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Lieblingsgedichte

alterego

Member
Wie an anderer Stelle im Forum bereits angeregt wurde,
wäre es schön wenn ihr hier eure Lieblingsgedichte
präsentieren könntet.

Ich will auch gleich mit gutem Beispiel vorausgehen und
einen Favoriten meiner weitgestreuten Sammlung von Gedichten, die ich mag, vorstellen:

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke
 
mein absluter favorit

das glasperlenspiel

Anmutig, geistig, arabeskenzart
Scheint unser Leben sich wie das von Feen
In sanften Tänzen um das Nichts zu drehen,
Dem wir geopfert Sein und Gegenwart.

Schönheit der Träume, holde Spielerei,
So hingehaucht, so reinlich abgestimmt,
Tief unter deiner heiteren Fläche glimmt
Sehnsucht nach Nacht, nach Blut, nach Barbarei.

Im Leeren dreht sich , ohne Zwang und Not,
Frei unser Leben, stets zum Spiel bereit,
Doch heimlich dürsten wir nach Wirklichkeit,
Nach Zeugung und Geburt, nach Leid und Tod.
Hermann Hesse
 
Beide Gedichte liebe ich auch! - Hast Du daher deinen Namen "Glasperle"? -
Es gibt viele lyrische Kostbarkeiten! Manches gerät leider zu Unrecht in
Vergessenheit - Viele Grüße von Ulrike (gespannt auf weitere "Lieblinge")
 
Meine lieblings Gedichte sind Heimat verbunden. Eines davon ist von unseren Hausberg, den Reißkofel.Ich sende ein Bild dazu.

Mei Reißkofel von Friederike Dullnig

Zum Reißkofel wor mei erster Blick
Ols Kind schon, noch daham,
wie oft woar mir vagunnt dos Glück
auf sei Höch zue, über die Stan.

Wenn ih amol von do mueß fort,
dos was ih gonz genau,
ih geh lei in an setten Ort,
wo ih noch zum Kofl schau.

Und lieg ih amol do im Grob,
so werd`s ma sicher leicht,
weil der Reißkofl nit an Tog
von meiner Seitn weicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Rabe- Edgar Ellen Poe


Einst, um eine Mittnacht graulich, da ich trübe sann und traulich
müde über manchem alten Folio lang vergess'ner Lehr'-
da der Schlaf schon kam gekrochen, scholl auf einmal leis ein Pochen,
gleichwie wenn ein Fingerknochen pochte, von der Türe her.
"'s ist Besuch wohl", murrt' ich, "was da pocht so knöchern zu mir her -
das allein - nichts weiter mehr.

Ah, ich kann's genau bestimmen: im Dezember war's, dem grimmen,
und der Kohlen matt Verglimmen schuf ein Geisterlicht so leer.
Brünstig wünscht' ich mir den Morgen;- hatt' umsonst versucht zu borgen
von den Büchern Trost dem Sorgen, ob Lenor' wohl selig wär'-
ob Lenor', die ich verloren, bei den Engeln selig wär'-
bei den Engeln - hier nicht mehr.

Und das seidig triste Drängen in den purpurnen Behängen
füllt', durchwühlt' mich mit Beengen, wie ich's nie gefühlt vorher;
also daß ich den wie tollen Herzensschlag mußt' wiederholen:
"'s ist Besuch nur, der ohn' Grollen mahnt, daß Einlaß er begehr'-
nur ein später Gast, der friedlich mahnt, daß Einlaß er begehr':-
ja, nur das - nichts weiter mehr."

Augenblicklich schwand mein Bangen, und so sprach ich unbefangen:
"Gleich, mein Herr - gleich, meine Dame - um Vergebung bitt' ich sehr;
just ein Nickerchen ich machte, und Ihr Klopfen klang so sachte,
daß ich kaum davon erwachte, sachte von der Türe her -
doch nun tretet ein!" - und damit riß weit auf die Tür ich - leer!
Dunkel dort - nichts weiter mehr.

Tief ins Dunkel späht' ich lange, zweifelnd, wieder seltsam bange,
Träume träumend, wie kein sterblich Hirn sie träumte je vorher;
doch die Stille gab kein Zeichen; nur ein Wort ließ hin sie streichen
durch die Nacht, das mich erbleichen ließ: das Wort "Lenor'?" so schwer -
selber sprach ich's, und ein Echo murmelte's zurück so schwer:
nur "Lenor'!" - nichts weiter mehr.

Da ich nun zurück mich wandte und mein Herz wie Feuer brannte,
hört' ich abermals ein Pochen, etwas lauter denn vorher.
"Ah, gewiß", so sprach ich bitter, "liegt's an meinem Fenstergitter;
Schaden tat ihm das Gewitter jüngst - ja, so ich's mir erklär';-
schweig denn still, mein Herze, lass mich nachsehn, daß ich's mir erklär':-
's ist der Wind - nichts weiter mehr!"

