das Geschrei von Berta wieder wild und stürmte auf den Gendarmen los. Es fiel ein Schuss. Arko winselte einmal laut auf und fiel dann leblos zu Boden.“ Arko! Arko!“ schrie Berta. Sie rannte zu ihrem Hund, kniete sich zu ihm nieder und legte seinen Kopf in ihren Schoß. Berta zerriss es fast das Herz. Ihr treuer Arko, der sie schon seit vielen Jahren begleitete ist tot. Erschossen von verhetzten Gatschi, die nur eines im Sinn hatten, die Jenischen zu quälen und ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Der Gendarm stieß Berta in die Hüfte und schrie:“ Steh auf und leg deine Hände über deinen Zigeunerschädel!“ Berta zuckte vor Schmerz zusammen. Behutsam legte sie Arkos Kopf wieder auf die Erde. Tränen rannten über ihre Wangen. Aber nicht wegen dem Tritt in die Hüfte, Berta war nicht wehleidig. Die Tränen galten ihrem Hund und der Gewissheit, dass etwas Schlimmes auf sie zukommen würde.
Langsam erhob sich Berta und legte ihre Hände über den Kopf. Aufmerksam beobachtete sie den Gendarm der langsam auf sie zukam. „ Na also, hast du endlich kapiert, dass es keinen Sinn hat sich gegen uns aufzulehnen!“ Berta bekam wieder ihren stolzen Blick zurück und wütend wie sie war, spuckte sie dem Gendarm mitten ins Gesicht.“ Glaub nur nicht, dass ich mich vor dir bums (fürchte), da braucht es schon mehr als so einen ausgemergelten Hegel wie dich!“ Berta konnte kaum aus¬sprechen, da verspürte sie einen kräftigen Schlag ins Gesicht. Der zweite Gendarm eilte herbei und legte Berta die Handschellen um. Wie ein wildes Tier wehrte sich Berta und versuchte sich zu befreien. Doch es hatte keinen Sinn. Je mehr sie rebellierte umso mehr Gewalt kam zurück. Da schrie einer der zwei Männer:“ He, Bürgermeister, ist das die Jenische die noch fehlt in unserer Sammlung?“ Berta zuckte zusammen und schaute zum Auto. Sie traute ihren Augen nicht, als langsam die Wagentür aufging und der Bürgermeister ausstieg. Nun begriff sie, worum es ging. Berta fixierte den Bürgermeister mit ihren Blicken und fauchte leise:“ Dieses fette Schwein, dieser perverse Dreckskerl, wenn ich den zwischen die Finger bekomme, dann lass ich ihm persönlich die Fetten aus!“ Mit einigem Abstand und mit dreckigem Grinsen im Gesicht blieb der Bürgermeister vor Berta stehen. „ Ja, meine Herren, dass ist sie.“ „ Gut, dann bringen wir dieses Biest auf schnellstem Weg ins Gefangenenhaus “ Die Augen des Bürgermeisters hingen an Berta und er zündete sich eine Zigarre an.“ Nicht so hastig meine Herren, ihr müsst schon noch das Lager durchsuchen. Vielleicht finden wir ja das gestohlene Geld, oder Spuren von der er¬mordeten Rosa.“ Berta versuchte sich loszureißen und schrie:“ Bei Gott dem Allmächtigen, wir haben niemanden bestohlen oder ermordet! Glaubt diesem fetten Perversling nicht! Er hasst uns Jenische und will uns mit aller Gewalt vernichten!“ Ein Gendarm zog Berta an den Handschellen an sich und schrie:“ Wenn du nicht bald still bist, muss ich dir leider dein Schandmaul zustopfen! Treib es ja nicht zu weit, schön langsam verliere ich die Geduld. Mit euch Jenischen muss man so umgehen, ihr ver¬dient nichts anderes, ihr seid weniger wert wie Dreck und jetzt gusch!“ Berta hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie konnte sie nur glauben, dass einer dieser zwei Männer ihr helfen würde.“ Ja, sie haben Recht Herr Bürgermeister. Es darf sie nicht wundern, dass wir es so eilig haben. Dieses Gesindel macht einen total nervös. Was machen wir in der Zwischenzeit mit dieser Verrückten? Setzten wir sie in des Wagen?“ „ Nein, die bindet ihr dort unten an einen Baum. Ich werde mich um sie kümmern.“ Bei diesen Worten richtete sich der Bürgermeister seine Hose und zwinkerte den Gendarmen zu. „ Aha, wir verstehen!“ Lachend zerrten sie Berta hinunter ins Lager. Etwas abseits banden sie Berta mit den Händen nach oben an einen Baum fest. Man riss ein Stück Stoff von ihrem Rock ab und knebelte Berta damit. Der Bürgermeister beobachtete alles mit Wohlwollen und überprüfte, ob Berta wohl fest genug angebunden war.“ So, meine Herren, durchsuchen sie das Lager und lassen sie sich ruhig Zeit.“ „ Ja, dass machen wir, viel Spaß Herr Bürgermeister!“ Mit verachtenden Blicken gingen die zwei zum Lagerplatz hinüber.
Berta, die genau wusste, was nun passieren würde, war des Wahnsinns nahe. Sie schloss ihre Augen und tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Sie dachte an ihre Kinder, die alle schon erwachsen und ihre eigenen Wege gingen. Sie dachte an Franz, was sie wohl mit ihm gemacht haben. Es tat ihr so unsagbar leid, dass sie ihn heute Morgen alleine gehen ließ. Alles würde sie geben, wenn jetzt nur ihr Franz da wäre. Sie dachte auch an Rosa. Was ist mit ihr geschehen? Ist sie vielleicht wirklich tot? Da spürte Berta eine Hand an ihrem Hals, dass riss sie aus ihren Gedanken. Bertas Atem wurde immer schneller und sie versuchte zu schreien. Aber der Knebel saß gut. Kein Ton war zu hören.
Sie spürte den fetten Leib des Bürgermeisters, der sich jetzt fest an sie drückte. Berta hielt die Augen geschlossen, sie wollte dieses Gesicht nicht sehen. Sie roch nur den abscheulichen Atem ihres Peinigers.
Dann machte er sich über Berta her. Dabei grunzte und quietschte er wie ein Schwein. Von weitem hörte Berta das Gelächter der zwei Gendarmen. Dann wurde es still. Berta hörte und spürte nichts mehr. Sie fiel endlich in die erlösende Ohnmacht.
Als der ehrenwerte Bürgermeister endlich genug von Berta hatte, band er sie los und ließ sie auf die nasse Erde fallen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete sein Opfer, das regungslos vor seinen Füßen lag. Dann ging er zum Lagerplatz und schrie:“ Meine Herren, hat einer von euch etwas verdächtiges gefunden?“ „Nein!“ hörte man aus dem Karren von Berta und Franz.“ Die zwei Beamten, die ganze Arbeit leisteten und das Lager total verwüstet hatten, kamen missmutig auf den Bürgermeister zu.“ Uns reicht es jetzt, was werden sie mit diesem Müllhaufen an¬fangen?“ „ Anzünden, alles anzünden.“ Das ist sicher das Beste, wir hätten einen Kanister Benzin im Auto. Wenn sie wollen, könnten wir es gleich erledigen.“ Der Bürgermeister blickte noch einmal über den Lagerplatz und nickte.“ Gut, sehr gut, beeilt euch.“ Er schaute den Beiden nach, wie sie zum Auto hinauf eilten und aus dem Kofferraum den Kanister holten. Vorsichtig trugen sie ihn zum Lager und überschütteten zuerst die Karren. Mit dem Rest zogen sie einen Kreis um das Lager.
Dann stellten sie sich neben den Bürgermeister. Der zündete sich genüsslich eine Zigarre an und warf das brennende Zündholz auf die Benzinspur. Das Feuer raste rund um den Lagerplatz. Man hörte ein lautes Knistern. Die Karren standen in Flammen und eine dicke Rauchwolke zog sich durch die Au. „ Schnell, weg hier, man weiß nie ob der Wind das Feuer weiterträgt. Wir müssen noch die Jenische verfrachten. Normalerweise, müsste man sie gleich ins Feuer werfen, wir würden uns eine Menge Arbeit damit ersparen.“ Der Bürgermeister schaute den Gendarmen der diese Worte sprach an und meinte:“ Das wäre keine Strafe für so Eine. Glaubt mir, sie wird durch die Hölle gehen, ich weiß was auf sie zukommt.“
Langsam kam Berta wieder zu sich. Sie hob ihren Kopf und versuchte zu verstehen was um sie herum passierte. Beißender Rauch umgab sie. Immer noch geknebelt rang sie um Luft. Sie sah die brennenden Karren, die verkohlten noch rauchenden anderen Dinge vom Lager. Sie versuchte sich aufzurichten, aber es fehlte ihr die Kraft. Bertas Lunge brannte, sie hustete und traute sich kaum mehr zu atmen. Da hörte sie die Stimmen der Gendarmen. Schnell schloss Berta die Augen. Sie hoffte dadurch nicht wieder gequält zu werden. Ihr Herz raste vor Angst. „ He du! Steh auf!“ Dem Ersticken nahe, versuchte Berta aufzustehen. „ Na los, mach weiter“! Da riss einer von den Gendarmen Berta an den Handschellen auf. Sie lehnten Berta an den Baum und befreiten sie endlich vom Knebel. Als wäre sie lange unter Wasser gewesen, schnappte Berta nach Luft. Hustend und keuchend, schleppten die zwei Gendarmen Berta hinauf zum Auto. Vorbei am verbrannten Hab und Gut, vorbei an der Gestalt ihres Peinigers, der nicht die geringste Scham hatte Berta ins Gesicht zu schauen und vorbei an Arkos Kadaver. Man machte die Autotüre auf und stieß Berta auf den Rücksitz. „ Meine Güte, ist die eklig. Voller Dreck und nass wie ein alter Lappen.“ Angewidert schlug man die Tür zu. „ Herr Bürgermeister kommen sie jetzt bitte, wir wollen endlich losfahren!“ Der Bürgermeister ging langsam auf das Auto zu.“ Fahrt nur los, ich bleibe noch hier. Muss den toten Hund beseitigen und die Pferde ins Dorf bringen.“ Gut, wie sie wollen. Also dann, Auf Wiedersehen Herr Bürgermeister.“ Auf Wiedersehen meine Herren und vielen Dank für ihre Hilfe.“ Berta war erleichtert als sie hörte, dass dieser Niggl nicht mitkam. Sie fuhren los. Berta sank in die weiche Rückbank und merkte erst jetzt wie kalt ihr war. Sie schaute aus dem Fenster. Ein sehr starker Regen setzte ein. Es war als würde der Herrgott dort oben um Berta weinen.

