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Die Weltmaschine des Franz Gsellmann

dolasilla

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Eigentlich wollte Franz Gsellmann (geb. 1910) Elektriker werden. Doch dafür hatte die Familie kein Geld, denn damals musste für die Absolvierung einer Lehre noch Lehrgeld bezahlt werden und das konnten sich seine Eltern nicht leisten. So blieb dem Burschen nach Absolvierung der achtjährigen Volksschule keine andere Wahl, als auf dem väterlichen Bauernhof zu arbeiten und diesen schließlich nach dem Tod seines Vaters zu übernehmen. Er heiratete, seine Frau gebar eine Tochter und einen Sohn, und als dieser erwachsen wurde, kam auch eine Schwiegertochter auf den Hof. Ein Enkel kam zur Welt. Gemeinsam bewirtschaftete die Familie den Hof, zu dem damals ca. 11,5 Hektar Land gehörte. Die Arbeit am Feld, der Anbau von Getreide und der Obstbau (Äpfel); die Haltung von Hühnern, ein paar Kühen und Schweinen sowie der Verkauf von Hühnereiern sorgten für ein bescheidenes Auskommen.

Das Interesse und die Neugier für Elektrik und Technik, die Faszination für Maschinen und überhaupt alles „Utopische“ blieb. Gern wäre er auch Ingenieur geworden, um in der Raumfahrt zu arbeiten. Zum Mond fliegen wollte er aber nicht.

In all der Zeit träumte Franz Gsellmann weiter, von Technik und Elektrik, und erfüllt von dem brennenden Wunsch, eine – wie auch immer geartete – Maschine zu bauen. Er wusste nur nicht, was konkret. Ein Zeitungsbericht sollte das ändern: Als er 1958 in einer Regionalzeitung einen Artikel über die Weltausstellung las und darin eine Abbildung des Atomiums sah, fühlte sich der mittlerweile 48-jährige wie elektrifiziert. Das wollte er unbedingt sehen. So machte sich der Bauer Franz Gsellmann, der bis dahin kaum über seinen Heimatort Kaag bei Feldbach in der Oststeiermark hinausgekommen war, auf seine erste und einzige Reise. Mit dem Zug fuhr er nach Brüssel (die Bahnreise dauerte damals drei Tage), betrachtete das Atomium mehrere Stunden ausgiebig, fertigte genaue Zeichnungen an und kehrte, ohne zu übernachten, sofort wieder zurück nach Kaag. „Wie ich das Atomium gesehen habe, habe ich im Traum meine fertige Maschine gesehen“ soll er später gesagt haben. Zuhause angekommen begann er sofort mit dem Bau seiner Maschine, die vorerst in einer kleinen Kammer, der ehemaligen Stube seines verstorbenen Vaters, auf dem Hof Platz finden sollte. Beginnend mit dem Atomium, das die Grundlage für die Maschine bildete, erweiterte er Stück für Stück seine Maschine. Dafür verwendete er verschiedene alte Geräte und gebrauchte oder kaputte Bestandteile aller Art, die er bei Alteisenhändlern, auf Schrottplätzen und Fetzenmärkten suchte und billig erstand. Oft war er dafür mehrere Tage unterwegs. Mit einem Handwagen oder einer Scheibtruhe brachte er seine Schätze zu Fuß an seinen Hof. Dort zog er sich in seine Kammer zurück, die er stets verschlossen hielt und vor allen verbarg: Jahrelang wusste niemand, was er da so trieb. Nachbarn glaubten, er baue einen Flieger. Erst nach acht Jahren wagte er es, die Maschine seiner Familie zu zeigen. Die war alles andere als begeistert, denn wegen der Beschäftigung mit seiner Maschine vernachlässigte er seine Mitarbeit am Hof, am Feld und im Stall massiv: Wie die meisten Menschen in dieser Gegend war auch seine Familie nicht mit Reichtum gesegnet – zum Überleben aller wurde die Arbeitskraft jedes einzelnen dringend benötigt. Wenn er bei der Mitarbeit am Feld auf einmal ein neuen Einfall für seine Maschine hatte, ließ er von der einen Sekunde auf die andere die Sense fallen, um unverzüglich ins Haus zu seiner Maschine zu eilen, um diese Idee umzusetzen. Selten kehrte er dann wieder. Zurück am Feld blieben die verärgerten Frauen, die nun auch noch seinen Teil der Arbeit übernehmen mussten. In Archivaufnahmen des ORF kommentiert seine Frau das mit „Bei der Arbeit ist er halt abgegangen“, was von der Tochter Mathilde mit „Wir haben wirklich gelitten darunter“ bekräftigt wird.