Auf warf ich das Fenstergatter, als herein mit viel Geflatter
schritt ein stattlich stolzer Rabe wie aus Sagenzeiten her;
Grüßen lag ihm nicht im Sinne; keinen Blick lang hielt er inne;
mit hochherrschaftlicher Miene flog empor zur Türe er -
setzt' sich auf die Pallas-Büste überm Türgesims dort - er
flog und saß - nichts weiter mehr.

Doch dies ebenholzne Wesen ließ mein Bangen rasch genesen,
ließ mich lächeln ob der Miene, die es macht' so ernst und hehr:
"Ward dir auch kein Kamm zur Gabe", sprach ich, "so doch stolz Gehabe,
grauslich grimmer alter Rabe, Wanderer aus nächtger Sphär'-
sag, welch hohen Namen gab man dir in Plutos nächtger Sphär'?"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."

Staunend hört' dies rauhe Klingen ich dem Schnabel sich entringen,
ob die Antwort schon nicht eben sinnvoll und bedeutungsschwer;
denn wir dürfen wohl gestehen, daß es keinem noch geschehen,
solch ein Tier bei sich zu sehen, das vom Türgesimse her -
das von einer Marmor-Büste überm Türgesimse her
sprach, es heiße "Nimmermehr."

Doch der droben einsam ragte und dies eine Wort nur sagte,
gleich als schütte seine Seele aus in diesem Worte er,
keine Silbe sonst entriß sich seinem düstren Innern, bis ich
seufzte: "Mancher Freund verließ mich früher schon ohn' Wiederkehr -
morgen wird er mich verlassen, wie mein Glück - ohn' Wiederkehr."
Doch da sprach er, "Nimmermehr!"

Einen Augenblick erblassend ob der Antwort, die so passend,
sagt' ich, "Fraglos ist dies alles, was das Tier gelernt bisher:
's war bei einem Herrn in Pflege, den so tief des Schicksals Schläge
trafen, daß all seine Wege schloß dies eine Wort so schwer -
daß' all seiner Hoffnung Lieder als Refrain beschloß so schwer
dies "Nimmer - nimmermehr."

Doch was Trübes ich auch dachte, dieses Tier mich lächeln machte,
immer noch, und also rollt' ich stracks mir einen Sessel her
und ließ die Gedanken fliehen, reihte wilde Theorien,
Phantasie an Phantasien: wie's wohl zu verstehen wär'-
wie dies grimme, ominöse Wesen zu verstehen wär',
wenn es krächzte "Nimmermehr."

Dieses zu erraten, saß ich wortlos vor dem Tier, doch fraß sich
mir sein Blick ins tiefste Innre nun, als ob er Feuer wär';
brütend über Ungewissem legt' ich, hin und her gerissen,
meinen Kopf aufs samtne Kissen, das ihr Haupt einst drückte hehr -
auf das violette Kissen, das ihr Haupt einst drückte hehr,
doch nun, ach! drückt nimmermehr!

Da auf einmal füllten Düfte, dünkt' mich, weihrauchgleich die Lüfte,
und seraphner Schritte Klingen drang vom Estrich zu mir her.
"Ärmster", rief ich, "sieh, Gott sendet seine Engel dir und spendet
Nepenthes, worinnen endet nun Lenor's Gedächtnis schwer;-
trink das freundliche Vergessen, das bald tilgt, was in dir schwer!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."

"Ah, du prophezeist ohn' Zweifel, Höllenbrut! Ob Tier, ob Teufel -
ob dich der Versucher sandte, ob ein Sturm dich ließ hierher,
trostlos, doch ganz ohne Bangen, in dies öde Land gelangen,
in dies Haus, von Graun umpfangen,- sag's mir ehrlich, bitt' dich sehr -
gibt es - gibt's in Gilead Balsam?- sag's mir - sag mir, bitt' dich sehr!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."

"Ah! dann nimm den letzten Zweifel, Höllenbrut - ob Tier, ob Teufel!
Bei dem Himmel, der hoch über uns sich wölbt - bei Gottes Ehr'-
künd mir: wird es denn geschehen, daß ich einst in Edens Höhen
darf ein Mädchen wiedersehen, selig in der Engel Heer -
darf Lenor', die ich verloren, sehen in der Engel Heer?"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."

"Sei denn dies dein Abschiedszeichen", schrie ich, "Unhold ohnegleichen!
Hebe dich hinweg und kehre stracks zurück in Plutos Sphär'!
Keiner einz'gen Feder Schwärze bleibe hier, dem finstern Scherze
Zeugnis! Laß mit meinem Schmerze mich allein!- hinweg dich scher!
Friß nicht länger mir am Leben! Pack dich! Fort! Hinweg dich scher!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."

