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Ein evangelisches Ex-Voto

Babel

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In der Kirche St. Amandus in Urach (Baden-Württemberg) befindet sich ein evangelisches "Ex Voto" – in Anführungszeichen deshalb, weil man sich darunter gewöhnlich ein Votivbild vorstellt. Dies ist eine wesentlich aufwendigere Dankesgabe: Ein Gitter für den Altar. (Zu dem eigenartigen Zweck, einen Altar einzugittern, kann ich nichts sagen. Ich finde es seltsam, aber vielleicht empfanden evangelische Gläubige des 17. Jahrhunderts das anders.)

Die ehemalige Stiftskirche und heutige Pfarrkirche St. Amandus wurde um 1475-90 erbaut. Urach war damals Residenzstadt des Grafen Eberhard V. von Württemberg; die Vorgängerkirche entsprach der Bedeutung des Ortes nicht mehr, und so ging man daran, ein repräsentativeres Bauwerk zu schaffen.

1534 verordnete Herzog Ulrich von Württemberg die Reformation; seitdem ist St. Amandus evangelische Stadtpfarrkirche. Der Name "St. Amandus" wurde beibehalten. Ausführliche Baugeschichte hier.

Nach dem 30jährigen Krieg erfüllte Bernhard Schwan, Mitglied einer reichen Kaufmannsfamilie, ein Gelübde. Das von ihm gestiftete Gitter trägt an drei Seiten Metalltafeln mit Bildern der Passion - ähnlich also den in katholischen Kirchen üblichen Kreuzwegen. Auf einer Seite ist zusätzlich ein Täfelchen eingefügt, das Bild und Wappen des Stifters trägt sowie einen Text, der über den Grund der Stiftung Auskunft gibt. Auf Bild 1 ist es zwischen dem 2. und 3. Passionsbild (von rechts) zu sehen, vergrößert auf Bild 4.

Der Text lautet:

"Bernhard Schwannen
Gelobnus und dancksagung, das Gott nach viel ausge-
standnen trübsalen den Edlen Friden wider beschert
Hab ich gott zu Ehren und dank versprochen sein
Altar mit eim eisen gespreng zu zieren.

Das Gott durch seine grosse Huld und Gnad
Mich durch sovil Trübsal geführet hat,
Durch Pestilentz Hunger und kriegsgefahr,
So nochmehr gewert auff 30. Jahr,
Welche 3 straffen viel 1000 menschen gefreßen,
So hab ich Gottes verhaißung nicht vergeßen,
Sunder auff Gott den Herren gehofft allein
Er werd vns in Friden wider setzen ein,
Weil ich dann durch Gottes grosse gnad,
Den Edlen Friden wider erlebet hab,
Hab ich Gott zu ehren und danck,
Seinen Altar Zieren wollen mit meiner Hand.

Ich leb und wais nicht wie lang,
Ich stirb und wais nicht wan,
Ich fahr und wais, wohin
Solches macht das ich frölich bin."

Der damals schon alte, wohl aus dem 15. Jahrhundert stammende Vers hieß eigentlich:

"Ich leb und waiß nit wie lang,
ich stirb und waiß nit wann,
ich far und waiß nit wahin,
mich wundert das ich [so] frölich bin."

Die Uracher Fassung ist eine "evangelische" Fassung – schon Luther hatte sich an dem volkstümlichen Spruch gestoßen und eine Umdichtung vorgenommen. Zur Geschichte des Vierzeilers siehe hier.

Das eigenartige Schriftband rechts neben dem Bild des betenden Stifters trägt die nicht mehr vollständig lesbare Inschrift:

"Meine 2 von Gott bescherte HaußFrauen ... beden Ehen, so aus der ersten vnd in der andern erzeugte kinder davon noch 2 im Leben
Agnesen - Rosina - Walburga - (unleserlich) - Anna Maria - Euphrosina - (unleserlich) - Lorentz - Hans Georg - Stephanus - Anna Maria - Rosina - Anna Madlina - Rosina - Anna Madlina - Lorentz - Rosina"
(Daß man Kindern die Namen bereits verstorbener Geschwister gab, geschah häufig. Auch in meiner eigenen Familiengeschichte findet sich das immer wieder.)

