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Lieblingsgedichte

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

H. Hesse
 
Ein Jahr

Nun starb das Jahr. Auch dieses ging daneben.
Längst trat es seinen Lebensabend an.
Es lohnt sich kaum, der Trauer hinzugeben,
weil man sich ja ein neues leisten kann.

Man sah so manches Jahr vorüber fliegen,
und der Kalender wurde langsam alt.
Das Glück gleicht eleganten Luxuszügen
und wir der Kleinbahn ohne Aufenthalt.

Im Wintersportgebiet hat's Schnee gegeben.
Wer Hunger hat, schwärmt selten für Natur.
Silvester kam und manches Innenleben
bedarf der fristgemäßen Inventur.

Das Geld regiert. Wer hat es nicht erfahren,
dass Menschenliebe wenig Zinsen trägt.
Ein braver Mann kann höchstens Worte sparen,
wenn er die Silben hübsch beiseitelegt.

Die Freundschaft welkt im Rechnen mit Prozenten.
Bald siehst Du ein, dass keiner helfen kann.
Du stehst allein. Und die, die helfen könnten,
die sagen höchstens: ".. ruf uns doch mal an."

Nun starb ein Jahr - man lästre nicht am Grabe!
Doch wenn das Leben einer Schule gleicht,
dann war dies Jahr ein schwach-begabter Knabe
und hat das Ziel der Klasse nicht erreicht.


Tucholsky
 
Verschiedenheit

Kein Mensch ist gleich, und eins ist klar:
Wir sind verschieden, sonderbar!

Monströs erscheintes mir, gemein,
von Gleichheit ab Geburt zu reden,
als wäre es Programm für jeden,
ein Maschinending zu sein.

Weil jeder anderes ist und tickt,
aus Genen aller Art gestrickt,
erweist es sich im Lauf der Zeit:
Wir wachsen durch Veschiedenheit.

Armin Mutscheller

:)
 
Liebe

Wärest du anders,
so wärst du nicht mein,
und ich müsst' mir wünschen,
ein anderer zu sein.

Wärest du so wie ich
und ich so wie du,
dann müssten wir trauern
um ein Ich und ein Du.

Wir sind nicht perfekt,
sonst würde was fehlen.
Wir dürfen uns fragen:
Was gilt's zu verhehlen?

Worin verzehrt sich Liebe,
wenn nicht im Gleichen?
Und was befeuert sie?
Es ist ihr wundersamer Kern,
der fruchtbar auch in jenem wächst,
was anderes scheint und eigenfern.

Armin Mutscheller

:)
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Stadt
Theodor Storm

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn' Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.



Meeresstrand
Theodor Storm

Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen -
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
 
Liebling? S - GEH > dichte! Regnet es schon wieder herein?
 
Schon seit frühester Jugend ist mir ein Gedicht von Christian Morgenstern im Gedächtnis, das mir durch seine Verschmelzung von äusserer Form und Geschichte unvergesslich bleibt:


Zwei Trichter wandeln durch die Nacht.
Durch ihres Rumpfs verengten Schacht
fließt weißes Mondlicht
still und heiter
auf ihren
Waldweg
u.s.
w.
 
Besonders für Elfie noch ein Gedicht von Erich Fried:
Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist was es ist, sagt die Liebe.
Es ist Unglück, sagt die Berechnung.
Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst.
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.
Es ist was es ist, sagt die Liebe.
Es ist lächerlich, sagt der Stolz.
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.
Es ist was es ist, sagt die Liebe.

Viele Grüße von Ulrike
 
Storm mag ich auch, besonders die ... graue Stadt am Meer ...
und außerdem Hesses "Nebelwanderung". Schöne Beispiele für
Lieblingsgedichte von Andromeda! Viele Grüße von Ulrike
 
Orakel, Orakel ich suche nach dir,
es ziehet magnetisch die Hände mir,
sie suchen und sehnen und tippen und tasten,
schon glaubt der Verstand, sie werden gleich rasten,
da, wie von Zauberhand des Gedankens entsteht die Vision,
ein Palmblatt erscheint, der Computer ist on.
Die Hände sind schneller als es die Überlegung ist wert,
sie tippen und schnippen ist`s gerad und verkehrt,
3 Euro nur für einen Palmblatt Rabatt.
Schon füllen sie die Bestellung, das Handy piepst, es hat, es hat.
Die Tage verstreichen und wie von Magie,
es piepst und piepst, etwas von spanisch schwinget hier mit, sag I.
Lieber nicht öffnen, geheim soll es bleiben,
Die Rechnung sie kommt, die Hände sich reiben.
Wieder haben sie nun die Botschaft verstanden,
Kündigen das Orakel, welches zu rasch sie erstanden.
Die Hände, sie nehmen ein Schweißtuch nun rasch,
und tupfen die Stirn und sagen wasch, wasch.
Verstand guckt hervor und aktiviert den einen,
der hierzu die Hand erhebet, den Zeigefinger sonst keinen.
Der Zeigefinger sich des Orakels bewußt,
schwingt hin und her und schwört an der Brust,
Nie wieder werd ich der Hände Finger ohnen mich,
den Zeigefinger Deuterich,
ein Palmblatt mir suchen so ohne viel denken,
den Zeige fing er, fangen und lenken.
 