Rosa

Rosa die in jener Nacht flüchtete, befolgte den Rat von Franz und Berta. Sie ging versteckt im Gebüsch den Inn entlang. Je näher sie dem Dorf kam, umso vorsichtiger wurde sie. Bei jedem Geräusch erschrak sie und fürchtete, man könnte sie entdecken. Doch es waren nur Vögel, oder Ratten, die von Rosa aufgeschreckt wurden. Es war schon sehr spät. Rosa blickte in Richtung des Dorfes. Sie sah nur noch wenige Lichter in den Häusern brennen. Trotz ihrer Angst, freute sich Rosa endlich fort von hier zu kommen. Doch es war noch ein weiter Weg. Als Rosa schon ein Stück entfernt vom Dorf war, machte sie eine Pause. Sie setzte sich auf einen Baumstumpf und öffnete den Rucksack. Hungrig schnitt sie sich ein Stück Brot und Speck ab. Es war ein fürstliches Essen für Rosa. Sie bekam nicht oft solche Köstlichkeiten. Sie schaute auf den Fluss, der glänzend im Mondlicht vor ihr hertrieb. Fein säuberlich packte Rosa ihren Speck wieder ein. Da zerrte sie die alten blutigen Kleider aus ihrem Rucksack. Einen Augenblick dachte sie nach, dann ging sie zum Ufer des Inns und schmiss die alten Lumpen ins Wasser. Nicht ahnend, was für ein fataler Fehler das war.
Rosa wurde sehr müde. Sie verkroch sich im Gebüsch und suchte sich einen geeigneten Platz zum Schlafen. Als Polster diente der Rucksack. Doch die Schnapsflasche im Nacken war nicht gerade gemütlich. Also packte Berta den Guri, wie die Jenischen sagten aus und betrachtete die Flasche.“ Mir ist saukalt. Der Franz sagt immer, das Beste gegen kalte Füße und ein einsames Herz ist ein Schluck Guri.“ Rosa öffnete die Flasche und kicherte leise:“ Prost Franz!“ dann machte sie einen kräftigen Schluck. Die Tränen schossen ihr ein, so stark war das Gebräu. Es beutelte sie am ganzen Körper. „ Auweh, ist das ein starker Fussel. Aber, mir ist schon viel Wärmer. Also dann, Prost Franz!“ Rosa nahm noch einen Schluck. Rosa hatte es bald recht lustig mit sich selber. Bei dem Gedanken, dass sie den Schnaps eigentlich dem Patron bringen muss, machte Rosa noch lustiger.“ Ich mach das so wie die Jenischen, wenn sie die Gatschi verschaukeln. Der Guri wird gestreckt mit Wasser. stark genug ist er ja“. Doch der Schnaps hatte seine Wirkung und Rosa schlief recht fröhlich ein.
Früh am Morgen schoss Rosa von ihrem Nachtlager auf. Der Regen, der ihr ins Gesicht prasselte weckte sie. Ganz verstört schaute sie sich um, bis sie wieder wusste, wo sie war. „ Au, mein Kopf brummt ganz schön und ein Sauwetter ist auch noch.“ Sie nahm ihren Rucksack und ging weiter Inn aufwärts. Bald konnte sie aber nicht mehr im Schutz der Au weiter. Sie musste auf offene Felder und Wiesen. Es war niemand zu sehen. So gelang Rosa auf eine Feldstraße, die sie in ein recht großes Dorf brachte. Es gab dort sogar richtige Geschäfte und eine Autobusstation. Neugierig schaute sich Rosa um. Sie ging in ein kleines Kaffeehaus um etwas Warmes zu trinken. Rosa setzte sich an einen Tisch und die Bedienung schaute sie misstrauisch an. „ Was darf es denn sein?“ fragte sie etwas unhöflich. „ Eine große Schale Kaffee bitte.“ „ Kannst du überhaupt bezahlen?“ Rosa verschränkte ihre Arme und lächelte.“ Schau ich vielleicht so aus, als hätte ich kein Geld? Du willst wohl kein Geschäft machen. Deinen Kaffee kannst du dir sonst wohin stecken. Der schmeckt sicher so wie du drein¬schaust, hantig und bitter.“ Die Bedienung schaute Rosa mit weit offenem Mund an und brachte kein Wort heraus. Rosa stand auf. „Mach dein Maul zu, du hässlicher Besen.“ Dann ging sie hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. „ Mei, ist das schön, wenn man sich nichts mehr gefallen lassen muss.“ Beschwingt schlenderte Rosa weiter. Sie entdeckte eine kleine Bäckerei. Schnell ging sie hinein. Ihr Hunger war nicht mehr auszuhalten. Eine alte Frau stand hinter dem Verkaufspudel. „ Guten Tag junges Fräulein, was darf es denn sein?“ Rosa traute ihren Ohren nicht. Die Alte war ja richtig freundlich zu ihr. „ Oh, ja bitte geben sie mir eine Semmel, oder besser gleich zwei.“ Gerne meine Schönheit, du hast wohl schon lange nichts mehr gegessen?“ „ Wieso, merkt man das?“ Die Alte lachte und packte die Semmeln ein. „ Hast du schon etwas Warmes getrunken? Rosa schüttelte den Kopf.“ Ich war zuerst in diesem Kaffeehaus da unten. Aber die Bedienung hatte wohl Angst ich könnte nicht bezahlen.“ „ Ach, dass war sicher die Burgl. Das braucht dich nicht kränken, die ist mit allen Leuten so unhöflich.“ „ Ich kränk mich nicht. Ich habe der schon meine Meinung gesagt, darauf können sie sich verlassen.“ Da konnte die Alte lachen und die Rosa auch. „ Du gefällst mir Mädchen, komm, ich mach uns beiden einen guten Kaffee. Alleine schmeckt er mir sowieso nie. Übrigens, ich bin die Mitzi, wie darf ich dich nennen?“ Rosa überlegte einen Augenblick. Sie dachte an Bertas Worte, niemanden zu vertrauen. „ Ich bin die Antonia.“ Ganz wohl war Rosa bei dieser Lüge nicht. Aber die Angst, man könnte sie verraten oder finden, war zu groß. „Einen schönen Namen hast du, komm jetzt gehen wir beide erst einmal Frühstücken.“ Mitzi nahm Rosa bei der Hand und ging mit ihr in ein Zimmer das gleich hinter dem Verkaufsraum war. Es war sehr gemütlich. Ein hübscher Tisch mit Blumen, eine Kredenz mit schönem Geschirr darin, sogar ein Waschbecken mit Spiegel entdeckte Rosa. Mitzi bemerkte wie Rosa alles Betrachtete. “Na, gefällt es dir bei mir? Natürlich wohne ich nicht hier drinnen. Es ist nur ein Aufenthaltsraum für mich und meine Bäcker. Die Backstube ist gleich da hinten im Hof. Mein Mann und ich müssen leider alles alleine machen. Der Herrgott wollte uns keine Kinder schenken. Was würde ich darum geben so eine schöne, gescheite Tochter wie dich zu haben.“ Rosa setzte sich an den Tisch und schaute die Mitzi mitleidig an.“ Ja, die Welt ist schon verrückt. Die einen würden alles für ein Kind geben, andere kümmern sich ihr ganzes Leben nicht um sie.“ Mitzi die inzwischen das Kaffeewasser aufstellte und lauter gute Sachen auftischte hörte Rosa aufmerksam zu.“ Du hast wohl schlechte Erfahrungen gemacht mein Kind?“ Wie kommst du den darauf!“ „ Ich sehe es an deinen Augen und an deiner Unsicherheit. Ein junges Mädchen wie du, rennt auch nicht in aller Herrgottsfrüh alleine in der Gegend herum. Bist du von zuhause abgehauen?“ Rosa wurde sehr nervös.“ Weißt du was Mitzi, du stellst mir zuviel Fragen. Ich brauch vor Niemanden weglaufen. Ich bin auf den Weg zu meiner Tante. Sie ist sehr wohlhabend und möchte, dass ich ein paar Jahre bei ihr bleibe. Sie hat auch keine Kinder. Meine Mutter meint, das wäre gut für mich. So könnte vielleicht etwas aus mir werden Mutter will nicht, dass ich auf irgendeinem Bauernhof versauere. Bist du nun zufrieden? „ Mitzi schlug die Hände zusammen und machte ein verzweifeltes Gesicht.“ Oh Antonia, es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe. Das wollte ich ganz sicher nicht. Ich will auch nichts mehr Fragen Das verspreche ich dir.“ Schusslig und mit schlechtem Gewissen, servierte die alte Bäckerin den Kaffee.“ So, Antonia, lassen es wir uns schmecken.“ Rosa genoss das gute Frühstück. Sie war auch nicht mehr böse auf die Mitzi.“ Wenn du fertig bist, dann kannst du dich abwaschen. Natürlich nur wenn du willst.“ Rosa hörte auf zu kauen.“ Schau ich so schlimm aus?“ Schnell eilte sie zum Spiegel und betrachtete sich.“ Oh du meine Güte, kein Wunder, dass die Leute glauben ich hätte kein Geld oder wäre von zuhause abgehauen.“ Ja“, lachte Mitzi. „ Man könnte meinen du bist eine Jenische.“ Rosa zuckte bei diesen Worten zusammen.