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Im Löwenkäfig

D.F.

Member
Gelegentlich werden einem als Kind Geschichten erzählt, die sich im Ort zugetragen haben sollen – und man glaubt sie fürs Erste.
Irgendwann keimen dann Zweifel, ob es sich nicht um Wandermotive handle. Solche Zweifel habe ich bei der folgenden Geschichte, die ich in meiner nun einige Jahrzehnte zurückliegenden Kindheit gehört habe.
Kennt sie jemand?

Sie geht so:


In der Stadt lebte vor zwei, drei Generationen ein Mann, den ich T. nennen will. Er war nicht gerade der hellste, aber friedlich und freundlich, lebte von einiger Wohltätigkeit und der ein und anderen kleinen Arbeit: denn arbeitsscheu war er eigentlich nicht, nur schwierig durfte die Arbeit nicht sein, sonst verstand er sie nicht, und zu lang andauernd auch nicht, sonst verlor er die Lust.

Eines Tages kam nun ein Wanderzirkus in die Stadt und er ging hin, um sich zu erkundigen, ob da nicht etwas für ihn zu tun und zu verdienen sei, etwa beim Aufstellen der Bänke, beim Aufrichten des Zeltes...
„Nein“, enttäuschte ihn der Direktor, „da gibt es nichts zu tun, dafür habe ich meine Arbeiter und Artisten. Außer... – Aber das ist ein großes Geheimnis!“
T., der ohnehin nicht durch besondere Beredsamkeit sich auszeichnete, gelang es, dem Zirkusdirektor glaubhaft zu machen, daß er ein Geheimnis wohl zu wahren wisse, und der erklärte sein Problem: „Unser Löwe ist vor einiger Zeit gestorben, wir haben nur noch das Fell. Aber ein Zirkus ohne Löwe ist kein richtiger Zirkus! Also brauche ich jemanden, der den Löwen spielt. Nicht in der Manege, das geht wohl nicht, aber zumindest im Käfig für die Tierschau. Viel brauchst Du nicht zu tun: das Löwenfell anziehen, in den Käfig legen, manchmal die Tatze heben oder die Mähne schütteln – das müßte reichen.“
T. schlug ein, verkleidete sich zur rechten Zeit, legte sich in den Käfig und tat, wie ihm geheißen: bewegte sich wenig, döste meist träg vor sich hin, was ihm ohnehin nicht schwerfiel, und im Käfig neben ihm lag ähnlich faul der Tiger.
Plötzlich durchfuhr es T. siedend heiß: das Fallgitter, das Löwen- und Tigerkäfig trennen sollte, stand offen!
Um Hilfe zu rufen wagte er nicht, weil selbst er sich ausrechnen konnte, daß der aufgeschreckte Tiger viel schneller bei ihm sein werde als jeder Retter, sich selbst aus dem Käfig befreien konnte er ebensowenig... Also schob er sich langsam, ganz, ganz langsam an den Haken, an dem die Kette hing, welche das Gitter hochhielt, erreichte ihn, klinkte die Kette aus, das Gitter krachte herunter – gerettet!
„Gelobt sei Jesus Christus...“, entfuhr es T.
„... in Ewigkeit! Amen.“, ergänzte der Tiger, der auch nicht ganz echt war.


Also die Frage: Kennt jemand die Geschichte aus anderen Quellen?

Schöne Grüße
D.F.
 
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