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Eine wahre Geschichte


Stehlende Vögel.​

Eine wahre Geschichte
Vorwort
Auf unserer Hochzeitsreise im Juli 1955 logierten wir in einer Privatpension in Bad Kösen.
Über alle vermietbaren Zimmer verfügte in jener Zeit der FDGB (Einheitsgewerkschaft der DDR). Die Besitzer von Pensionen vermieteten oft ihr eigenes Schlafzimmer an privat zahlende Gäste. Selbst schliefen sie irgendwo in einem nicht meldepflichtigen Nebengelass oder in der Küche.
So auch hier in Bad Kösen. Ein Patient musste viele Wochen wegen einem chronischen Leiden hier zu bringen. Er hatte eine Dohle gezähmt und auf eine für Menschen nicht hörbare Ultra Schallpfeife abgerichtet. Der Vogel hörte auf den Namen Jacob.
Es war höchst amüsant dem Vogelmann, wie wir ihn nannten, und seiner Dohle zu Zuschauen. Wenige Tage nach unserer Hochzeit, es war um die Mittagszeit an einem heißen Sommertag mit strahlend blauen, wolkenlosem Himmel, ereignete sich die Geschichte.
Die Dohle und mein Ehering.
Außer mir hielten alle Bewohner des Hauses Mittagsruhe. Im Garten sprang Jacob, die Dohle, hin und her. Ich schaute dem Vogel zu. Da fiel mir die Sage vom Merseburger Raben ein.
„Thilo von Trotha, der Erzbischof von Merseburg, hatte seinen Siegelring in seinem privaten Gemach in der Fensterbank abgelegt. Er war nur kurz weg. Als er zurück kam war der Siegelring nicht mehr da. Es stand fest, dass außer ihm selbst nur sein Kammerdiener Zugang zu dem Zimmer hatte. Der Kammerdiener bestritt den Ring überhaupt berührt zu haben. Wegen Diebstahl des Ringes, den der Kammerdiener auf der Folter gestand, ließ ihn der Erzbischof hinrichten. Nach Jahr und Tag wurde das Dach des Schlosses bei einem Gewitter beschädigt. Die Dachdecker fanden im Dachgestühl ein Rabennest. In diesem Nest lag der Siegelring des Erzbischofs. Die Unschuld des Kammerdieners war bewiesen. Zur Mahnung an dieses Unrecht verfügte der Erzbischof, dass ein Rabe in einem Käfig im Schlosshof gehalten wird. Bis heute kann man dort einen Kolkraben im Käfig sehen.


