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Die Geschichte meines Heimatortes und der Großeltern

Rabenweib

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Von schwarzen Grafen und Heimat

Etwa 1683, zur Zeit der zweiten Türkenbelagerung, existierte hinter unserem Haus ein Steinbruch. Unser Haus gab es damals natürlich noch nicht, da kann man nur von Glück reden, denn die Türken waren wahrscheinlich nicht zimperlich und die Steine rollen heute auch ohne menschliches Zutun gelegentlich vom Hang herunter und haben erst kürzlich ein Loch in unser Garagendach geschlagen.
Einer der Felsbrocken von diesem Steinbruch ist neben der Strasse liegen geblieben als Erinnerung, und wurde, nachdem an dieser Stelle einmal ein Unfall passierte als Bildstock umfunktioniert, der heute noch dort zu sehen ist.
Als ich ein Kind war, habe ich oben im Wald immer gespielt zwischen einigen großen Felsbrocken die dort auch heute noch herumliegen.
Es war immer ein verzauberter Ort für mich. Da habe ich meinen ersten halb verwesten Fuchsschädel gefunden und stolz nach Hause gebracht -und wurde auch sofort wieder verjagt damit- und beim Indianer und Cowboy spielen habe ich oben im Wald „Lager“ gebaut und hätte mich wegen der Spinnen doch nie getraut, mich wirklich dort hinzulegen und zu schlafen.
Zwischen den riesigen Felsbrocken wuchs Moos, weiches Laub lud förmlich dazu ein, sich hineinzulegen, ich kletterte herum, suchte nach Eidechsen und hoffte, die Stimme meiner Mutter möglichst lange nicht zu hören, die mich abends wieder nach Hause rief.
Die größten Abenteuer passieren im Kopf, und so wurden aus meinen kindlichen Wanderungen durch Wald, Kuhwiesen und Bäche in meiner Phantasie wunderbare Amazonas- Überquerungen und Forschungsreisen auf andere Kontinente. Der Specht der an die Bäume klopfte verwandelte sich in ein schreckliches Klopf- Monster das bestimmt Kinder fraß, und im „Graben“ hinter dem Haus war sowieso Spielverbot wegen dem Geröll, aber gerade dort hatten wir eine tolle Fels-Ritterburg.
Natürlich war es keine richtige Ritterburg, im Grunde war es nur ein riesiger Felsen mitten im Geröll- aber mit ein wenig Phantasie war es eine tolle Burg, hinter deren Wand sich die Nachbarkinder versteckten, die mein Bruder und ich dann mit Tannenzapfen beschießen konnten.
Es war auch unheimlich genug im Graben, um heimlich dort zu spielen.
Sehr interessant waren auch die Bienenstöcke meines Großvaters, die man über einen langen steilen Weg durch den Wald erreichte, aber an die habe ich mich damals nicht so nahe herangetraut und ich war überzeugt davon, dass Opa nur deshalb nie gestochen wurde, weil seine Haut so dick und voller Schwielen war. Imkeranzug trug er jedenfalls nie einen, und meine Mutter regte sich immer fürchterlich auf, wenn zu Hause bei Oma und Opa Zuckerwasser für die Bienen gekocht wurde, dann hatten wir nämlich das ganze Haus voller Bienen und das war irgendwie nicht so gut für uns „Nicht-Lederhäutige.“
Neben unserem Haus befand sich ein Holzstoß, unter dem sich lange Zeit eine kleine Igel- Familie aufhielt, die wir abends mit kleinen Schüsseln voller Milch hervorlockten und fütterten.
Das Holz hatte Opa fein säuberlich und in einer geraden Linie aufgeschlichtet, und dann mit Dachpappe abgedeckt und mit Steinen beschwert.
Wenn wir „Holzschneide-Tag“ hatten, dann half die ganze Familie zusammen.
Opa und Papa trugen die schwere Tischkreissäge von der auf einer kleinen Anhöhe stehenden Holzhütte runter zum Haus, meine Oma schnitt das Holz, meistens trug sie dazu eine Stoffschürze und ein Kopftuch.
Die Säge war sehr schrill und man konnte sie sehr weit hören, es war ein sehr unangenehmes Geräusch, weil man sofort wusste, dass dieses Geräusch mit sehr viel Arbeit verbunden ist.
Wenn Oma das Holz geschnitten hatte, warf sie es in eine Scheibtruhe, und meine Mutter fuhr dann mit der Scheibtruhe den Weg zu unserem Kellefenster hinunter, wo wir Kinder schon warteten und die einzelnen Holzscheiter durch das Fenster in den Holzraum warfen.

