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Naturkatastrophen in der sagenhaften Überlieferung Norddeutschlands

Nicobär

Member
Im Nordwesten Deutschlands gibt es eine ganze Reihe von Ortssagen, die sich auf Naturkatastrophen z.T. schlimmsten Ausmaßes beziehen. Dies betrifft zum einen die schweren Landverluste an der deutschen Nordseeküste bei den schweren mittelalterlichen Sturmfluten, bei denen ganze Siedlungsgebiete mit zahlreichen größeren Ortschaften zum Opfer fielen als die Entstehung sogenannter Erdfallseen, von denen der größte das Zwischenahner Meer bei Bad Zwischenahn westlich von Oldenburg ist. Weitere Erdfallseen befinden sich beim Sage (das bis zu 20 m tiefe große und kleine Sager Meer) sowie das sogenannte Heilige Meer bei Rheine.

Für den westlich des Heiligen Meers gelegenen und im Jahre 1913 entstandenen Erdfallsees liegen umfangreiche geowissenschaftliche Untersuchungen sowie Beschreibungen von Augenzeugen von der Entstehung vor. Der Hauptentstehungsprozess vollzog sich demnach quasi über Nacht, als die Deckschichten über einem über Jahrhunderte vom Grundwasser ausgelaugten Salzstock zusammenbrachen. In der Folgezeit vergrößerte sich der Einbruch durch nachstürzende Seitenbereiche noch einmal um ein Vielfaches und füllte sich mit Grundwasser.
Passend hierzu gibt es Ortssagen etwa zu dem ebenfalls vermutlich als Erdfallsee entstandenen Zwischenahner Meers. So findet sich bei Ludwig Strackerjahn (1909) eine Sage, nach der die Entstehung des Sees auf den Teufel zurückgeführt wurde, der aus Wut über den Oldenburger Kirchbau in einer Nacht große Mengen an Erde bei Bad Zwischenahn aus dem Boden riss, um die Stadt Oldenburg und ihre Kirche zu zerstören, was ihm aber nicht gelang.
Über das Sager Meer in der Gemeinde Großenkneten (Landkreis Oldenburg i. Oldb.) liegen ähnliche unheimliche Geschichten vor. Hier ist man den beiden Seen seitens der ortsansässigen Bevölkerung seit je her mit großem Respekt begegnet. Das Meer galt lange Zeit als sehr unheimlicher Ort; vor allem galt es dort als gefährlich, zu fischen. So erzählte man sich die Geschichte von einem Bauern, der dort fischen ging und einen riesigen Hecht fing. Als er ihn nach Hause tragen wollte fing der Hecht auf einem Mal an zu sprechen und fragte ihn "Wat wullt Du mit mi maken? Wullt Du mi braten or koken" (Was willst Du mit mir machen? Willst Du mich braten oder Kochen?), woraufhin der Bauer nie wieder im Sager Meer zum fischen ging.

Zu den Sagen im unmittelbaren Küstenbereich gibt es eine interessante Deutung bei Carl Woebcken aus den 20er Jahren. Vor allem die Überlieferung der katastrophalen Sturmflut vom 16. Januar 1362, bei der ungeheure Mengen an Land verloren gingen und nach heutigen Schätzungen etwa 100.000 Menschen ums Leben kamen und die aus heutiger Sicht nicht nur eine Natur- sondern auch eine aus dem hochmittelalterlichen Raubbau an der Natur (Salztorfabbau) resultierende Umweltkakastrophe war. Hierzu ist die Publikation von Albert Bantelmann zur Küstengeschichte in Schleswig-Holstein sehr aufschlussreich. Man grub den salzhaltigen Torf in den Küstenregionen flächenhaft ab, um das darin enthaltene Salz für viel Geld zu verkaufen. Dabei gerieten ganze Regionen von ihrem Höhenniveau in den Bereich unterhalb des Tidehochwassers, so dass sie nach dem Durchbrechen der Uferlinien und Deiche dauerhaft überflutet und zu Watten wurden. Salz war vor allem im Mittelalter ein wichtiges Handelsgut und begründete den Reichtum zahlreicher Regionen und Städte (z.B. Lüneburg, Salzburg etc.). Die in der Folgezeit an den Küsten überlieferten Sagen hoben immer wieder die Sündhaftigkeit der Bevölkerung in den untergegangenen 0rten hervor. In diesem Zusammenhang lässt sich dies verstehen.