“ Was verstehst du unter Jenische?“ „ Oh, dass sind Menschen, die das ganze Jahr durch die Lande ziehen und in Karren oder unter dem freien Himmel hausen. Manche sind ja recht nützlich. Sie sind geschickte Handwerker. Es gibt aber genug kriminelle, die nur auf Lug, Betrug und Stehlen aus sind.“ Rosa hätte der Alten am liebsten den Hals umgedreht. Doch sie musste klug sein und sich unwissend stellen.“ Bist du schon einmal von Jenischen bestohlen worden?“ Nein, ich hatte immer Glück mit Denen. Sie halfen uns auch damals nach dem Krieg. Wir mussten unsere Backstube neu aufbauen. Sie waren recht fleißig und als Lohn wollten sie nur Brot und warme Mahlzeiten, für sich und ihre Kinder.“ „ Erzähl mir mehr Mitzi, diese Geschichten gefallen mir.“ „Ja, was soll ich dir noch erzählen. Ich war noch ein Kind und die Mutter hatte mir immer verboten mit den Jenischen Kindern zu spielen oder zu sprechen. Ich konnte das nicht verstehen, denn gerade diese Kinder waren die besten Spielkameraden. Denen fiel immer ein Streich ein. Es war nie langweilig mit ihnen. Ihre Lagerplätze waren für mich so fremd und aufregend. Auch die Eltern der Kinder imponierten mir. Es gefiel mir, wie selbstverständlich sie die Kinder vom Dorf teilhaben ließen, wenn sie am Abend kochten und sangen und sich über die Dorfbewohner lustig machten. Es war eine andere Welt. Es waren auch die schönsten Sommer für mich. Oft bekam ich von meiner Mutter eine Ohrfeige, weil ich nicht gehorchte und ständig bei den Jenischen im Lager war.“ Rosa verstand Mitzi nur zu gut.“ Warum bist du dann Heute so abweisend gegenüber den Jenischen?“ Ja, als ich Älter wurde, ging ich nicht mehr zu den Jenischen. Ein Nachbarsbauer von uns, hatte einen recht bösen Hund. Andauernd kläffte und bellte er die Leute an. Er war auch bissig und der Bauer hatte nur Schwierigkeiten mit dem Hund. Da kamen Jenische auf den Hof. Der Hund fing gleich zu knurren an und wollte einen der Jenischen beißen. Dieser nicht fad, fürchtete sich überhaupt nicht vor dem Tier und packte es beim Hals und schimpfte auf Jenisch. Das Tier zog den Schwanz ein und schlich davon. Der Bauer entschuldigte sich. Er jammerte und klagte über den Hund. Dann fragte er die Jenischen ob sie das Tier nicht mitnehmen wollten. Als sie einwilligten, kaufte der Bauer alles Mögliche von den Jenischen ab. Diese freuten sich über ihr Geschäft und luden den Bauern zum Abendessen ein. Sie banden einen Strick um den Hals des Köters und gingen. Ich war damals im Lager und spielte mit den Kindern. Da kamen die Jenischen Männer mit dem Hund von meinem Nachbar ins Lager. Ich wunderte mich, dass der Hund so folgsam war. Die Frauen der Jenischen nahmen das Tier und verschwanden hinter einem Karren. Dann hörte ich ein kurzes Jaulen. Ich dachte mir nichts dabei und spielte vergnügt weiter. Am Abend kam dann der Gast. Es roch wie immer sehr gut aus dem Kessel über dem Feuer. Es war ein köstliches Bratl Der Bauer konnte gar nicht genug davon bekommen. Die Jenischen fanden das wohl sehr lustig. Andauernd lachten sie, wenn der Bauer nachverlangte. Da fragte ich eines der Kinder wo den der Hund ist, den die Männer heute Nachmittag brachten. Eines der Kinder nahm mich bei der Hand und führte mich hinter einem Karren. Dort hing das Fell von dem Tschuggl. Ich verstand immer noch nicht, was da los war. „ Der Rest vom Boltl ist im Kessel.“ Lachend sprang der Kleine zurück um weiter zu essen. Ich lief aber sofort nachhause und ging nicht mehr zu den Jenischen ins Lager.“
Rosa musste sich zusammennehmen damit sie nicht laut loslachte. Sie steckte ihren Kopf in die Kaffeetasse und tat so, als würde sie entsetzt sein. Es kam Kundschaft in den Laden und Mitzi ging hinaus. Rosa die immer noch schmunzeln musste, fing an sich zu waschen uns zu kämmen. Dann räumte sie den Tisch ab, nahm ihren Rucksack uns wollte gehen. Rosa ging zu Mitzi in den Laden und wartete bis die Kund¬schaft fort war. „ Du willst mich schon verlassen? Möchtest du nicht lieber warten, bis das Wetter besser wird?“ Rosa nahm Mitzi in den Arm. Sie spürte, wie einsam sich die Alte fühlte.“ Es war sehr schön bei dir Mitzi, aber ich muss weiter. Wenn ich nicht zu meiner Tante müsste, ich würde glatt bei dir bleiben.“ Mitzi begleitete Rosa noch hinaus.
„ Pass gut auf dich auf mein Kind und wenn es dir bei der Tante nicht gefällt, dann komm zu mir.“ Rosa nickte und ging weiter zur Autobushaltestelle. Es standen schon ein paar Leute da, die auf den Postbus warteten. Rosa stellte sich etwas abseits der wartenden Menschen. Sie knöpfte sich den Mantel zu und rieb sich an den Armen. Es war wirklich ein Sauwetter an diesem Tag. Da bemerkte Rosa, wie zwei junge Mädchen, die auch auf den Bus warteten, ständig zu ihr schauten und tuschelten und lachten. Wahrscheinlich fanden sie Rosas Outfit komisch. Die zwei jungen Damen waren ja sehr fein herausgeputzt. Sie trugen schöne Dirndlkleider, weiße Strümpfe, geputzte Trachtenschuhe, einen Regenschirm und fein säuberlich aufgesteckte Haare. Rosa wäre gerne zu den Beiden hinüber und hätte sie ein wenig an ihren schönen Haaren gerissen. Aber sie wusste, dass sie jetzt nicht auffallen durfte. Sie war noch nicht weit genug entfernt von ihrem Dorf. Also versuchte sie die beiden Bauerntrampel zu ignorieren. Endlich hörte man aus der Ferne das Posthorn des Busses. Der Boden war ganz aufgeweicht und lettig vom Regen. Alle gingen ein Stück zurück als der Bus anhielt. Keiner wollte sich voll spritzen lassen von dem Gatsch. Rosa drängte sich vor zu den zwei Mädchen. Nun stand sie genau vor ihnen um in den Bus einsteigen zu können. Da tat Rosa so als würde sie ausrutschen, stampfte kräftig in den Letten und ließ sich auf die zwei Mädchen zurückfallen. Natürlich half Rosa ein wenig mit den Armen nach und so lagen nun die zwei Hübschen mitten im Letten und Rosa auf ihnen drauf. Im nu ging ein Gekreische und Geschrei los. Der Busfahrer stieg aus und half Rosa wieder auf die Beine. „ Du blöder Toaschen, bist du zu dumm zum Laufen? Schau dir an wie wir ausschauen!“ Die übrigen Fahrgäste hatten ihren Spaß an der Sache. Sie konnten herzlich lachen und ihre Sprüche klopfen. Es war schon ein jämmerlicher Anblick. Vorbei der Glanz des schönen Aufputzes. Die Haare, das Dirndl, die Schuhe und die schönen Strümpfe, ja sogar der Regenschirm, überall nur nasser Letten.“ Oh, Entschuldigung, das ist mir jetzt aber sehr peinlich. Ich weiß gar nicht wie das passieren konnte“, heuchelte Rosa. Mit verschmitztem Lächeln, half Rosa den zwei jammernden und weinenden Mädchen wieder auf die Beine.“ Alle einsteigen bitte!“ rief der Fahrer. Rosa ging zum Bus und wollte den zwei Heulsusen noch die Hand zum Einsteigen reichen. Die aber keiften:“ Bist du verrückt, glaubst du wirklich wir fahren so verdreckt mit! Wir sind doch nicht so eine dahergelaufene Schlampe wie du!“ Rosa zog die Hand wieder zurück.“ Also, ich weis gar nicht warum ihr euch so aufregt. Seit froh, dass ihr voller Dreck seid, so sieht man eure hässlichen Gfrießer nicht.“ Mit weit offenem Mund standen sie nun da und waren sprachlos. Rosa setzte sich gemütlich in den Bus, der Fahrer schloss die Tür, kassierte und verteilte die Fahrscheine und fuhr los. Rosa lehnte sich zurück in den Sitz, schaute neugierig aus dem Fenster und lauschte nebenbei dem Getratsche der Mitfahrenden. Es dauerte nicht lange und Rosa fielen die Augen zu. Nun, da sie immer weiter weg von zu Hause, fühlte sie sich sicher. Es waren lange Stunden der Angst und Ungewissheit.

