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Suche warum in Westfalen das zweite Gesicht verboten war

chandler

New member
Hallo zusammen,

nettes Forum was ihr hier habt. Hab ich es gerade entdeckt, weil ich etwas als Sage suche, aber ich werde es weiter besuchen.
Also ich brauche etwas Hilfe. Ich bin Uebersetzer, komme aus Bulgarien. Ich uebersetze eine Erzahlung von Marie von Ebner-Eschenbach. Sie heisst Der Saeger. Hier koennte man sie lesen, wenn man Lust haette: http://gutenberg.spiegel.de/ebnresch/saeger/saeger.htm
Am Ende der Erzahlung (vorvorletzten Satz) steht: «Vielleicht aus demselben Grunde, aus dem es in Westfalen verboten war, vom ‹zweiten Gesicht› zu reden.» Man braucht nicht die ganze Erzahlung zu lesen, hoffe ich, um mir zu helfen. Ich wollte bei der Uebersetzung die Stelle mit Westfalen und das zweite Gesicht beibehalten aber in der Zielkultur wird man das nicht verstehen. Deshalb wollte ich als Fussnote drunter schreiben worum es dabei geht. Warum es verboten war in Westfalen vom zweiten Gesicht zu reden? Ist das eine Sage oder eher einen Ausdruck? Was ist in Westfalen passiert :))) Koennt ihr mir helfen?
Danke im Voraus.

chandler
 
Spökenkieker d.h. Menschen mit dem zweiten Gesicht, sie können in die
Zukunft schauen, Hellsehen. Weit verbreitet (heute noch ?) in Westfalen. Ich nehme an
es galt als heidnisch u. verwerflich u. wurde von der Kirche unterbunden.
Obwohl diese Menschen ja nichts dafür können, es manchmal verschwiegen
u. es sicherlich selbst oft als Fluch empfanden. Denn sie konnten es ja
nicht abwenden, wenn es etwas Schreckliches war, nur vorhersehen.
Annette von Droste-Hülshoff beschäftigte sich auch damit, besonders im
Münsterland existieren diese Geschichten, aber auch in meiner heimischen
Gegend (zwischen Ruhrgebiet u. Sauerland). Sicher hat man diese Menschen
im MA als Hexen verfolgt, wenn es bekannt wurde.Es soll sich auch vererben
in gewissen Familien. Mehr weiß ich spontan nicht! Grüße von Ulrike
 
Ich beziehe mich in meinen Ausführungen auf das HdA (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens), Band 8, Sp. 307 - 311, ein Aufsatz von Will-Erich Peuckert zum Spökenkieker:

Ein Spökenkieker ist, dem Wortsinn zufolge ein Mensch, der Spukhaftes wahrzunehmen vermag. Er ist ein Mensch, Mann oder Frau, der das zweite Gesicht, das Vorlât hat, Vorgschichten, Vorspuk sieht, also jemand, der in wachem oder halbwachem Zustande Ereignisse als gegenwärtig sieht, welche entweder zur selben Zeit, aber in der Ferne, geschehen oder erst in Zukunft geschehen werden. In den Bezeichnungen liegt bereits, daß diese Wahrnehmungen zumeist durch das Gesicht, seltener durch das Gehör, noch seltener über die anderen Sinne erfolgen.

Spökenkieker sind besonders veranlagte "gezeichnete" Menschen; ihre Gabe ist ihnen angeboren, durch "verbotenes" Verhalten zugefügt worden, oder von ihnen willentlich erworben worden. Sie kommen wie Katzen mit geschlossenen Augen zur Welt, werden wie diese erst nach einigen Tagen sehend und sehen wie die Katzen nachts, so sie in die Geisterwelt.
[...]
Wer die Gabe hat, ist ein unglücklicher Mensch. Er kann nicht sehen, was er will und wann er will; er muß den Vorspuk sehen, so oft er kommt, er mag wollen oder nicht. Loswerden kann er die Qual nur, wenn er sie auf einen anderen zu übertragen vermag, wenn er diesen dazu bereden oder überlisten kann, das Schichten von ihm zu erlernen. Doch sagt man, daß manche fromme Pfarrer sie einem Abnehmen könnten.