Hier bin ich zwiespältig: Einerseits verstehe ich den Drang, einen Geistesblitz sofort umsetzen zu wollen (oder auch zu müssen, weil man sonst das Gefühl hat, verrückt zu werden). Andererseits verstehe ich auch den Unmut der anderen, die zu ihrer eigenen, ohnehin umfangreichen Arbeit, nun auch noch seine Arbeit leisten und damit für das Überleben aller am Hof lebenden Menschen sorgen mussten. Zumal die Maschine ja weder einen offensichtlichen noch verborgenen Sinn oder Nutzen hat und keineswegs immer nur aus preiswert erworbenen Gegenständen bestand. So verschlang die Maschine mitunter einen nicht unerheblichen Teil des ohnehin spärlich vorhandenen Geldes: Für eine Spielzeug-Rakete, die er in einem Grazer Spielzeuggeschäft bestellte und aus Japan geliefert wurde, bezahlte er 1000 Schilling – ein enormer Betrag in den 70er Jahren. Doch auch niedrige Beträge summieren sich und wachsen mit der Zeit zu einem immer größer werdenden Betrag heran, denn Gsellmann investierte Monat für Monat das sowieso schon knappe Geld der Familie in sein „Glump“. Rücksprache darüber hielt er mit seiner Familie nicht: „Er hat‘s Geld in die Maschin‘ g‘steckt und bei der Landwirtschaft hat‘s gfehlt“, so die Schwiegertochter Maria in Archivaufnahmen des ORF. Mir drängt sich die Frage auf, wie viele Hühnereier verkauft werden mussten, um diese große Summe aufzubringen?

Die ehemalige Stube des Vaters, in der die Maschine stand, wurde irgendwann zu klein. Die Maschine brauchte mehr Platz, ein Zubau sollte für mehr Raum sorgen. Um die Maschine durch das Haus in den neuen Anbau zu übersiedeln, musste eine Mauer durchbrochen werden. Der neu gewonnene Platz wurde auch rasch sehr knapp. Besessen von seiner Maschine, baute Gsellmann immer weiter und so wurde die Maschine immer größer und größer: Auch in dem neuen Anbau nahm die Maschine bald fast den gesamten Raum ein. Franz Gsellmann ging auch weiterhin auf Fetzenmärkte und Schrottplätze, in Trödelläden und zu Alteisenhändlern – und schaffte weitere Gegenstände herbei. Mittlerweile wurde das gesamte Haus von seinen Fundstücken besetzt, nahezu überall stapelte sich sein gesammeltes „Graffl“ und „Glump“: Am Dachboden, wo sein Sohn den geernteten Weizen lagerte, bewahrte er Lampen und Apparate einer aufgelassenen Zahnarztpraxis auf; bunt angemalte Glühbirnen hingen zum Trocknen über dem Küchenherd, noch nicht eingebaute Teile bevölkerten das Schlafzimmer. Vor allem die Ehefrau dürfte einen sehr hohen Toleranzpegel gehabt haben; der Sohn, die Tochter und die Schwiegertochter scheinen hingegen weniger nachsichtig gewesen zu sein. Ich kann es ihnen nicht verdenken.