Auf dem Käfig sieht man einen Raben im Flug mit einem Ring im Schnabel.“

Die Sage vom Merseburger Raben, ein fliegender Rabe mit einem Ring im Schnabel ist das Wahrzeichen Merseburgs. Dies hatte mich inspiriert dieser Sage einmal auf den Grund zu gehen.
Mein Ring glänzte noch neu. Des Vogelmanns dressierte Dohle flog am Tage frei herum. Jeden Abend bevor es dunkel wurde sperrte er den Vogels in einen Vogelbauer ein bis zum anderen Morgen.
Es war Mittag, alle Hausbewohner machten ein Mittagsschläfchen, nur Jacob, so hieß die Dohle, und ich waren im Garten und unterhielten uns. Da kam mir der Gedanke dem Vogel meinen Ring mal ganz nah zu zeigen. Ich zog den Ring vom Finger und hielt ihn mit zwei Fingern dem Vogel vor.
Jetzt passierte was Eigenartiges, fast Unglaubliches. Hätte ich nicht alles selbst erlebt, ja sogar provoziert, ich würde es nicht glauben. So ist es seit 55 Jahren, wenn ich die Geschichte erzähle. Man findet sie nett ausgedacht als Märchen. Es ist aber eine wahre Geschichte.
Beim Anblick des Ringes sträubte sich das Gefieder des Vogels. Er krächzte, benahm sich wie von Sinnen, wie süchtig. Doch plötzlich stürzte sich die Dohle auf den Ring. Ich konnte nicht so schnell reagieren und den Ring den ich nur leicht zwischen den Fingerkuppen hielt, in Sicherheit bringen. Mit dem Ring im Schnabel, genau wie im Wahrzeichen von Merseburg auf dem Rabenkäfig, flog sie davon. Höher und höher und weiter flog Jacob bis er nur noch als Punkt wahrnehmbar war, dann entschwand er meinen Blicken.
Nun war guter Rat teuer. Was sollte ich machen? Ich ging den Vogelmann holen. Er kam gerade als ich ins Haus herein gehen wollte. Noch ganz aufgeregt sprudelte ich hervor: „Dein Rabenvieh hat meinen Ehering weggeholt!“
„Na, na, immer langsam, was hat Jacob gemacht?“, fragte er.
Ich erzählte nun was passiert war. „So ein Leichtsinn, mit Verlaub, so eine Dummheit, da besteht so gut wie keine Chance, dass Du deinen Ring und ich meinen Jacob wiederbekomme“, meinte der Vogelmann. „Sei denn er hat kein Nest irgendwo und legt auch keins an, dann gibt es noch eine winzige Hoffnung“, setzte der Vogelmann noch hinzu und ging schnell ins Haus zurück. Er kam auch gleich wieder. Er zeigte mir was er mitbrachte und erklärte mir, es sei eine Ultra Schall Pfeife deren Töne die Menschen nicht aber Hunde und auch Jacob hören können. Er hatte Jacob mit dieser Pfeife abgerichtet. Mir kam das alles sehr windig vor, doch ich wusste nichts Besseres.
Jedenfalls betätigte er die Pfeife, ich hörte zwar nichts und kam mir wie in ein Pantomime Theater vor.
Plötzlich zeigte er gen Himmel und sagte: “Da!“ Ich schaute in die angezeigte Richtung und sah erst nichts, doch dann einen sich bewegten dunklen Punkt. „Das ist er“, nun selbst auch aufgeregt, sagte der Vogelmann. Tatsächlich entpuppte sich der Punkt als Vogel. „Gehe schnell rein in die Küche und hole zwei Topfdeckel, die größten die da sind“, befahl er mir. Wenn Vogel – Wally, unsere Wirtin, was fragt sollte ich mich nicht einlassen und nur auf später verweisen. Ich rannte los und holte zwei Topfdeckel, Wally fragte auch, ich verwies auf später. Im Garten sah ich gerade noch Jacob, es konnte kein anderer sein, mit einem Ring im Schnabel, meinem, in Höhe der Baumkronen da von fliegen. Mein Herz klopfte vor Aufregung. Der Vogelmann hatte seine Pfeife im Munde und nahm sie jetzt heraus.
„Mache genau was ich Dir sage, Jacob kommt wieder, er muss noch tiefer kommen. Wenn ich sage: `jetzt`, dann schlage die Deckel zusammen, keinen Augenblick eher oder später“, lautete die Weisung des Vogelmannes. Jacob kam. Tatsächlich er flog schon tiefer, ich konnte haargenau den Ring im Schnabel erkennen. Der Vogelmann sagte nichts, erhielt den Finger vor den Mund, was so viel hieß „sei still“.
Ich guckte gen Himmel, nichts zu sehen. Auf einmal kam Jacob im Tiefflug von der Seite. „Jetzt!“, sagte der Vogelmann. Ich schlug die Topfdeckel zusammen. Fast vor mir kullerte mein Ring ins Gras. Jacob hatte sich erschreckt beim zusammenknall der Topfdeckel und den Schnabel aufgemacht und den Ring verloren. Ich hatte mich sofort auf den Ring gestürzt und mit der linken Hand sicher gepackt. Im gleichen Moment spürte ich einen heftigen Schmerz im linken Zeigefinger. Jacob hatte mich gehackt. Zum Glück war der Vogelmann ran, packte den Vogel und steckte ihn hinter den nebenstehenden Vogelbauer. Ring und Vogel waren wieder da. Der Vogel krähte wie verrückt, ich blutete. Die Narbe sehe ich bis heute, wenn auch verblasst nach 55 Jahren.
Nun kamen auch Die Frauen heraus und fragten was denn hier getrieben wird. Die Topfdeckel der Wally waren freilich ganz schön lädiert. Die Emaille war an beiden Deckeln an mehreren Stellen abgeplatzt. Ehe mich meine Frau verbunden hatte waren mein Hemd und meine Hose mit Blut besudelt. Das aber war alles nicht so schlimm, selbst Wally machte keine Einwände mehr wegen ihren Topfdeckeln. Der Vogelmann war selig, hatte er doch seinen Jacob wieder. Meine Frau war stolz auf ihren Mann, der ja für ihren Ring kämpfte. Vergessen war, dass es ja sein Leichtsinn war, der alles verursachte.
Nach dem ich mich umgezogen hatte musste ich losziehen was zu trinken holen. Ich brachte auch zwei Flaschen ungarischen Rotwein, was gar nicht so selbstverständlich war, es war 1955 in der DDR. Jedenfalls wurde es noch eine gesellige Runde in welcher der Vogelmann und Jacob die Stars waren.
Nachwort
Schon vor Jahren konsultierte ich den Direktor des hallischen Zoo. Dieser Fachmann erklärte mir einleuchtend, dass der mittelalterliche Mensch, diese von uns nach Spezies benannten Rabenvögel ganz einfach unter dem Begriff Rabe zusammenfasste. Eine Krähe war ein Rabe, wie auch eine Dohle oder der Kolkrabe. So wird der "Merseburger Rabe" eine Dohle gewesen sein, die ihr Nest im gotischen Giebel des Schlosses des Erzbischofs Thilo von Trotha hatte. Dort fand man den Siegelring des Bischofs. Der Kammerdiener wurde unschuldig hingerichtet, nur dieser hätte den Ring stehlen können. Es war aber ein Rabe, wie man nun wusste nach vielen Jahren als man das Dach reparierte, Bis heute wird zum Gedenken im Merseburger Schlosshof ein Kolkrabe im Käfig gezeigt.
 
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