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Untergegangene Berufe

Der im Märchen "Allerleirauh" verwendete Begriff "rau(c)h" zeigt deutlich an, welche Art der Verkleidung das Mädchen wählt: einen Mantel "von tausenderlei Pelz- und Rauchwerk zusammengesetzt". Dieser Mantel ermöglicht ihr die unerkannte Flucht vor ihrem Vater, der sie zur Ehefrau begehrt (worauf sie verständlicherweise keine Lust hat). Ähnlich ist das in dem Märchen "Die Prinzessin mit dem goldenen Stern" (ich mag die tschechische Verfilmung davon sehr gern, gibts oft in der Weihnachtszeit im Fernsehen). Das Motiv, dass ein verwitweter König seine eigene Tochter heiraten will, ist seit dem 12. Jahrhundert ein eigenständiges Motiv abendländischer Dichtung und wird in unzähligen Märchen und Sagen in ganz Europa (und vermutlich auch anderswo) erzählt. Ähnliches passiert auch in der Geschichte über Wilgefortis/Hl.Kümmernis, die sich - im Unterschied zu Allerleirauh und Prinzessin Lada - zwar kein Tierfell umlegt, dennoch eine äußerliche Veränderung herbeiführt (sie lässt sich einen Bart wachsen), mit dem selben Ziel: Den inzestuösen Zumutungen ( das heißt: Vergewaltigung) ihres Vaters zu entrinnen.

Das ist zwar jetzt weit ab vom eigentlichen Ursprungsthema "Untergegangene Berufe", dennoch lag es mir auf der Zunge ;-)

Dolasilla
 
Dein Kommentar passt super zum Thema. Ich gebe zu, dass mir die Interpretation von "Rau(ch)" nicht aufgefallen ist, da ich die Bedeutung nicht kannte.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Die "Kartenaufschlägerin" ist eine Wahrsagerin aus dem Bereich des Kartenlegens, soviel ist sicher.
Es drängt sich mir jedoch der Verdacht auf, dass die "Kartenaufschlägerin" eine in Wien besonders verbreitete Form des mobilen Kartenlegens war. So wie im Bild eben porträtiert, eine Dame die das Kartenlesen so im Vorbeigehen praktiziert hat.
Mein Verdacht deshalb, da die anderen Bilder dieser (sehr teuren) Serie auch ganz spezielle Wien-Bezüge haben, darum heißt die Serie ja auch "Wiener Typen".

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Die Tätigkeit des Wahrsagens wird auch heute noch ausgeübt: Frauen (meist bitterame Osteuropäerinnen) spazieren auf der Straße und sprechen im Vorbeigehen Leute an, mit dem Angebot, diesen mithilfe von Spielkarten oder direkt aus der Hand die Zukunft zu lesen. Das gibt es in Wien immer noch.

Aus Neugierde hab ich das mal mitgemacht, vor allem, um zu sehen, wieviel "cold reading" da dabei ist. Ich fand die Kommunikation durchaus unterhaltsam und die investierten zehn Euro gut angelegt 😉. Das daraus folgende Angebot, für weitere 10 Euro eine Lösung für meine "Probleme" zu erhalten, habe ich dann allerdings ausgeschlagen: Sie wollte mir Gebete verkaufen, die ich sprechen sollte. Das ist aber nicht so meins. 🙃
 
Ich bin erstaunt, dass es dergleichen heute gibt. Früher gab es auf der Kirmes ein Zelt mit einer Wahrsagerin/ Kristallkugel. Später erinnere ich mich
an Automaten/wie für Fahrkarten/dort konnte man ein Kärtchen ziehen. Dafür Geld geben? Erinnert an die Glückskekse im Chinarestaurant, dort
gratis zum Essen - machte immer Spaß, teilweise vor allem die Übersetzungen aus dem englischen. ( 1 Seite engl., 1 Seite deutsch) Ich weiß nicht, ob überall so beschriftet - es gibt sie wahrscheinlich in vielen Sprachen. - Ulrike
 
@Ulrike: Warum ich dafür Geld gegeben habe..

