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Petja. Eine Erinnerung an den Ersten Weltkrieg

Babel

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Beim Stichwort "Erster Weltkrieg" denken wir vor allem an die Schlachtfelder, an den Stellungskrieg. Hier mal ein ganz anderer Blick auf den Krieg.

Die Frau, die diesen Bericht geschrieben hat, war 1918 ein junges Mädchen, Tochter des Verwalters von Schloß Neuburg (Neuburg an der Kammel, Bayerisch Schwaben). Hier (Admin: externer Link existiert nicht mehr) eine (moderne) Luftaufnahme des Schlosses – vielleicht kann man sich dann die Situation besser vorstellen.



"Ich bin vorbestraft! Und das kam so:

Das Schloß war um 1918 Offiziersgefangenenlager, und zwar für Franzosen und einige Russen. Der große innere Schloßhof war durch eine ca. 3 Meter hohe Bretterwand getrennt worden, damit uns wenigstens eine Tür als Ausgang blieb.

Els und ich machten an einem Gründonnerstag unseren Hof sauber, während die Gefangenen beim Abendessen waren, denn dann war keines der Fenster belagert. Wir waren knapp fertig, und während wir Besen und Korb wegräumten, begann im Schloß bereits Geplauder und Musik. Einer der Gefangenen habe sogar etwas speziell zu mir herunter gerufen, behauptete am anderen Morgen der Lagerkommandant Oberst P. und brüstete sich damit, er habe es "dem frechen Russen schon besorgt". Der Russe bekam drei oder gar acht Tage Einzelhaft. Wofür? Erst später verstand ich die billige Ruhmestat des Obersten: In Neuburg sei kein blondes Mädchen vor ihm sicher gewesen, hieß es.

Nach den Feiertagen kehrte ich zurück in die Augsburger Internatsschule St. Ursula. Und erst in den Sommerferien gelang es Petja von Liede, mich von seiner Unschuld zu überzeugen, indem er ein Brieflein um ein kleines Bleiklötzchen wickelte und mir vor die Füße warf. Darin besiegelte er mit seinem Ehrenwort, er habe überhaupt nichts gerufen. Da standen nun die Worte von zwei Offizieren einander gegenüber.

Inzwischen kamen neue Briefchen mit der Bitte um Antwort. Und er erhielt sie. Es kamen etwa 15 Brieflein in meinen Besitz, er erhielt etwa fünf. Petja strahlte, was aber seinen Zimmergenossen wurmte. Der machte Meldung.

Nun kam für Oberst P. der größte Genuß: Er meldete die Sache sofort dem Generalkommando nach München, und das schaltete die Polizei ein. Der Polizist, der mich in St. Ursula vernahm und dem ich alle Briefe übergab, las sie und konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Er sagte nur: ,O Kinder!’

Ich bekam eine Strafe von 60 Mark. Petja kam fort, und ich habe nie erfahren, wohin."
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Reaktion des Polizisten nach zu schließen, werden die Sanktionen für den Petja hoffentlich nicht so schlimm gewesen sein, falls der Bericht Einfluss hatte. Wenigstens ist er von diesem Oberst befreit gewesen.
Auch schön, dass sich in einer so schrecklichen Zeit und Situation zarte Gefühle entwickeln und die Lage erleichtern konnten.
 
... zarte Gefühle ...
Zarte, aber auch gefährliche. Da haben zwei junge Leute ein paar Gefühle entwickelt – er wahrscheinlich aus purer Langeweile, sie aus mädchenhafter Schwärmerei – und ein paar Zettelchen gewechselt; sie haben sich nie gegenübergestanden, nie ein Wort miteinander gesprochen. Aber Feind ist eben Feind ... :(

Das Mädchen von damals ist Lehrerin geworden, und diese "Straftat" war bis zu ihrer Pensionierung in ihrer Personalakte vermerkt.
 
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