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Wechselvolle Geschichte: Die Wallfahrt im Spindeltal

Babel

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Der Autofahrer auf der Landstraße zwischen Tagmersheim (Bayerisch Schwaben) und Wellheim (Oberbayern) sieht seitwärts in der Wiese ein längst verlassenes Gehöft liegen. Nur wer von ihr weiß, erkennt die wiedererstandene Wallfahrtskirche. Nicht einmal, sondern schon zweimal ist sie aus Trümmern wiedererstanden.

Im 15. Jahrhundert gab es – wie lange schon? – im einsamen Spindeltal ein bescheidenes Marienwallfahrtskapellchen. An seiner Stelle ließ ein gewisser Graf Conrad von Helfenstein der Muttergottes eine "würdige" Kirche errichten, und damit blühte die Wallfahrt bedeutend auf.

Dann kam die Reformation. Der Landesherr kassierte, was sich an Geld und Kostbarkeiten in der Kirche angesammelt hatte und ließ den Bau zerstören, damit das "abergläubische Geläuf", wie Protestanten die katholischen Wallfahrten nannten, aufhörte.

1727 erlitt ein adliger Herr, Finanzverwalter des Landesherrn, nahe der Spindeltal-Ruine einen Unfall: Bei einem schweren Sturz vom Pferd blieb er unverletzt. Als er nach Hause kam, berichtete ihm seine Frau, sie sei zur selben Zeit vom Hufschlag eines Pferdes im Gesicht getroffen worden – auch das ohne üble Folgen. Das konnte nur ein Wunder, ein Zeichen sein! Er gelobte, die Spindeltalkirche wieder aufzubauen und stiftete ein Marienbild, zu dem alsbald wieder gewallfahrtet wurde.

Der Opferstock füllte sich. Da besannen sich zwei Bischöfe darauf, daß die einsam stehende Kirche zu ihrer Diözese gehöre, die Einnahmen aus der Wallfahrt also ihnen zustünden. 1783, nach jahrelangem Streit, in dem offensichtlich keine Entscheidung möglich war, einigten sich die Bischöfe von Augsburg und Eichstätt darauf, die Kirche auszuräumen und verfallen zu lassen.

1931 betätigte sich ein arbeitsloser Zimmermann als Schatzgräber unter der Ruine und fand tatsächlich etwas: Eine steinerne Marienfigur mit Resten der ursprünglichen Bemalung. Wahrscheinlich war die sehr schöne gotische Statue (um 1340) in der Reformationszeit vergraben worden, um sie vor dem Zugriff des protestantischen Landesherrn zu retten. Jahrhunderte früher wäre um die Auffindung der Statue eine phantasievolle Legende entstanden, aber die Zeit der Wunder war vorbei. Die Madonna wurde in der Kirche des nächstgelegenen Dorfes aufgestellt; jeder wußte, woher sie kam, und die Spindeltal-Ruine war ins allgemeine Bewußtsein zurückgekehrt.

Ein aus diesem Dorf stammender Theologieprofessor ließ in den 60er Jahren die Mauerreste der Ruine festigen und das Innere von Bäumen und Gestrüpp säubern. Ab 1983 stellten Bewohner der Umgebung ein großes Holzkreuz in der Ruine auf; sie ebneten den Boden der Ruine ein, fertigten einen Altar an, brachten ein neues Marienbild. 1996 wurde die Ruine mit einer Betonhaut, einem neuen Dach und gewöhnlichen Glasfenstern wieder geschlossen, und sie bekam einen stählernen Glockenturm. Im Inneren wurde ein schöner Plattenfußboden verlegt, und auch eine Kopie der gotischen Madonna wurde aufgestellt. Das Gebäude ist bis heute nicht im Besitz der Kirche, sondern des 1991 gegründeten Vereins "Freunde der Spindeltalkirche e.V.".

Die "Ruinenkirche" wird rege besucht. An jedem 1. Sonntag des Monats gibt es Andachten in der Kirche, und mittlerweile enthält sie alles, was zu einer Wallfahrtsstätte gehört: Bänke, Blumen, Fahnen, Kerzen (es gibt auch welche mit dem Bild der Spindeltal-Madonna), Ex-Votos ...
 

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Eine faszinierende Geschichte!!
Und nachdem jetzt die Besitzverhältnisse geklärt sind, fließen auch die Spenden dort hin, wo sie hin gehören und die Kirche darf sich weiter entfalten.
 
Eine faszinierende Geschichte!!
Und nachdem jetzt die Besitzverhältnisse geklärt sind, fließen auch die Spenden dort hin, wo sie hin gehören und die Kirche darf sich weiter entfalten.
Nur daß es heute keine Spenden mehr gibt, abgesehen von Kerzen, Rosenkränzen etc., die sowieso in die Kirche kommen. Ich kann mir aber doch vorstellen, daß gerade das provisorische Äußere dieser Kirche die Besucher eher dazu animiert, auch etwas in den Opferstock zu legen, als einer der goldglänzenden Prachtbauten, bei dem sich jeder sagt: Naja, man sieht, die Kirche hat's ja! :D

Der Verein hat die Ruine 1991 per Erbbauvertrag*) auf 99 Jahre erworben.
*) D. h., daß sie nicht das Grundstück kaufen mußten.
 
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