Das Täfelchen schließt unten mit dem Wappen des Bernhard Schwan (Schwan, Amboss und Schmiedehammer, Buchstaben B S). In einer gesonderten Kartusche steht:

"1650
Den 11. Augusti ist wegen des erlangten Friedens ein
Danckfest im gantzen Land würtemberg gehalten worden,
So ich mein gelipnus in die Kirchen gestifft, weil
aber alles veraltet stift ich noch 10 gülden darneben
Soll all 20 Jahr erneuert werden wer
den Zinns anderst wohin wenden thut der
thut vnrecht und bekombt den Fluch.
Renov. 1787"

Die Texte zu den auf Bild 4 erkennbaren Passionsdarstellungen:
Christus am Ölberg (links):

"O mensh sich an die grosse Noth
Die Christus gelitten am Ehlberg Spath,
Auch bluot geshwitzt, vor großer angst
Das machen vnsere sinden gantz."

Gefangennahme Christi (rechts):

"O mensh sihe den verrether dar
Wie er kombt mitt der gottlosen Schar,
Christum verrath mit einem Kuß
Ein knecht ein ohr abhaut pettrus."

Im Informationsheftchen über die Kirche ist dieses außergewöhnliche Altargitter nicht abgebildet, ja nicht einmal erwähnt. Warum wohl? Ist etwas, das aus dem 17. Jahrhundert stammt, dem Verfasser nicht alt genug, um kunsthistorisch wertvoll zu sein? Oder war ihm, dem evangelischen Pfarrer, das an katholische Votivbräuche erinnernde Ausstattungsstück peinlich?
 

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Danke! Ist dir schon mal ein Gitter um den Altar begegnet? Gitter, die Seitenkapellen abschließen, oder Schranken vor dem Altarraum, ja - aber so ein quadratisches Ding, das die früheren Laufställchen für Kleinkinder erinnert, um den Altar herum ...? Du bist, glaube ich, evangelisch (oder irre ich mich?) oder wohnst jedenfalls nicht im katholischen Süden - kannst du dir vorstellen, was da für Vorstellungen dahinter stehen (besser: standen)? Daß evangelische Kirchen schon damals nur für den Gottesdienst geöffnet wurden und den Rest der Zeit geschlossen blieben, belegt ja, daß man im Protestantismus ein ganz anderes Verhältnis zur Kirche hat(te).
 
Das wichtige für uns ist ja die Predigt im Gottesdienst , die meist ca. 20 Minuten
dauert. - Die reformierten "Bilderstürmer" zerstörten leider viele Kunstwerke.
Bei uns blieb zum Glück die Sankt Viktor Kirche mit dem wunderbaren
Antwerpener Altar u.a. Kunstschätzen gut erhalten, als heutige evangelische
Viktorkirche, sogar die Reliquie ist noch vorhanden (Geschenk des Xantener
Viktorstiftes). Kleine Bemerkung dazu: ein ähnlicher Altar in der Dortmunder
Petrikirche bekam ein Fenster als Trennwand vorgebaut, um ihn zu
schützen. So ein Gitter kenne ich nirgends, werde mich aber umhören bei
einigen Fachleuten, die ich kenne. Melde mich dann wieder! - Ulrike
 
Die reformierten "Bilderstürmer" zerstörten leider viele Kunstwerke.