Auf der anderen Seite des Hauses gab es ein kleines Rinnsal, das meine Oma immer liebevoll „Fluder“ nannte, dort wurden schon die Stoffwindeln meines Vaters gewaschen und auch meine Windeln- und später konnte ich den absichtlich verloren gegangenen Wäschestücken auch schon nachlaufen, um sie stolz ein Stück weiter wieder aus dem Wasser zu fischen und zurückzubringen.
Als modernere Zeiten anbrachen und wir eine Waschmaschine bekamen, wusch Oma trotzdem noch eine Weile im Fluder und war ein wenig sauer, weil ihre Leistung einfach durch ein „modernes Kastl“ ersetzt werden sollte.
Sie ging davon aus, dass dieses moderne Teufelszeug Blödsinn wäre und nie so sauber waschen könnte wie sie.
Doch irgendwann hat sie den Kampf aufgegeben und doch auch mit der Waschmaschine gewaschen. Und ich glaube, sie war schnell überzeugt davon, dass die Waschmaschine doch nicht so blöd war.
Am Wäscheplatz hatte Opa einen Holzkasten mit Glasdeckel stehen, in dem sich Bienenwaben und etwas Honig befanden, er kratzte mit einer Spachtel immer darin herum, und ab und zu gab es ein Stück klebrige Waben mit Honig zu kauen für mich, das war der erste Kaugummi den ich kannte.

Mein Opa, mein Vater und ich, wir sind in Opponitz geboren.
Opponitz liegt an der niederösterreichischen Eisenstrasse, der Name des Ortes kommt aus dem slawischen „sobot nica“ und wird mit „Geräusch des Wassers“ übersetzt.
Das Wasser wurde damals –so wie heute auch- gebraucht um Strom zu erzeugen und um die Motoren der Hammerwerke anzutreiben.
Wasser treibt auch die Turbinen des Wasserkraftwerkes an, das 1921-1924 in Opponitz gebaut wurde und Wien den ersten Strom lieferte.
Wasser verbinde ich als „Eingeborene“ aber natürlich vor Allem mit der Ybbs, die mir herrliche Lagerfeuer- Nächte am Strand ermöglichte, sowie Schwimmstunden mit Wasserschlangen- Begleitung, Beobachtung von Graureihern und Eisvögeln, sowie herrliche Fische, Feuersalamander, Frösche und eine einmalige Landschaft rundherum.

Opa aber hatte mit dem Wasser vorerst nur wenig zu tun, denn er lebte oben am Berg, im Furtenreith. Da ging ich später mit meiner Oma ab und zu mal rauf, um Zwetschgen zu sammeln oder Nüsse, von den Bäumen die noch immer dort oben standen. Aber sehr viel Freude hatte ich damit nicht, da der Weg steil nach oben führte, sehr lange war für meine kurzen Beine und man ziemlich ins schwitzen kam.
Die Belohnung waren dann aber die vielen guten Nüsse und Zwetschgen, aus denen Oma gute Kuchen machte und Knödel.
Das Haus, das zu Opas Zeiten da oben stand hatte die Hausnummer „Graben 16“, und da sind auch mein Papa und seine Schwester Vroni zur Welt gekommen.
Es muss sehr wenig Platz gewesen sein dort oben, das Haus hatte nur einen Raum und einen Dachboden. Im Winter kam durch das Dachfenster der Schnee rein, der dann auf der Bettdecke liegen blieb.
Später wurde das Haus abgerissen, ich habe es nicht mehr gekannt, konnte mir aber sehr gut vorstellen, wie es sein musste, von da oben jeden Tag- auch im Winter- zur Schule gehen zu müssen.