Ich seh das ganz sachlich : Mir wurde eine Dienstleistung angeboten, die ich annehmen kann oder auch nicht. In diesem einen Fall habe ich sie angenommen.

Wie schon geschrieben, diese Frauen (vorwiegend aus Osteuropa) leben hier in bitterster Armut und haben vermutlich außer Klo putzen und ähnlichen Super - Jobs kaum andere Möglichkeiten, Geld und ihren ohnehin mickrigen Lebensunterhalt für sich selbst und ihre eventuell vorhandenen Kinder zu verdienen. Als Prostituierte könnte sie bestimmt schneller zu Geld (zu deutlich viel mehr Geld, als durch die Wahrsagerei) kommen, das kam für sie offenbar nicht in Frage.

Und sie hätte ja auch einfach nur betteln können. Tat sie aber nicht. Sie bot mir eine Dienstleistung an. Ob ich diese angebotene Dienstleistung für seriös oder eher unseriös befand bzw finde, tut nichts zur Sache, ist also unerheblich.

Dadurch war sie keine Bittstellerin, die um ein paar Almosen (= Brosamen vom Tische des Herrn) , bettelt - das ist ein enormer und wichtiger Unterschied! - sondern eine Frau, die mir was anbietet: Eine Dienstleistung, wofür sie Geld erwartet. Das finde ich ganz normal, jeder Klempner, Installateur, Maler und Anstreicher usw usf erwartet ebenfalls Geld für seine geleistete Arbeit. Ich kann deren Anbot ihrer Dienstleistung in Anspruch nehmen - oder auch nicht.

Meine Entscheidung.

Ich hatte eine - zumindest für mich - durchaus interessante Kommunikation mit ihr, und dafür habe ich bezahlt. Ich fand den Betrag angemessen. Wenn sie mit meinen 10 Euro Essen bzw Lebensmittel oder anderes Überlebenswichtiges kaufen konnte, ohne sich dafür mittels Bettelei erniedrigen zu müssen, dann freut mich das sehr.

Aber eigentlich geht es mich auch nix an, was sie mit ihren verdienten Geld macht.

LG,
Dolasilla
 
Im Oktober erwähnte ich hier noch unseren Laternenweg im Zusammenhang mit dem Nachtwächter. Nun werden die Laternen leider abgebaut,
da eine Neugestaltung des Marktes ansteht. Es gab schon viele Proteste dagegen von Seiten der Bürger:innen. Es ist geplant, später einen neuen
Rundweg mit den 5 Sagen anzulegen unter Verwendung der alten Laternen. Das kann dauern ... wirklich schade! LG, Ulrike
 
Mir fiel zum Thema"Untergegangene Berufe" noch folgendes ein: An den Bahnhöfen gab es die "Sperren"-kleine Häuschen, in ihnen saßen oft
kriegsversehrte Männer als Kartenkontrolleure. An den Schaltern kaufte man die Fahrkarten, zum Bahnsteig mußte man an den Häuschen vorbei,
dort knipste der diensthabende Kontrolleur mit einer ZAnge ein Loch in die Karte . Sogar wenn man nur auf den Bahnsteig wollte, um jemanden abzuholen, mußte
eine Bahnsteigkarte gekauft werden. Sonst mußte man vor der Sperre warten. Trotzdem wurde in den Zügen nochmal vom Schaffner die Karte
kontrolliert. Zugführer mußten immer vor und nach einem Tunnel durch den Zug laufen und das Licht an- bezw. ausmachen. Das waren noch Zeiten!
Viele Grüße von Ulrike
 
Eine wirklich alte Berufsbezeichnung - wer kennt sie noch - ist: Patroneur. Er entwarf Muster für Stoffe. Soweit meine Info, vielleicht weiß hier
jemand mehr dazu oder hat sogar ein Foto?-Viele Grüße von Ulrike
 
@ Ulrike zum Thema Patroneur...