Seine Maschine putzte er jeden Vormittag mehrere Stunden lang zärtlich, liebevoll und sorgfältig, bis ins kleinste Detail, nichts wurde ausgelassen. Das Putzen scheint für ihn ein wichtiges Ritual gewesen zu sein: Bevor er ein bestimmtes Teil reinigte, hauchte er es vorsichtig an. Alle anderen Teile verdeckte er in der Zwischenzeit mit Tüchern. Seine Leidenschaft für das Putzen beschränkte sich allerdings nur auf die Maschine und erstreckte sich nicht über das restliche Haus – dafür waren schließlich die Frauen zuständig. Die metallenen Einzelteile der Maschine wie z.B. Rohre säuberte er sorgsam und lackierte sie neu, wobei er die Farben blau, rot und grün bevorzugte – also jene Farben, in denen üblicherweise landwirtschaftliche Geräte und Maschinen gestrichen waren. Einzig das große Atomium in der Mitte, das von Ringen umfasst ist, hat eine andere Farbe: die Ringe sind gelbe Hula-Hoop-Reifen. Während seiner Beschäftigung mit der Maschine verschloss er stets den Raum, niemand sollte ihm zusehen können. Wobei eventuell vorhandene neugierige Nachbarn und die anderen Familienmitglieder dafür vermutlich kaum Zeit gehabt hätten, schließlich waren alle mit der Arbeit im Haus, am Feld und im Stall beschäftigt. Erst zur Mittagszeit tauchte er wieder auf, wahrscheinlich, weil entweder seine Frau, Tochter oder Schwiegertochter gekocht hatte und es nun Essen gab.

Das Zentrum der Maschine bildet das strombetriebene Atomium, das auf einem grün gestrichenen Leiterwagen thront. Rundherum verbaute er diverse technische Gerätschaften wie z.B. einen Haarfön, eine Trockenhaube, die Trommel einer Waschmaschine, einen Handstaubsauger, eine Schiffsschraube, eine Infrarot-Bestrahlungslampe, einen Mixer; Ventile, Zündkerzen, Ventilatoren, Wasserhähne, Schwungräder – verwoben in einem unüberschaubaren Labyrinth an Rohren, Kabeln, Spulen, Drähten und Schläuchen, mit denen alles miteinander zusammengeschraubt, verdrahtet, gelötet oder verschweißt ist. Rechts vom Atomium befestigt ein blau lackiertes Gitter (ein ausgedienter Blitzableiter) einen Teil der Installation. Aber auch Spielsachen, diverse Devotionalien und Souvenirs von Grazer Trödelläden wie z.B.: eine Madonna aus Plastik, ein gläserner Jesus, mehrere Kruzifixe, eine Nachbildung des Grazer Uhrturms, eine kleine Klapotetz, Spieluhren, eine Plastik-Rennautobahn, eine Spielzeug-Raumkapsel inklusive vier kleinen Raumfahrern; auch die besagte Spielzeug-Rakete hat hier ihren Platz. Gsellmann sammelte und verbaute bunte Lampenschirme, Motorradketten, ein Barometer und ein Metronom; Hufeisen, Glasstöpsel und Glaskugeln, Vorhangkordeln, Radkappen, Flaschenhalter, Christbaumständer, Aschenbecher, Holzperlen, Kunstblumen – nichts war vor seiner Sammelleidenschaft sicher. So manches Geschirr fand seinen Weg nie in die Küche, sondern wurde stattdessen in die Maschine integriert. Der introvertierte Tüftler, dem der Glaube sehr wichtig war, baute auch einen christlichen Sinnspruch in seine Maschine ein. Auf einer Tafel schrieb er folgenden Text: „Mit Müch und Blarg harb ich gebaut für das so kurze Leben. Gott wirt mich in der antern Welt eine schönere Arbeit geben.“ Das ließ mich aufhorchen: War denn die Arbeit an der Maschine nicht die schönste Beschäftigung, die er sich vorstellen konnte? Welche noch schönere Tätigkeit hoffte er, in der „anteren Welt“, im Reich Gottes, zu bekommen und erfüllen zu dürfen?

