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Kindheit in der Großfamilie

Elfie

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Heute wollte ich von meiner Freundin Marianne wissen, wie das bei ihr zu Haus war mit dem Christbaum bis Lichtmess.
Es folgten Erzählungen aus ihrer Kindheit in einer bäuerlichen Großfamilie im Mostviertel Anfang der 1960er Jahre mit einigen interessanten Details.

Die Familie bestand aus Großeltern, Eltern und 6 Kindern. Die Küche war der zentrale Wohnraum, in dem oft alle zehn Personen beisammen waren. Im Winter stand die Großmutter um 5h auf, heizte den Küchenherd ein und hing die Kleider der Kinder über die Stange darüber, um sie anzuwärmen. Die schulpflichtigen Kinder stellten sich nicht nur bei den Kleidern an, sondern auch beim Spiegel, die Haarbürste wurde weitergereicht.
Waren alle marschbereit, ging es ans Anstellen beim Herrgottswinkel, wo jeder sein Morgengebet sprach. Mittlerweile waren auch die Kinder aus der Nachbarschaft, deren Weg an Mariannes Elternhaus vorbei führte, eingetroffen und hereingekommen, um nicht in der Kälte zu warten. Auch sie stellten sich zum Morgengebet an, ehe die Schar Richtung Schule davonzog.
Wenn die Kinder nach der Schule ausgefroren heimkamen, saßen sie am liebsten auf der großen Holztruhe neben dem Herd.

Die Stube wurde nicht geheizt, nur an bestimmten Tagen, wie Weihnachten oder wenn Besuch kam, der hätte in der Küche keinen Platz mehr gefunden. Auf diese Weise hielt auch der Christbaum bis 2. Februar.

Ein wichtiger Raum war auch die Milchküche.
Dort stand ein gemauerter Wasserkessel, den man ebenfalls heizen mußte. Er lieferte das heiße Wasser zum Waschen von Milchkannen, Wäsche und Menschen.
Die Kannen wurden täglich gewaschen und dann auf die Holzstangen gestülpt. Auch die Milch wurde dort abgefüllt, vom Melkeimer durch den Leinenfilter in die Kannen.
Bade- und Waschtag war samstags. Dann wurde die Blechwanne aufgestellt und das Badewasser bereitet. Erst die Kinder, dann die Erwachsenen. War der Zehnte durch, war auch das Wasser schon eine richtige Seifenlauge. Da hinein kam die Weißwäsche zum Vorwaschen. Einweichen – hieß das. Wenn sie danach in den Waschtrog samt Rumpel übersiedelte, wurde die „blaue“ also Buntwäsche eingeweicht.
Der Kreislauf endete am Brunnen, wo alles geschwemmt wurde.
Jetzt konnte der Sonntag kommen.

Leute, die in Wohnungen wohnten, also keine Milchküche oder ähnliches hatten, wanderten am Samstag mit entsprechender Ausrüstung zum Baden in die Molkerei. Dort war ein Bad eingerichtet, das die Bevölkerung um wenig Geld benutzen konnte.

Das Telefon – schwarz mit Wählscheibe – war ein Luxus. Es wurde auf ein gehäkeltes Deckerl gestellt und zugedeckt, Staub würde es kaputt machen. Die Kinder lernten in der Schule „Wie telefoniere ich richtig“.
„Grüß Gott, hier spricht … darf ich etwas ausrichten? Danke für ihren Anruf, auf Wiederhören.“
Später erhielt der Fernseher auch einen Winkel, dem Herrgottswinkel gegenüber…
 
vielen dank fürs erzählen.
heimelig und familiär und gläubig.
eine gute mischung.
und trotzdem gab es früher genauo schlimme geschichten wie sie es heute noch gibt, auch auf den abgelegendsten bauernhöfen...
dabei denkt man, es würde eine familie automatisch sehr fest zusammenschweissen, wenn sie so ihren alltag lebt...
 