Franz

Franz, der durch den Schlag auf seinen Kopf ziemlich lange ohne Bewusstsein war, kam langsam wieder zu Sinnen. Von weitem hörte er das Knallen von Türen und das Rasseln von Schlüsseln. Er spürte auch unter sich die harten Bretter auf denen er lag. Franz schloss seine Augen wieder und sein Atem wurde schneller. Er roch den modrigen Geruch, den er schon so oft zu unrecht schnuppern musste. Sein Kopf fing an zu schmerzen, als würde er jeden Moment platzen. Vorsichtig versuchte Franz sich aufzusetzen. Jede Bewegung tat furchtbar weh. Er schaute sich um. Seine sonst so lebenslustigen Augen bekamen einen furchterregenden Ausdruck. Franz spürte genau, dass diese Suppe nicht so schnell ausgelöffelt war. „Berta“, flüsterte Franz. „ Berta, ich hätte dich nicht alleine zurücklassen dürfen.“ Franz sprang auf. Er schaute sich um, als suche er irgendeinen Ausweg. Doch da waren nur vier graue, schimmlige Mauern, ein Kübel mit Holzdeckel, ein Tisch, eine Bretterliege, eine graue, zerschlissene Decke, eine Eisentüre mit Guckloch und ein Fenster mit rostigen Gittern. Seine Hände fest an den Kopf gepresst, ging Franz in seiner Zelle auf und ab. Das Gefühl der Wehrlosigkeit und die Sorge um seine Mugga, sowie um die Seinen, machten ihn fast verrückt. „Ich dachte, jetzt, da der Krieg vorbei ist, hätten wir endlich unsere Ruhe. Wir wollten doch nur mehr diesen Sommer stranzieren. Sie haben uns ja schon in die Sesshaftigkeit getrieben. Wie sehr sie uns hassen, das wissen wir Jenischen. Doch es scheint ihnen wohl nie genug zu sein .Ausrotten, sie wollen uns ausrotten. Aber, Oberlandler Gatschibruat, eines schwör ich euch! Bevor ich peger(sterbe), mach ich euch alle mulo(tot).“ Franz hörte Schritte. Mit einem Ruck, ging das Guckloch auf. Ein Wachebeamter schaute durch. Dann wurde das Guckloch wieder geschlossen. Franz setzte sich auf den Tisch und wartete gespannt, was als Nächstes passieren würde. Da drehte sich der Schlüssel im Schloss und herein kamen drei Beamte. „Aufstehen und umdrehen!“ Franz stand auf und drehte sich um. Da klickten wieder die Handschellen. „ Wir bringen dich zur Vernehmung. Also mach keine Dummheiten und bleib ruhig.“ Franz sagte kein Wort. Er unterdrückte seinen Hass, damit er nicht gleich halbtot geschlagen würde. Er musste auch noch heraus¬finden, was mit seiner Berta passiert ist. So ließ er sich abführen. Links und rechts an seiner Seite die Beamten. Der Dritte ging voraus, einen langen Korridor entlang, vor¬bei an den ganzen Zellen. Da fing Franz an ein Jenisches Lied zu singen. Er sang immer lauter. Die Wachen lachten nur und meinten, dass Franz wohl verrückt sein würde. Doch dann, endlich hörte Franz, dass er nicht alleine sang. Er hörte die Stimmen von Toni, Joggl und Peppi. So konnten sie sich kurz verständigen. Jetzt, da Franz die Stimmen von den Seinen hörte, war er sicher, dass Berta und die anderen Frauen auch hinter Gittern saßen. Ihm würde schon was einfallen. Er holt seine Sippe schon heraus, sonst soll ihn doch gleich der Niggl (Teufel) holen
So gingen sie weiter, einen Stock tiefer. Franz schaute sich um. Das Licht hier unten hatte etwas Bedrohliches an sich. Es wurde immer kälter, je weiter sie gingen. Es gab hier auch keine Zellen, sondern nur dicke, hohe Holztüren. Bei einer dieser Türen blieben sie stehen. Einer der Beamten klopfte an die Tür und trat ein. Franz und seine Begleiter warteten draußen. Es dauerte nicht lange und die Tür öffnete sich wieder. „ Führt ihn rein.“ Franz wurde mit einem kräftigen Schupps in das Vernehmungszimmer befördert. Es gab hier drinnen kein Fenster. Es war stockfinster. Man hörte ein klicken und Franz wurde von einem Lichtstrahl geblendet. Schnell kniff er seine Augen zusammen. Wieder wurde er geschuppst und landete unsanft auf einem Sessel. Franz versuchte dem Lichtstrahl auszuweichen und schaute zu Boden. Ein Tisch stand vor ihm. Dahinter sah er zwei blitzsaubere schwarze Stiefel und die dazu¬passenden Reithosen, die wohl zu einer Uniform gehörten. Dieses Paar Füße ging ständig hin und her. Franz spürte die Blicke seines Gegenübers. Da knallte plötzlich die Hand dieser Person auf den Tisch. Franz sah wie die Finger ungeduldig auf der Tischplatte tanzten. Franz schreckte hoch, als wäre er von einer Tarantel gestochen, als er plötzlich eine Stimme hörte die so laut schrie, dass sogar ein Toter davon aufwachen würde.“ Heb deinen Kopf und schau gerade aus! Du scheinst wohl nicht zu wissen, wer vor dir steht! Du scheinst auch nicht zu wissen, dass du des Mordes an einer Magd angeklagt bist! Des Weiterem, hast du ein Vorstrafenregister, das deine Lage nicht gerade verbessert! Du und deine Gleichgesinnten, ihr seid eine Gefährdung für die Gesellschaft! Da wir wissen, wie ungebildet und geistig labil ihr alle seid, haben wir für dich ein Protokoll erstellt, dass du nur noch zu unterschreiben brauchst! Ich habe keine Lust mir deine Lügengeschichten anzuhören! Für mich zählen nur Fakten! Hörst du, Fakten! „ Es wurde wieder Ruhig und die Hände auf dem Tisch verschwanden in der Dunkelheit. Da knallte wieder etwas auf die Tischplatte. Es war ein Blatt Papier, das Protokoll. Wieder erschien die Hand. Diesmal mit einem Federstift in der Hand.“ Unterschreib, oder mach drei Kreuze darunter!“ Franz starrte auf das Papier. er versuchte das Geschriebene zu lesen, aber er konnte in diesem grellen Licht nichts sehen. Da stieß jemand mit dem Fuß gegen seinen Sessel.“ Unterschreib endlich, wir haben schon genug Zeit mit dir vergeudet!“ Franz schaute auf. Mit einem Satz sprang er nach vor.“ Hegel, du glaubst wohl nicht im Ernst, dass ich dir irgendetwas unterschreibe? Du kleiner, nichtsnutziger Nazi! Du feige Drecksau, komm her und schau mir ins Gesicht! Du kannst mit deinem Geschrei höchstens kleine Ranggele (Kinder) erschrecken! Ich hab auch noch nie jemanden umgebracht! Aber dich, dich würde ich gerne mulo machen!“
Es wurde wieder still. Franz schnaubte vor Wut, sein ganzer Körper zitterte und sein Gesicht spiegelte den Mut bis zum Äußersten zu gehen. „ Legt ihn über den Stuhl, ich schau mir seine Papiere an. Ich möchte sie so sehen wie der Bürgermeister.“ Von Hinten ergriff man den Franz und drückte ihn mit dem Kopf nach unten. Er versuchte sich zu wehren, was aber keinen Sinn hatte, da seine Hände nach Hinten gefesselt waren. Man legte ihn über den Stuhl und zog seine Hose runter.“ Geh her, geh her, dann schund ich dir in dein Drecksmaul!“ schrie Franz. Ein Beamter hielt seine Beine, der andere seinen Kopf. Da sah Franz unter seinem Sessel wieder die gestiefelten Beine. Er versuchte sich loszureißen, er wollte endlich das Gesicht von diesem Kerl sehen. Doch er sah nur wie eine schwarze Gerte am Boden aufpeitschte. dann spürte Franz ein Brennen auf seinem Hinterteil. Immer und immer wieder. Franz biss sich auf die Lippen, er wollte auf keinen Fall schreien. Das gefiel dem Peiniger nicht und so peitschte er einfach wild auf Franz ein. Es schien ihm sichtlich Spaß zu machen. Er nahm seine Umwelt gar nicht mehr wahr. Die Beamten bekamen es mit der Angst zu tun.“ Aufhören, hören sie auf!“ Schweißgebadet und schnaubend hörte der Vernehmungsbeamte auf. „ Es ist genug, sie schlagen ihn ja noch tot!“ Franz lag über dem Stuhl und war als Ganzes nur noch eine Wunde. „ Schafft ihn weg. In den Punker. Dort bleibt er die nächsten zwei Wochen!“
Franz hörte wie sein Vollstrecker die Gerte zusammenrollte und schnell seine Sachen vom Schreibtisch entfernte. Dann sah er wieder die Stiefel vor sich. Das grelle Licht wurde abgeschaltet und das knipsen eines anderen Schalters war zu hören. Ein fahles, düsteres Licht beleuchtete den Raum. Schnell schaute Franz in Richtung der Tür. Da sah er endlich zu wem die geleckten Stiefel gehörten. Kurz trafen sich ihre Blicke. Fluchtartig verließ der Vernehmungsbeamte den Raum. Er war sichtlich erschrocken, dass Franz ihm in die Augen sah. Franz schloss seine Augen und prägte sich das Gesicht tief in sein Gedächtnis ein. Jede Falte, jedes Haar, sah Franz vor sich. Die zwei Wachebeamten standen ratlos vor Franz. Einer der Beiden fragte:“ Glaubst du, dass er das überlebt?“ „Keine Ahnung. Auf alle Fälle nehmen wir ihm jetzt die Handschellen ab. Wir müssen ihn Schultern. Alleine kann der nicht mehr stehen.“ Es hatte fast den Anschein, als hätten sie Mitleid mit Franz. Vorsichtig entfernten sie die Handschellen und hoben Franz hoch. Bei jeder Berührung verzog Franz das Ge¬sicht vor Schmerzen. „ Leg ihn über meine Schultern und mach die Tür auf.“ Sie schliffen Franz den Korridor entlang. Wieder wurde eine Türe aufgesperrt und wieder ging es einen Stock tiefer. Eine schmale steinerne Wendeltreppe führte hinunter zu den Punkern. In den gewölbten Kellermauern, waren kleine Nischen mit Stahltüren. „Schnell sperr hier auf! Beeile dich, mir wird Der langsam zu schwer.“ Eilig wurde einer dieser so genannten Punker geöffnet. Der Beamte mit Franz auf den Schultern, zwängte sich durch den engen Eingang. Langsam ließ er Franz auf den Erdboden sinken. Wie ein Wurm wand sich Franz vor Schmerzen am Boden.“ Hegel, bitte tu mir einen Gefallen!“ „ Was willst du denn?“ „Gib mir einen Teberling (Zigarette), bevor ich hier drinnen peger(sterbe).“ Die Beamten schauten sich an und waren ganz verwundert, wie jemand der so geschunden war, an eine Zigarette denken konnte.“ Ja, diesen Wunsch können wir dir erfüllen. Beeil dich aber mit dem Rauchen. Alleine können wir dich nicht lassen mit der Zigarette, sonst zündest du uns noch die ganze Hütten an.“ An die nasse, modrige, Mauer gelehnt, bekam der Franz einen Teberling in den Mund geschoben. Franz zog so innig an ihm, dass die Glut hell aufleuchtete. Mit müdem, gebrochenem Blick, genoss er jeden Zug. Erst als die Zigarette schon fast seine Lippen verbrannte, löschte Franz sie aus.“ Danke, Hegel. Jetzt geht es mir schon viel besser.“ „ Schon gut. Wir müssen jetzt gehen. Später kommen wir wieder und bringen dir Wasser. Mehr wird es heute nicht geben. Überleg dir in der Zwischenzeit ob du nicht doch das Protokoll unterschreiben willst.“ „ Schleich dich raus! Niemals, hörst du! Niemals unterschreib ich euch diesen Wisch!“ „ Beruhig dich, egal was du tust, raus kommst du sowieso nicht mehr.“ Es schloss sich die Punkertür. Die völlige Dunkelheit trat ein. Franz, noch immer an die Mauer gelehnt, versuchte in diesem Erdloch irgendetwas zu sehen. Doch es war sinnlos. Sein Körper, der von den unzähligen Peitschenhieben wie Feuer brannte, begann in der Kälte zu zittern. Franz traute sich nicht einmal einen Finger zu bewegen, da die Schmerzen so unerträglich waren. „Du, Herrgott da oben. Wie lange soll mein Leiden noch gehen? Deinen Sohn hat man ans Kreuz genagelt, aber mich und die Meinen hat man sicher schon Hunderte mal schlimmer behandelt wie deinen Sohn! Oder bist du doch nur der Gott von den Gatschi? Du willst wohl auch nichts mit uns zu tun haben! Dann sei aber so gut und lass mich endlich pegern! Ich will auch nichts von dir. Dein Paradies werde ich nicht beanspruchen. Ich hab mein Paradies schon genossen. Das kann mir auch keiner wegnehmen. Das freie Leben unter deinem Himmel, meine Mugga, die Berta und meine Ranggelen. Das war mein Paradies. Glaub nur nicht, dass ich irgendetwas bereue, was ich in meinem Leben getan habe. Doch, eine Sache gibt es, dass ich meine Berta alleine im Lager gelassen habe. Das bereue ich zu tiefst. Warum sollte ich auch irgendetwas bereuen? Du hast es bis heute nicht bereut, wie man mit uns Jenischen, seit ich denken kann umgeht. Also, du da oben. Gib dir einen Ruck und mach endlich ein Ende. Wenn du mich nicht willst, dann frag doch deinen Kontrahenten, den Niggl. Der wird schon noch einen Jenischen aufnehmen.“ Langsam beugte sich Franz nach Vorne und ließ seinen Körper auf die Seite fallen. Mit dem Gesicht auf der blanken Erde wartete Franz auf seine Erlösung.

