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Heute vor 40 Jahren: der Niedersachsenorkan

Nicobär

Member
Selbst bei uns sturmerprobten Norddeutschen gilt der Orkan, der am 13. November 1972 zwischen 09:00 Uhr und 11:00 Uhr über Norddeutschland hinwegzog, als beispiellos. Weder Kyrill 2008 oder die Orkane vom Januar/Februar 1990 reichten an ihn heran. Binnen zwei Stunden wurde fast ganz Nordwestdeutschland nahezu vollständig entwaldet. Im Oldenburger Land, im Emsland und in der Lüneburger Heide gab es Gebiete, in denen nach dem Sturm kein Baum mehr stand. Bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 km/h wurden Mauern und Schaufensterscheiben eingedrückt, Kirchtürme stürzten ein, ganze Gebiete waren vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten. Sämtliche Verkehrsverbindungen von Bremen nach Oldenburg waren über Tage blockiert. Das Landschaftsbild Nordwestdeutschlands hatte sich nach dem Orkan in einer in der Geschichte beispiellos kurzen Zeit radikal verändert.

Insgesamt kamen durch den Orkan selbst mindestens 73 Menschen ums Leben, bei den Aufräumarbeiten gab es allein in Niedersachsen mindestens 20 Tote und 700 Verletzte.
 
Hallo Sünnerklaas,

vielen Dank für Deinen Hinweis! Sehr interessant!

Wolfgang (SAGEN.at)

Wichtig wäre noch der Hinweis, dass der Orkan mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln der Meteorologie nicht längerfristig vorhergesagt werden konnte. Man war zunächst von einem normalen Herbststurm ausgegangen. Als dann um 08:00 Uhr die Unwetterwarnung im Radio gesendet wurde und die entsprechenden Stellen bei den Behörden in Kenntnis gesetzt wurden, war es schon zu spät: die Kinder waren auf dem Weg zur Schule bzw. in der Schule, die Leute auf dem Weg zur Arbeit, als das Sturmfeld des Tiefs die Region erfasste. Besonders tragisch war ein Vorfall am Bremer Hauptbahnhof, wo das komplette Dach des Columbushauses vom Orkan abgerissen und zusammen mit Mauerteilen auf eine Straßenbahnhaltestelle geschleudert wurde. Zwei Menschen kamen dort in einer Wolke aus Gebäudetrümmern und Staub ums Leben.

In Norddeutschland erinnern sich viele Zeitzeugen auch noch an das ohrenbetäubende Krachen der umstürzenden Bäume in den Wäldern. Wer Orkane kennt, weiß, dass auch weniger schwere Stürme normalerweise solch einen Lärm veranstalten, dass man sein eigenes Wort nicht versteht - und nicht einmal den Donner der in den Orkanen eingelagerten Gewitter hört, obwohl der Blitz unmittelbar in der Nähe eingeschlagen hat. Kurz gesagt: das, was am 13.11.1972 passierte, hatte fast schon apokalyptischen Charakter.

Was mir vom Orkan ewig in Erinnerung bleiben wird, ist das Licht an diesem Tag - obwohl es heller Vormittag war, war es fast stockdunkel, es war alles in ein gelbliches Licht getaucht. In Erinnerung sind mir auch die riesigen Löcher in den Dächern der Häuser geblieben, die der Sturm dort hineingerissen hat - und Häuser, die durch umstürzende Bäume komplett zertrümmert waren.
 
Weißt Du eigentlich auch wie es den Schiffen gegangen ist?
Einen Orkan auf einem Schiff zu erleben, dürfte wohl auch ein Alptraum sein?

Zur Windgeschwindigkeit noch ein Vergleich:
bei uns in den Bergen kommen 220 km/h Windgeschwindigkeit bei Herbstföhn öfter mal vor. Am Patscherkofel hier in Innsbruck oder auf der Zugspitze hier in der Nähe werden solche Windgeschwindigkeiten durchaus jedes Jahr gemessen. Ich glaube, vor etwa drei Wochen waren wieder solche Windgeschwindigkeiten, im Tal herunten ist es dann noch die Hälfte.
Leider sind die auf diesen Bergen befindlichen Groß-Sendeanlagen heute nicht mehr rund um die Uhr besiedelt und leider sind kaum Erzählungen der ehemaligen Techniker die da Winterdienst hatten, veröffentlicht.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Weißt Du eigentlich auch wie es den Schiffen gegangen ist?
Einen Orkan auf einem Schiff zu erleben, dürfte wohl auch ein Alptraum sein?