Überzeugt davon, dass Gott ihm eine Gabe gegeben hatte, interessierte er sich nur mehr für seine Maschine, er beschäftigte sich unentwegt damit. Die Maschine füllte sein gesamtes Leben aus und mich beschleicht die Vermutung, dass er seine Maschine möglicherweise mehr als seine Frau geliebt hat. Wer sich von Gott mit so einer großen Gnade bedacht glaubt, hat natürlich keine Zeit, sich um „niedere“ Arbeiten zu kümmern: Abgesehen von den immer wieder aufs Neue anfallenden Arbeiten wie mehrmals täglich Mahlzeiten für sechs Menschen zubereiten, das benutzte Geschirr spülen, die Tiere füttern und die Ställe ausmisten u.v.m., musste natürlich u.a. auch regelmäßig Fußböden gefegt und geschrubbt, Fenster geputzt, Betten frisch bezogen und die Leibwäsche gewaschen werden. Die Felder mussten bestellt und die Ernte eingebracht, das Getreide gelagert und auch sonst noch mussten zahlreiche weitere landwirtschaftliche Tätigkeiten zeitgerecht erledigt werden. Dazu kam die kräfteraubende Arbeit des Mähens und Heuens in den heißen Sommermonaten, damit die Kühe auch im Winter etwas zu fressen hatten. Heu und Stroh musste zu großen Ballen geschnürt, vom Feld zum Hof transportiert und dort eingelagert werden. Dem allen entzog sich Franz Gsellmann: Er beteiligte sich weder an der Hausarbeit (wohl typisch für seine Zeit), noch maßgeblich an der Landwirtschaft. Dass ihm das seine Familie vorwarf und übel nahm, überrascht nicht. Es gab oft Streit, und auch wenn seine Angehörigen mehrmals damit drohten, ihn samt seiner Maschine rauszuschmeißen und endgültig vom Hof zu jagen, taten sie es nicht. Sie versorgten ihn weiterhin.

Wäre Franz eine Franziska gewesen, hätte die Sache bestimmt ganz anders ausgesehen: Eine Frau, ebenso begabt wie er (egal ob mit oder ohne die Hilfe Gottes), hätte sich unmöglich all den Aufgaben und Pflichten entziehen können und sich höchstens nebenbei, erst nachdem all ihre Arbeit im Haus, im Stall und am Feld erledigt war, der Ausübung ihrer Kunst, der Pflege ihrer Begabung, widmen können. Jedoch gewiss niemals in dem selbem Ausmaß, wie Franz Gsellmann das konnte, der 23 Jahre lang praktisch den ganzen Tag an seiner Maschine „herummurkste“ (so bezeichnete es seine Frau). Als Mann konnte er ungehemmt einer mit Leidenschaft und Begeisterung erfüllenden Beschäftigung nachgehen (die nicht nur kein Geld abwarf, sondern sogar noch Geld kostete) und sich dabei all seiner Verpflichtungen entledigen bzw. diese einfach ganz salopp und ungeniert anderen aufhalsen. Ob er sich dieses großen Privilegs, das er lediglich aufgrund seines Geschlechts besaß, bewusst war?

Sämtliche „große“ Geister der Geschichte hatten meist eine Frau (oder sogar mehrere), die im Hintergrund, praktisch unsichtbar, dabei stets unbezahlt und meist auch unbedankt, wie selbstverständlich, die umfangreiche, durchwegs lästige und auch aufreibende Reproduktionsarbeit leistete und damit dem großen Künstler den Rücken frei hielt. Emerenz Meier (1874-1928), die brillante Dichterin aus dem Bayerischen Wald, beschrieb diesen Umstand sehr treffend in einem ihrer Gedichte:

Hätte Goethe Suppen schmalzen,
Klöße salzen,
Schiller Pfannen waschen müssen,
Heine näh‘n, was er verrissen,
Stuben scheuern, Wanzen morden,
Ach die Herren,
Alle wären
Keine großen Dichter worden.“