Carl Woebcken berichtet in seinem Buch "Deiche und Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste" (1924) von Sagen, dass vor der Flut 1362 am Schlicker Siel am Eingang des heutigen Jadebusens ein Gespenst gestanden hätte und "Dieke, Dieke, Dieke!" gerufen hätte. Das Ereignis sei so gravierend gewesen, dass sich die Flut, obwohl man ausser in einigen Chroniken das Datum im Laufe der Zeit vergessen hätte, im Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt hätte.

Von der in der Flut untergegangenen Stadt Rungholt in Nordfriesland wurde von anderen autoren berichtet, dass sich Aale aus der Glut herauswälzten; ähnliches wurde von späteren Fluten an der niedersächsichen Küste erzählt.

geograph-behrmann.de
 
Hallo Niccelausi,

Danke für Deinen hoch interessanten Beitrag! Wenn Du möchtest, könnten wir für den redaktionellen Teil auf SAGEN.at dazu gerne die zutreffenden Sagen zusammenstellen, die Du gegebenenfalls kommentieren könntest.

Übrigens auch aus der Sicht der Volkskunde ist zum Umgang der Menschen mit Naturkatastrophen von Bernd Rieken ein sehr gutes Buch "Nordsee ist Mordsee" erschienen.

Habe gerade ein paar Bilder (Sommer 1980) aus unserem Bildarchiv geholt, die die Bedrohung des Meeres an der Nordsee zeigen könnten:


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Bildarchiv SAGEN.at Nr. 127630


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Bildarchiv SAGEN.at Nr. 146770


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Bildarchiv SAGEN.at Nr. 151940


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Bildarchiv SAGEN.at Nr. 51070


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Bildarchiv SAGEN.at Nr. 70310


Wolfgang (SAGEN.at)
 
Hierzu gibt es auch noch eine Arbeit von Manfred Jakubowski-Tiessen:
"Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit". Die Weihnachtsflut des Jahres 1717 ist bis heute die größte Naturkatastrophe der Neuzeit in Deutschland. Ähnlich wie das Erdbeben von Lissabon verbreitete sich auch hiervon die Kunde schnell über die ganze Welt.

Die Hauptursachen für die Katastrophen sind in den Folgen des 30-jährigen Krieges und dem Aussterben des Oldenburger Herrscherhauses zu suchen, die dazu führten, dass fast der gesamte deutsche Nordseeküstenbereich unter dänischer und schwedischer Landesherrschaft standen. Nun waren allerdings Dänemark und Schweden zu Beginn des 18. Jahrhunderts fleissig damit beschäftig, ihre Finanzen in den Nordischen Kriegen zu ruinieren und interessierten sich nur sehr eingeschränkt für die Verhältnisse in ihren norddeutschen Provinzen, zumal die Deicherhaltung in wesentlichen Dingen Sache der Grundbesitzer, also der Marschenbauern waren. Trotzdem führte die Vernachlässigung der Landesaufsicht und die hohe Abgabenlast zu einer stetigen Verschlechterung der Deiche. Schon im Herbst des Jahres 1717 war im Oldenburger Land bereits klar, dass die Seedeiche in einem solch schlechtem Zustand waren, dass eine sehr schwere Sturmflut zwangsläufig zu einer fürchterlichen Katastrophe führen musste.

Diese Katastrophe trat in der Weihnachtsnacht vom 24. auf den 25.12.1717 ein. Über die Witterung an den Tagen gibt es verschiedene Berichte, so dass man einen recht guten Eindruck vom Ablauf der Katastrophe bekommt (ich verzichte an dieser Stelle einmal auf die exakte Quellenarbeit - kann sie aber gerne auf Wunsch genau darstellen):

Nachdem es in der Zeit vor Weihnachten recht kalt gewesen war trat am 24.12.1717 eine deutliche Milderung ein. Gleichzeitig kamen stürmische Winde aus südwestlicher Richtung auf. In den Abendstunden drehte der Wind dann auf Nordwest und nahm merklich ab - aus meteorologischer Sicht eine typische Ankündigung eines Trogdurchzuges; hätte man damals bereits den Luftdruck gemessen, hätte man festellen müssen, dass trotz spürbarer Windabnahme der Luftdruck weiter abfällt, was alles andere als eine Wetterbesserung ankündigt, sondern eher das Gegenteil. In den Nachtstunden nahm der Wind dann in ungeheurer Stärke aus nordwestlicher Richtung zu und wurde zum Orkan, der die Wassermassen direkt in die Deutsche Bucht und in die Flußmündungsbereiche von Elbe, Weser, Jade und Ems trieb. Innerhalb kürzester Zeit erreichte der Wasserstand die Deichkronen und durch den schweren Seegang auf den Aussendeichsgeländen wurden die Deiche innerhalb kürzester Zeit überflutet und brachen.

