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Die dreizehn Teller

Lisa

Member
Eine Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Märchen ist NICHT zufällig.... viel Spaß beim Lesen....


Wie ihr alle wisst, stand hier vor vielen, vielen Jahren eine kleine Burg. Und zu allen großen Festen wurden die dreizehn Feen eingeladen, bekamen ihre Speisen auf reichverzierten bunten Tellern und ihren Trank in farbenfrohen Bechern gereicht. Es brachte Glück, hieß es – und so war es auch.

Eines Tages pochte es ans Burgtor und ein Händler bat schwer atmend um Einlass. Nachdem er sich ausgiebig gestärkt hatte, zeigte er der Burgherrin die neuesten Stoffe, den modernsten Schmuck und zu guter Letzt öffnete er eine Truhe, darin ein goldglänzendes Speiseservice lag. „Seht nur, Gnädigste, kaum eine Burgherrin weit und breit, die sich vor ihren Gästen mit dem altmodischen, blumengeschmückten Tafelgeschirr blamiert.

Die Burgherrin war entzückt. Die Teller so blank, dass sie ihr Antlitz darin erkennen konnte, die Becher mit feinziselierten geometrischen Mustern verziert... Ach, das würde bestimmt unbezahlbar sein! Doch die Summe, die der Händler nannte, war lächerlich gering.

„Wir wollen unsere Kunden doch nicht über den Tisch ziehen. Es handelt sich um Ware, die in so riesigen Mengen hergestellt wird – wobei natürlich größter Wert auf kostbarste Materialien und sorgfältigste Verarbeitung gelegt wird – dass wir den Preis günstig halten können.

„Augenblick“, sagte die Frau, eilte in das Arbeitszimmer ihres Gemahls und rief: „Schatzi, ich würde mir gerne neue Teller kaufen.“
„Was denn?“, brummte dieser, „haben wir nicht genug?“

„Solche nicht. Sie kosten auch nicht viel und die auf der Plainburg haben auch schon solche und auf Gruttenstein... bitte...“ Sie machte ihm ordentlich schöne Augen und seufzend willigte er ein.

„Ihr macht mich unsäglich glücklich, Gnädigste“, säuselte der Händler und küsste ihr galant die Fingerspitzen. „Darf ich Ihnen, als Zeichen meiner Wertschätzung und als Anerkennung für Ihre Treue noch diesen Kalender schenken? Und ein Büchlein mit Sprüchen.“

Die Burgherrin war begeistert von dem ehrerbietigen Betragen des Händlers und stolz auf ihre Fähigkeit, günstig einzukaufen. Denn reich waren sie nicht, auf der Burg hier oben.


Kurz darauf sollte das Sommerfest stattfinden, zu dem die Feen geladen waren. Überall auf den Feldern wogte das Getreide und die Äste der Obstbäume bogen sich unter ihrer reichen Last. Eine gute Ernte stand bevor. Als das Gesinde aber die große Tafel deckte, kam eine Magd aufgeregt zur Burgherrin: „Ach, ach, ach, so ein Unglück, was sollen wir nur tun?“
„Was ist denn geschehen?“, fragte die Burgherrin unwirsch, stand sie doch gerade vor der schwierigen Entscheidung, wie sie sich für das Fest kleiden sollte.

„Ein Teller fehlt!“, rief die Magd. „Nur zwölf goldene Teller und zwölf goldene Becher befinden sich in der Truhe mit dem Geschirr für die Feen.“

„Hm...“, überlegte die Burgherrin laut, „kommt nicht die eine ohnehin immer zu spät? Diese seltsame, die immer alle möglichen Pflanzenreste im Haar hat und überhaupt etwas unordentlich wirkt? Wenn wir nun das Burgtor schließen, sobald die ersten zwölf herinnen sind, fällt es nicht weiter auf...“

„Aber...“, wandte die Magd schüchtern ein.

„Kein Aber... so machen wir es“, bestimmte die Burgherrin.

Hatten sie und ihr Mann doch mittlerweile auch fleißig in dem Geschenk des Händlers gelesen. Von den Vorteilen einer Reduzierung der Monate auf die Zahl Zwölf. Von wunderbaren Ertragssteigerungen durch strenge Aufteilung in Natur und Kultur, durch Begradigung von Bächen und vor allem durch geistige Entrümpelung. Weg mit all dem Aberglauben, weg mit sinnlosen Bräuchen. Sinnvoller wäre es, statt jedem einzelnen Baum zu danken, die Bauern einmal in der Woche an einem Ort zusammenkommen zu lassen, so würde nicht länger wertvolle Arbeitskraft verschwendet werden. All diese Sprüche und Gedanken begannen bereits, sich in den Köpfen der Burgleute einzunisten. Die Welt sollte praktischer und überschaubarer werden. „Überreicht von Ihren ergebenen Untertanen, Logos Gesellschaft“, stand unten auf jeder Seite.

Und so geschah es. Kaum waren die zwölf Feen im Saal, wurde das Burgtor geschlossen. Als die dreizehnte, ein wenig zu spät, eintraf, weinte sie bittere Tränen. Sie ahnte, was kommen würde.
Allmählich versank die Menschheit in tiefem Schlaf, träumte von Fortschritt und Beherrschung der Natur, von Zahlen und Erträgen.

Aus den dreizehn Alphornbläsern, die oftmals zu wichtigen Festen auf der Burg Karlstein bliesen, wurden erst zwölf, dann, weil das ja auch genügte, sechs und dann vier und irgendwann hörte der Brauch ganz auf.

Die dreizehnte Fee aber schlummert als Sehnsucht tief in den Herzen der Menschen, berührt sie manchmal beim Anblick einer Blume, spricht zu ihnen als Raunen des Windes in den Bäumen und hofft, die Menschen irgendwann aus ihrem Schlaf zu erwecken.
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