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Von der Raupe bis zum Schmetterling

fabianbraun

New member
In meinem Märchen geht es um eine psychotisch erkrankte Raupe, die zum gesunden und wunderschönen Schmetterling wird.

Der dunkle Tunnel war der tägliche Marsch der eigenartigen Raupe und ihrer Mitarbeiter zu ihrem Arbeitsplatz.
Düster dreinblickende Insekten begegneten ihr auf dem Weg, der zu ihrer Arbeit führte, die demselben Schicksal ausgeliefert waren, wie dem der eigenartigen Raupe.
Die Welt der Insekten war aufgeteilt in die der führenden Klasse und die der untergebenen Klasse.
Je nach dem, ob man unter der Erde oder über der Erde gezeugt worden war, wuchs man eben als Herrscher oder als Sklave in seinem Schicksal auf, ohne dafür verantwortlich zu sein.
So war es schon immer gewesen.
Nie war je jemand auf die Idee gekommen, eine Revolution für mehr Gerechtigkeit in die Wege zu leiten.
Dieser Gedanke war der eigenartigen Raupe fremd und so fügte sie sich ihrem Schicksal.
Das hieß: Arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen und immer so weiter.
Dieses Verhältnis dort musste sie ja irgendwann mindestens einmal eigenartig machen.
Allerdings erging es dazu der eigenartigen Raupe noch schlimmer als den meisten ihrer Mitarbeiter.
Denn die eigenartige Raupe hatte Angst.
Große Angst.
Überall entdeckte die eigenartige Raupe Verfolger ihrerseits, die sich jedoch schnell als einer ihrer still vor sich her arbeitenden Kollegen entpuppten.
Sie hielt die schier vollkommene Dunkelheit alleine kaum aus.
Manche der Insekten trugen Lampen auf der Stirn und an manchen Wegkreuzungen blinkte ein schwaches, bläuliches Licht an den Wänden, das schimmernd kaum bis zur nächsten Kreuzung reichte.
Vermehrt und vielmehr blickte sich die eigenartige Raupe zu allen Seiten hin um.
Eine eklige Kakerlake, die an der eigenartigen Raupe vorbeikroch, murmelte an die eigenartigen Raupe von der Seite an sie hin: „Verlierer.“
Die eigenartige Raupe marschierte, ohne groß Atem zu holen, weiter, weil sie diese Prozedur bereits seit etlichen Tagen und Wochen kannte.
Die eigenartige Raupe ließ sich nicht entmutigen und hörte nicht auf die Stimmen, die sich bei ihr beklagten.
Eine düstere Kellerassel, die der eigenartigen Raupe entgegenkam, verkündete ihr: „Du kannst nichts.“
Die eigenartige Raupe stellte sich die Frage, die sie sich schon dutzende Male zuvor gestellt hatte: „Sagen sie das wirklich alles oder bilde ich mir das alles bloß ein?“
Sie traute sich nicht, die Wahrheit herauszufinden durch eine Gegenüberstellung ihrer Peiniger, weil sie die Antwort der Frage schon vermutete.
Sie ahnte bereits, dass sie Probleme hatte und sich ihren Wahn bloß einbildete.
Niemand konnte ihr darüber hinaus etwas vormachen.
Also hielt sie dem Andrang von schlechten Worten stand, indem sie sie wieder und wieder herunterschluckte.
Der eigenartigen Raupe schlug eine graue Schabe als schlechtes Wort an ihren Kopf, das den Höhepunkt an schlechten Worten des damaligen Tages bilden sollte: „Versager!“
Rund um ihre stupfige Schnauze war der eigenartigen Raupe eine giftgrüne Farbe gewachsen.
Ihre Gefühle dazu spürte sie nur schwach, grau und blass.
Kurzerhand: Sie fühlte sich nicht, wie sich wohlgemerkt andere Mitinsekten in ihrem Körper normalerweise fühlten sollten.
Dies alles erriet sie nach und nach.

-

Schließlich kam sie nämlich an ihrem gewohnten Arbeitsplatz an.
Hier ging es ziemlich ruhiger zu als auf dem Weg zu ihrer Arbeit.
Die vielbeschäftigte Ameise nämlich war ihre direkt gegenüber arbeitende Leidensgenossin und Kollegin.
Die beiden kannten sich schon seit einer gefühlten Ewigkeit.
Dies war allerdings lediglich ein Frühling und ein Sommer.
Der Herbst nahte und er zeigte sich schon von seiner etwas kühleren Seite.
Das Leben für sie, wie sie es kannten, würde aus unterschiedlichen Gründen heraus schon bald vorbei sein. Vorerst.
Als durchschnittliches Insekt blieben ihnen sowieso nur wenige Jahre…
als hart arbeitende Untertanen sogar noch weniger.
Sie ackerten sich dort unten nämlich zu Tode, was dauerhaft auf ihr Immunsystem niederschlug, wodurch sie eine deutlich niedrigere, geringere Lebenserwartung hatten, als ihre Mitinsekten an der Oberfläche.
Der Winter würde einige ihrer Mitarbeiter das Leben kosten.
Dies alles aber ließ sie in ihrem Arbeitstempo nicht bremsen…
Deshalb, weil sie es nicht wussten.
Für die führende Klasse war es eben besser, wenn die untergebene Klasse das nicht wusste.
Unter der Erde bekam man eben nicht viel vom Wetterumschwung mit, außer den stetig sinkenden Temperaturen.
Schnee hatte die untergebene Klasse noch nie gesehen.
Würden die meisten Wesen der untergebenen Klasse auch nie.
Weil sie nie an die Oberfläche kamen.
Alle außer… der eigenartigen Raupe.
Sie hackte nämlich und hackte und hackte…
wie eine Besessene.
Doch dann wurden ihre Bemühungen eines Tages belohnt.
Sie legte anmutig ihre Spitzhacke neben sich ab.
Eines Tages nämlich fand sie den Schatz ihres Lebens:
Das „flüssige Gold“.
Es glänzte deutlich schön im dämmernden Schein der schwachen, bläulichen Lichter an den Wänden.
Dazu hatte sie sich nämlich durch den Boden gewunden, gebohrt und so den Zugang zu einem stillgelegten Bienennest entdeckt.
Schließlich kroch sie zu ihrem treuen Freund, der vielbeschäftigten Ameise und teilte ihr von ihrem edlen Schatz mit.
Der eigenartigen Raupe ihr Freund, die vielbeschäftigte Ameise, meinte schier gleichgültig und bedämmert, belämmert zu ihr: „Bloß Schlafa und schaffa muasch.“
Für der eigenartigen Raupe ihrem Freund, der vielbeschäftigten Ameise, gab es nichts außer arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen und immer so weiter.
Die eigenartige Raupe allerdings erwartete nun mehr von ihrem Leben.
Ihr genügte es nicht, sie begnügte sich nicht damit, nur im Untergrund herumzukriechen und auf ihr Ende zu warten.
Also begab sich die eigenartige Raupe nach oben, nach draußen, zur führenden Klasse, um mit der führenden Klasse über ihre Provision des von ihr gefundenen, edlen Schatzes zu verhandeln.



Was haltet ihr von diesem Ausschnitt, wollt ihr mehr?
 
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