Bei uns blieb zum Glück die Sankt Viktor Kirche mit dem wunderbaren
Antwerpener Altar ... erhalten.
In Ulm verordnete der Stadtrat, man solle die Bilder "den armen Leuten zu Brennholz" geben. Etliche Dörfer in der Umgebung haben in ihren kleinen Kirchen großartige spätgotische Altäre – ursprünglich Ulmer Altäre, von weniger barbarischen Gläubigen gerettet (oft waren es die Stifter) und irgendwo in Sicherheit gebracht, wohin die Hand der Ulmer Obrigkeit nicht reichte. ;)

Ist das so ein großes Teil, bei dem sich der Preis an der Zahl der geschnitzten Figuren orientierte? Die Antwerpener Schnitzaltäre kenne ich aus meiner Zeit in Nordrhein-Westfalen gut.
 
Danke für die Vorstellung dieses interessanten Einrichtungsgegenstandes. Es ist schon merkwürdig, dass über dieses "eisern gespreng" kaum etwas zu finden ist.
 
Im internet unter :
Schwerte Altar Viktorkirche
bezw. Dortmund Altar Petrikirche
finden sich viele Fotos und Artikel zu den beiden Altären.
Der Dortmunder wird auch das "Goldene Wunder von Westfalen" genannt!
Sie sind mehrfach klappbar, Mittelteil vergoldete Figuren, viele Bildtafeln.
Auf unserem wird natürlich u.a.das Leben des Hl. Viktors dargestellt.
Die "Hauptkirche" der Dortmunder ist allerdings die Reinoldikirche, ebenfalls
evangelisch. - Nun viele Grüße, besonders an Waltraud und Harry, von Ulrike
 
Noch etwas zum Thema: Bilderstürmer -
Die Reformation in (Dortmund-) Syburg setzt sich durch 1590-1624. Der
damalige Pastor entfernt alles , was an den Katholizismus erinnert.
Die Barbarareliquie wird nach Köln verkauft, befindet sich 1680 im dortigen
Domschatz u. wird 1804 weiterverkauft (Kloster Megaspileon, Nord-
Peloponnes). Da eine Quittung vorhanden, kann man diesen Weg verfolgen!
Eine Barbara-Statue befindet sich heute noch im Kunstmuseum des
Erzbistums Köln.
Entfernt wird auch das Kruzifix mit Corpus. Es diente als Brückensteg über
einen nahen Bach und wird bei Nacht und Nebel von Katholiken aus Lethmathe
geholt und in die dortige St. Kilian Kirche verbracht. Entfernt wurde auch
die Tafel, auf der die Weihe im Jahre 799 unter Karl d. Gr. u. Papst Leo III
geschildert wurde. Dafür fehlt nun der Beweis - manche halten den
Papstbesuch für eine Sage. Jedenfalls war er ja auf dem Weg nach
Paderborn. - Dies also in Kürze aus meiner geschichtsträchtigen Umgebung!
Ulrike
 
Noch etwas zum Thema: Bilderstürmer -
Die Reformation in (Dortmund-) Syburg setzt sich durch 1590-1624. Der
damalige Pastor entfernt alles , was an den Katholizismus erinnert.
Die Barbarareliquie wird nach Köln verkauft ...
Ulrike
Danke, Ulrike! Dortmund und seine Kirchen kenne ich (in meiner Aachener Berufszeit mußte ich mal ein didaktisches Spiel für Schulkinder über die Geschichte der Stadt machen, aber das ist lange her, ich habe das alles längst vergessen), in Schwerte dagegen war ich noch nie.