Joggl, Toni und Pepi, saßen zusammen mit zwei anderen Häftlingen in einer Zelle. Die Schusswunde von Joggl, war notdürftig verarztet. Seine Schulter eingebunden, der Verband schon durchgeblutet, saß Joggl auf seinem zugeteiltem Bretterlager und starrte auf den Boden. Toni ging nervös die Zelle auf und ab. Pepi, lag auf seiner Senft (Bett), den Kopf zur Mauer gedreht und in Gedanken versunken. Die beiden anderen Häftlinge, saßen beim Tisch und spielten Karten. Man redete nicht viel. Das Misstrauen gegenüber der zwei Gatschi war zu groß. Es wäre nicht das Erste Mal, dass man Spitzel in Zellen der Jenischen einschleuste. Im übrigen, machten die zwei Häftlinge auch nicht den Eindruck, dass sie Interesse an einem Gespräch mit den Jenischen hatten. Joggl stöhnte leise und hob seinen Blick in Richtung Fenster. „ Was machen sie wohl mit dem Franz? Sie haben ihn noch immer nicht zurückgebracht in seine Zelle. Sonst hätte er doch sicher wieder gesungen.“ „Was werden sie schon mit Franz machen. Das was sie immer mit unser Einem tun. Du glaubst doch nicht im ernst, dass der Franz noch einmal da herauf in die Zelle kommt. Der sitzt sicher schon im Punker.“ Toni der bei diesen Worten sehr aufgebracht war, stieß mit dem Fuß gegen den Tisch.“ He, pass auf wo du mit deinen Tratti (Schuhe) hinsteigst! Du brauchst dich nicht sorgen. Kommst schon noch rechtzeitig zu deinem Freund in den Punker.“ Die Gatschi fanden das wohl alles sehr lustig. Eine Zigarette im Mund und mit verrauchtem Lachen, spielten sie ihr Kartenspiel weiter. Toni tat so, als hätte er die Bemerkung nicht gehört und ging weiter in der Zelle auf und ab. Er nickte kurz zu Joggl. Dieser stand auf und stellte sich vor das Guckloch der Zellentür. Flink wie eine Katze, sprang Toni auf die zwei Zellgenossen zu, packte sie alle beide beim Kragen und stieß ihre Köpfe zusammen. Pepi, der zuerst so teilnahmslos auf seinem Bett lag, sprang auch hoch und schnappte sich einen von den zwei Spaßvögeln. Damit sie nicht gleich um Hilfe schreien konnten, hielt man ihnen den Mund zu. Mit der anderen Hand gab es Guff. Pepi und Toni hatten die beiden jetzt schön im Würgegriff.“ So, ihr zwei Gruniggl (Schweine). Wenn wir Jenischen was schmaln (reden), dann haben Gatschi die Menggl(Mund) zu halten. Da herinnen herrschen andere Gesetze. Ihr zwei Ganetschorer (Hühnerdiebe), seid sicher zum Ersten mal im Stillabe (Gefängnis). Also merkt es euch gut. Es hat auch keinen Sinn sich zu beschwerden. Es würde sich gleich herumsprechen und die anderen Brüder da herinnen, hätten die größte Freude mit euch zwei Bosseranten.“ Langsam ließen Toni und Joggl die zwei verwunderten und eingeschüchterten Ganetschorer los. Sie sagten kein Wort. Einer zog mit noch zitternden Händen seinen Tabak aus seiner Hosentasche und begann sich eine Zigarette zu drehen. Toni fing an zu grinsen und schrie:“ Halt! Noch ein Ge¬setz gilt hier drinnen. Ein Gatschi hat seinem Jenischen Zellengenossen stets einen Teberling zu drehen, wenn dieser Selbige keinen Toberig (Tabak) besitzt!“ „ Oh, Verzeihung, dass haben wir nicht gewusst.“ Rasch wurde dem Toni eine Zigarette gedreht und fast unterwürfig übergeben. Joggl stand immer noch vor dem Guckloch und sein Kropf blähte sich auf wie bei einem Auerhahn in der Balzzeit. Joggl bekam einen Lachanfall. Dabei schnaubte er wie eine alte Dampflok. Das war natürlich sehr ansteckend. Die Jenischen krümmten sich vor Lachen. Die Gatschi saßen da und verstanden überhaupt nichts mehr.
Friede zog wieder ein in die Zelle. Man rauchte zusammen den Tabak der Gatschi, dachte vor sich hin und wartete mit Unbehagen auf die bevorstehende Vernehmung. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Jede Minute eine Ewigkeit. Es gab sowieso nichts Schlimmeres für einen Jenischen, als seiner Freiheit beraubt zu sein. Der trübe Sommertag ging dem Ende zu. Durch das kleine Zellenfenster sah man, wie die Dämmerung hereinbrach.
Für Toni wurde diese Lage unerträglich. Er schien innerlich zu platzen. Immer und immer wieder durchlebte er den heutigen Tag. Er konnte es einfach nicht glauben, dass man sie beschuldigte, die Rosa ermordet zu haben. Toni dachte auch unentwegt an den Franz. Er spürte wohl, wie schlecht es ihm ging. Toni war sich auch sicher, dass Franz bei seiner Vernehmung nicht mit Gerechtigkeit behandelt wurde. Jenische waren immer die Täter und die Schuldigen. Das war immer so und wird immer so bleiben. Dessen war sich Toni ganz sicher. Deshalb entschloss Toni, bei seiner Vernehmung kein Wort zu sagen. Es war ja sowieso egal, denn die Gatschi hatten ihr Urteil sowieso schon beschlossen. Toni machte sich auch Sorgen um den Joggl und den Peppi. Die beiden sind in einem Alter, wo man nicht mehr so stark und kämpferisch ist. Sie haben auch schon genug mitgemacht in ihrem Leben. Dabei haben sie sich schon so gefreut auf diesen Sommer. Franz wollte sie eigentlich überreden lieber zu Hause, in der Barackensiedlung zu bleiben. Doch da sie wussten, dass dieser Sommer der letzte ist, in dem sie herumziehen, hatte Franz keine Chance.
Ruckartig öffnete sich das Guckloch der Zellentür. Ein Beamter sah durch und schloss die Tür auf. Peppi und Joggl setzten sich verschlafen und erschrocken auf. „ So, ihr drei. Hände auf den Rücken.“ Toni setzt sich zu Joggl und Peppi. Er nahm ihre Hände und flüsterte:“ Nur nichts schmaln,(reden) hört ihr. Nur nichts schmaln.“ Peppi nickte. Joggl den Tränen nahe, drückte die Hand von Toni.“ Schon klar, Hegel.“
„Aufstehen und umdrehen! Was glaubt ihr eigentlich, seid ihr taub oder was?“ Toni stand auf und ließ sich als Erster in Handschellen legen. „ Werden wir jetzt zur Vernehmung geführt?“ „Nein, ihr kommt in ein Arbeitslager. Dort wird man euch faulen Gesindel das Arbeiten lehren.“ Toni glaubte nicht richtig zu hören.“ Was, in ein Arbeitslager! Aber wir haben doch gar nichts verbrochen. Ihr könnt uns doch nicht einfach einsperren oder in ein Lager schicken ohne Vernehmung, ohne Verhandlung!“ „Halt endlich dein Maul! Was ihr verbrochen habt, interessiert mich nicht! Da herinnen sind nämlich alle unschuldig, wenn man sie fragt.“ Ganz schön aufgebracht und unmutig wurden Joggl und Peppi die Handschellen angelegt. Die zwei anderen Mithäftlinge saßen am Tisch und waren kreidebleich. Schnell drehte einer noch ein paar Zigaretten und steckte sie in Tonis Hosentasche. „ Haltet die Ohren steif und nichts für ungut wegen vorhin.“ „ Danke, Hegel. Bist ein guter Gatschi.“ Zwei weitere Beamte kamen in die Zelle. Jeder schnappte sich einen Jenischen und so führte man sie ab.

