Eigentlich schade, dass es nicht mehr zeitgemäß scheint die Trauer, die man fühlt, auch durch seine Kleidung auszudrücken, nicht?
War es nicht auch ein Signal an die Umgebung, wenn z. B. Witwen wieder anfingen, Farben zu tragen?
Durch die Kleidung ausgedrückte Trauer war durchaus auch ein Schutz für die Trauernden. Sie ersparte ihnen das heute übliche wohlmeinende Geschwätz von Verwandten, Bekannten, Kollegen etc.: "Das Leben geht doch weiter! Denk wieder an was anderes, unternimm mal was, geh unter die Leute ..."
Gewiß trauert jeder anders, aber die meisten brauchen eine Zeit, in der sie nichts unternehmen, nicht unter die Leute gehen, sondern einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen. Diese Zeit der Zurückgezogenheit war früher institutionalisiert – sicher für manche zu lang, aber der gänzliche Verzicht darauf tut den Trauernden nicht gut, sondern läßt in ihnen leicht das Gefühl aufkommen: Ich müßte es längst bewältigt haben, andere können das offenbar, warum ich nicht, was stimmt nicht mit mir?
Informationen über die festgelegten Trauerzeiten habe ich zwar nicht aus dem deutschsprachigen Raum, aber aus dem französischsprachigen Belgien. Hier Auszüge aus dem Katalog eines volkskundlichen Museums in Bastogne:
"Die ,tiefe Trauer' galt für den Tod der Eltern, eines Kindes oder des Ehepartners. Sie dauerte ein Jahr und sechs Monate und folgte strengen Regeln: Nach dem halben Jahr, in dem die Witwe oder die Mutter nur schwarzgekleidet aus dem Haus ging und in der Kirche einen langen Kreppschleier trug, der das Gesicht verbarg und bis zu den Waden reichte, begann die ,Halbtrauer', die eine größere Freiheit in der Kleidung ließ. Man konnte nun weniger düstere Farben tragen: schwarz und weiß, grau, malvenfarbig, lila. Der kürzere Schleier enthüllte die Gestalt wieder, wurde zurückgeschlagen und nahm dem Aussehen der Trauernden viel von seiner Strenge. Weiterhin aber untersagte die Schicklichkeit jede Anwesenheit bei Belustigungen wie Bällen, Kirchweih, öffentlichen Festen. Vor allem Witwen sollten größte Zurückhaltung wahren, sollten betrübt wirken und den Freuden des Lebens abgewandt ...
Die ,kleine Trauer' schließlich dauerte sechs oder drei Monate, je nachdem ob es sich um die Großeltern, um Bruder oder Schwester handelte. Man trug schwarz; das Tragen eines leichten Schleiers war freigestellt.
Für einen Onkel oder eine Tante sollte man drei Monate lang auf helle Kleider verzichten und Stätten der Lustbarkeit meiden."
Die Trauerzeiten waren von Ort zu Ort verschieden:
"Die volle Trauerzeit dauerte in Hodister bis zum Jahrgedächtnis. In Bastogne wurde nach sechs Wochen tiefer Trauer der Schleier zurückgeschlagen; in Gouvy nach sechs Monaten durch eine Haube ersetzt. Nach einem halben Jahr schlug man in Libramont den Schleier zurück, nach drei Monaten in Houdrigny, wo ganz früher die Trauerzeit drei Jahre dauerte.
In Fosses bedeckte der Schleier das Gesicht ein Jahr lang, wurde im zweiten Jahr zurückgeschlagen getragen, im dritten abgenommen; in diesem dritten Jahr durften die Frauen von Saint-Pierre graue oder dunkelblaue Kleider tragen. Die abnehmende Strenge der Trauer kann man als Riten des Übergangs zurück zu einem normalen Leben auffassen.
Die Männer trugen während der ganzen Trauerzeit einen dunklen, möglichst schwarzen Anzug; oft war es ihr Hochzeitsanzug. Wer sich keine schwarze Kleidung leisten konnte, trug einen Trauerflor am Ärmel. Oft wird berichtet, daß die Männer einen Anzug färben ließen, um die Kosten für neue Trauerkleidung zu sparen. Eine "Chronologie der Trauer" wie bei der Frauenkleidung scheint es bei den Männern nie gegeben zu haben."
Übersetzt aus:
Les Vivants et leurs Morts. Art, croyance et rites funéraires dans l'Ardenne (Die Lebenden und ihre Toten. Kunst, Glaube und Begräbnisriten in den Ardennen), Bastogne 1989