Details zur Reformationsgeschichte interessieren mich immer!!! sehr!!! 1590-1624 ist ja extrem spät für die endgültige Einführung der Reformation! Das kann doch nur heißen: 100 Jahre Unruhen -? Aber sehr dramatisch können sie nicht gewesen sein, sonst wüßte ich das wahrscheinlich noch. Daß man eine Reliquie verkauft hat, ist eher selten - gewöhnlich hat man sie einfach entsorgt - war ja bloß ein alter Knochen! ;) Mit den Bildern aus den Kirchen ist man unterschiedlich verfahren; in manchen Städten ist eine Menge erhalten geblieben, weil man sie in irgendwelchen Abstellkammern eingelagert hat, oder wer wollte, durfte mitnehmen, das ihm gefiel; vor allem die Stifter von Bildern und Altären (bzw. ihre Nachkommen) konnten ihr "Eigentum" zurückholen. Anderswo wurde rücksichtslos zerstört. Meist hing es davon ab, ob es ein "spontaner" Bildersturm war oder ob der städtische Rat die Sache in die Hand nahm. Was eigentlich immer zerstört wurde, waren die Meßgefäße, Reliquiare etc. - Edelmetall war kostbar und wurde eingeschmolzen.
 
Danke für die Vorstellung dieses interessanten Einrichtungsgegenstandes. Es ist schon merkwürdig, dass über dieses "eisern gespreng" kaum etwas zu finden ist.
Tu felix Austria bist komplett katholisch, in evangelischen Gegenden ist alles anders. Bei evangelischen Kirchen ist es Glückssache, ob man (im Internet oder in Büchern) etwas über sie erfährt. Während eine katholische Gemeinde ihre Kirche und deren Besonderheiten stolz vorstellt, teilen evangelische Gemeinden im Internet lakonisch mit: "Unser Gotteshaus ist eine Stätte des Gebets", und dann folgen nur noch die Gottesdiensttermine. Nur besonders sehenswerte Kirchen sind für Besucher geöffnet (in Urach ist das erst seit ein paar Jahren der Fall), d. h. zur Besichtigung. Daß jemand zum Beten in die Kirche geht, das gibt es natürlich nicht.
 
Bei uns hat man erkannt: "Offene Kirche" erwünscht. Vor Ort bedeutet dies
zunächst, dass an den Markttagen ehrenamtliche Menschen Aufsichtsdienst
leisten, Auskunft geben, Führungen, Kaffee anbieten usw. Am Ruhrtalradweg
gelegen wünschen Touristen, den Altar anzusehen. Sie werden
enttäuscht, wenn die Kirchentür verschlossen ist. Ohne Anmeldung geht es
nicht, es ist halt eine personelle Frage. Auch die katholische Kirche vor
Ort (Sankt Marien) wurde schon oft von böswilligen Menschen beschmutzt
und beschädigt, es müssen Krippenwächter aufpassen usw. Die Kirche stets
geöffnet zu halten wird leider schwieriger. Hätte nicht gedacht, dass Du,
Waltraud, Dortmund kennst. Neben Reinoldi sind dort noch viele interessante
Kirchen, z.B. direkt gegenüber die Marienkirche! -Ulrike
 
Hätte nicht gedacht, dass Du, Waltraud, Dortmund kennst.

Neben Reinoldi sind dort noch viele interessante Kirchen, z.B. direkt gegenüber die Marienkirche! -Ulrike
Das waren halt Dienstbesichtigungen. ;)

Ja, die Marienkirche habe ich auch gesehen. Natürlich waren beide geschlossen, und ich mußte jemanden finden, der mich rein ließ, und außerdem ein "begründetes Interesse" nachweisen. :D
Aber das war in den 80er Jahren - heute ist, wie du schon schreibst, doch manch eine Kirche zugänglich.
 
In Schwerte soll 1556 die lutherische Religion in Kirche und Schule allein
gültig gewesen sein. Der Reformator und damalige Pfarrer der Gemeinde, Albert Pepper (Grabplatte in der Viktorkirche), sagte sich vom Papismus los und
die (meisten) Gemeindemitglieder folgten ihm. 1620 wird ein reformierter
Pfarrer erwähnt. 1918 kam es zur "Union" der beiden evangelischen Gemeinden.
Die Viktorkirche blieb evangelisch, die Katholiken bauten sich eine neue
Marienkirche, -Maria wurde schon immer vor Ort besonders verehrt und viele
Darstellungen in unserer alten Kirche zeugen davon. - Ulrike
 
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