Zurück zur Maschine: Auf den ersten Blick wirkt alles wie ein wildes Sammelsurium an scheinbar wahllos miteinander verbundenen Gegenständen – dennoch hat alles seinen Platz und erfüllt eine bestimmte Aufgabe: Zahnräder und Keilriemen treiben die Maschine an, eine Pressluftflasche sorgt für den Antrieb der windgetriebenen Teile: 64 Vogelpfeifen, 14 Glocken und andere Klangkörper (z.B. die kleine Klapotetz) sorgen bei Inbetriebnahme für laute Geräusche und unterschiedliche Klangfarben. Es summt und surrt, klappert und rattert, pfeift und dröhnt, während das Atomium sich rasant zu drehen beginnt. 18 rotierende Ventilatoren sowie ein blasender Haarfön sorgen für weitere Bewegung, Scheinwerfer und unzählige bunte Glühbirnen leuchten, die Plastikmadonna erstrahlt; überall funkelt, leuchtet, blitzt und blinkt es in verschiedenen Farben. Ein faszinierendes Schauspiel und beeindruckendes Feuerwerk an Impressionen, man weiß gar nicht, wohin man als erstes blicken soll, es ist eine wirklich einzigartige Erfahrung. Insgesamt besteht die Maschine aus ungefähr 2000 verschiedenen Bestandteilen, die durch 25 Elektromotoren betrieben werden. Unmöglich, das alles in nur ein oder zwei Stunden erfassen zu können. Man kann nur schauen und staunen.

Es heißt, dass Franz Gsellmann daran glaubte, dass seine Maschine irgendwann irgendetwas produzieren würde, und zwar mehr als nur Licht und Geräusche. Vor allem glaubte er an ein Eigenleben seiner Maschine, ein wichtiger Aspekt, den Christine Nöstlinger in ihr Drehbuch für den Spielfilm „Die Weltmaschine“ aufnahm. Die österreichische Schriftstellerin besuchte Franz Gsellmann und seine Maschine. Fasziniert und inspiriert schrieb sie das Drehbuch für den Spielfilm, der 1981 im ORF gesendet wurde. Ich habe diesen Film damals als elfjähriges Mädchen gesehen und war tief beeindruckt. Dennoch habe ich viele Jahre nicht mehr an die Weltmaschine gedacht, bis mich vor einigen Monaten eine kurze Dokumentation in der Sendereihe „Ikonen Österreichs“ (ORF, 2021) wieder daran erinnerte. Ich beschloss, diese wunderliche und in jeder Hinsicht erstaunliche Maschine mit eigenen Augen zu sehen (und zu hören): Ein Kurzurlaub in die Steiermark war überfällig.

Imponiert war ich dabei nicht nur von der Maschine an sich, sondern auch vom so genannten „Räuberstecker“, auf den die Museumsführerin mit einem verschmitzten Lächeln explizit hinwies. Der „Räuberstecker“ ist eine Steckdose an der Wand, auf die eine Mehrfachsteckdose angebracht ist, wobei im unteren und oberen Verteiler weitere Stecker angebracht sind. In der Mitte der ersten Mehrfachsteckdose ist eine weitere Mehrfachsteckdose, wo wiederum weitere Stecker mit Stromleitungen abgehen. So sind im Huckepacksystem mehrere Stromverteiler turmartig aufeinander aufgesteckt. Man möge mir eventuell fachlich unkorrekte Bezeichnungen verzeihen, ich bin keine Elektrikerin.