Auch ich bin in einem Haus mit vielen Familienmitgliedern aufgewachsen.
Heute bewohnen die Räume nur noch 3 Personen, in meiner Kindheit:
Uroma, Großeltern, Tante u. Onkel mit 3 Kindern, Tante (geschieden) mit 1 Sohn,
mein Vater mit mir (meine Mutter verstorben). Ein Zimmer war manchmal noch untervermietet. Es gab immerhin 2 Toiletten im Haus, Kohleöfen und
altmodischer Herd, nur kaltes Wasser, eine Waschküche (oje, wenn "große"
Wäsche war: viel Arbeit für die Frauen). Dann wurde gemeinsam gegessen,
meist ein großer Topf Erbsensuppe o.a. Ich empfand meine Kindheit als
paradiesisch, viel draußen im Garten und Umfeld recht ländlich. Traf vor
kurzem jemanden, der mich als Kind kannte: Du bist ja das Mädchen, das
auf der Straße in den Pfützen spielte. Gab es was Schöneres, als dort
Schiffchen schwimmen zu lassen? Der große Garten gab viel her an
Gemüse, Obst u.a. Außerdem hatten wir viele Hühner! Die Nachbarn hatten
Kaninchen. Man brachte Kartoffelschalen dorthin und die Kinder gingen
Löwenzahnstechen (Futter holen). Man hatte schon einige Pflichten, machte
aber eigentlich Spaß. Auf einem Bauernhof müssen Kinder sicherlich mehr
mithelfen!- Ulrike (Forts. folgt)
 
... und trotzdem gab es früher genauo schlimme geschichten wie sie es heute noch gibt, auch auf den abgelegendsten bauernhöfen...
dabei denkt man, es würde eine familie automatisch sehr fest zusammenschweissen, wenn sie so ihren alltag lebt...
Da hast Du den Nagel auf den Kopf getroffen! Aus den Erzählungen einer mir sehr nahestehenden Person weiß ich, dass
... sie barfuß, mit um den Hals gebundenen Schuhen in die Schule gehen musste, um sie zu schonen.
... sie auf Strohsäcken schlafen mussten - Es war immer ein Fest, wenn die Säcke frisch gefüllt waren.
... sie nach der Erdäpfelernte der Herrschaft auf den Acker "nachklauben" gehen mussten.
... sie manche Begebenheiten und Erlebnisse im Dorf hier gar nicht erzählen kann.

Sie hatte 18 (in Worten: achtzehn) Geschwister.
 
Meine Oma hatte auch 13 Geschwister. Und die Geschichten die ich meine sind ziemlich tragisch. Zum beispiel, dass eine 12- Jährige (in dem Fall meine Oma) ihre an Gebärmutterkrebs leidende Mutter pflegen und dazu die 13 Geschwister großziehen musste, als die Mutter schließlich starb. Oder daß der Vater ständig betrunken war und sie mit Ledergürteln schlug, die Kinder so eine Angst vor ihm hatten, dass sie sich versteckten wenn er nach hause kam. Daß er einmal sie und ihre Mutter erschießen wollte mit seinem gewehr (er war Jäger).... Oder daß die Mutter offene Wunden hatten die eiterten und meine Oma das heute noch als ihr furchtbarstes Erlebnis sieht, dass die Mutter praktisch vor ihren Augen lebendig verfault ist weil kein Arzt in der Nähe war, sie lebten sehr abgelegen.
Oder daß die kleinen Geschwister zu den Bauern betteln gehen mussten, damit sie was zu essen hatten. usw...

Das sind die alten geschichten die meine Oma erzählt. Im Vergleich dazu die NEUEN Geschichten: Zwei schizzophrene Brüder leben mit der pflegebedürftigen Mutter auf einem abgelegenen Bauernhof. Ein Arzt besucht sie, erlebt, wie die zwei Brüder sich gegenseitig mit einem Messer im Streit das Gesicht zerschneiden.
Er meldet es NICHT sondern empfiehlt den Pflegerinnen die sort hin müssen, dass sie aufpassen sollen wenn sie hinfahren müssen. Es wird beraten, wer hinfährt und es melden sich tatsächlich freiwillige.

Wo anders lebt der Sohn in Deutschland, der Vater alleine auf einem Hof, Pflegerinnen kümmern sich zwar regelmässig, der alte Herr ist aber im Kopf noch sowiet klar, dass er keine Hilfe zulassen will. Er wäscht sich zum Beispiel nicht und lässt sich auch nicht waschen.

Naja, es gibt viele solche Geschichten...
 
