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Ein Erlebnis auf einer österreichischen Kuhalm.

pHValue

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Ein Professor der Hochschule für Bodenkultur in Wien hat ganz Östereich bereist und gegen Ende des 19. Jh eine mehrbändige Abhandlung über Land und Leute geschrieben. Diese wurde von der Uni Ende derr 1990er ausgeschieden. Ein Professor hat sie aber geborgen und in sein Kabinett gestellt. Diese Geschichte habe ich abgeschrieben. Der Name des Verfassers ist mir leider in Verstoß geraten.


Ein Wirthshaus ist hier nicht auf der Alm aber eine Schwaigerin (Sennin), bei der Brot und Branntwein zu haben ist. Ich hatte bald ihre stattliche und wohlgezimmerte Hütte erreicht, die in einer schönen Mulde unter großen Felsblöcken liegt, zwischen denen sich eine herrliche Quelle hervorschlängelt.
Unter dem größten der Blöcke ist der Stall angebracht, und dabei das Gestein als Wand benutzt.
Auf dem Scheitel des Felsens erhebt sich eine prachtvolle Lerche, deren mächtigen Schaft der fromme Alpenherr mit einem Heiligenbilde geziert hat, weswegen man auch den uralten Baum die „Bildlerche“ heißt.
In der Hütte traf ich Gäste, drei rüstige Holzknechte aus dem nahen Schlage, dazu die Sennin und ihren jüngeren Bruder, der ihr als Hirt und Knecht an die Hand ging. Die Holzer sassen auf der Bank, die sich um die Feuerstelle herzieht, halb in Rauch verhüllt und schmauchten plaudernd; die Sennin ging ab und zu und redete wenig.
- Sie war eine sehr hübsche Dirne, zwar nicht mehr in der ersten Blüte, aber von lieblichem, ja feurigem Antlitz , wohlgebaut, voll, frisch und kräftig, jedenfalls viel zu schön für diese Einsamkeit.
Um über das Joch zu steigen, war es zu spät, es blieb also nichts anderes übrig, als bis zum Morgen zu warten. Ich war etwas besorgt, daß sich das Mädchen die Einlagerung verbitten würde, aber der älteste der Holzknechte, ein schalkhafter Kerl, sprach mir Muth zu, sagte, das komme öfter vor und die Schwaigerin sei überhaupt nicht so „scheuch“ wie sie thue. – Dies begleitete er mit einem bedeutendem Augenzwinkern, was die Alpenmaid dadurch bestrafte, dass sie ohne ein Wort zu sagen aufstand und davon lief.
Bald hatten auch die Holzknechte ihren Branntwein ausgetrunken und gingen, so dass ich mit dem Mädchen allein blieb, denn ihr Bruder war hinausgegangen, um nach den Kühen zu sehen, die bereits heim kommen sollten.
Dieses plötzliche Alleinsein brachte mich, ich weiß nicht warum, in einige Verlegenheit; ich brach jedoch ritterlich zuerst das Schweigen, und frug sie, wie es heuer mit der Sennwirtschaft gehe, und liess mir alles weit und breit erklären.
Das Leben einer Sennin, - sagte sie – ist nichts weniger als mühe und gefahrlos. Will sie in guten Ruf kommen und ihre Brotherrn gewissenhaft im Auge haben, so hat sie vom frühen Morgen bis späten Abend vollauf zu thun.
Schon mit dem Hahnenrufe muss sie zur Heerde, besonders wenn diese ferne Weideplätze besucht und bei milder Witterung dort übernachtet. Mit dem Milchtopfe auf dem Kopfe oder bei weiter Entfernung mit der Butte auf dem Rücken, den Dreifuss (zum Niedersitzen) in der Hand, und die Salztasche am Gürtel, begibt sie sich unter ihre Angehörigen zum Frühmelken. Es kostet da nicht wenige Mühe, besonders das naschhafte und zerstreuungssüchtige Volk der Ziegen wieder zu finden, um sich zu versammeln und beim Melken ruhig zu erhalten. – Sorgsam achtet dabei jede wackere Sennin auf das Benehmen, den Gang und die Stimme jedes einzelnen Stückes, und führt die kränkelnde Kuh, die Ziege, die sich etwa beschädigt hat, das Mutterschaf, welches vielleicht heute noch zum Wurfe kommen dürfte, nach der Sennhütte zurück. – Erst nachdem diese hier pfleglich untergebracht sind, kann die Sennin ans Frühmal denken.
