Böse Zungen an der Küste stellen ja zuweilen die gewagte Theorie auf, die Westfalen und die Rheinländer zöge es vor allem deswegen nach Norden, weil man da nur einfach geradeaus zu fahren bräuchte. Den Glaubwürdigkeitscharakter dieser Theorie schätze ich allerdings mindestens ebenso hoch ein, wie die Behauptung, die Herkunft des Names der Stadt Leer (Ostfriesland) hätte etwas mit dem Emder Hauptbahnhof zu tun. Letztere Aufassung stünde in krassem Widerspruch zu der immer wieder kolportierten These, Leer wäre die älteste Stadt der Welt, heisst es doch im Ersten Buch Mose: "Und die Welt war Wüst und Leer". Nun erscheint es aber kaum glaubhaft, dass man sich bei der Erschaffung der Welt bereits Gedanken bezüglich der Problematik der von Emden kommenden Züge gemacht hat. Aber Gottes Güte ist groß und seine sind Wege bekanntlicherweise unergründlich - und vielleicht hat unser Herrgott ja doch bei der Erschaffung der Welt ein kleines bisschen an den Emder Hauptbahnhof gedacht - wer weiß. Denn an der ersten Theorie ist durchaus ein kleines Körnchen Wahrheit dran, wie wir sehen werden.
Bezüglich der Herkunft des Namens der Stadt Leer fallen mir nämlich immer wieder die Erlebnisse ein, die man insbesondere in den Wintermonaten in den 90er Jahren machen konnte, wenn man nach 19:00 Uhr von Emden aus Richtung Süden fahren wollte. Zu diesem Zeitpunkt war der Bahnhof, der sich ja 'Hauptbahnhof' nennt, nicht mehr besetzt. Sinniger Weise hat man dann auch die Zuglaufanzeige abgeschaltet, Fahrpläne hingen nicht aus. Irgendwann kam dann ein Zug aus Norddeich Mole angerumpelt, der ebenfalls keinen Hinweis zuließ, wohin er führe. Bis Leer konnte man aber auch nichts falsch machen, denn egal, wohin man von Emden aus in südliche Richtung will: man muss über Leer fahren. Nun gibt es in Leer allerdings das kleine Problem, dass sich dort die Strecke teilt: einmal geht es über Augustfehn, Ocholt, Bad Zwischenahn sowie Oldenburg und Bremen Richtung Hannover, die andere Strecke führt über so nette Orte, wie Papenburg, Meppen, Lingen und Rheine weiter in Richtung Ruhrgebiet. Wollte man nun Richtung Oldenburg fahren, war es damals ratsam, in Leer schleunigst den Zug zu verlassen und erst einmal sicher zu stellen, wohin der Zug fuhr. Deshalb war der Zug in Leer erst mal leer, denn Richtung Oldenburg hält der Zug wegen Richtungswechsels 20 Minuten, Richtung Rheine dagegen nur 2 Minuten. Richtung Papenburg zu fahren, wäre in den 90er Jahren fatal gewesen, da man in der Region bahnseitig um 21:00 Uhr die Bürgersteige hochklappte.
Übrigens: in Norddeich gibt es noch eine andere bedeutsame Schnurre: die kürzeste Schnellzugdistanz der Welt. Die Entfernung zwischen den Bahnhöfen Norddeich und Norddeich Mole beträgt ca 100 m. Wohl dieser Besonderheit wegen hat man im Bahnhof Norddeich dann letztendlich auch die Bahnsteige abgeschafft - gehalten wird trotzdem und man kann auch, wenn man will, dort aussteigen. Ist jedoch reichlich unbequem.