Und der Rabe rührt' sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer
auf der bleichen Pallas-Büste überm Türsims wie vorher;
und in seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen,
und das Licht wirft seinen scheelen Schatten auf den Estrich schwer;
und es hebt sich aus dem Schatten auf dem Estrich dumpf und schwer
meine Seele - nimmermehr.
 
Angesichts der vielen großen Worte in den vorherigen Beiträgen ist mein Lieblingsgedicht eher kurz und schlicht:

Kinderhymne (B. Brecht)

Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
daß ein gutes Deutschland blühe,
wie ein anderes gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie anderen Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
anderen Völkern wollen wir sein,
von der See bis zu den Alpen
von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
lieben und beschirmen wir’s
Und das Liebste mag‘s uns scheinen
so wie anderen Völkern ihr’s.



In den Jahren 1990 / 91 gab es Versuche, dieses Gedicht zur Nationalhymne des neuen, größeren Deutschland zu machen. Das Ergebnis ist bekannt.

Dresdner
 
Erstaunliche Vielfalt! - Wollte Brecht die bestehende Melodie beibehalten?
Der Text paßt (glaube ich) darauf. Ich bin aber nicht besonders musikalisch.
Der Inhalt ist einwandfrei! - Viele Grüße von Ulrike
 
Fast schon zum Lebensmotto, ist mir ein
Vierzeiler von Heiz Erhardt geworden:

Ich finde solche, die von ihrem Geld erzählen
und solche, die mit ihrem Geiste protzen
und solche, die erst beten und dann stehlen,
ich finde solche, Sie verzeihn, zum Kotzen.
 
@ Ulrike:
Die Melodie wurde von Hanns Eisler zum Lied geschrieben.
Entstanden ist es in der Wiederaufbauzeit 1949/50. Wie auch Bechers Text in der nachmehr offiziellen DDR-Nationalhymne "Auferstanden aus Ruinen", ging es von einem einheitlichen deutschen Vaterland aus. Es war die Zeit der Volkskongressbewegung für ein einheitliches, demokratisches Deutschland. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt.

Eine interessante Dokumentation (nicht nur) zu den Liedern der Deutschen findet sich auf einer Internetseite der Uni Köln unter (Admin: externer Link existiert nicht mehr)

Dresdner
 
Danke für den Hinweis (univ-Köln)!!!
Ebenso wie Lieder waren ja auch gewisse Witze gefährlich.
Es freut mich-wie im Fernsehen verfolgt-daß Dresden "Flagge gegen rechts"
gezeigt hat. - Das Lied von den wilden Schwänen singen die älteren Frauen
aus meinem kirchlichen Kreis noch manchmal, wenn wir alte" Volkslieder"
erinnern. Die meisten sind Flüchtlinge, Vertriebene u.a. aus dem Osten.
Viele Grüße von Ulrike!
 
Hin und wieder brauche es auch bei einem ganz großen viele Worte um sich die Liebe zu seiner Mutter einzugestehen.


Stiller Besuch

Jüngst war seine Mutter zu Besuch.
Doch sie konnte nur zwei Tage bleiben.
Und sie müsse Ansichtskarten schreiben.
Und er las in einem dicken Buch.

Freilich war er nicht sehr aufmerksam.
Er betrachtete die Autobusse
und die goldnen Pavillons am Flusse
und den Dampfer, der vorüberschwamm.

Seine Mutter hielt den Kopf gesenkt.
Und sie schrieb gerade an den Vater:
"Heute abend gehen wir ins Theater
Erich kriegte zwei Billets geschenkt."

Und er tat, als ob er fleißig las.
Doch er sah die Nähe und die Ferne,
sah den Himmel und zehntausend Sterne
und die alte Frau, die drunter saß.

Einsam saß sie neben ihrem Sohn.
Leise lächelnd. Ohne es zu wissen.
Stadt und Sterne wirkten wie Kulissen.
Und der Wirtshausstuhl war wie ein Thron.

Ihn ergriff das Bild. Er blickte fort.
Wenn sie mir schreibt, mußte er noch denken,
wird sie ihren Kopf genau so senken.
Und dann las er. Und verstand kein Wort.

Seine Mutter saß am Tisch und schrieb.
Ernsthaft rückte sie an ihrer Brille,
und die Feder kratzte in der Stille.
Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!

Nur eines der vielen wunderbaren Gedichte des "Gebrauchslyrikers" Erich Kästner.
 