Während dem muss aber bereits Anstalt gemacht werden zum Buttern und zur Käsebereitung; die eben gewonnene Milch muss geseiht, und in reinlichen flachen Holschüsseln in die Milchkammer oder in den Keller gebracht werden.
Ist dann auch Käse – und Buttergeschäft – bei welch letzterem der Hirtenbub das Rührfass dreht, besorgt, so geht es an ein Scheuern und Fegen, Wischen und Waschen, dass selbst eine zänkische Stadtfrau nichts mehr daran zu tadeln fände. – Musterhafte Reinlichkeit der Gefässe ist eine Grundbedingung für gute Sennprodukte.
Ueber solcher Emsigkeit wird’s Mittag und dieser Mittag bringt das „Muss“ und eine kurze Rast.
Der Nachmittag ist den mancherlei häuslichen Beschäftigungen, vor allen Dingen aber dem Sammeln des Geleckes gewidmet, d.i. jener Gräser, welche man an Stellen, welche für die Kühe zu steil und zu gefährlich sind, mit der Sichel abschneidet, um sie denselben beim Abendmelken oder bei Schneewetter vorzulegen. (damit sie zu solchen Zeiten gesundheitshalber im Stalle behalten werden können). – Dieses Geleckschneiden ist besonders mühsam und gar oft auch gefährlich.
Der Abend bringt dann wieder das Melken, das Milchversorgen, nach dem einfachen Abendessen und dem darauf folgenden Scheuern, - aber auch süsse Ruhe für die müden Glieder.
Bei günstiger Witterung reicht wohl der Tag aus, zur pünktlichen Besorgung all dieser Obliegenheiten, und es bleibt noch Zeit für ein feines Liedchen oder für einen herausfordernden Jodler; aber hat plötzliches Unwetter oder gar ein reissend Thier die Heerde erschreckt und zerstreut, dann ists wohl wahrhaft verdriesslich, die verirrten Rinder oder gar die verlaufenen Schafe wieder zusammenzubringen. – Freilich trifft letzteres hauptsächlich den Hirten, aber die verantwortliche Sennin muss mithelfen und das Vieh allein zur Stelle schaffen, wenn der zaghafte Bub etwa den Muth verloren hätte.
Manchmal entschädigt bei der Rückkunft in die Sennhütte der unerwartete Besuch einer Freundin von der nächsten Alm, oder vom Thale herauf, und dann ists gar so gemüthlich, die Neuigkeiten des Dorfes zu vernehmen und den schönen Doppeljodler loszulassen.
Oft sprechen auch Holknechte, Jäger und Forstbeamte ein, besonders in dieser Hütte, wo der Herr – ein Wirth – auch gastlich Schnaps ausschenkt, und mancher von diesen Gästen ist gar nicht „zwieder“. Zuweilen verirren sich sogar Wienerherren herauf, - aber man kann oft nicht recht klug aus ihnen werden – so sagte nämlich die Sennin – obgleich sie alles schauderhaft schön finden; letzthin war aber gar ein „g´spasiger Ding“ da heroben; der meinte, wenn die Leute hier gescheit wären, so würden sie ihre Almen lieber unten im Thale anlegen, damit man nicht gar so entsetzlich hoch zu steigen brauchte.
Dieses und ähnliches Geplauder und der glückliche Umstand, dass ich ihre Mundart mit ziemlichem Geschicke zu sprechen verstand, schmolzen bald der Sennerin anfängliche Trutzlichkeit völlig hinweg, und sie zeigte sich als das, was sie war, als ein Mädchen voll Lebenslust und neckischem Sinn, die sich herzlich freute, in mir eine gleichgestimmten Gesellen gefunden zu haben.
Ich lud sie natürlich zum Singen ein. Mit der Versicherung, dass ich selbst das „Grobe“, (den Bass) übernehmen werde, überwand ich ihre Einwendungen, und sie versprach, nach Vollendung ihres Tagwerkes mit ihrem Bruder und mit mir das „Brombeerlied“ zu singen.
Nun gings ans Melken, das bald vorüber war, denn man sputete sich Hals über Kopf.