Der Gallach (Pfarrer)

Einmal im Monat, kam Pfarrer Rupert in die Gefangenenanstalt und besuchte dort die Häftlinge. Er war ein sehr schlanker und großer Mann. Sein schmales Gesicht und seine etwas eingefallenen Augen, verbargen sich hinter einer runden Brille. In seiner Pfarrgemeinde war er sehr beliebt. Seine schlaksige Art, sein noch relativ junges Wesen und sein offenes Ohr für die Probleme seiner Schäfchen zeichneten ihn aus.
Die Bibel fest unter seinen Arm geklemmt und mit flatternder Kutte, betrat er das Gefängnis. Die Beamten freuten sich auf den Besuch von Pfarrer Rupert. Er versuchte immer wieder die etwas Ungläubigen unter ihnen zu bekehren. Dadurch kam Pfarrer Rupert oft in heiße Diskussionen mit den Beamten. Meistens wurde er verarscht. Doch das bemerkte er nicht.
Wie jeden Monat segnete er alle. Danach bekam er seinen heissgeliebten Kaffee und erfuhr die Neuigkeiten vom Haus. „ Na, meine Herren, haben wir wieder neue, vom Rechten Weg abgekommene Schäflein?“ „ Aber ja, Herr Hochwürden. Diebe, Trunkenbolde, Schläger und seit Vorgestern auch Mörder.“ Entsetzt bekreuzigte sich Pfarrer Rupert. „ Mörder? Oh Gott im Himmel, was ist bloß los mit deinen Erdenkindern! Wer wurde denn zum Mörder?“ „ Das ist nicht so leicht zu sagen. Es ist eine ganze Sippe verhaftet worden. Jenische, das sagt doch schon alles. Natürlich gibt keiner die Tat zu. Eine arme Magd haben sie gemeuchelt, ausgeraubt und in den Inn geschmissen. Die Leiche hat man noch nicht gefunden, nur ihre Kleider wurden ans Ufer geschwemmt.“ Aufmerksam hörte Pfarrer Rupert dem Beamten zu. Tief betroffen und voll Mitleid gegenüber der armen Toten, sprach er:“ So wollen wir nicht richten über die irdischen Verbrechen, sondern versuchen, die abtrünnigen Kinder Gottes wieder auf den Rechten Weg zu führen.“ Die Beamten verdrehten die Augen und heuchelten alle aus einem Mund:“ Amen.“
„Nun wird es aber Zeit. Wer von den Herren begleitet mich heute auf meinem schweren Weg?“ Die Beamten schauten sich an und der Blick blieb an dem Jüngsten unter ihnen hängen.“ Schon verstanden, meine lieben Kollegen. Kommen sie Herr Pfarrer, ich begleite sie.“
Er setzte seine Mütze auf, steckte seine Waffe ein, nahm den dicken Schlüsselbund und ging voraus. „Schwül wird es heute. Eine große Hitze soll in den nächsten Tagen sein.“ „ Ja, Herr Pfarrer. Aber hier in den Gängen der Haftanstalt ist es meistens sehr angenehm kühl.“
„Sag, mein Sohn, wo sind die Jenischen von denen mir berichtet wurde? Ich würde gerne als Erstes zu ihnen gehen.“ „ Es ist nur noch einer da. Die anderen Drei wurden gestern in ein Arbeitslager abgeschoben. Der Eine, der noch da ist, sitzt im Punker. Den haben sie ganz schön zugerichtet. Der war stur wie ein Bock. Er wollte die Tat einfach nicht zugeben.“ „ Dann schnell, mein Sohn. Gehen wir zu ihm.“ „ Wie sie meinen Herr Hochwürden. Mir soll es recht sein.“ So gingen sie den langen Korridor entlang in Richtung Keller. Als sie die Treppe zu den Punkern betraten, stieg ihnen ein unbeschreiblicher Gestank in die Nase. „ Was in Gottes Namen, ist das für ein widerlicher Geruch?“ „Keine Ahnung. Vorgestern, als wir das letzte Mal hier unten waren, stank es noch nicht so.“ „ Soll das heißen, ihr habt den Jenischen seither nicht mehr aufgesucht?“ „ Keine Ahnung, Herr Hochwürden. Mir ist jedenfalls nichts bekannt, dass einer von uns hier unten war.“ Pfarrer Rupert schüttelte den Kopf und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. Je weiter sie die Treppe hinunter stiegen, umso ärger wurde der Gestank. Es war ein süßlicher, faulender Geruch. Der Beamte, fing an zu husten und es würgte ihn. er war kurz vorm erbrechen. „ Wir sind gleich da. Da hinten, ist die Zelle.“ „ Mir ahnt fürchterliches. Schnell sperren sie auf!“ Eilig öffnete der Beamte die Punkertüre. Mit vorgehaltener Hand stieß er die Türe auf. Er leuchtete mit einer Taschenlampe auf den Boden. Pfarrer Rupert entkam ein lauter Schrei. Er drehte sich um und fing an zu kotzen. So etwas hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Da lag ein Bündel Mensch am Boden. Zusammengezogen wie ein Wurm. Der ganze Körper verkrustet. Aus den tiefen Wunden floss das Eiter und Ungeziefer kroch darauf herum. Dieses Bündel lag in einer Lache seines eigenen Urin und Kot. „ Wer war das? Wer hat diesen Menschen so zugerichtet und wer hat ihn hier unten vergessen lassen?“ Für den jungen Beamten war dieser Anblick wohl auch zu viel. Schockiert und fassungslos schrie er den Pfarrer an:“ Na wer schon? Was glauben sie wer das war? Tun sie doch nicht so, als würden sie nicht wissen, wer hier herinnen seine perversen Spiele treibt! Und wir, wir müssen die Schnauze halten und parieren. Sonst sind wir unseren Job los!“ „ Es war Dr. Horn, nicht wahr. Richter Dr. Horn! Gott sei seiner Seele gnädig. Er glaubt wohl, dass er Hitlers Werk weiterführen muss! Dieser Mann ist krank. Ich werde etwas unternehmen müssen.“ Der Beamte nickte zustimmend.“ Schnell, mein Sohn. Schau nach ob dieser arme Kerl noch lebt!“ „ Ich kann nicht Hochwürden! Ich kann diesen Menschen nicht berühren!“
„Dann geh und hol Hilfe! Besorge eine Bahre und schau dass im Krankenflügel ein Arzt und Bett bereit steht!“ Fast dankbar, drückte der junge Mann dem Pfarrer die Taschenlampe in die Hand und lief los, als wäre der Teufel selbst hinter ihm her. Rupert ging langsam auf Franz zu. Vorsichtig drehte er ihn um. Er leuchtete in sein Gesicht. Immer noch das Taschentuch vor seinem Mund, beugte er sich hinunter und horchte, ob Franz noch atmete. Rupert konnte nichts hören. Er wollte schon seine Hand auf die Brust von Franz legen. Doch die ekligen Wunden und die Würmer auf seinem Leib, hielten ihn davon ab. Rupert stand wieder auf. Mit leiser Stimme begann er zu beten. Er betete tief und inbrünstig. Sein Körper fing an zu zittern und seine Augen füllten sich mit Tränen. Da hörte er ein leises röcheln. Wie vom Blitz getroffen beugte sich Rupert zu Franz nieder. „ Er lebt, er lebt! Was für ein Wunder! Dank sei dir allmächtiger Gott im Himmel!“
Aufgeregt lief Pfarrer Rupert aus der Zelle und schrie:“ Wo bleibt ihr! Beeilt euch! Er lebt! Was für ein Wunder! Er lebt!“
