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Bastogne. Ein Schlachtenort des Zweiten Weltkriegs

Babel

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Bastogne (1990)


„The finest War Museum of the World” (so steht’s auf einer Ansichtskarte, die ich bloß wegen dieser Aufschrift kaufte). Ein Belgien-Prospekt beschreibt es so: „Amphitheater: Erklärungen der Schlacht in Multivision. Sammlungen: Waffen, Uniformen, Material. Kino: Eine phantastische Zusammensetzung in Totalvision die besten Filmauszüge, die während der Schlacht gedreht wurden. Zum ersten Mal auf der Welt, das Museum einer großen Schlacht, aufgestellt unter Beratung der beteiligten Generale (6 Sprachen).”

Ein Reiseführer bezeichnet das Ganze als ausgezeichnet und als didaktisch vorbildlich. Es ist natürlich die Frage, wo die Didaktik hin will. Bastogne macht echt Lust zum Kriegspielen. Was man seit der Golfkriegs-TV-Übertragungen so kritisiert, diesen sauberen technischen Krieg am Dirigentenpult und Bildschirm – das „Amphitheater” liefert es traumhaft schön.

„Amphitheater” bezeichnet die Form zutreffend, die Größe weniger. Es ist ein vertieftes Rund, um das zwei Reihen Leute sitzen können, den Durchmesser kann ich schwer schätzen, maximal zehn Meter, eher weniger. Die „Arena” zeigt die Gegend, in immer wieder passenden Partien erleuchtet, helle Schlangenlinien erscheinen (die Wege der vorrückenden Armeen), gezackte Linien (Sperren, von denen mir, trotz aller Didaktik, noch nicht klar ist, wie man sie sich vorzustellen hat – Hauptsache, die beratenden Generale wußten es); wo irgendwas hochgeht, blinken Sterne auf, wie sie auch im Comic eine Explosion bezeichnen. Es wäre das ideale Gesellschaftsspiel, wenn man zu zweit, jeder einen Bedienungsknopf in der Hand, gegeneinander Deutsche und Amerikaner spielen könnte. Ringsum schräg aufsteigende Flächen, hoch genug für Schwarzweiß-Dokumentarfotos und verschiedenfarbige Leuchtschriften, die einem den Stand der Sache mitteilen. Und über dem Ganzen die passenden Detonationsgeräusche, wie man sie aus dem Kriegsfilm kennt (nicht zu laut natürlich, sie sollen ja nicht stören). So sitzt man im weitgehend Dunkeln und verfolgt im Rund vor (und leicht unter) sich die saubere elektronische Schlacht. Die Fotos lösen nichts aus, man kennt zu viel davon. Die Schrift erscheint in verschiedenen Sprachen, zum Aussuchen.

Dann gibt es noch das „Cinema”. Dort läuft die Schlacht in einer Kombination aus Schwarz-weiß-Diavortrag und Stummfilm: Eine leicht gekrümmte breite Fläche hat außen diese hübsch nostalgisch-bräunlichen Standfotos, die zum unteren Rand hin so soft weggehen, in der Mitte laufen Wochenschauausschnitte. Auch das mit Begleittexten in sechs Sprachen, sehr sparsam betextet. Kapiert hab ich auch hier nichts. Hätte ich nicht an einer schlichten Schautafel in der Stadt etwas gelesen, ich wüßte noch immer nicht recht, was sich um Bastogne abgespielt hat – trotz didaktisch vorbildlichem Museum, einem Comic-Heft über die Schlacht und dem ersten Drittel eines Buches.

Während mich beim Betrachten der Karte im Amphitheater noch gelegentlich das Grausen packte, weil ich manche der Geräusche schon früher gehört hatte (Geräusche der Bombenflieger), so war hier gar nichts. Doch, nach einer Weile wohl, die Großaufnahmen von Gesichtern: hübsche Zwanzigjährige mit naiven Gesichtern, die da irgendwelche Gerätschaften bedienten (die Wochenschau zeigte keinen sehr unerfreulichen Krieg – die Bevölkerung durfte ja nicht beunruhigt werden) – da fiel einem plötzlich ein: Ob der es überlebt hat? Heil überlebt? Man sah auch welche bei der Gefangennahme. Da war ein Offizier mit eindrucksvollem Mienenspiel: Scham, Sorge, Verwirrung. Er hielt die Augen gesenkt und kaute auf der Unterlippe, ganz in sich versunken. Ein Deutscher, der aussah wie in unzähligen Kriegsfilmen. Und plötzlich kommt der Gedanke: Mein Gott, das ist kein Kino, da geht ein wirklicher Mensch in Gefangenschaft, ein wahrhaftiger lebendiger Mensch. Kein Kino. Ein Schock.

Dunkel ist das ganze Museum, das macht es so unwirklich. Um das Amphitheater Glasschränke voller Figuren, Schaufensterpuppen in Uniformen. Man kann hier jede Einzelheit der unzähligen Varianten von Uniformen der deutschen und amerikanischen Armee kennenlernen; nichts könnte uninteressanter sein. In Glasvitrinen an den Wänden Waffen. Solches Zeug haben wir als Kinder noch in Ruinen rumliegen sehen. Auch da hab ich weiter keinen Blick dran gewendet.