Die Schichtigen werden von der fortwährenden Aufregung ganz blaß und schwinden hin, und schon mancher hat die beunruhigende Gabe mit einem frühen Tode büßen müssen. Die meisten sind trüben Sinnes.

Auch Annette von Droste-Hülshoff schreibt über Spökenkieker.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Danke Ulrike, danke Wolfgang,
mir ist klar geworden worum es beim zweiten Gesicht geht. Ich habe nur eine kleine Rueckfrage: diese Geschichten waren in Westfalen im Mittelalter meist verbreitet, nicht wahr?, obwohl sie noch heute existieren wie Ulrike sagt.

Gruss

chandler
 
Hier eine kleine Spökenkieker Geschichte aus meiner Heimat:
Ein Spökenkieker von (Dortmund-)Hörde ging einst mit einigen Bekannten
durch den Schwerter Wald auf Schwerte zu. Plötzlich trat er mit ernstem
Gesicht zur Seite und nahm seine Kappe ab. Auf die Frage, was er da mache,
sagt er, es sei ihm sein eigener Leichenzug begegnet; er habe ihn deutlich
gesehen und auch viele der mitgehenden Leidtragenden im Trauergefolge
erkannt.-Bald darauf ist er bei Schwerte in der Ruhr beim Baden ertrunken.
Seine Leiche wurde durch den Schwerter Wald nach Hörde gebracht, und die
von ihm genannten Freunde sind im Leichenzuge mitgegangen.
(Quelle: Kleibauer: Sagen aus Iserlohn. 1961.)
Ein Spökenkieker hat z.B. den Bau der Eisenbahn vorhergesehen!
Auch eine Variante der Birkenbaum Sage soll von einem S. stammen.
Viele Grüße! Ulrike
 
chandler schrieb:
diese Geschichten waren in Westfalen im Mittelalter meist verbreitet, nicht wahr?, obwohl sie noch heute existieren wie Ulrike sagt.

Gruss

chandler

Diese Geschichten sind nicht nur in Westfalen weit verbreitet, sondern auch in ganz Norddeutschland - sie hat man sich auch noch im 19. Jahrhundert, als im Zeitalter der Romantik die Sagen- und Märchensammler unterwegs waren und die Bevölkerung berfragten, erzählt.
Ich persönlich glaube, dass es sich bei diesen Menschen oft um solche mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz handelte, die ganz einfach auf Grund von Kausalketten logische Schlußfolgerungen machten. Dass sie damit oft als Käuze und Sonderlinge galten, liegt vor allem daran, dass man die Warnung nicht wahr haben wollte, weil sie gesellschaftliche Tabus ansprachen. Es heißt ja schon in der Bibel, dass der Prophet nichts in seinem Vaterland gilt...
 
Heinr. Kleibauer, der die Sagen des Kreises Iserlohn sammelte, hat 1930
noch 5 Menschen gekannt, die das sog. "Zweite Gesicht" hatten.
Der letzte soll ein Fritz Angelkorte aus Drüpplingsen gewesen sein, der noch
in den 80iger Jahren des 20. Jhts. diese parapsychologische
Fähigkeit besaß.
Der Letmather Heimatforscher Walter Ewig schrieb über das "schichten" der
"Gaissenkeyker": sie sind unglückliche Menschen, denn sie müssen den
Vorspuk sehen, ob sie wollen oder nicht.
Folgender Aberglaube besteht: Schichten (hellsehen) kann nur jemand, der
in der Zeit geboren wird, wo sonntags in der Kirche das Vaterunser gebetet
wird. Ebenso Menschen, die nachts zwischen zwölf und 1 Uhr geboren werden. Ebenfalls ein Kind, dass zwei Freitage ungetauft liegt.
Man kann sich vom "Spökenkieken" befreien, wenn ein Mensch (oder ein Hund, den jemand hält) dem
Betroffenen über die linke Schulter blickt.
Das Spuksehen kann dann auch übergehen .
Dies aus Iserlohner Sagen, Hagen 2006
 
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