Damals wurde noch nicht der Stromverbrauch an sich gemessen, sondern den Verbrauchern allein die Anzahl der vorhandenen Steckdosen verrechnet. Das ist wahrscheinlich der Grund für die Entstehung des „Räubersteckers“. Als Gsellmann die Maschine zum ersten Mal in Betrieb nahm, wurde ein Kurzschluss ausgelöst und der Strom fiel in der gesamten Gemeinde aus: Das Stromnetz war heillos überlastet. Dadurch erfuhren nun endlich auch die Einheimischen von der Existenz der Maschine, elf Jahre, nachdem er mit dem Bau daran begonnen hatte. Leider blieb es nicht bei dem einmaligen „Blackout“. Die ständigen Stromausfälle, von denen seine Umgebung betroffen war, machten Gsellmann bei den Nachbarn im Dorf nicht gerade beliebt. Doch konnte er auch durchaus hilfsbereit sein: Wenn Nachbarinnen mit ihren löchrig gewordenen Kochtöpfen zu ihm kamen, lötete er diese zu, so dass sie wieder dicht waren. Geld verlangte er dafür keines.

Gsellmann bastelte insgesamt dreiundzwanzig Jahre an seiner Maschine und beendete sein Werk kurz vor seinem Tod im Jahr 1981. Die letzten Wochen seines Lebens war er sehr krank und auch bettlägrig, das Sprechen fiel ihm schwer. Er wurde von seinen Angehörigen gepflegt und seine Frau lag bis zum Schluss neben ihm im Bett. Auch wenn seine Schwiegertochter damit drohte, die Maschine nach seinem Tod zu verkaufen, hatte er doch die Gewissheit und vermutlich auch die Genugtuung, dass seine Maschine nun fertig war.

Nach dem Tod Gsellmanns gab es vorerst niemand, der die Maschine warten oder auch reparieren konnte. Zu speziell waren die dafür erforderlichen Fertigkeiten, auch gab es keinen Bauplan. Die Weltmaschine verfiel zunehmend und war nur mehr teilweise funktionstüchtig. Ihr weiteres Schicksal war daher mehr als ungewiss. Um 1993 fand sich das Unternehmen VA Zeltweg Montage bereit und fähig, die in die Jahre gekommene Maschine wiederherzustellen und auch zu warten. Der Enkel Franz Josef Gsellmann und überraschenderweise auch die Schwiegertochter Maria gewährleisteten den Weiterbetrieb, die Landesregierung bezahlte für zehn Jahre den Stromverbrauch. Als sich die gelben Hula-Hoop-Reifen des Atomiums in ihre Bestandteile auflösten und zwischenzeitlich auch andere Bestandteile verschlissen waren, musste die Maschine erneut repariert werden und konnte nach mehrmonatiger Restaurierung im Oktober 2003 wieder in Betrieb genommen werden. Mittlerweile konnte der Enkel die Energie Steiermark als Sponsor gewinnen, so gilt das jahrzehntelange Problem der hohen Stromrechnungen, die die gesamte Familie belastete, als gelöst.

Unterdessen hat sich der Enkelsohn des Erbauers in die komplexe Struktur und Funktion der Maschine eingearbeitet und kann nun gemeinsam mit Hilfe zweier Elektriker dieses weltweit einzigartige Kunstwerk reparieren, warten und kaputte Einzelteile ersetzen. Die Suche nach Ersatzteilen für defekte Objekte gestaltet sich mitunter schwierig und auch langwierig, so konnte z.B. ein Ersatz für die Spielzeug-Raumkapsel erst nach jahrelanger Suche gefunden werden, die nun vom Museum des weltraumbegeisterten Geschäftsmanns und Raumfahrts-Experten Tassilo Römisch zur Verfügung gestellt wurde. Auch ein intakter, baugleicher Ersatz für die legendäre, einst 1000 Schilling teure, mittlerweile kaputte Spielzeug-Rakete konnte bei einem Altwarenhändler in den USA aufgetrieben werden.

