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Die Märchensage vom Auge des Blumenvogels

Joa

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Gestern habe ich anläßlich einer Wanderung im Wechselgebiet zwischen Hallerhaus und Mönichkirchner Schwaig eine Arbeit von Christof Seiser entdeckt.

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der Quarz
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die Leere des Quarzes
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der Blick durch die Leere im Quarz weist den Weg zum Auge des Blumenvogels
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nach etwa 20m dann das Auge des Blumenvogels im Fels
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Man weiß nicht genau, woher der Vogel gekommen war, aber man erzählt von einer sehr langen Reise. Der Grund seiner Reiselust war die Suche nach Erkenntnis und Weisheit des Lebens. Er hatte in frühesten Jahren eine Vision von einem geheimnisvollen Auge.

Von diesem glaubte er die große Wahrheit zu erfahren. Vielen Gelehrten und Weisen begegnete er auf seiner Reise durch unzählige Länder. Glücklich und erleuchtet glaubte er sich immer, wenn er über die Lehren der Weisen meditierte. Doch immer erhob er sich nach längerer Zeit der Meditation unbefriedigt und besann sich wieder seiner Vision vom Auge der Natur.

Seine Reise führte ihn über hohe Berge und tiefe Täler, oft geleitet von frischen Bächen und schweren Flüssen, vorbei an großen Städten und kleinen Dörfern. Und so flog er eines Tages über ein besonderes Land, über eine "Welt", wie die Bewohner zu sagen pflegten.

Er war in die Bucklige Welt gekommen. In eine Welt voller Hügeln und Buckel, mit lauter kleinen Dorfern, Wäldern, Wiesen und Feldern. Der Vogel war von Anfang an in diese kleine Welt verliebt und spürte einen besonderen Geist über dieser Landschaft. Immer deutlicher erschien ihm jetzt wieder das Bild seiner Vision. Irgend etwas gab ihm die Sicherheit, dass er hier das Auge der Natur finden würde.

Unermüdlich machte er sich auf die Suche und durchstreife die Wälder. Es verging sehr viel Zeit, denn diese Welt war gar nicht so klein, und der Vogel hatte große Mühe, sich in all dem Gewirr von unzähligen Hügeln zu orientieren. Allmählich wurde er müde und alt. Seine Suche schien auch hier vergebens, und als schließlich der letzte Buckel erfolglos erkundet war, schwand selbst der letzte Rest seiner Hoffnung. Sein bisheriges Streben und Wünschen und all das Erkennen- und Erreichen- wollen begann zu verblassen, bis er schließlich völlig davon befreit war. Es wurde still im Herzen des Vogels. Er vergaß seine Vergangenheit und verlor all die Vorstellungen für seine Zukunft.

Harmlos - völlig harmlos und absichtslos stand er nun dem Leben gegenüber und die Liebe machte sich jetzt in seinem Herzen breit. Die Liebe für das Kleine und Augenblickliche, für das einfache Leben. Für seine Ausflüge gab es nun kein Ziel mehr, und er schlenderte nur noch der reinen Freude wegen durch die wunderschöne Gegend. Und so führte es ihn eines Tages in das Wechselgebiet.
Der Wechsel ist kein Buckel oder Hügel mehr, aber auch noch kein sehr alpiner Berg. Man könnte sagen, er verbindet die Bucklige Welt mit den Alpen. Und hier begann der Vogel immer mehr die Einzelheiten in ihrer Bescheidenheit zu sehen, welche in ihrer Gesamtheit immer wieder Bilder zeigten, die ihn vor Faszination fast erdrückten. Die Wetterfichten und Baumruinen am Rande der Baumgrenze sah er als Skulpturen eines Bildhauers der höchsten Meisterklasse. Verbunden mit ihrer Umgebung aus Felsblöcken sah er Gemälde aus Meiserhand geschaffen.