Friede... free de...die Freie.
 
Warum 2 mal? Weil Friede nur zu zweit möglich ist. Da, wenn man sich selbst den Frieden wünscht, es nichts ändert, außer, man lächelt sich selbst zu und sagt, der Friede sei mit dir und macht es ganz bewußt nur mit sich selbst aus.
 
Auf dem See
Goethe

Und frische Nahrung, neues Blut
Saug' ich aus freier Welt;
Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hält! Die Welle wieget unsern Kahn
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge, wolkig himmelan,
Begegnen unserm Lauf.

Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so Gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.

Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne,
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.
 
Die Kinder die sich lieben
von Jacques Prevért

Die Kinder die sich lieben umarmen sich im Stehen
An den Türen der Nacht
Und die passierenden Passanten zeigen mit den Fingern auf sie hin
Aber die Kinder die sich lieben
Sind für niemanden da
Und es ist nur ihr Schatten
Der da zittert in der Nacht
Der den Zorn der Passanten entfacht
Ihren Zorn, ihr Missfallen, ihr Lachen und ihren Neid
Die Kinder die sich lieben sind für niemanden da
Sie sind woanders sehr viel ferner als die Nacht
Und sehr viel höher als der Tag
Weitab vom ganzen Weltgetriebe
Im hellen Glanz ihrer ersten Liebe.
:)
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Leben, das ich selbst gewählt
von H. Hesse

Ehe ich in dieses Erdenleben kam
Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
Da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte,
Da war der Irrtum, der gefangen nahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte,
Da waren Hass und Hochmut, Stolz und Scham.

Doch da waren auch die Freuden jener Tage,
Die voller Licht und schöner Träume sind,
Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage,
Und überall der Quell der Gaben rinnt.
Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden,
Die Seligkeit des Losgelösten schenkt,
Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden
als Auserwählter hoher Geister denkt.

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,
Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.
Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute,
Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig Leben schaute,
Da hört ein Wesen ich die Frage tun,
Ob ich dies zu leben mich getraute,
Denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme —
»Dies ist das Leben, das ich leben will!« —
Gab ich zur Antwort mit entschlossner Stimme.
So war’s als ich ins neue Leben trat
Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward ich geboren in diese Welt.
Ich klage nicht, wenn’s oft mir nicht gefällt,
Denn ungeboren hab ich es bejaht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein skurriles Weihnachtsgedicht mit durchaus ernst gemeintem Hintergrund
von Dittker Slark:

Wenn der Stern am Himmel blinkt
Und die Katz im Schnee versinkt
Wenn der Hund am Ofen pennt
Kommt der Weihnachtsmann gerennt
Doch sein Sack ist heut nicht schwer
Wirkt beängstigend fast leer
Es bereitet wenig Freude
Was sich schenken oft die Leute
Auto, Fernsehn und Computer
Für den Vater oder bruder
Passen nicht in seinen Sack
Höchstens noch ein langer Frack
Festgewand für Mutter, Schwester
Denn sie wollen zu Silvester
Auf den großen Opernball-
Plötzlich gibt es einen Knall
Denkt denn niemand an den Stall
Wo Marie und Josef sind?
Mittendrin das Jesuskind
Ochs und Esel stehn dabei
Hirten blasen die Schalmei
Dass nun wirklich Weihnacht sei!

Quelle: Weihnachtsgabe der Diakonie 2009

Kennt jemand hier diesen Dichter?

Viele Grüße von Ulrike
 
Das Leben, das ich selbst gewählt
von H. Hesse

Ehe ich in dieses Erdenleben kam
Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
Da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte,
Da war der Irrtum, der gefangen nahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte,
Da waren Hass und Hochmut, Stolz und Scham.

Doch da waren auch die Freuden jener Tage,
Die voller Licht und schöner Träume sind,
Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage,
Und überall der Quell der Gaben rinnt.
Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden,
Die Seligkeit des Losgelösten schenkt,
Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden
als Auserwählter hoher Geister denkt.

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,
Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.
Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute,
Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig Leben schaute,
Da hört ein Wesen ich die Frage tun,
Ob ich dies zu leben mich getraute,
Denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme —
»Dies ist das Leben, das ich leben will!« —
Gab ich zur Antwort mit entschlossner Stimme.
So war’s als ich ins neue Leben trat
Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward ich geboren in diese Welt.
Ich klage nicht, wenn’s oft mir nicht gefällt,
Denn ungeboren hab ich es bejaht.

Einfach wunderbar!
Ich liebe die Gedichte von Hermann Hesse.
Dieses hab ich noch nie gelesen.
Aber, ich bin ja sozusagen in dieser Hinsicht auch noch fast ungeboren, wenn ich daran denke, was ich alles nicht kenne.

Danke....liebe Grüße Mystika
 
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