Wunderbar! - Hier noch eine Anmerkung: Erich Kästner, 1899-1974, erhielt
Schreibverbot im sog. "Dritten Reich". Er publizierte weiter im Ausland. - Bekannt
seine humoristischen Jugendbücher, die bis heute beliebt sind (Doppelte Lottchen u.a.) . Sein besonderes Verhältnis zur Mutter auch : Meine Mutter und
ihr Doppelberuf, Die Heimkehr des verlorenen Sohnes u.a. - Zahlreiche
Verfilmungen u. Theateraufführungen. - Ich las und lese Kästner gerne!
Er sprach/spricht Kinder und Erwachsene an. - Viele Grüße von Ulrike
 
Da Frühlingsanfang vor der Tür steht:

Frühling läßt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte,
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
-Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist s!
Dich hab ich vernommen!

"Er ist s" von Eduard Mörike

Mit frühlingshaften Grüßen von Ulrike
 
Hier weitere Frühlingsgedichte, nachzulesen in Lyriksammlungen.
Ich kann nicht alle Texte hier aufschreiben:

Märzwind von Friedr. Bischoff

Der Frühling (Am ersten Maimorgen) von Matth. Claudius

Die Amseln haben Sonne getrunken von Max Dauthendey

Frühlingsnacht von Joseph Freiherr v. Eichendorff

Gartenfrühlinge von Stefan George

Frühling von Joh. Christian Günther

Frühling von Hermann Hesse

Vorfrühling von Hugo v. Hofmannsthal

An den Frühling von Friedr. Hölderlin

Im Frühling von Eduard Mörike

Hyazinthen von Theodor Storm
April von Theodor Storm

Frühlingsahnung
Frühlingsglaube
Lob des Frühlings von Ludwig Uhland

Wie schön blüht uns der Maien (Volkslied)

Blühender Kirschbaum von Christian Wagner

Primel von Josef Weinheber (habe ich hier-glaube ich-schon eingestellt)

weitere wären schön!

Viele Grüße von Ulrike
 
Auch zum Frühling hat Kästner etwas anzumerken:

Frühling auf Vorschuß

Im Grünen ist´s noch gar nicht grün.
Das Gras steht ungekämmt im Wald,
als sei es tausend Jahre alt.
Hier also, denkt man, sollen bald
die Glockenblumen blüh´n?

Die Blätter sind im Dienst ergraut
und rascheln dort und rascheln hier,
als raschle Butterbrotpapier.
Der Wind spielt über´m Wald Klavier,
mal leise und mal laut.

Doch wer das Leben kennt, der kennt´s.
Und sicher wird´s in diesem Jahr
so, wie´s in andern Jahren war.
Im Walde sitzt ein Ehepaar
und wartet auf den Lenz.

Man soll die beiden drum nicht schelten,
sie lieben die Natur
und sitzen gern in Wald und Flur.
Man kann´s ganz gut verstehen, nur:
Sie werden sich erkälten!
 
Jetzt aber zu einem meiner aboluten Lieblinge:

Eugen Roth

Keiner versteht es so wie er die Abgründe der menschlichen Seele
mit kurzen Reimen zu persiflieren.

Ein paar Beispiele:

Mitmenschen

Ein Mensch schaut in der Straßenbahn
der Reihe nach die Leute an:
Jäh ist er zum Verzicht bereit
auf jede Art Unsterblichkeit.


Das Schitzel

Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet,
Bemerkte, daß ihm dies mißriet.
Doch, da er es sich selbst gebraten,
Tut er, als sei es ihm geraten,
Und, um sich nicht zu strafen Lügen,
Ißt er's mit herzlichem Vergnügen!


Der Lichtblick

Ein Mensch erblickt das Licht der Welt -
Doch oft hat sich herausgestellt
Nach manchem trüb verbrachten Jahr
Dass dies der einzige Lichtblick war


Ein Ausweg

Ein Mensch, der spürt, wenn auch verschwommen,
Er müßte sich, genau genommen,
Im Grunde seines Herzens schämen
Zieht vor, es nicht genau zu nehmen
 
Eugen Roth: Immer wieder "köstlich"! -

Lebenszweck

Ein Mensch, der schon als kleiner Christ
Weiß, wozu er geschaffen ist:
"Um Gott zu dienen hier auf Erden
Und ewig selig einst zu werden!"-
Vergißt nach manchem lieben Jahr
Dies Ziel, das doch so einfach war,
Das heißt, das einfach nur geschienen:
Denn es ist schwierig, Gott zu dienen.

Ich besitze ein älteres kleines Büchlein seiner heiteren Verse, welches ich immer wieder gerne zur Hand nehme! (Hanser Verl. 1960)
 
Ich lese dieses Thema von Anfang an mit großer Begeisterung, weil ich immer wieder an fast Vergessenes erinnert werde. Selber möchte ich Erich Fried einen Platz geben, weil ich glaube, dass dieses Gedicht nicht nur ein wunderschönes Liebesgedicht ist, sondern eine Hymne an die Toleranz schlechthin.

Dich

Dich
dich sein lassen
ganz dich

Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will

Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln

Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
Vorbedacht und Verstand
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem
was du ist

Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit

Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer

Erich Fried
 
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