Dann zwei Dioramen: Deutsche Soldaten, amerikanische Soldaten in winterlicher Landschaft. Mit verschiedenen Fahrzeugen, von denen man technische Einzelheiten und Herstellerfirmen erfährt. Man sieht General Manteuffel mit seinem Stab als Puppen in ein bißchen Gegend aus Pappe, Draht und Leinwand herumstehen; der Mantel, erfährt man auf dem Erklärungsschild, sei der, den er bei Bastogne wirklich getragen hat.

Nochmal ein Moment des Schreckens: Ein Propagandaheftchen, von den Deutschen für die Amerikaner abgeworfen. Nichts so erschütternd wie der Propagandakrieg – ich sah ja mal in Berlin so eine Ausstellung, entsetzlich. Auch hier, in diesem Heftchen, das ganze Arsenal: „Du kämpfst – wofür?” (Es folgt die Aufzählung der verschiedenen Typen fieser Kriegsgewinnler.) „Was macht deine Frau, wenn du nicht zu Hause bist?” Und: „Weihnachten zu Hause? Das ist möglich. Stationen, wenn du krank wirst: 4./5. Dez. Rotkreuzstation, 6.-8. Dez. französisches Lazarett ...” Ja, ein bißchen Krankspielen tat es ja nicht, es mußte schon eine brutale Selbstverstümmelung sein wie in Arnold Zweigs „Erziehung vor Verdun”; das steht natürlich nicht da. Ja, da hat man dies Wunderwerk von einem Museum, aber ein vages Gefühl davon, was Krieg ist, gibt einem dann ein unscheinbares Heftchen. Und ein Wochenschau-Ausschnitt, der – und eben weil er – genau wie Kino aussieht. The finest War Museum of the World.

Unnötig zu sagen, daß man im Verkaufsraum alles an Büchern und Spielzeugmodellen kriegt, das des Kriegs- und Waffenfans Herz erfreut. Dieser Verkaufsladen, der neben Militaria auch kitschige Tierchen und Püppchen verkauft, das Zeug, das man ebenso in den Autobahnläden kriegt, ist das Tüpfelchen, das sehr logische Tüpfelchen auf dem I des gesamten Museums. Irgendwo war die Guillotine als Schlüsselanhänger im Pariser Armeemuseum „richtiger”: das bewußt Makabre. Hier war alles so normal, makaber höchstens, weil’s so normal war. Schon das Comic-Heft hatte was geradezu Erlösendes; freilich ist das auch völlig ernst gemeint: didaktisch halt.



Anmerkung:

Die belgische Kleinstadt Bastogne war im Dezember 1944 Kriegsschauplatz in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Unter Feldmarschall von Rundstedt startete die Wehrmacht im Norden Luxemburgs und im angrenzenden östlichen Belgien einen letzten Großangriff, im Verlauf dessen die amerikanischen Truppen zurückgeworfen wurden und sich nur in der umzingelten Stadt halten konnten. Die Belagerung von Bastogne dauerte vom 20. bis zum 27. Dezember 1944. Näheres dazu hier.

Auf der deutschsprachigen Website "Touristische Attraktionen und Museen in Belgien" (Admin: externer Link existiert nicht mehr) wird das Museum so beschrieben:
"Tauchen Sie in die Schlacht in den Ardennen ein, wechseln Sie die Fronten! Auf 1000m² und zwei Etagen ermöglichen umfangreiche Rekonstruktionen der verschiedenen Phasen der Schlacht in den Ardennen den Besuchern, sich auf authentische Weise in diese schreckliche Schlacht hineinzuversetzen. Deren Höhepunkt besteht in der Überschreitung einer Frontlinie im Dezember 1944. Mehrere Wandkarten der Schlacht von Bastogne wie auch Archivfilme erläutern den Besuchern den Verlauf der Schlacht."

Der Text ist veraltet, das Museum seit langem geschlossen. Im März 2014 wird ein Neubau eröffnet:
„Das Bastogne War Museum wird in ein brandneues, architektonisch gewagtes Gebäude einziehen! Der neue Museumsrundgang des Bastogne War Museum versetzt den Besucher auf moderne und interaktive Weise in den Kontext der Gründe, Ereignisse und Folgen des Zweiten Weltkriegs ... Die ursprüngliche Szenografie wird von drei "Szenovisionen" durchzogen, bei denen es sich um echte multisensorische und 3-D-Inszenierungen handelt, die ein vollkommenes Eintauchen in die Geschichte ermöglichen! Diese neue Gedenkstätte wird ebenfalls ein Lebensort sein mit Cafeteria, Sonnenterrasse, Shop, sowie zahlreichen Events und Sonderausstellungen." (Quelle (Admin: externer Link existiert nicht mehr)).
 
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