Opa arbeitete damals für den „schwarzen Grafen“, so wurde der große Bauer nebenan genannt, der einen Eisen- Verarbeitenden Betrieb hatte- und auch heute noch hat. Der Name „schwarzer Graf“ kommt wohl von der schwarz- verklumpten Eisenschlacke der Schmieden, die man heute noch in der Ybbs findet. Das Sichelwerk war damals noch in Betrieb, heute dient es als Museum.
Dort wurden Sicheln und Sensen und Gabeln hergestellt, und ich kann mich noch an das monotone Geräusch des Hammers erinnern, das mich in meiner Kindheit wie eine Hintergrund- Musik begleitete: Ding-ding…Ding-ding… Ding-ding…
Opa hat insgesamt etwa 23 Jahre dort gearbeitet nachdem er 1948 aus der russischen Gefangenschaft zurückgekommen ist.

Er war allerdings nicht immer im selben Gebäude tätig, denn es gab eine ganze Reihe „Gewerke“, Hammerschmiede- Gebäude also, die sich den Bach entlang durch den Ort zogen.
Es fing beim heutigen „Klopf- Haus“ am oberen Ortsende an, das damals noch „Thalner- Haus“ hieß, zog sich weiter über den Pießlinger zum „Fuchsenhammer, wo zu Opas Zeiten etwa 30-40 Leute in 2 Schichten gearbeitet haben, dann kam das „Demut- Haus“, das heute die Familie Gruber bewohnt, das heutige Gemeindehaus, das sich damals „Hilmbrandt- Haus“ nannte und das „Schönauer- Haus“, wo heute das SPAR- Lebensmittel- Geschäft drin ist.
Opa hat im Monat damals etwa 7000,- Schillinge verdient, davon musste er auch den Hausbau finanzieren, denn 1954 entstand mein Elternhaus, in dem ich 1975 geboren wurde.
1957 war es fertig, dann konnten Oma und Opa und Papa und seine Schwester vom Furtenreith runter ziehen in das neue Haus, gleich neben dem Hof des schwarzen Grafen.
Ein Sack Zement kostete zu dieser Zeit genau 28,- Schillinge, der Schotter musste mit Scheibtruhen vom Bahnhof geholt werden. Der Bahnhof ist etwa 1 ½ Kilometer von unserem Haus entfernt, das heißt, man brauchte nicht nur Geduld und Ausdauer, sondern auch ganz viele Muskeln zu dieser Zeit.
Da gab es noch keine Kräne und Bagger- es wurde alles mit der Hand gemacht.
Der Kanal musste gegraben werden, damals wurde alles selbst bezahlt, und heute zahlen wir trotzdem jährlich 6000,- Schillinge im Jahr Kanalgebühr- für den Kanal, den Oma und Opa selbst gegraben haben.
In den 80er Jahren wurde dann der Fuchsenhammer abgerissen, Opa machte die letzte Gabel, und unser Fluder wurde zugeschüttet.

Oma ist 1925 in Lassing geboren, ihr Vater Wilhelm war beruflich Jäger, der später an Kehlkopfkrebs gestorben ist und angeblich ein sehr unkeusches und rücksichtsloses Leben führte- gelinde ausgedrückt.
Omas Mutter Maria hatte ein sehr schweres Leben, sie hat nicht nur 13 Kinder zur Welt gebracht und ein 14. Kind im dritten Monat der Schwangerschaft verloren, sondern war dann auch noch 6 Jahre krank und starb dann mit 48 Jahren an Gebärmutterkrebs.
Zudem ging ihr Mann zu Lebzeiten nicht gerade zimperlich mit ihr um, aber so war das eben damals, da wurde nicht lange gefragt ob man Kinder MÖCHTE, sondern man hatte das zu tun, was der Mann sagte.
Heute bekommen Frauen im Durchschnitt weniger als 2 Kinder und brauchen auch keinen Mann mehr dazu, und seit die Emanzipation Einzug gehalten hat, gibt es prinzipiell kein langes Leiden mehr, sofern die Frau genug Kraft und Mut hat, sich aus einer misslichen Lage zu befreien.