Endlich hörte Rupert die Stimmen und Schritte der Sanitäter. Vier Mann hoch, mit Mundschutz und weißen Plastikschürzen und Bahre, kamen herangeeilt. Sie jagten Rupert zur Seite und stürmten in die Zelle. „ Das ist ja der helle Wahnsinn! So etwas haben wir noch nicht erlebt!“ Rupert stand hinter den Männern und betete unaufhörlich. Die Helfer zogen sich dicke Gummihandschuhe an und hoben Franz vorsichtig auf die Bahre. Schnell deckten sie ihn mit einem weißen Leinentuch zu und rannten die Treppe hoch. Alle Beamten waren alarmiert, dass ja keine Häftlinge auf den Gängen waren. Keiner durfte diese Schandtat sehen. So rannten sie mit Franz hinauf, in den Krankenflügel. Pfarrer Rupert eilte hinterher. Eine große weiße Glastüre wurde geöffnet und der Anstaltsarzt Dr. Seidel, eilte auf den makaberen Transport zu. „ Schnell, bringt ihn in den Waschraum.“ Keuchend und schnell atmend, stellten die Sanitäter Franz im Waschraum ab. Pfarrer Rupert ging natürlich mit. Die Türe wurde zugesperrt und Dr. Seidel zog das Leintuch herunter. Abgebrüht, wie eben ein Arzt ist, der in den Kriegsjahren unendliches Leid gesehen und erlebt hat, zuckte Dr. Seidel zurück. Er schüttelte den Kopf, zog sich einen Mundschutz über und begann zu kontrollieren, ob Franz noch am Leben war. „ Sein Atem ist sehr flach. Er hat auch sicher eine deftige Sepsis. Auch die Lunge hört sich nicht gut an. Ich glaube kaum, dass dieser Mann noch lange durchhalten wird.“ „ Dann tun sie ihr möglichstes. Helfen sie endlich diesem armen Geschöpf Gottes!“ „ Ja, natürlich Hochwürden. Aber zuerst verlassen sie diesen Raum und warten draußen. Es ist nichts für ihre Augen, was jetzt passiert. Beten sie Herr Pfarrer, beten sie.“ Rupert verstand und ging. Leise schloss er die Tür hinter sich und setzte sich auf eine Bank auf dem kahlen, trostlosen Gang des Krankenflügels.
Der Waschraum in dem Franz lag, erinnerte eher an eine Leichenhalle. Die weißen, alten, abgeschlagenen Fließen, die rostigen Becken, der hohe, schlecht beleuchtete Raum. Dr. Seidel zog einen alten schmutzigen Duschvorhang zur Seite. Dahinter befand sich eine genau so alte und schäbige Badewanne.“ Richtet ein lauwarmes Desinfektionsbad.“ Befahl Dr. Seidel. Die Helfer bereiteten alles vor und entfernten die noch am Leib hängenden, zerrissenen Kleidungsstücke. Franz wurde in das Bad gelegt. Als das Wasser seine Wunden berührte, fing er an zu wimmern. Schreien konnte er nicht mehr. Dafür war Franz zu schwach. Das Badewasser war bald voll von totem Ungeziefer und sich lösender Krusten der Wunden. Mit Pinzette und Wattebauschen, begann Dr. Seidel die Wunden zu reinigen. An seinem Blick konnte man erkennen, wie angewidert er von dieser Arbeit war. „ So, legt ihn wieder auf die Bahre. Holt Verbandszeug und ein frisch bezogenes Bett“. Dr. Seidel beobachtete seinen Patienten sehr genau. Mit starrem Blick schaute er in das Gesicht von Franz. „ Bitte, Herr Doktor. Hier ist alles was sie angeschaffen haben.“ Aus seinen Gedanken herausgerissen, begann er die Wunden zu verbinden. Als Dr. Seidel fertig war, schaute Franz wie eine Mumie aus. Sein ganzer Körper war umwickelt mit Mullbinden. Nur seine dunklen Augen konnte man noch sehen. „Jetzt könnt ihr ihn in das Krankenzimmer schieben. Passt auf, dass er seine Ruhe hat. Lasst die anderen Simulanten nicht an ihn ran.“ Eilig und untertänig wurden die Befehle ausgeführt. Dr. Seidel wusch sich die Hände und ging. Am Gang wartete immer noch Rupert. Als er das Bett mit Franz sah, schoss er auf. „ Wie geht es ihm?“ die Sanitäter waren kurz angebunden. „Fragen sie den Doktor.“ Rupert sah, wie der Arzt aus dem Waschraum kam und eiligen Schrittes davonhuschte.“ Hallo, warten sie! Bitte sagen sie mir wie es um den armen Kerl steht!“ Dr. Seidel drehte sich zu Rupert um und blieb stehen. „ Keine Sorge Hochwürden. Der schafft das schon. Er ist von einem Menschenschlag, der sehr zäh ist.“ Rupert runzelte seine Stirn. „Was meinen sie mit Menschenschlag?“ „ Was ich damit meine? Dieser Häftling ist doch ein Jenischer oder?“ „Ja, aber was tut das zur Sache?“ „Herr Pfarrer. Unsere Anthropologischen Untersuchungen haben ergeben, dass Jenische, Sinti und Roma, also Zigeunervolk, ein anderes genetisches Verhalten aufweisen als Unser einer. Ihr Charakterbild ist völlig anders als das, sesshafter und rechtschaffener Menschen. Unsere Untersuchungen haben bewiesen, dass diese Rasse von Menschen, primitiv, asozial und kriminell ist. Sie befolgen weder Gesetz noch gesellschaftliche Normen. Sie sind eine Gefahr für unsere
Mitmenschen.“ Rupert glaubte nicht richtig zu hören. Seine Stirn fiel in tiefe Falten. Ungläubig und entsetzt, schüttelte er den Kopf.“ Wie können sie so etwas sagen? Wir sind doch alle Gotteskinder. Alles Brüder und Schwestern. Wie können sie nach all den Gräueltaten des Krieges so sprechen. Haben sie nicht daraus gelernt? Soll denn diese Hetze gegen gewisse Menschen nie ein Ende haben?“ Dr. Seidels Blick wurde angespannt und wütend.“ Sie bezweifeln also die Arbeit namhafter Wissenschaftler und Ärzte? Ihr Gott hat doch bei der Erschaffung der Tiere auch verschiedene Rassen entstehen lassen. Warum sollte er es bei den Menschen nicht auch gemacht haben? Im Übrigen, mischen sie sich nicht in Dinge ein, .von denen sie nichts verstehen. Was maßen sie sich eigentlich an! Sie sind ein Nichts. Ein einfacher Landpfarrer, der schneller versetzt ist, als ihm lieb ist. Passen sie in Zukunft auf, was sie sagen. Es könnte durchaus sein, dass dieser Anstalt der Besuch eines Geistlichen untersagt wird.“ Ohne Gruß wandte sich Dr. Seidel ab und ging. Rupert stand da wie angewurzelt. Er konnte einfach nicht glauben, was er gerade hörte. Doch er spürte, dass er in ein Wespennest gestochen hat. Langsam ging er die Treppen hinunter. Er registrierte auch die Beamten nicht, die ihm auf seinem Weg begegneten. Seine Hände hielten verkrampft die Bibel und sein Blick war besorgt und ängstlich. Rupert hatte für Heute genug von dieser Anstalt. Er Schlug das Tor hinter sich zu und war einen Moment geblendet vom Hellen Sonnenlicht. Er streckte seinen Kopf in Richtung Himmel und atmete tief ein. „ Vater im Himmel, was soll ich nur tun? Ich muss mich doch um diesen Menschen kümmern. Ich darf keinen Fehler mehr machen. Sonst werde ich den Jenischen Mann nicht mehr zu Gesicht bekommen. Vater im Himmel, hilf mir.“
Die Mittagshitze brannte auf Ruperts schwarzes Gewand. Er war froh, dass ihm auf seinem Heimweg kein Mensch begegnete. Er wollte und konnte jetzt mit niemanden sprechen. Seine Haushälterin schickte er gleich nach Hause. Rupert wollte alleine sein. Er riss sich seinen steifen Kragen herunter, setzte sich ans Fenster und dachte nach. Er schloss seine Augen und sah wieder das Bild von Franz vor sich.
„ Ich kann nur hoffen, dass sie ihn richtig behandeln. Dr. Seidel und Richter Dr. Horn, wäre es wahrscheinlich lieber, er würde sterben. Aber das darf nicht sein. Nicht bevor ich weiß, was für eine Geschichte dahinter steckt.“
Rupert erkundigte sich jeden Tag telefonisch, wie es dem Franz ging. Es war immer die gleiche Antwort. Auf dem Weg der Besserung. Nach zwei Wochen, hielt es Rupert nicht mehr aus. Er packte seine Bibel, betete zu Gott, dass man ihn zu Franz ließ und eilte los.
Die Beamten wunderten sich, dass der Herr Pfarrer schon nach zwei Wochen wieder auftauchte. „Hochwürden, schon wieder da?“
„Ja meine Herren. Ich möchte gerne zu dem Jenischen Franz.“ „ Tut uns leid, Herr Pfarrer. Da müssen wir zuerst Dr. Seidel benachrichtigen. Befehl von oberster Stelle.“ Rupert spürte Unbehagen in seiner Magengegend. „ Ja, dann melden sie es bitte dem Herrn Doktor.“ Ein Beamter ging zum Telefon und mauschelte etwas hinein. Dann legte er wieder auf und grinste Rupert ins Gesicht. „Kommen sie Herr Pfarrer. Ich soll sie ins Büro von Dr. Seidel bringen.“ Rupert versuchte gelassen zu wirken. „ Gut, dann kommen sie, gehen wir.“

Die Autorin ML möchte Sie animieren selbst weiterzudenken.