Zur Windgeschwindigkeit noch ein Vergleich:
bei uns in den Bergen kommen 220 km/h Windgeschwindigkeit bei Herbstföhn öfter mal vor. Am Patscherkofel hier in Innsbruck oder auf der Zugspitze hier in der Nähe werden solche Windgeschwindigkeiten durchaus jedes Jahr gemessen. Ich glaube, vor etwa drei Wochen waren wieder solche Windgeschwindigkeiten, im Tal herunten ist es dann noch die Hälfte.
Leider sind die auf diesen Bergen befindlichen Groß-Sendeanlagen heute nicht mehr rund um die Uhr besiedelt und leider sind kaum Erzählungen der ehemaligen Techniker die da Winterdienst hatten, veröffentlicht.

Wolfgang (SAGEN.at)

So lange Du Dich auf einem großen, gut abgeladenen Schiff auf hoher See befindest, ist selbst so ein Orkan für ein Schiff, das gut konstruiert und gewartet ist, kein Problem. Aber wehe, Du kommst in Küstennähe, in die Nähe von Flachküsten. Dort steht eine mörderische See mit Wellen jenseit jeglicher Vorstellungskraft. Im Jahre 1967 gab es einen ähnlichen Orkan auf See, wie den vom 13.11.1072. Das Sturmfeld traf jedoch die Deutsche Bucht. Damals sank der in Helgoland stationierte Seenotrettungskreuzer "Adolph Bermpohl", nachdem die Besatzung des Kreuzers dei Schiffbrüchigen des niederländischen Fischkutters "Burgermeester an Kampen" gerettet hatte, bei Windgeschwindigkeiten um 200 km/h in der Helgoländer Nordeinfahrt. Spätere Untersuchungen haben ergeben, dass der als unsinkbar konstruierte Seenotrettungskreuzer von einer mehr als 30 m hohen Welle getroffen sein musste. Niemand hat den Unfall überlebt.

Niemand kann sich vorstellen, was da draussen bei so einem Orkan abgeht. Einen Anhaltspunkt dafür gibt vielleicht der sehr nüchtern gehaltene Bericht des Kapitäns der britischen Frachters Teeswood, der im November 1951 vor Borkum strandete, den die DGzRS in ihrem Jahresbericht für das Jahr 1951 veröffentlichte. Damals rettete der legendäre Borkumer Kapitän Wilhelm Eilers mit zwei Mann Besatzung unter schwersten Bedingungen 13 Menschen von Bord eines im Hubertgat untergehenden Schiffs. Eilers und seine beiden Kameraden mussten danach mit Kochenbrüchen ins Krankenhaus, ihr Seenotrettungsboot hatte nur noch Schrottwert. Aber bis aus zwei Besatzuuingsmitglieder konnte alle von der Teeswood gerettet werden.
 
Zur Windgeschwindigkeit noch ein Vergleich:
bei uns in den Bergen kommen 220 km/h Windgeschwindigkeit bei Herbstföhn öfter mal vor. Am Patscherkofel hier in Innsbruck oder auf der Zugspitze hier in der Nähe werden solche Windgeschwindigkeiten durchaus jedes Jahr gemessen. Ich glaube, vor etwa drei Wochen waren wieder solche Windgeschwindigkeiten, im Tal herunten ist es dann noch die Hälfte.
Leider sind die auf diesen Bergen befindlichen Groß-Sendeanlagen heute nicht mehr rund um die Uhr besiedelt und leider sind kaum Erzählungen der ehemaligen Techniker die da Winterdienst hatten, veröffentlicht.

Wolfgang (SAGEN.at)