Liebe Sonja, das sind ja wirklich tragische Frauenschicksale! Manches ist
kaum vorstellbar.-
Liebe Elfie, zu deiner katholischen Familiengeschichte möchte ich etwas von
meiner evangelischen Familie erzählen: Morgengebet vor dem Schulgang -
ich ging auf eine ev. Volksschule. Dort wurde auch vor dem Heimweg
gebetet, z.B. Führe mich o Herr und leite meinen Gang nach deinem Wort-
sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort ...
Auch vor den Mahlzeiten wurde ein Tischgebet gesprochen, ebenso abends
vor dem Schlafengehen. Warum wurde dies mit den Jahren immer weniger
gehalten? Ich stelle diese Frage mal hier in den Raum! Von klein an gingen
die Kinder sonntags in den sog. Kindergottesdienst, dort gab es so kleine
Bildchen für 3 mal hintereinander anwesend (Schutzengelchen u.a.). Meine
Uroma gehörte der Landeskirchlichen Gemeinschaft an (nicht zu verwechseln
mit der Freien Ev. Gemeinde), sie ging jeden Sonntagnachmittag dort hin.
- Ich hatte schon erwähnt, daß ich einige Jahre mit meinem Vater alleine
lebte. Er wurde vom Jugendamt "kontrolliert", schlimm war es, als meine Oma
krank war. Ständig wurde "gedroht": wenn Sie nicht wieder heiraten und
spätestens wenn das Mädchen in die Schule kommt, dann muß sie in ein
Heim . Großes Glück, daß ich eine liebe Stiefmutter bekam (Krankenschwester), ich nannte sie gleich Mama! Bei der Trauung trug
ich ganz stolz ihren Schleier. Eine kleine Schwester machte unsere Familie
dann komplett. - Meine Uroma lehrte mich viel und las manchmal abends
( auch aus Grimms Märchenbuch) vor. - Sie sagte z.B.: Du kannst beten und frei zu
Gott sprechen, wie es dir ums Herz ist. Also nicht nur auswendig gelernte
Texte. Dies hat mich geprägt. Von ihr wurde ich auch als Kind "für voll"
genommen, sie beantwortete alle Fragen usw. Dies war durchaus nicht
üblich zu der Zeit! Deshalb finde ich auch schön, wenn mehrere Generationen
zusammen leben. Dies gibt es wohl nicht mehr so häufig. Es wäre viel zu
berichten-auch von Konflikten-aber ich will es hiermit erstmal belassen!
Viele Grüße von Ulrike
 
Liebe Ulrike, da warst du ja trotzdem du deine Mutter verloren hattest noch ein Glückspilz mit deiner neuen (in dem Fall mag man gar nicht Stief- sagen) Mutter. Der Druck von Jugendamt war sicher nicht grad gut, vor allem ist es auf diese Weise vermutlich zu vielen wenig glücklichen Verbindungen gekommen - für Kinder und Vater.
Eine religiöse "Grundausstattung" ist sicher sehr wichtig. Deine kluge Uroma hat es auch richtig gesagt: man kann mit Gott reden, was ja beten heißt, aber ich glaube, das ist auch ein Grund: viele mögen nicht mehr irgendwas Vorgeschriebes hersagen. Wenn einem eine gewisse Geborgenheit als selbstverständliches Gefühl begleitet, fällt einem immer wieder was ein, oder? Jesus hat ja nicht umsonst vom "lebendigem Wort" gesprochen. Ich bedanke mich zum Beispiel, wenn ich einen guten Parkplatz in der Gasse finde, in der Stadt wirklich ein Geschenk :).

Was frühere schlimme Zustände betrifft: vieles an Härte von Menschen und Situationen ist vermutlich aus bitterster Armut entstanden und dass heute das Umfeld sensibler auf Beobachtungen reagiert oder gesetzlich dazu verpflichtet ist, ist wirklich ein Segen.
Bewundernswert auch, wie manche Kinder mit solchen Belastungen und Erinnerungen ihr eigenes Leben meisterten.

„Familie“ (be)traf aber nicht nur Kinder:
Ich weiß von einem Bauern, der seine Mutter über die Kellerstiege stieß und sie blieb mit blutenden Krampfadern liegen. Ihr Enkel trug sie hinauf und sie erzählte selber, er habe ihr das Leben gerettet.
Als dieser später statt einer Bauerstochter mit Erbe eine junge Witwe mit Kleinkind heiraten wollte, warf ihn der Vater aus dem Haus und versuchte noch mit allen Mitteln (Verhinderung eines Arbeitsplatzes…), ihm zu schaden. Auch die Mutter hatte den Hass übernommen, sie spuckte aus, wenn sie die Schwiegertochter auf der Straße sah.
Als die Großmutter im Sterben lag, ließ sie durch den Pfarrer ausrichten, sie wolle den Enkel noch einmal sehen. Ja – aber ohne Frau. Die Großmutter verzichtete: „sie gehören zusammen“.
Jahre später gab es eine Annäherung, dann erkrankte die Mutter an Krebs. Sterbend bat sie im Spital die Schwiegertochter, sie solle sie nach Hause bringen.
Dem Vater war es egal: „Weibersache“. Die Tochter meinte, für so was habe sie keine Zeit, sich zu kümmern. Sie würde das übernehmen, sagte die Schwiegertochter. Darauf ihre Schwägerin : „Wenn du dich auf diese Weise hier als Bäuerin einschleichen willst, dann verfluche ich dir das Vieh, dass dir alles hin wird“
Ich (14) war dabei und mir standen die Haare zu Berge.
Geschehen Mitte der 1960er Jahre.
 