Die Grenze zwischen Steiermark und Niederösterreich war damals auch die Grenze zwischen den Alliierten Engländern und Russen. In der Besatzungs- Zeit kamen eines Tages die Russen ins Haus, um es nach Waffen zu durchsuchen. Omas Vater war Jäger und hatte somit einige Waffen in einem Waffenschrank
Als Oma einmal alleine zu Hause war, durchsuchten Russen ohne Befehl das ganze Haus.
Es gab einen großen Streit darum, ob die Waffen nun privat seien, oder ob es Waffen der Truppen (militärische Waffen) seien.
Die russischen Soldaten schütteten die Patronen auf den Boden und schrieen herum, doch Oma blieb hart und verteidigte die Waffen ihres Vaters.
Als ihr Cousin Fritz zu der Tür rein kam, sagte Oma ihm, dass er einen russischen Major holen sollte. Dieser lief los und kam wenig später mit einem russischen Major und einem Dolmetscher wieder zurück.
Die Soldaten schienen Respekt vor ihm zu haben, weil die Hausdurchsuchung ja unerlaubterweise durchgeführt wurde.
Als der Major an Oma vorbei in den Waffenschrank greifen wollte, gab Oma diesem eine schallende Ohrfeige.
Daraufhin zerrte der Major sie an den Haaren in die Küche wo auch ihre Mutter war. Die Soldaten im anderen Raum verzogen sich schleunigst und von diesem Moment an konnte der Major plötzlich auch deutsch sprechen.
Er kam ganz nahe an Omas Gesicht und sagte ganz leise zu ihr:“ Karoscho Deoschka“- gutes Mädchen. Nur EIN österreichisch Mädchen schlagen russisch Offizier!“
Dann verließ er das Haus ohne sich noch einmal umzudrehen.
Im Jahr 1955 sind alle Russen abgezogen.

Oma hatte also 12 Geschwister, eine ältere Halbschwester hatte ihre Mutter ledig bekommen, dann kamen Rudi, Oma, Hans, Erna, Othmar, Rosa, Berta, Theresia, Wilhelm, Hugo, Emmy und Rudolph.
Emmerich ist wahrscheinlich in Russland umgekommen, man weiß bis heute nicht was mit ihm passiert ist und wo er ist, ob er noch lebt, oder ob er irgendwo verscharrt wurde, ich habe versucht, per Internet nachzuforschen, habe aber nichts gefunden.
Zu den überlebenden Geschwistern hat Oma heute noch regen Kontakt, es wird sich bei Geburtstagen und Familienfeiern getroffen, und da jeder mehrere Kinder und Enkelkinder und Urenkelkinder hat, geht es da oft zu wie auf einer türkischen Hochzeit.

Auch Opa, den sie später im Mai 1950 beim Kirchenwirt in Opponitz kennen lernte, wo Oma damals gearbeitet hat, hat den Krieg nicht ganz ohne Wunden überlebt.
Er hat nie viel geredet darüber, aber kurz bevor er überraschend starb, habe ich etwa ein halbes Jahr lang immer wieder nachgefragt und so nach und nach konnte ich ihm folgende Geschichte aus der Nase ziehen:

Opa ist 1924 geboren, sein Elternhaus war in der Laussa (Ennstal, Hengstpass). Ich bin erst vor wenigen Tagen zum ersten Mal mit dem Auto durch diese wunderbare Schlucht gefahren, es ist wunderschön dort, extrem wildromantisch und es gibt dort sogar einen riesigen Felsen der sich „Türkenkopf“ nennt.
Auch der Vater von Opa war schon Holzknecht, und Opa hatte drei Geschwister.

1942 ist Opa eingerückt, er war zuerst in Deutschland unterwegs, dann wurde er mit anderen Soldaten in einen Zug gesetzt, von dem sie nicht wussten, wohin er fahren würde.
Während der Fahrt gab es eine große Explosion, alle hatten schreckliche Angst, eine Mine hatte einen Teil des Zuges zerstört. Sie mussten alle aussteigen, durften sich nicht bewegen und mussten warteten, bis eine neue Lok gebracht wurde. Am nächsten Tag ging es weiter. Keiner wusste, wo sie sind…
In Russland erkannten sie dann an der Sprache, wo sie waren.
Eine Nacht und einen Tag lang fuhren sie mit einem Schiff von Constanta nach Sewastopol. Dort gab es etwa 70.000 Gefangene.
Er kam in ein Gefangenenlager auf der Krim, wo er in Kolchose- Ställen gearbeitet hat. Von dieser Gegend hat er trotz seiner schrecklichen Erlebnisse immer geschwärmt, und ich glaube, dass es für ihn einerseits ein großer Reiz gewesen wäre, wieder einmal dort hin zu kommen, andererseits sagte er dann immer: „Ich hätte Angst, dass ich nicht mehr zurück komme.“
Auf meine Frage, wie es ihm damals ergangen ist sagte Opa nur: „Lustige Erlebnisse hab ich nicht gehabt, aber genug traurige. Aber die erzähle ich nicht. Es gab halt nur Suppe und so Zeug zu essen. Und wenn eine Bombe kam, dann blieb nicht mehr viel übrig.“ Dann schwieg er wieder…