Ein Patroneur entwirft keine Stoffmuster, denn diese Aufgabe der Design-Entwicklung macht der Musterzeichner. Ein Patroneur überträgt das bereits entworfene Muster in eine schematische Darstellung in Form eines Rasters, und zwar in die sogenannte "Patrone". Diese Patrone wird dann vom sogenannten Kartenschläger (ein ebenso ausgestorbener Beruf!) in eine Lochkarte umgesetzt, welche dafür sorgt, dass damit der Jacquardwebstuhl mit den relevanten Informationen darüber, wie Kette und Schuss am Webstuhl ineinander verwoben werden müssen, "gefüttert" wird, um den Stoffmusterentwurf auf dem Webstuhl maschinell herzustellen. Eine wichtige und - je nach Muster - eine durchaus komplexe Aufgabe, denn ohne diese technische Zeichnung, die die Anordnung der Fäden abbildet, wäre das Weben der von den Musterzeichnern entworfenen Designs - und deren Übertragung auf die Stoffe (also das Weben an sich) - nicht möglich. Heutzutage wird das alles mit spezieller Software am Computer gemacht.

Mehr über diesen interessanten Beruf hier: https://crevelt.de/2021/10/05/der-letzte-patroneur/
 
Krenweiberl
Zu den untergegangenen Berufen zählt auch der des "Krenweiberls". 1961 gehörten die Frauen aus Franken, die in den Wintermonaten Kren (= Meerrettich) und Gewürze aus ihrer Heimat verkauften, noch zum Münchner Stadtbild. Das letzte "Krenweiberl" Helga Kraus ist als Siebzigjährige im Jahr 2010 in Pension gegangen und wurde vom damaligen Münchner Bürgermeister Christian Ude persönlich verabschiedet. Fünfzig Jahre lang ist sie von ihrem oberfränkischen Heimatort Heroldsbach nach München gefahren, um hier Kren, Tee und Gewürze zu verkaufen.

Früher war sie nicht die Einzige, der Beruf hatte Tradition.

" 'Die Frauen sind schon vor hundert Jahren nach München gefahren, um was dazu zu verdienen', erzählt Helga Kraus. Anfangs zog sie noch mit ihrer Mutter durch die Stadt, schleppte ihre Körbe von Haus zu Haus. Eine anstrengende Arbeit, aber ihr gefiel es, Leute kennen zu lernen und zu ratschen. Später, 1973, fand sie ihren festen Standplatz vorm Oberpollinger in der Neuhauser Straße. 'Immer weniger Leute waren tagsüber daheim, weil die Frauen anfingen, zu arbeiten. Die Zeit hat sich geändert.' Fortan kam die Kundschaft zu ihr. Anlocken musste sie Helga Kraus nie. Die Passanten kamen von selbst auf sie zu, wenn sie hinter ihren Waren auf einem Hocker saß. Als sie vor drei Jahren zum Karstadt am Dom umzog, blieben ihr die Kunden treu. Zuletzt wurden es immer weniger. 'Das Geschäft läuft nicht so toll. Drum stirbt es aus.' Vor einem Jahr gab eine 78-Jährige Kollegin den Beruf auf, Helga Kraus war das letzte Krenweiberl. Nachwuchs wird es keinen geben, glaubt die 70-Jährige. Die jungen Frauen hätten heute andere Pläne. 'Die Zeit hat sich geändert'. Der Abschied von München fällt ihr schwer. An den letzten Tagen kommen noch einmal viele Stammkunden und klagen, wie sehr sie ihnen fehlen werde. Helga Kraus wird 'wirklich Sehnsucht nach meiner schönen Stadt' haben. Was sie jetzt macht? 'Daheim im Garten und im Haus gibt es genug Arbeit.' Ihre Produkte kann man immer noch im Internet bestellen. Die Zeit hat sich geändert."
Quelle: https://www.abendzeitung-muenchen.d...-verkaufskultur-das-letzte-weiberl-art-114989
 