Zu bewundern ist dieses erstaunliche Unikat im Privatmuseum der Nachfahren des Erbauers im Rahmen einer Führung, wobei die ca. sechs Meter lange, drei Meter hohe und zwei Meter breite, heute denkmalgeschützte, Maschine auch in Betrieb genommen wird. Zu sehen ist dort auch die schlichte Werkbank, auf der Franz Gsellmann mit seinen einfachen Werkzeugen feilte, sägte, bohrte und die zu verbauenden Einzelteile der Maschine dabei sorgfältig und geduldig bearbeitete. Obwohl er eine elektrische Bohrmaschine besaß, benutzte er stattdessen einen Handbohrer, denn die Bohrmaschine wollte er in der Maschine einbauen. Aufgefallen ist mir diese dort zwar nicht, aber bei der Vielzahl an Objekten, aus denen die Maschine besteht, muss das nichts bedeuten. Er selbst hat seine Maschine übrigens nie „Weltmaschine“ genannt, diesen Namen verpasste ihr der damalige Kärntner Landeshauptmann bei einer Besichtigung. Nichtsdestotrotz pendelt – eingebettet in die ausrangierte Waschtrommel, welche oberhalb der Maschine hängt – ein viereckiges Schild mit einem Pentagramm und der Beschriftung „Gsellmann‘s Weltmaschine“. Er scheint also durchaus stolz auf diese Benennung gewesen zu sein.

Im Privatmuseum ausgestellte Fotos aus Franz Gsellmanns Leben machen seine Persönlichkeit, die Umgebung und die Atmosphäre, in der er lebte und werkelte, gut spürbar: Das Hochzeitsfoto mit seiner Ehefrau, eine einsam am Feld arbeitende Frau, die Begegnung mit Christine Nöstlinger, u.a. Ein Foto zeigt ihn, wie er ganz oben auf der ca. drei Meter hohen Maschine balanciert und gerade ein neues Teil verbaut. Unten steht seine Frau, die entsetzt die Hände über ihrem Kopf zusammenschlägt.

2009 erschien am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz eine umfangreiche Dissertation von Dorothea Melanie Moick mit dem Titel: „Gsellmanns Weltmaschine. Volkskunst der anderen Art im bäuerlichen Milieu der Oststeiermark“. Die Autorin hatte Franz Gsellmann als 15-jährige noch persönlich kennengelernt. Die wissenschaftliche Arbeit kann vor Ort im Museum eingesehen werden.

Wer sich eingehender mit Franz Gsellmann und der Weltmaschine beschäftigen will, mag diese knapp 600 Seiten starke Dissertation darüber lesen, die sowohl in der Universität Graz und auch in der österreichischen Nationalbibliothek in Wien verfügbar ist. Die umfangreiche Arbeit behandelt u.a. seine Kindheit mit den Geschwistern und Eltern, sein Leben als Jugendlicher und junger Erwachsener, seine Beziehung zu seiner Frau Mathilde und deren gemeinsame Kinder Franz Josef und Mathilde sowie deren Familien, die schwierige Beziehung zu seiner Schwiegertochter Maria und die schöne zu seinem Enkel Franz Josef (dem heutigen Besitzer der Weltmaschine); das Leben der Familie im Zweiten Weltkrieg und danach; seine persönliche Frömmigkeit, über das Leben im Haus, am Hof und die Landwirtschaft der Familie; über Speis und Trank im Hause Gsellmann; über die Zeit, als die Weltmaschine in der Öffentlichkeit bekannt wurde, über die Bedeutung der Weltmaschine für die Gemeinde und noch vieles mehr. Die Bereiche Kunst, Volkskunst, Kitsch und "gesunkenes Kulturgut" und natürlich auch Franz Gsellmann selbst als kreativer Mensch werden in einem eigenen Kapitel thematisiert.

Wieder zuhause angelangt und nachdenklich geworden, habe ich den Spielfilm, für den Christine Nöstlinger einst das Drehbuch schrieb, erneut angesehen. Ich war genauso beeindruckt wie damals vor 42 Jahren, als ich ihn zum ersten Mal sah.

Das Privatmuseum (Adresse: Kaag 12, 8332 Edelsbach) ist ganzjährig immer von Mittwoch bis Sonntag von 10-17 h geöffnet, Montag und Dienstag sind Ruhetage. Ein Besuch ist wirklich sehr lohnenswert, Fotografieren ist ausdrücklich erlaubt und wird auch gern gesehen. Der Eintritt kostet 5 Euro.
 
