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Einst – in der hitze der stadt

Elfie

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Ehe die heißen Tage Geschichte und damit vergessen sind, noch eine kurze - aber wahre - Sommergeschichte:


Bim 2 – Station Schwedenplatz.
Im Weiterfahren schaut Lisa auf die fast menschenleere Brücke.
Vor 10 Jahren - oder sind es schon 11 – war es genau so heiß wie heute. Auch damals wurde von Rekordtemperaturen gesprochen und geschrieben, die Stadt glühte.

Lisa ging bei gefühlten 45° über die Schwedenbrücke stadtauswärts.
Was sie im Zweiten wollte, weiß sie nicht mehr, aber die Aktion eines scheinbar Hitzegeschädigten bleibt unvergessen.

Etwa in Brückenmitte kam ihr ein Mann entgegen. Klein, kräftig, mit einem Rucksack behangen und schnellen Schritts.
Lisa sah vor sich hin, der Mann starrte sie an. Etwa 5 Meter vor ihr duckte er sich plötzlich, zog die linke Schulter nach vor, worauf sich auch der Rucksack auf diese Seite verlagerte, machte ein paar kurze, schnelle Schritte und rannte direkt in Lisa hinein, der Rucksack klatschte gegen ihre Brust.
Nicht nur die Überraschung, auch die Wucht des Anpralls schleuderte sie nach hinten.
Sie wäre wohl rücklings hingefallen, wäre da nicht eine Frau hinter ihr gewesen, die sie mit ihrer gut gepolsterten Statur auffing.
Beide lehnten sie nun am Brückengeländer.

Lisa fing sich schnell, entschuldigte sich, drehte sich nach dem Mann um und rief ihm Unhöfliches hinterher. Auch er schaute zurück und schimpfte in unartikulierten Lauten.
Was war passiert und warum?
Erinnerte sie den Mann an ein weibliches Feindbild?
Mutter oder Schwester vielleicht, die seine Kindheit versauten oder eine Freundin, die ihn verließ?
War er beeinträchtigt, von der Hitze oder überhaupt?

Lange konnte Lisa nicht darüber nachdenken, ihre Lebensretterin empörte sich nämlich lautstark: „Kennans den? Nasowos, den g´hert a Watsch´n!“
„Danke, wenn sie nicht hinter mir gegangen wären…“
„Hoins de Polizei!“
Nun war Lisa nicht nur handylos, auch der Übeltäter war längst irgendwo am Kai verschwunden. Außerdem hatte sie es nicht so mit Hilferufen, die Watschen wär schon eher nach ihrem Geschmack gewesen.
So gesehen ein Glück, dass er weg war.
„So ruaf´ns de Polizei, i gib ihna an Zeign o. Na, so a Frechheit, des kaun ma se jo net g´foin lossn. Stöns ihna vur, der rempet ihna auf die Foahbauhn!“

Für Vorstellungen hatte Lisa jetzt wenig Sinn, sie mochte auch herbeigedachte Katastrophen nicht.
„Is jo guat, eh scho vorbei, danke!“ sagte sie der Frau, die am Ende der Brücke immer noch den selben Weg wie Lisa hatte.
„Nau, i lossat ma des net gfoin, an Zeign haums, a Personsbeschreibung, wer waas, wos der Noar no ois austöht“
„Der is längst weg und wolln Sie si do in der Hitz herstölln und auf die Polizei wart´n, i net“ meinte Lisa, schon leicht genervt.
„Dee san glei do, im Zweit´n is an jedn Eck a Wochzimma.“ War die Frau nicht von der Sinnlosigkeit ihres Antrags zu überzeugen.
In Lisa stieg langsam Ärger hoch, der den Schreck verdrängte. Zwar merkte sie dadurch erst, dass doch ein solcher da war, auch wenn ihre Wut auf den Verrückten größer war.

Wut verhindert Schockstarre und deren Folgen, das weiß sie von Verletzungen.
Wenn sie sich mit einem Messer oder Glasscherben einen unverhofften, brennenden Schmerz zufügte, bekam sie immer Kreislaufprobleme und mußte sich hinlegen.
Bis sie sich eines Tages über so ein Ereignis mächtig und lautstark ärgerte, das hielt den Kreislauf stabil.
Seither wird sie immer wütend: über das Messer, das Glas, sich selber. Hauptsache: nicht umfallen.

Diesmal kam die Wut aus dem Bauch.
Die immer noch nach Polizei, Recht und Ordnung rufende Frau nervte.
Verhinderte eine Verarbeitung der Ereignisse auf jene Art, die Lisa gewohnt war: allein und für sich.
Wenn sie nicht bald verschwindet, hau ich ihr die Watschen runter, dachte sie.
Im gleichen Moment fiel ihr natürlich ein, dass sie ohne diesen gepolsterten, standfesten Hintergrund jetzt vielleicht mit aufgeschlagenem Schädel in der Hitze auf der Brücke läge.
Doch ehe Lisa sich in irgendwelche Gewissenskonflikte verwickeln konnte, hörte sie die Frau sagen: „ I muaß jetzt do eini, woins mei Numma, fois sa si´s do nu überlegn?“
Lisa verneinte, bedankte sich noch mal und sah die Frau in einem Geschäft verschwinden.

Etwas unlustig und unkonzentriert ging sie weiter. Wie der Rest des Tages verlief, hat sie vergessen.

Aber dass sie noch wochenlang ganz automatisch in den U-Bahn – Stationen immer hinten an der Wand blieb, bis der Zug stand, das weiß sie noch.
Und dass es lange dauerte, bis sie diese neue Gewohnheit als unbewußte Angst vor einem plötzlichen Angriff oder Stoß erkannte.

Irgendwas bleibt immer hängen – stimmt, auch wenn das meist anders gemeint ist.
 
Meine Schwägerin wurde in der Münchner S-Bahnstation Karlsplatz fast einmal vor den einfahrenden Zug gestossen - von einem Typen, der von hinten aus der Menge kam und gleich wieder untertauchte. Sie konnte sich im letzten Moment abfangen.
Meiner Frau wurde mal in München in einer S-Bahnstation an die Brust gegriffen, als ich gerade auf der Toilette war. Sie konnte ihn mit einem Tritt in den Hintern verjagen und er rief "Entschuldigung!!"
 
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