Vielfach wurden die Menschen im Schlaf von den hereinbrechenden Wassermassen überrascht und wachten auf, als bereits die Möbel in den Wohnung schwammen. An eine Rettung des Viehs, geschweige denn eine effektive Deichverteidigung war nicht mehr zu denken. Ganze Landstriche wurden überflutet; im Jeverland südlich vom heutigen Wilhelmshaven erreichte die Flut den Geestrand; im zwischen Jade und Weser gelegenen Butjadingen waren am Südostzipfel des Jadebusens die Deichbrüche so gewaltig, dass man auch in den kommenden Jahren nicht in der Lage war, sie zu schließen.

Nun wurde der bisher untätige und chronisch finanziell bei klammer Kasse befindliche Landesherr in Kopenhagen aktiv - handelte es sich hierbei doch um Seemarschen mit äußerst fruchtbaren Böden, die hohe Steuern zahlen konnten. Hatte man sich vorher kaum um die Regionen gekümmert und sie lediglich als "Abstellort" von in Ungnade gefallenen hohen Staatsbeamten genutzt, kam mit dem dänischen Admiral Sehestedt ein Mann ins Oldenburger Land, der die wasserbaulichen Probleme in der Südostecke des Jadebusens löste und den Deich erst fast vier Jahre nach der Flut von 1717 im Jahre 1721 wieder schließen konnte. Ihm zu Ehren heisst der Punkt, an dem 1717 der Deich so katastrophal brach heute noch 'Sehestedt'.

Übrigens: bei Sehestedt befindet sich das weltweit einzige Aussendeichsmoor - ein Moor, das unter marinem Einfluss steht und in dem zahlreiche endemische - d.h. weltweit nur dort vorkommende Pflanzen zu finden sind.
 
Ein interessanter Beitrag! Auch die Fotos gefallen mir gut!
Zählt auch die Geschichte von Rungholt zum Thema?
Nordische Sagen (speziell Nordsee) interessieren mich bsonders.
Zu diesem Thema bitte ruhig mehr! Ulrike
 
Das Thema Rungholt gehört auch dazu. Einige geborgene Reste des ehemailgen Siels, das in den 20er Jahren in der Nähe der Hallig Südfall gefunden wurde, befinden sich im Nissenhaus in Husum und können dort besichtigt werden. Überhaupt waren die Watten im Bereich der ehemaligen Siedlungsgebiete gerne von Schatzsuchern und Abenteurern aufgesuchte Gebiete. Durch die Ausweisung des Wattenmeers als Nationalpark bzw. als Biosphärenreservat ist den wilden Grabungen jedoch ein Riegel vorgeschoben worden - es handelt sich im Bereich des Jadebusens und bei der Hallig Südfall um sogenannte 'Ruhezonen', die ganzjährig ohne Ausnahmegenehmigung nicht betreten werden dürfen, da es sich hierbei nicht nur um archäologische Denkmäler, sondern auch um wichtige Nahrungs- und Rastplätze für durchziehende oder hier überwinternde Vogelarten handelt oder sich dort wichtige Ruhe- und Wurfplätze für Seehunde und Kegelrobben sind.
Hinzu kommt auch noch die Tatsache, dass das Wattenmeer ähnlich wie das Hochgebirge ein für den Menschen äußerst gefährlicher Naturraum mit plötzlich umschlagender Witterung ist. Bei einem aufziehendem Gewitter ist der Tod durch Blitzschlag nahezu gewiss - und viele Forscher, auch aus der Region, die mit den Verhältnissen bestens vertraut waren, haben dort den Tod gefunden.
 
und bei der Hallig Südfall um sogenannte 'Ruhezonen', die ganzjährig ohne Ausnahmegenehmigung nicht betreten werden dürfen

Ganz so streng dürfte das aber auch nicht eingehalten werden. Hier meine Fotos vom 8. August 2005. Wenn man von Landesinneren kommt, sieht das so aus:

hallig_suedfall.jpg


Hallig Südfall, Wolfgang Morscher, 8. August 2005


Exakt derselbe Platz sieht hinter dem Gatter so aus:

hallig_suedfall_2.jpg


Hallig Südfall, Wolfgang Morscher, 8. August 2005

Mit rotem Pfeil markiert sind Touristen, die da noch viel weiter hinausgewandert sind...