Liebe Elfie, solche Geschichten "vom Lande" mag man/ich ja kaum glauben!-
Ich wuchs übrigens in einer Kleinstadt auf. - Nun gab es auch viele ältere
Menschen, die durch den Krieg - so meine ich heuer- seelischen Schaden
genommen hatten. Gekümmert hat sich niemand darum. Der harte Alltag
forderte die Menschen, so blieb das Gefühlsleben "auf der Strecke". Gestraft
wurde mit Prügeln, auch in der Schule-dies Thema hatten wir hier schon.
Mein Vater hat mir auch von seiner Soldatenzeit erzählt, viele schwiegen
dies Thema aus. Er sagte einmal, die ärmsten Kameraden waren die aus
Südtirol. Manche hätten weder schreiben noch lesen können. Er hat immer
vieles beobachtet. Auch als Gefangener in Amerika, die Ungerechtigkeit
gegen Farbige (Schwarze u. Indianer). Dort gab es Gottesdienste (Quäker?)
wo man beim Hinausgehen(!) etwas geschenkt bekam. Also gingen alle dorthin.
Die Fürsorge für Arme und Gefangene steht ja in der Bibel, diese
Menschen hielten/halten sich daran. Weiß jemand hier etwas darüber?
-Auf was ich wieder so alles komme!? Noch einen schönen Sonntag-
nachmittag wünscht Ulrike
 
Der Opa väterlicherseits war Beamter ( Zugführer bei der Bahn, heute würde man wohl Schafner sagen), er bekam 24 Mark pro Woche, hatte 4 Kinder. Sie wohnten in einer 1 Zimmerwohnung. Gemeint 1 Schlafzimmer und eine Küche.
Die Kinder teilten sich zu zweit ein Bett. Geschenke gab es höchstens zu Weihnachten und das auch nur sperlich.
Später als der Vater im Krieg war kaufte die Mutter in dem kleinen Dorf ein Häuschen. Die Wohnungsnot war damals so groß, das jedes Zimmer einzeln belegt wurde und einige auch in Dachgauben Ihr leben fristen mußten.
Einen Garten hatte das Haus nicht. Außerhalb des dorfes konnte etwas Fäche gepachtet werden.
 
Diese kleinen Wohnungen gab es viele (Werkswohnungen). Die neueren
hatten schon ein Bad im Haus, allerdings gab es oft noch keinen
Kanalanschluß. Es mußte "gejaucht" werden. Die Sickergruben wurden
ausgeschöpft, Dünger für die Gärten. Später kam ein Pumpenwagen.
Es stank immer fürchterlich! Ältere Wohnungen hatten noch "Plumpsklos"
hinterm Haus u. Waschhäuschen. Wir hatten eine Waschküche im Keller,
dort wurde samstags auch in der Zinkbadewanne gebadet. Die Wohnungen
der Eisenbahnergenossenschaft hatten Gärten oder es gab "Schrebergärten"
nur für Eisenbahner (an den Gleisen entlang). Ich glaube , man sagte auch:
Feldeisenbahner. Die Schrankenwärter hatten kleine Häuschen, aber einen
großen Garten. Verdienen taten sie ja nicht viel. Übrigens meine ich: Zugführer
war schon mehr als Schaffner. Neben den Lokführern waren beide "an Bord".
Bei uns gab es auch einen Bahnhofsvorsteher, Zugabfertiger, Sperre, Schalter,
Gepäckabfertigung .... Alles wurde bei der Bahn "wegrationalisiert"-heuer steht
man unsicher an einem Fahrkartenautomaten ...- Viele Grüße von Ulrike
 
... oder es gab "Schrebergärten" nur für Eisenbahner (an den Gleisen entlang) ... Die Schrankenwärter hatten kleine Häuschen, aber einen großen Garten...
Diese Gärten findet man heute noch allenthalben an der wiener Peripherie und auch die Bahnwärterhäuschen stehen zum Teil noch, auch, wenn die Schranken durch Brücken ersetzt, automatisiert oder abgetragen sind.
 
Lieber Harry, danke für deine Antwort und Hinweis auf die Fotos(Gärten).-
Wir haben eine ganze "Eisenbahnersiedlung", die unter Denkmalschutz steht.
Hier war ein großes Ausbesserungswerk (geschlossen). Inzwischen wohnen
dort nicht nur Eisenbahner. Mein Opa, Vater und Schwiegervater waren auch
bei der Reichsbahn/Bundesbahn. - Grüße von Ulrike
P.S. und da Rosenmontag ist: Helau!
 
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