Und ein anderes Mal erzählte er mir, dass bei langen Märschen oft über Leichen gestiegen werden musste, und keiner hätte sich getraut, in den Taschen der Leichen nach etwas essbarem zu suchen, weil sofort einer der Soldaten gekommen wäre und ihnen einen Arschtritt gegeben hätte.
Einen Satz haben die Russen damals immer wieder wiederholt: “Der Deutsche wird so lange hier bleiben, bis jeder Stein wieder dort liegt, wo er gelegen hat!“
Die Österreicher wurden später von den Deutschen getrennt und durften früher nach Hause.

Nach einer Explosion hatte Opa einen Splitter im Finger der rechten Hand, er kam zurück in ein Lazarett nach Deutschland, bekam Urlaub, danach musste er wieder zurück.

Wir haben auch über Konzentrationslager geredet, Opa meinte, dass JEDER von den KZ`s gewusst hätte, dass aber keiner sich getraut hätte, darüber zu reden. Nicht mal unter Freunden, denn jeder hätte petzen können und dann wärst Du der Nächste gewesen, der vergast wird. Opa hat nie ein KZ gesehen.
Als ich Opa fragte, wie man erfahren hat, dass ein Bekannter oder Verwandter im Krieg umgekommen ist, sagt er, dass man einfach eine Nachricht von der Truppe bekam, wo drauf stand: “Vermisst“
Wie der nun genau umgekommen ist, das konnte man meistens eh nicht so genau sagen.
Wenn eine Bombe kam, dann blieb nicht viel übrig. Da brauchte man gar nicht erst zu suchen. Der war eben einfach vermisst.
Es gab damals einige Organisationen wie das rote Kreuz oder den russischen Halbmond, die haben oft Nachrichten geschickt, wenn Verwandte gefunden wurden.

Als Opa 1947 von Russland nach Hause fahren durfte, saß er im Zug und glaubte erst an seine Heimkehr, als er in Waidhofen/Ybbs am Bahnhof aussteigen durfte. Er ging einige Schritte, und das erste was er sah waren RUSSISCHE SOLDATEN!
Er bekam es mit der Angst zu tun und glaubte, dass er gleich wieder zurück geschickt werden würde.
Was musste das für ein Gefühl gewesen sein, diese lange Gefangenschaft, die Reise, dann endlich- Heimat, und dann russische Uniformen!
Aber er ging an ihnen vorüber und sie beachteten ihn überhaupt nicht.
Dann ging er zu Fuß die lange Strecke von Waidhofen bis nach Opponitz, ging rauf ins Furtenreith und seine Mutter öffnete ihm die Türe.

Drei Jahre später haben sich Oma und Opa beim Kirchenwirt kennen gelernt, und haben weitere drei Jahre später geheiratet.

Oma hat dann beim schwarzen Grafen als Magd gearbeitet, sie fütterte und molk die Kühe, mistete aus, musste helfen beim Blutwurst- machen, selchen und schlachten, bei der Heu- Arbeit, und beim Wäsche- waschen im Bach.
Früher war der heutige Kuhstall ein Pferdestall, da wurden die Rösser eingestellt von den Eisen- Lieferanten.
Omas Lohn war damals 450 Schillinge im Monat und 1 ½ Liter Milch pro Tag.
Sie war 32 Jahre dort, zum Schluss hat sie im Monat 1200,- Schillinge verdient.
Damals kostete ein Liter Milch etwa 7 Schillinge- und es gab Zeiten, da war das Bier gleich billig wie die Milch, bzw. die Milch gleich teuer wie das Bier.
Die Molkerei in Waidhofen wurde irgendwann zugesperrt, heute wird unsere Milch nach Gmunden und Salzburg geliefert und der Bauer bekommt nur noch Spottpreise dafür.