Wolfgang (SAGEN.at)
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier noch ein Bild von einer Informationstafel an der Hallig Südfall, die auf den sagenumwobenen Ort Rungholt Bezug nimmt:

hallig_suedfall_rungholt.jpg


Kulturspuren im Watt, Informationstafel Hallig Südfall
Foto: Wolfgang Morscher, 8. August 2005


Ich denke, wir sollten doch im redaktionellen Teil von SAGEN.at eine Zusammenstellung der Sagen machen.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
...das sind noch keine wattwanderer...das sind nur leute, die etwas weiter hinaus gehen...werft mal einen Blick auf die Gallery meiner website geograph-behrmann.de...
 
Zuletzt bearbeitet:
...das meine ich inzwischen auch... ;) es gibt jede Menge an Material - und ich kann als Küstenmorphologe jede Menge an Erklärungen beisteuern...
 
Das sind Urlauber. Vor allem in den Küstenbereichen, die den Nordseeinseln nachgelagert sind, glauben oft Leute, dass man zu Fuß zu den Inseln hinüberlaufen kann und müssen dann oft aus dem Watt in letzter Minute heraausgeholt werden.
An der Interpretation von Ortssagen aus geowissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Sicht bin ich jederzeit interessiert.
 
Sagen vom Sager Meer: Erklärungsversuche

In der Gemeinde Großenkneten südlich von Oldenburg befindet sich das sogenannte Sager Meer. Mit Tiefen über 25 Metern ist es der tiefste See in Nordwestdeutschland; über die Entstehung der beiden dicht beieinander gelegenen Meere gibt es unterschiedliche Auffsassungen, auf Grund der Tiefe und der Geologie des Untergrundes, der Hengstlager Salzstock steht hier in einer Tiefe von nur etwa 300 m an, kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei um Erdfallseen handelt.

Zur Entstehung von Erdfallseen gibt es aus einem ähnlichen Raum, dem Heiligen Meer bei Rheine von solche einem Ereignis detaillierte Untersuchungen (LOTZE 1956: Zur Geologie der Senkungszone des Heiligen Meeres, Krs. Tecklenburg - In: Abh. Landesmuseum f. Naturkunde 18, 1-36; THIERMANN 1975: Zur Geologie der Erdfälle des "Heiligen Feldes" im Tecklenburger Land/Westfalen. In: Mitt. Geol. Paläont. Inst. Univ. Hamburg, 44, 517-530). Eine kurze Zusammenfassung findet sich bei Ricchard POTT in "Nordwestdeutsches Tiefland zwischen Weser und Ems", (Stuttgart 1999, S. 96 ff.).

Augenzeugenberichte über den Einsturz und die Bildung des Erdfallsees wesetlich des Heiligen Meeres lassen zahlreiche Ortssagen in einem anderen Licht erscheinen - so etwa die von Ludwig STRACKERJAHN (Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg; zweite erweiterte Aufl., herausgegeben v. Karl Willoh 1909, Bd II: S.304 ) aufgezeichnete Sagen zur Entstehung des Sager Meers.

Darin heisst es:

"Das Sager Meer ist entstanden, als ein Ort, der sich hier befand, wegen der Ruchlosigkeit seiner Bewohner in der Tiefe versank. Die Einwohner waren durch ihre vielen Schafe und eine großartige Bienenzucht reich und dann übermütig geworden"

Quelle: Ludwig STRACKERJAHN (Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg; zweite erweiterte Aufl., herausgegeben v. Karl Willoh 1909, Bd II: S.304 )

Hierzu muss man wissen, dass sich das Sagermeer am westlichen Rande der sogenannten Nienburg-Meppener Geestplatte befindet, einer von der Saaleeiszeit geschaffenen und während des Weichselglazials periglazial überprägten Moränenlandschaft handelt. Unmittelbar westlich des Sager Meers schließt sich dieser Geestplatte die sogenannte Hunte-Leda-Niederung an, aus der während des Weichselglazials, unter periglazialen Bedingungen ungeheure Sandmengen ausgelasen und auf der Geest abgelagert wurden.
Aus diesem Grund sind weite Bereiche der Geestplatte in diesem Bereich durch nährstoffarme Sandböden charakterisiert, die vor Einführung des Kunstdüngers hier nur Schafhaltung und Bienenzucht möglich machten. Das plötzliche Verschwinden des Ortes (den es so mit Sicherheit nicht gegeben hat) deutet aber darauf hin, dass die Menschen in der Umgebung die Entstehung der beiden Seen als so katastrophal und bedrohlich empfunden haben, dass sich die Katastrophe - blumig und reich ausgeschmückt, über die Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende im Gedächtnis halten konnte. Dies drückt auch eine andere Sage aus, die ebenfalls STRACKERJAHN aufzeichnete:

"Eigentlich ist es nicht ein Meer, sondern es sind zwei, ein größeres und ein kleineres, und es wird auch gesagt, dass nicht ein Dorf dort versunken sei, sondern ein Edelhof. Das Haupthaus habe dort gestanden, wo das große Meer sei, an Stelle des kleinen Meeres aber das Viehhaus. Jedenfalls müssen Häuser dort gewesen sein, denn alles Land ringsum ist ehemals bebaut gewesen und liegt noch in Äckern. Auch führt eine alte Wagenspur in das Große Meer hinein".

Quelle: Ludwig STRACKERJAHN 1909: a.a.O.

Auch hier findet sich wieder ein Hinweis auf die Erdfalltheorie. Bezüglich der Siedlungsspuren kann ich keine Angaben machen, auch stellt sich hier die Frage, was der Erzähler dort gesehen haben will. Tatsache ist jedoch, dass Nordwestdeutschland vor den Spätmittelalterlichen Seuchenzügen deutlich dichter besiedelt gewesen sein muss und insbesondere Pest und andauernde Fehden zwischen den Grundherren zu einer dramatischen Entvölkerung führten. Im allgemeinen spricht man auch hier von der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode, in die auch die großen Landverluste an der Nordsee fallen.

Intessant sind auf jeden Fall die Parallelitäten des Naturempfindens, die in den Sagen vom Sager Meer als auch den vom Meer verschlungenen Regionen an der Nordsee zu erkennen sind. Ich glaube, es würde sich hier lohnen, tiefer in die Thematik - sowohl aus geowissenschaftlicher als auch aus volkskundlicher Sicht einzutauchen.

Soeben habe ich einen sehr interessanten eindrucksvollen Augenzeugenbericht zur Erdfallbildung in einer Karstlandschaft gefunden, den ich hier keinem vorenthalten möchte. Er findet sich hier.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nochmal möchte ich auf Rungholt zurück kommen:
Habe ein gutes Buch, allerdings Roman mit historischem Hintergrund,
dazu gelesen: Kari Köster,Die letzten Tage von Rungholt. Es erschien
bereits 1997. Enthält auch Kartenmaterial, z.B. 1361, 1634, Nordfriesland um
124o. Wirklich lesenswert! Ulrike
 
Ulrike Berkenhoff schrieb:
Nochmal möchte ich auf Rungholt zurück kommen:
Habe ein gutes Buch, allerdings Roman mit historischem Hintergrund,
dazu gelesen: Kari Köster,Die letzten Tage von Rungholt. Es erschien
bereits 1997. Enthält auch Kartenmaterial, z.B. 1361, 1634, Nordfriesland um
124o. Wirklich lesenswert! Ulrike

Was die Karten der nordfriesischen Utlande - so bezeichnete man früher die von zahlreichen Prilen durchzogenen Marschen im Bereich des heutigen nordfriesischen Wattenmeeres - angeht: hier ist nicht nur aus historischer, als auch aus kartographischer Sicht Vorsicht angesagt.

Im 13. Jahrhundert galt die detaillierte Darstellung der Erde als Gotteslästerung; wenn man Karten zeichnete, dann handelte es sich hierbei um geostete (ex oriente lux) Darstellungen des christlichen Heilplans. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Ebstorfer Weltkarte. Diese Karten hatten keinerlei Anspruch auf Genauigkeit, sondern dienten eher der Erbauung. Ihr Zentrum war stets Jerusalem.
Die gerne für den nordfriesischen Raum angeführte Karte der nordfriesischen Utlande ist letztendlich eine kartographische Darstellung von Ortssagen.

Viel interessanter, aufschlussreicher und wissenschaftlich fundiert ist das Werk von Albert BANTELMANN (1966): "Die Landschaftsentwicklung im nordfriesischen Küstengebiet, eine Funktionschronik durch fünf Jahrtausende" In: Die Küste, Jg. 14, H. 2: 5-99). Es gibt m.W. bis heute keine umfassendere und detailliertere Arbeit zu diesem Thema. - Und sie liefert auch heute noch aktuelle aus küstenmorphologischer Sicht Erklärungen der Ortssagen.
 
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