Liebe Dolasilla, vielen Dank für deinen so persönlichen Bericht! So "krasse" Erlebnisse hatte ich-zum Glück-nicht. Schwere Arbeit und wenig Gehalt,
aber das Umfeld stimmte, so machte es trotzdem Spaß. Die Anstellung bei der Stadt/ Bibliothek war anschließend ein großer Glücksfall, ein höheres
Gehalt und jeden Samstag frei. Geregelte Arbeitszeit ... Dir viele Grüße und alle guten Wünsche von Ulrike
 
Ich kann mich noch in den 1970er Jahren auf einem Wochenmarkt in Oberösterreich an eine fast blinde Lavendel-Verkäuferin erinnern. Diese Frau hatte nur einen Hocker und eine Kiste Lavendel. Immer wieder rief sie relativ leise "Lavendel, Lavendel!".
Trotz intensiver Suche konnte ich bis heute kein Foto von ihr finden.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Der Schmuser und der Hochzeitslader

Was heute von Parship, Tinder oder – etwas altmodischer – von einem Institut für Partner- & Heiratsvermittlung erledigt wird, war einst die Aufgabe des sogenannten Schmusers.

Wollte ein Bauernsohn den Hof seiner Eltern übernehmen, musste er zuvor heiraten, denn alleine war die ganze Arbeit am Hof nicht zu bewältigen. Eine Frau musste also her. Wie im gesamten europäischen Hochadel üblich, wurde in Bayern auch bei den Bauern Ehen weniger aus Liebe geschlossen denn aus wirtschaftlichen Erwägungen: Der Hof und die zugehörigen Felder einer Landwirtschaft, die ganze „Sach“ eben, sollte beisammenbleiben und am besten noch mehr werden. Die Anbahnung einer Ehe wurde daher nicht dem Zufall oder gar der Liebe überlassen, sondern hier wurde professionelle Hilfe in Anspruch genommen: Ein Schmuser wurde damit beauftragt, für den angehenden Hoferben eine passende – sprich möglichst geldige und/oder in Sachwerten vermögende – Ehefrau zu finden.

Schmuser waren meist Viehhändler (manchmal auch Schuster oder Schneider), die aufgrund ihres Berufs weit in der Gegend herumkamen und dadurch einen guten Überblick über mögliche Ehekandidatinnen hatten. Hatte der Schmuser nun eine passende Frau gefunden, war also die Vermittlung einer heiratswilligen und geldigen Frau geglückt und waren sich alle Betroffenen einig geworden, konnte das Geschäft erfolgreich abgewickelt werden. Nun ging man zum Notar, wo sehr genau festgehalten wurde, was die Eltern des Bauernsohns nach der Übergabe des Hofes an den Sohn von diesem und seiner Frau verlangten: Was an der Ausstattung, den Möbeln, der Kleidung etc. ihnen verblieb, wieviel Milch/Eier/Fleisch etc. sie wöchentlich erhalten sollten, welches Essen sie bekommen wollten (jedenfalls kein schlechteres als die neuen Bauersleute) usw. Und am wichtigsten: Wie viel Geld (oder Sachwerte) die Hochzeiterin in die Ehe einbrachte.

War nun alles unter Dach und Fach gebracht, war die Bezahlung des Schmusers fällig: Das sogenannte „Schmusgeld“ oder der „Schmuslohn“ - ein Wort, das aus dem Jiddischen kommt. (Wenn so ein Geschäft allerdings nicht korrekt abgelaufen war, wurde aus dem Schmus schnell ein Schmu, ein kleiner Betrug).

Später trat der Hochzeitslader auf den Plan. Der Hochzeitslader organisierte die ganze Hochzeit von A-Z, er lud alle Einzuladenden ein und musste dazu oft weite Reisen unternehmen, um allen Gästen die frohe Botschaft zu überbringen. Während der Hochzeit hielt er Ansprachen und Reden: Texte, die oft aus alter Zeit überliefert waren und genauso wiedergegeben werden mussten. Weiters unterhielt er die Anwesenden mit zahlreichen lustigen Gstanzln über die Hochzeiter (= Brautleute) und die Ehe an sich.

Heute gibt es eigene Firmen, die die Planung und Abwicklung einer Hochzeit übernehmen, sogenannte „Wedding Planer“.
 
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