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Liebe Dolasilla, mit Vergnügen las ich deinen Bericht über Herrn Gsellmann und seine wundersame Maschine .
Auch ohne Bilder sehe ich diese fast vor mir, so anschaulich hast du sie beschrieben. Viele Grüße an dich von Ulrike
 
Vielen Dank für Deine sehr beeindruckende Schilderung!
Mich "verfolgt" Gsellmann's Weltmaschine auch schon seit einigen Jahrzehnten, habe es bisher leider noch nicht dorthin geschafft.

Es dürfte sich nach meiner persönlichen Einschätzung bei Franz Gsellmann um eine ganz bestimmte psychische Konstellation handeln, die doch manchmal auftritt. Ich weiß nicht, ob es dafür in der Psychologie einen Namen gibt?
Jedenfalls gibt es doch einige sehr bekannte weitere Werke an allen Teilen der Welt, wie etwa der Kirchenbaumeister Justo Gallego Martínez in Spanien, der an einer größeren Kirche baute oder die Watts Towers von Sabato "Simon" Rodia in Los Angeles und viele weitere Beispiele.
Ich habe einmal einen Erbauer eines Tempels kurz kennen gelernt, dieser hat den Apollontempel in den Tiroler Bergen erbaut.
Besonders in der Elektronik und im elektronischen Bereich gibt es eine Menge Leute, die oft jahrelang solche Maschinen bauen, ich muss in meinem Fotoarchiv noch schauen, ich habe irgendwo auch solche Maschinen fotografiert.
Viele dieser Werke begegnen uns auch in der Kunst, dort sind sie weniger auffällig.

Es wäre fein, wenn Du Deinen Artikel noch etwas illustrieren könntest.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Es dürfte sich nach meiner persönlichen Einschätzung bei Franz Gsellmann um eine ganz bestimmte psychische Konstellation handeln, die doch manchmal auftritt. Ich weiß nicht, ob es dafür in der Psychologie einen Namen gibt?
Der Begriff, den du suchst, stammt aus der Soziologie und Politikwissenschaft und nennt sich „Patriarchat“, ein gesellschaftlich weit verbreitetes Problem. Kommt öfter vor, als man denkt.

Jedenfalls gibt es doch einige sehr bekannte weitere Werke an allen Teilen der Welt, wie etwa der Kirchenbaumeister Justo Gallego Martínez in Spanien, der an einer größeren Kirche baute oder die Watts Towers von Sabato "Simon" Rodia in Los Angeles und viele weitere Beispiele.

Über die Kirche von Justo Gallego Martínez in Spanien hab ich mal eine Doku gefunden, sehe aber (ebenso wie bei den Watts Towers) zu Gsellmanns Weltmaschine keine Parallele, außer, dass alle aus gebrauchten Gegenständen (Schrott, Müll...) gebaut sind. Weder die Kirche noch die Türme bewegen sich, noch erzeugen sie meines Wissens Licht und Geräusche; auch sind sie keine Maschinen. Ich persönlich steh halt mehr auf kinetische Kunst, das ist es auch, was mir an Gsellmanns Weltmaschine so gut gefällt.

Besonders in der Elektronik und im elektronischen Bereich gibt es eine Menge Leute, die oft jahrelang solche Maschinen bauen
Vermutlich kennst du die „Chügelibahn“ von Paul Rüdisühli, er hat ca. 18 Jahre daran gebaut, heuer soll sie nun endlich fertig werden und er möchte sie verkaufen. Und dann gleich mit der nächsten beginnen, die dann begehbar sein soll.

Falls nicht bekannt: Die Chügelibahn ist in der Doku „Gernstl unterwegs - Von Zürich zum Brienzer See, Folge 2“ zu sehen (ARD-Mediathek) zu sehen.

Es wäre fein, wenn Du Deinen Artikel noch etwas illustrieren könntest.

Dafür reichen meine Zeichenkünste leider nicht aus.

Gruß,
Dolasilla
 
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