Lieber Wolfgang,

die dramatischen Folgen des Orkans Quimburga hatten durchaus etwas mit gravierenden Fehlern zu tun, die in den vergangenen Jahrhunderten gemacht worden waren. Bereits während der Jungsteinzeit war man daran gegangen, die Wälder Nordwestdeutschlands zu roden, um Ackerland zu erhalten. Diese Rodungen setzten sich in den Folgejahrhunderten und -jahrtausenden fort und erreichten im Hochmittelalter ihren Höhepunkt. Von einer Forstwirtschaft, wie wir sie heute kennen, konnte bis in die Zeit des 30-jährigen Krieges keine Rede sein. Lediglich die herrschaftlichen Bannwälder, in denen Fürsten, Herzöge etc. ihrer Jagdleidenschaft frönten und zu dessen Zweck sie allein erhalten wurden, genossen leidlichen Schutz vor Abholzung. Aber auch dort trieb man im Herbst Schweine zur Hudeweidung im Rahmen der Mast hinein und schnitt Hainbuchenzweige, um diese alse Einstreu bei der winterlichen Stallhaltung zu erhalten.
Auf den entwaldeten Flächen weidete man nicht nur Schafe, sondern gewann durch den Plaggenhieb auch den für den "Ewigen Roggenbau" auf den Dorf-Eschen notwendigen Dünger. Unter solchen Rahmenbedingungen konnten sich keine neuen Wälder entwickeln, ja, auf ungünstigen Sandgebieten bildeten sich großflächig fast völlig vegetationslose Ödländer mit haushohen Wanderdünen. Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wurden diese Wanderdünen und Wehsandflächen dann zu einer zunehmenden Gefahr für die Ackerflächen und für Siedlungen.
Aus diesem Grund entschied man sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer systematischen Aufforstung der Heiden und Öden. Auf Grund der schlechten Bodenqualität war man bei der Erstaufforstung der Gebiete auf sehr anspruchslose Arten angewiesen. Hierbei bot sie die Kiefer an. Allerdings wurde bereits 1806 die oldenburgische Regierung davor gewarnt, dauerhaft auf Monokulturen zu setzen, da diese sehr anfällig für Windwürfe, aber auch für Schädlinge seien. Eigentlich war den Planungen gemäß auch vorgesehen, dass die entstandenen Kiefernwälder sukzessive zu Laubmischwäldern gewandelt werden sollten. Vielerorts ist es dann aber gar nicht dazu gekommen - man hat es ganz einfach vergessen.
Der Orkan Quimburga hat dann die Fehler dieser Aufforstung gnadenlos aufgezeigt: im Gegensatz zu den Kiefernwäldern auf den ehemaligen Heiden und Öden blieben die ehemaligen Bannwälder - der Hasbruch, der Bentheimer Wald und die Friesische Wehde - weitgehend von schweren Schäden verschont. Diese Wälder waren jedoch klassische Laubmischwälder, wie man sie an ihren Standorten auch unter natürlichen Bedingungen vorfinden würde und waren den klimatischen Verhältnissen des Nordwestens dementsprechend gewachsen - genauso, wie es die Wälder in den Hochlagen der Alpen sind.
 
Ein äußerst bemerkenswerter Film über den Orkan, die Aufräumarbeiten in den Wäldern sowie die Wiederaufforstung im Raum Syke südlich Bremens:



Die Aufräumarbeiten, die Aufarbeitung des Sturmholzes sowie die Vorbereitung der geräumten Windwurfflächen erfolgten mit schweren Maschinen. Das aufgearbeitete Wurfholz wurde über die Seehäfen in Wilhelmshaven und Bremen nach Übersee und in den damaligen Ostblock exportiert. Da in den USA und in Japan zeitgleich eine hohe Nachfrage nach Holz bestand, hielten sich die finanziellen Ausfälle relativ in Grenzen. Um die privaten Walsbesitzer nicht in den Ruin zu treiben, wurden die Kosten für Räumung, Aufarbeitung und Wiederaufforstung zu 80% vom Bund und der EU übernommen.

Trotzdem dauerte es Jahre, bis das letzte Holz verkauft war: Die letzten Holzlagerplätze wurden erst 1980, also acht Jahre nach dem Orkan geräumt.

Trotzdem hatte der Orkan auch indirekt verheerende Folgen: Als im Jahre 1975 ab Mai für mehr als drei Monate der Regen in Norddeutschland ausblieb, kam es im August 1975 der Lüneburger Heide zur Katastrophe, bei der das noch in den Wäldern liegende Bruchholz als katastrophal erwies: die kilometerlangen Wälle aus zusammengeschobenen Altholz wirkten wie Zündschnüre:



Erschwerend erwies sich das Versagen der zuständigen Behörden, wo man die Situation völlig unterschätzte und es zu massiven Kompetenz-Streitereien kam, weil man sich von "Dahergelaufenen" nichts sagen lassen wollte oder auf seinen vermeintlichen Rang pochte:

Unser Feuer machen wir selber aus

Bericht zu den Waldbränden 1975 in Niedersachsen
 
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