Hallo Dresdner,
Deine Frage ist zumindest für mich nicht einfach zu beantworten, da ich in Nordtirol lebe und hier der Transport von Personen mit Materialseilbahnen nur sehr versteckt für eigene Fahrten der Hofbesitzer ein Thema ist...
Ich beziehe mein Wissen aus dem empfehlenswerten Buch:
Adolf Fliri, Geschichtliches über das Transporthilfsmittel "Draht und Seil" auf den Berghöfen der Gemeinden Naturns und Plaus, Naturns 2008.
Im Jahr 1999 gab es in Südtirol zwei schwere Unfälle mit Personentransport auf Materialseilbahnen:
Im September 1999 stürzte eine 75jährige deutsche Urlauberin von einer Materialseilbahn in den Tod, nachdem sie sich - trotz angemessener Wartezeit der Bahn - an der Außenseite der Kabinentür festklammerte. Die Eigentümer der Bahn wurden natürlich freigesprochen, die Diskussion über die Materialseilbahnen wurde durch diesen und einen weiteren Seilbahn-Unfall (bei Meran) und einem Flugunfall mit einem Helikopter jedoch ausgelöst.
Dann wurde im Oktober 2002 ein Privatseilbahn-Gesetz eingeführt, wobei die Bahnen bis 15. März 2003 erstens gemeldet und zweitens den Sicherheitsbestimmungen (zB. Markierungen für Helikopter) angepasst werden mussten.
In der Folge gab es noch eine Menge Pressemeldungen, die die Bauern bzw. Bergbauern beruhigen sollten...
Trotz gegenteiliger bzw für die Bauern beruhigender Pressemeldungen wurde ab dem Jahr 2005 dann hart durchgegriffen und der Betrieb der Materialseilbahnen anstelle der ursprünglichen Landesebene nun von der (besser informierten) Gemeindeebene zum Personentransport untersagt.
Dies ging einher mit der Begründung, dass ein "Strukturwandel" erfolgt sei und dass ab diesem Zeitpunkt alle Südtiroler Bergbauernhöfe mit dem Auto erreichbar wurden.
Mit dieser rigorosen Regelung hat sich das Land Südtirol sicher keinen großen Gefallen getan:
- für Wanderer ist es nicht unbedingt spannend, mit dem Auto auf Bergbauernhöfe zu fahren, hier war das "Bahnl" sicher ein tolles Urlaubsabenteuer.
Laut der Zeitschrift "Der Vinschger", Nr. 18/2005, haben ziemlich viele langjährige Südtirol-Urlauber ihre weiteren Südtirol-Urlaube wegen der fehlenden "Bahnln" abgesagt. Zitat: "Es spielen sich unbeschreibliche Auftritte ab. Täglich kommen Urlauber ins (Tourismus-)Büro und erklären, nie mehr in Partschins Urlaub zu machen", berichtete die Geschäftsführerin Tartarotti, die mit dem "Lancieren" der Wandermöglichkeiten auf dem Meraner Höhenweg vor Jahren viel touristischen Spürsinn bewiesen hatte. "Sogar im Gemeindeamt tauchen sie auf, um sich zu beschweren; die Fax-Mitteilungen stapeln sich" ergänzte Präsidentin Trogmann.
- die Materialseilbahnen und der Transport von Touristen war auch ein sehr wichtiges Nebeneinkommen für viele Bergbauernhöfe.
Vitale und aktive Bergbauernhöfe wiederum sind für die im Tal liegenden Dörfer von enormer Bedeutung in vielfacher Hinsicht, exemplarisch sei nur der Landschaftschutz oder Lawinenschutz genannt.
- der Personentransport mit den Materialseilbahnen war vielfach ein lebensrettender Faktor, da z.B. Bergretter bei Nacht in wenigen Minuten zum Einsatzort gebracht werden konnten, Krankentransporte konnten schnell durchgeführt werden etc.
Hubschrauber können in den Alpen bei Nacht nicht fliegen und die komplementäre Strecke auf der Strasse kann durchaus bei Nacht 1 Stunde Fahrzeit bedeuten oder im Winter völlig unerreichbar sein.
- aus kulturgeschichtlicher bzw volkskundlicher Sicht geht damit ein großes Kapitel Südtiroler Kultur zu Grunde. Aus landwirtschaftlicher und ökologischer Sicht werden nun riesige Bergwälder nicht mehr bewirtschaftet, es erscheint durchaus wahrscheinlich, dass sich die "Rechnung" (oder "Rächung") der Natur etwa in Form von Lawinen und Muren bei Gelegenheit in den nächsten Jahren zeigt...
Wolfgang (
SAGEN.at)