Ist diese Geschichte tatsächlich geschehen oder ist sie frei erfunden?

Was glauben Sie?
 
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Hallo JKV-Ö,

handelt es sich hier um ein Romanfragment aus dem Karrner-Leben im Vinschgau der 1920er-Jahre? Ich würde vermuten, dass dazu auch Erzählungen verwendet wurden.

Da habe ich ja gleich eine Frage zum Thema Karrner:

Warum ist diese ausgegrenzte Minderheit ausgerechnet im Vinschgau unterwegs, der ja in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohnehin zu den ärmsten Regionen der Alpen gehört hat? Ebenso ist das Tiroler Oberland bzw. der Bereich Oberes Gericht zu dieser Zeit ebenso eine bitterarme Region.

Um beim Bereich Südtirol zu bleiben, wäre doch die Region von Neumarkt Richtung Süden zu dieser Zeit wirtschaftlich wohl wesentlich besser gestellt gewesen.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Die Jenischen hatten ihr Heimatrecht im Vinschgau.
Wie du richtig bemerkt hast,war die Armut sehr groß.
Darum sind die Jenischen/Storchen/Laninger,im Frühjahr, durch das Vinschgau, über das
Pustertal bis nach Kärnten gewandert.
 
Lieber Wolfgang!

Ich glaube ich muss etwas genauer auf deine Frage eingehen.

Die Jenischen aus dem Vinschgau sind bis nach Kärnten gewandert, um auf ihren Wanderungen ihr handwerliches Können und verschiedene Waren anzubieten.
Wolfgang, stell dir vor du wärst damals ein Handwerker oder ein Obsthändler gewesen.
In Latsch oder Stilfs war gleich mal Schluss mit der Kundschaft. Erstens waren die Gemeinden arm und zweitens gab es dort unter der sesshaften Bevölkerung auch Handwerker und Händler. Der Bauer konnte seine Felder und seinen Hof nicht alleine zurücklassen.
So verkauften die Bauern den Jenischen ihre restlichen Früchte und diese verkauften die dort wo sie gebraucht wurden.
Mit dem Handwerk war es ebenso. Ein Zimmermann oder Pfannenflicker hatte in einem Dorf mit wenig Einwohner, wenig Kundschaft.
Aber wo anders, in einem anderen Tal, oder Stadt waren sie begehrt.
Der Weisheit letzter Schluss, die Jenischen suchten sich die Kundschaft auf ihren Wanderungen.

Es gibt/gab nicht nur im Vinschgau oder in Nordtirol Jenische. Jenische gibt es in vielen Ländern in Europa und Amerika. (Frankreich, Spanien, Deutschland, Schweiz, Irland, England usw.)

Wenn die Jenischen im Herbst von ihren Wanderungen zurück kamen, verweigerten ihnen die Dorfgewaltigen das Heimatrecht.
Diese hatten Angst, dass die Jenischen Land ersitzen könnten.
Wer ca. 3 Jahre auf unbesetztem Grund ansässig war, dem gehörte das Land. So war damals der Grunderwerb.
Nun kam die Gier nach Land ins Spiel und man begann die sogenannte "Storchenjagdt". Jenische wurden erschossen, damit sie kein Land ersitzen konnten.
Aber davon spricht man heute nicht gerne.

Die Auswüchse an den Verfolgungen begannen nach der industrieellen Revolution. (ca.im Jahr 1850)
Die Dampfmaschine wurde erfunden und Fabriken wurden gebaut. Der verarmte Adel hat sich mit dem Großbürgertum zusammen getan.
Nun hieß es das Kleingewerbe zu vernichten, um billige unqualifizierte Arbeitskräfte für die Industrie zu bekommen.
So wurde gegen das Kleingewerbe gehetzt und Gesetze geschaffen, die es unmöglich gemacht haben ein Kleingewerbe auszuüben.
Den Rest besorgte die Kirche die große Schuld auf sich geladen hatte.

Die Erzählung " Die Jenische Sippe" ist kein Ausschnitt aus dem Karrner-Leben im Vinschgau.
Die Autorin hat diese Erzählung vor wenigen Jahren geschrieben.
Sie wurde nie veröffentlicht. Nur in den Jenischen Foren ist sie zu finden. Und jetzt natürlich auch hier bei sagen.at

Lieber Wolfgang, ich hoffe, ich konnte deine Frage, zu deiner Zufriedenheit beantworten.

(Alles von mir geschriebene lässt sich anhand von wissenschaftlichen Arbeiten und verlässlichen Quellen beweisen.)

1000 Seiten würden bei weitem nicht reichen um alles genauestens zu erklären.
Dazu bräuchte es ein Zeitgeschichtestudium über viele Jahre.
Ein Tip: (Administrator: der Link existiert nicht mehr)

Gruß JKV-Ö
 
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Vielen Dank für Deine Antworten!
Die Aspekte des Heimatrechtes und der Ersitzung habe ich nicht bedacht, das sind natürlich sehr wichtige Aspekte.

Vielleicht ist der Hinweis auf ein weiteres Thema hier von Interesse, die "Kaminfeger aus dem Tessin", hier auch als romantisierende Abbildungen. Auch zum Thema "Scherenschleifer" gibt es hier einige Beiträge.

Wenn Du Jenische in anderen Ländern erwähnst, wie ist deren regionale Bezeichnung?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Jenische gab es auch in Niederösterreich, Nachfahren leben in Loosdorf, Bezirk Melk und haben sogar dafür gesorgt, dass die Sprache zum Teil erhalten blieb.
Der Loosdorfer Lehrer Franz J. Jansky begann 1990/91 das Jenische zu sammeln und gab ein 56 Seiten starkes Heft heraus, das über die Gemeinde zu beziehen war:
NOPPI GATSCHI – JENISCH BAALN.
Darin schreibt er, dass Ende d. 18.Jh. sich 3 Familien zum Überwintern ansiedelten. Sie waren hauptsächlich Stratzensammler (Stratzen= Lumpen).
Ende des 19. Jh. lernten sie um und wurden Schirmmacher, Scherenschleifer, Korbflechter oder Textilhausierer.
Besondere Unterstützung bei seiner Suche fand Herr Jansky bei Josef Fischer, einem echten Jenischen, der für ihn Kindheitserinnerungen, Lieder, Gedichte und 80% der jenischen Worte aufschrieb, an so viele erinnerte er sich noch.
Herr Fischer starb 80jährig 1999.

Auf einem Tondokument erzählt Sergius Golowin von Schweizer Jenischen.

Ich erinnere mich noch an Lumpensammler, die zu den Großeltern kamen und Material für Fleckerlteppiche abholten. Es wurden alte Kleider in Streifen geschnitten, zusammengenäht und zu Bällen gewickelt. Aus denen webten die Sammler diese Teppiche.
Ob das auch jenische waren, weiß ich nicht, damals wurden alle „Fahrenden“ Zigeuner genannt.
 
in GB-Yenish. in Spanien Quinqui.
in F-Yeniche. in Irland-Thinkers.
usw.

Ich bin der Meinung, dass hier Wissen
besteht.
Freut mich.
 
Herzlichen Dank Wolfgang!

Hier an dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass Pseudo-Wissenschafter der Universität Innsbruck (Dr. Stumpfl, Mergen usw.) die Begründungen, für die Ämter der Tiroler-Landesregierung und der Stadt Innsbruck, zur Verfolgung der Jenischen geliefert hat. (Sie haben damit Doktorgrade erworben und Karriere gemacht.) Die Dummheit und Skrupellosigkeit war grenzenlos.

Nun hat die tatsächliche Wissenschaft der Universität-Innsbruck, die Jenischen rehabilitiert. Einer ganzen Volksgruppe die Menschenwürde wieder gegeben.
Besonderer Dank gebührt,
Uni-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber
Frau Mag.a Dr. Elisabeth Grosinger-Spiss.


Akademiker, die schonungslos die Vergangenheit/Verfolgung aufgedeckt haben.

Jenische wurden in den KZ`s ermordet.
Jenische Kinder wurden in Umerziehungsheime verschleppt, dort schwerstens misshandelt und sexuell missbraucht. Bis in die 1990 Jahre.
Nach 1945 war noch lange nicht Schluss mit den Verfolgungen. Die NS-Köpfe waren wieder in Amt und Würden.
https://www.erinnern.at/bundeslaender/tirol/unterrichtsmaterial/heimerziehung-in-tirol
 
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