Opa ist vor einigen Jahren gestorben.
Bis zu seinem letzten Tag war er in den Wäldern unterwegs und als ich nach sieben Jahren Oberösterreich wieder zurück nach Opponitz zog, schaute er sich meine neue Wohnung an, brachte mir Holz zum einheizen, und dann starb er.
Oma lebt noch, und ich lerne immer noch von alten Heilkräutern, Hausmittelchen, höre ihr noch immer gerne zu, wenn sie von den Russen und vom Krieg erzählt, oder vom Leben bei den alten Grafen.

Rabenweib
 
das foto zeigt meine oma (die zweite von links mit dem gepunkteten kleid) , sitzend ihre mama (meine urgroßmutter) die mit 48 und nach 13 kindern an gebärmutterkrebs gestorben ist, neben ihr sitzend der uropa, ein jäger und weiberheld...
die familie lebte in lassing (grenze zwischen steiermark, ober- und niederösterreich) ungefähr 1940 rum...

(Admin: externer Foto-Link existiert nicht mehr)
 
mich würde interessieren, ob jemand die geschichte gelesen hat?
(über 170 klicks und keine rückmeldung?)

diese geschichte aufzuschreiben hat einige jahre gedauert. meine oma hat mir alles erzählt, ich habe teilweise mitgeschrieben, teilweise tonaufnahmen gehabt, nach denen ich dann geschrieben habe...
ich finde es ist nicht nur eine spannende geschichte für mich, sondern auch für meine kinder und enkelkinder, die später einmal ein tolles dokument für ihre familiengeschichte haben. aber auch über den ort erzählt es einiges...

wer hat schon so eine ausführliche geschichte seiner urgroßeltern oder ur-ur-großeltern.
ich habe alles in ein buch drucken lassen und für jedes meiner kinder so ein buch machen lassen- mit fotos und geschichte, und leeren blättern, damit sie später vielleicht selbst ihre geschichten dazu schreiben können...

alles liebe, sonja
 
Liebe Sonja, gerne erfülle ich deine Bitte! Mit großem Interesse habe ich
die Geschichte deiner Familie gelesen. Ist eine Scheibtruhe eine Schubkarre
oder Schiebkarre? Nicht alle Ausdrücke sind mir geläufig, vielleicht solltest
du mundartliches in Klammern dazu setzen. Ich wußte nur vom islamischen
Halbmond und christl. Rote Kreuz. Russland? - Wunderbar finde ich wenn man
seine Wurzeln kennt und noch dazu eine herrliche Kindheit (in der Natur)
verleben konnte, die Älteren allerdings hatten viel Arbeit und wenig Vergnügen.
Auch ich erinnere mich an Waschtage, Holzhacken, Kohlen- und Kartoffeln-
Einkellern. Was für uns Kinder spielerisch war, war für die Eltern und Groß-
eltern harte Arbeit. Dazu kam Nutzgarten und Kleinvieh! Meine Kindheit
war auch ziemlich ländlich/sittlich geprägt, man war streng zu den
Kindern (vor allem in der Schule). Schön, wenn man so alte Familienfotos
besitzt! Die vielen Kinder waren für die Frauen sicherlich nicht einfach, auch das
hast Du gut geschildert und erläutert. Solche Geschichten finde ich nicht nur
für die eigene Familie interessant! - Liebe Grüße sendet Ulrike
 
danke ulrike, für deinen kommentar!
ja, eine scheibtruhe ist eine schubkarre!
(ich hätte auf die schnelle gar nicht gewusst wie man dazu im hochdeutschen sagt!!!)

der "russische halbmond" war eine organisation ähnlich dem internationalen roten kreuz. mehr weiß ich darüber leider auch nicht und opa ist mittlerweile gestorben, vielleicht weiß oma noch mehr darüber. ich frag sie gerne.

hier noch ein foto vom opa bevor er in den krieg zog:
(ich müsste auch von der msuterung noch ein foto haben, da wurde ein gruppenfoto beim kirchenwirt in opponitz gemacht, wo opa auch drauf ist... muss ich suchen gehn)

(Admin: externer Foto-Link existiert nicht mehr)

und eines von oma: (da hat sie schon als magd gearbeitet, im hintergrund sieht man den "schwarzen grafen" (pießlinger in opponitz)

(Admin: externer Foto-Link existiert nicht mehr)
 