Um ihrer Bewirtung Ehre zu machen, bereitete mir meine Sennin das lekere Rahmkoch (Gries in Sahne) zum Abendmahle.
Während sie an krachenden lustig aufflakernden Feuer damit beschäftigt war, hatte ich Zeit sie näher zu betrachten. Ich muss gestehen, sie kam mir jetzt wirklich ausnehmend schön vor; sei es, dass mich ihre anmuthigen Plaudereien oder die kräftigen, ja üppigen Formen mich bestochen hatten, die bei bei den ungezwungenen Bewegungen ihres Geschäftes höchst empfehlend hervortraten; sei es dass die eigene Beleuchtung, welche die halbe Gestalt immer in geheimnissvollen Schatten ließ, so vorteilhaft wirkte.
Nach einigen Bissen, des so ungemein sättigenden Rahmkoches war mein Abendessen vorüber, und nun gings nach einigen Gegenvorstellungen und einleitendem Räuspern an´s Singen; wobei ich freilich nur mitbrummte; denn mir waren weder Text noch Melodie des Brombeerliedes bekannt.
Die Schwaigerin wendete sich dabei von mir ab, weil sie sonst, wie sie sagte, nicht singen könnte. Der Sang fiel überraschend gut aus; es war eine jener wehmüthigen und doch neckischen Wiesen, wie sie in den österreichischen und steierischen Bergen überall heimisch sind. Der nicht ganz unzweideutige Text zeichnete ein Mädchen, welches Sonntags Brombeeren sammelnd von einem wohlgebildeteten HJäger betreten wird, dessen Schmeichelreden sie nicht zu widerstehen mag, sodass sie das Brombeersuchen theuer bezahlen muss. Das Lied trug durchaus nicht bei, mich kälter gegen die schöne Sängerin zu machen.
Endlich musste man sich doch zur Ruhe begeben. Ich bat meine schöne Wirthin, mir meine Schlafstelle anzuweisen; sie schürte das Feuer ein, nahm einen brennenden Span und führte mich in eine Gemach hinter der Küche, das ich schon als ihre eigene Schlafkammer kannte. – Ich legte feierliche Einsprache ein gegen die Abtretung ihres Stübchens und versicherte, mich mit dem wenigen Heue des Oberbodens zu begnügen. -
Ich müsste mich doch schämen, antwortete sie, einen Herrn und zuedem noch einen so feinen und lustigen, auf den Dachboden zu schicken; überdies ist dort nur so viel Streu, als mein Bruder zur Lagerstätte braucht, und das Bett hier ist ein zweispänniges, also groß genug für uns Beide. „ Ich werde mich schon recht schmal machen, und sie müssen halt recht fromm sein“.
Ich machte unendlich grosse Augen, denn so was war mir noch nicht vorgekommen. – Doch was war da zu thun? Die Furcht mich lächerlich zu machen, überwand die vielfältigen Bedenken. Ich warf mich unausgekleidet aufs Bett; sie warf den verlöschenden Span weg und that desgleichen.
Umsonst schloss ich die Augen um den Schlaf herbei zu zwingen. Selbst das dumpfe Rollen des Donners und das Brausen des Windes, ein fernes Gewitter verkündend, verfehlten diesmal ihre erprobte einschläfernde Wirkung. Meine Fantasie zauberte mir meine liebliche Nachbarin immer reizender vor, sie verlieh ihr die vollendeten Formen des Ideales, das mir dazumal tief im Herzen lag. Da lispelte eine Stimme neben mir: Schlafen sie schon?“ Meiner nicht mehr mächtig, wendete ich mich rasch hinüber – als ein furchtbarer Blitz die ganze Stube in Flammen setzt, und ein schrecklicher Donnerstreich die Alpenhütte von unten bis oben erzittern macht. „Jesus Maria“, kreischt die Sennin auf, „es muß in die Bildlerche eingeschlagen haben“, und sie sprang auf und eilte hinaus, um mit Hilfe ihres Bruders die Rinder zu beruhigen, die wie rasend brüllend sich mit aller Anstrengung loszureissen versuchten.
Blitz folgte auf Blitz, Donnerschlag auf Donnerschlag; ein wütender Sturm riss einen Theil des steinbeschwerten Daches der Sennhütte ab, und peitschte den in Strömen fallenden Regen weit in die Schlafkammer hinein.