Alleine für das Gras hier, in all seinen Erscheinungsformen, wuchs seine Begeisterung in einer verehrenden und lobpreisenden Betrachtung ins schier Unermessliche. Lange Zeit verweilte er nun hier, vor allem in der Umgebung des kleinen Ortes Mönichkirchen. Was ihm von Anfang an aufgefallen war und jetzt immer stärker bewusst wurde, war die besondere Luft, welche er hier atmete.

Aber auch die besondere Qualität des Wassers hatte er bereits genossen, welches an unzähligen Stellen direkt aus dem Boden quillt. Noch nie zuvor hatte er so weiches Wasser getrunken. Und überall an diesen Stellen wuchs auch die Königin der Wildkräuter, die Wasserkresse, welche der Vogel in bescheidenen Mengen zu sich nahm, um sein Blut schnell und klar zu erhalten. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich zu Hause. Hier auf diesem Berg wurde er nun heimatlich.

Während dieser Zeit am Wechsel wurde er von einem Engel umgeben, in dessen Gegenwart er sich sichtlich wohl und geborgen fühlte. Eines Tages, nachdem der Vogel schon längere Zeit keine Gedanken mehr gehabt hatte und in völliger Leere an einer Quelle saß um zu trinken, konnte der Engel tief in sein Bewusstsein dringen, um ihn mit der Gegenwart Gottes zu segnen. Ohne zu wissen, warum und wohin, begann er plötzlich zu fliegen. Von der Liebe des Engels geleitet, flog er ihn hinauf auf die Mönichkirchner Schwaig.

Noch einmal zurückblickend über die Weite der Buckligen Welt wurde die Gegenwart des Engels immer stärker und es führte ihn weiter hinauf in Richtung der Steinernen Stiege. Auf halbem Weg sah er am Wegrand einen Quarzstein, welcher vom leeren Raum durchdrungen war. In einer Himmelsspirale wurde die Leere gesammelt und durch den Quarzstein in den Wald und dort in einen Felsen gezogen.

Auch den Vogel zog es förmlich durch dieses Loch hindurch, hinein in den Wald, wo er kurz danach auf einem Fichtenast landete. Und da begann plötzlich sein Herz zu pochen, und in seinen Augen wurde ein Glänzen sichtbar. Ein paar Glückstränen kullerten heraus und vielen auf den Waldboden. Die Tränen waren so rein und so erfüllt von Leben, dass sich sofort eine frische Blume empor hob und sich eine duftende Blüte formte.

Der Vogel saß unmittelbar vor dem Auge der Natur, welches ihn aus dem Felsen heraus ansah. Unglaublich liebevoll, irgendwie auch gleichgültig, ja fast belanglos war dieser Blick.

Fasziniert war der Vogel von der Regenbogenhaut, denn sie zeigte ihm wie der Wechsel wohl im Inneren aussehen musste. Die Erdspirale unter dem Auge ließ das Sichtbare in den Himmel steigen. Lange saß der Vogel bloß da und genoss diesen nicht mehr erwarteten und schon fast vergessenen "Augenblick". Wieder völlig unwillkürlich sprang er auf das Unterlid des Auges und während er tief in dessen Pupille blickte, wurde er vollkommen von dem erfüllt, was ihn ursprünglich getrieben hatte, das Auge der Natur zu suchen. Er hüpfte zurück in die Blüte seiner Blume und verweilte im bloßen Dasein in der unmittelbaren Gegenwart ihres Duftes. Er sank in ein zeitloses und grenzenloses Sein. Raum und Zeit gingen verloren und der Vogel und seine Blume lösten sich auf und verschwanden in die Gegenwart des Nichts.

Viele Jahre nach diesem seltsamen Verschwinden wurde die Gestalt des Blumenvogels an einem frischen, klaren Herbstmorgen, im Felsen über dem Auge wieder sichtbar.

Noch heute weist die Leere im Quarz den Weg zum Auge des Blumenvogels
 
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