Hab deine persönliche Geschichte nun auch gefunden und gelesen.
Klasse Idee, diese oft nur mündlichen Überlieferungen auch mal niederzuschreiben und somit der Nachwelt zu erhalten.
Werde das auch mal in Angriff nehmen, da ich ja auch einiges an Familiengeschichte weiss.
Besonders mutig war ja deine Oma die den russischen Offizier geohrfeigt hat.
Ihr Mut ist vergleichbar mit dem Verstecken eines jüdischen Rabbiners vor der Gestapo. Das hat meine Oma gemacht. Sie war damals Strassenbahnschaffnerin in Frankfurt. Opa der Nitglied der NSDAP war ( ohne diesen Beitritt hätte er damals keine Arbeit in der Schuhfabrik bekommen war entsetzt als er das erfuhr. Sie wären ja gnadenlos im KZ gelandet. Irgendwie haben sie den Rabbi aber doch gefunden. Ja und die Nächte in den Luftschutzbunkern die meine Mutter als Kind erlebte und die Flucht meines Onkels Hans aus russischer Gefangenschaft sind auch sehr interessant.
Der liebe Onkel war Polizeiinspektor in Feuchtwangen und mochte mich sehr.
Er war einer der letzten Heimkehrer aus der Gefangenschaft. Der Adenauer
hatte die noch rausgeholt. Frage nicht was der mitgemacht hat als er bei seiner Flucht in Frankfurt an der Oder bei einem Bauern um Brot bettelte und er von diesen wieder an die Russen verraten wurde und sie ihn zurückholten.
Das fette Essen nach dem Krieg ( er war ja nur noch Haut und Knochen)
hat ihm wohl den Tod gebracht. Er starb in der Kirche während des Empfangs
der Hl. Kommunion - unglaublich. Die Fotos als er in meinem Heimatort ankam
und vom Bürgermeister empfangen wurde - habe ich heute noch.
Ja ich hätte da auch sehr viel zu erzählen. Vater war mit 18 bei der SS an der
Ostfront. Er hat die silberne Nahkampfspange und auch die Bronzene. Allein seine Erlebnisse würden ein kleines Büchlein füllen.

Gruss

Oldtimer
 
lieber oldtimer, hast du kinder? enkelkinder?
wenn ja, dann solltest du das alles unbedingt aufschreiben. und weitergeben. und vielleicht leere seiten drin lassen in dem büchlein, damit die kinder ihre eigenen geschichten später dazuschreiben können.
ich habe das für alle meine drei kinder gemacht. die geschichten der eltern, großeltern und urgroßeltern aufgeschrieben soweit ich das zurück verfolgen konnte, fotos aufgetrieben und kopiert, alles an einen verlag geschickt ( mb verlag) und zu kleinen büchlein drucken lassen. hat nicht viel gekostet.
und die kinder haben etwas, das viele kinder nicht haben: die komplette familiengeschichte bis zu ihren ur- urgroßeltern zurück!
 
Und dann gibt es wieder Kinder, die wären froh, wenn sie die "LebensGeschichten" ihrer Großeltern nicht kennen würden, geschweige denn verwandt wären...

Die Laus-Maus
 
@Laus-Maus: das gibt`s auch. aber die wurzeln sollte man sich nicht abschneiden. dann hat man keinen festen halt im leben... in dem falle hilft: verzeihen und loslassen, aber die wurzeln annehmen.

alles liebe, sonja
 
vielleicht...
ich habe es dutzende male so erfahren und arbeite auch im schamanischen bereich immer und immer wieder damit, war bei familienaufstellungen sowohl als aufsteller als auch als aufgestellte dabei, mache ahnenarbeit und arbeite mit menschen die probleme mit ihren wurzeln/ ahnen/ familien/ eltern/ großeltern, usw... haben, arbeite mit krankheiten die familienbedingt weitergegeben wurden, und habe es mehrfach erlebt, daß einfache rituale die mit verzeihen und loslassen zu tun haben die probleme lösen konnten.
natürlich nicht immer, aber sehr sehr oft... besonders dann, wenn sich die menschen drauf eingelassen haben und bereit waren dazu, offen waren dafür.
wer von haus aus sagt: mag nicht, kann nicht, usw... da kann dann natürlich eh keiner was machen.

alles liebe, sonja
 
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