Ich sprang auf, tappte in die Küche hinaus, schürte instinktartig die Gluth auf und machte Feuer an.
Ich weiß nicht, wie lange ich gedankenlos in die Flammen hineinstierte.
Endlich beruhigen sich die entfesselten Elemente, der letzte Donner verhallt, der Sturm hat sich gelegt, der Regen aufgehört; ich mache die Tür auf und die kühlen Lüfte einer herrlichen Morgendämmerung wehen mir erfrischend entgegen.
Ich werde vollkommen nüchtern.
Nach einiger Zeit tritt meine schöne Sennin ein. Jetzt beim Tageslicht nicht mehr das zauberische Wesen, als welches sie mir mein erhitzte Fantasie vor einigen Stunden vorgemahlt hatte; aber die Scham hatte doch wieder einen unnennbaren Reiz über sie gegossen. – Sie wagt nicht das Auge zu mir zu erheben, noch zu sprechen.
Ich wusste dazumal schon, daß aus gewissen Gefahren nur nein Rettungsweg führt: die Flucht. Ich forderte daher den Bruder auf, mir den Weg übers Joch zu zeigen; sie erwiderte mit abgewandtem Gesichte meinen Abschieds –Händedruck und ich sah sie nie mehr wieder.
Unten im Dorfe erfuhr ich, dass die Nandel, so hieß die Heldin meines Abentheuers - eine Sennin sei, wie man keine zweite im ganzen Gebirge trifft. – Sie ist ein Kind der Alpenliebe eines geistreichen Mannes, der als feuriger Jüngling in dortiger Gegend lebte; Dank seiner Fürsorge hat sie eine bessere Erziehung genossen: sie ist die erste Kirchensängerin ihres freundlichen Dorfes, und versieht bei ihrem Dienstherrn – der zugleich Wirt ist – im Winter die Stelle als Kellnerin.
Man sagte mir auch, dass es in dieser Gegend ziemlich allgemein sei, dass die Sennerin einem achtbaren Fremden, der bei ihnen übernachten muss, die Hälfte ihres Bettes überlassen. Dies geschieht in der Regel ohne alle Nebenabsicht, soll aber öfter entscheidende Folgen haben.
Als ich vor zwei Jahren wieder in die selbe Gegend kam, erfuhr ich; dass die schöne Nandel eine stattliche Postmeisterin geworden sei, recht glücklich lebe, und auf eine zahlreiche Nachkommenschaft zu hoffen habe.
Lieber Leser aus dem Flachlande! Glaube ja nicht, dass du in diesen Bergen nur auf die nächstbeste Hochalm hinaufzusteigen brauchst, um dein Gemüt an einer schönen Sennin zu erfrischen, oder gar eine zweite Nandel anzutreffen; wisse, dass es nur eine Nandel gegeben hat, und dass die Schwaigerinnen nur zu oft Dirnen sind, welche die Eitelkeiten der Welt bereits hinter sich haben; wisse, dass dann die harte Arbeit ihren Formen die Rundung genommen, und Mangel an Umgang lähmend auf ihren Geist, so wie auf ihre Laune wirken; wisse endlich, dass die duftenden Spuren ihres Handwerkes und eine gewisse kunstlose Verwirrung in Flechten und Gewändern nicht das Geringste dazu beitragen, den Mangel der Reize, durch welche Nandel bezauberte, vergessen zu machen.
So viel dir zu Nutz und Frommen und zur Hintanhaltung jeder Gefährde.

Abschrift aus einem Nachschlagwerk der Hochschule für Bodenkultur in Wien, das aus einer aufgelassenen Handbibliothek entsorgt wurde.
 
Vielen Dank für diese Geschichte, in der so unglaublich viel drin steckt, auch wenn sie für die Wissenschaft wertlos geworden ist. Ich finde, für die Volkskunde ist sie ein Schatz!!
Ob das "Geleckschneiden" Ausdruck der Sennerin war?

Die Sprache, die detailgetreue Milieuschilderung, die sehr gut Auskunft gibt über das/die Beschriebene/n wie auch über den Autor: ein großes Glück, dass das Buch nicht ganz verschwunden ist.

Ich stell mir den Professor als so eine Art "verfeinerten" Girtler vor ;).
 
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