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Interessanter Dachbodenfund in Hatting

ulli292

Member
Ein Artikel in der heutigen Online - Ausgabe der Tiroler Tageszeitung beschäftigt sich mit einem Fund, der im Dachboden des Hattinger Widums gemacht wurde.


Die Historikerin in mir hofft natürlich, dass sich im Brixener Archiv zu diesem Fall noch Aufzeichnungen finden lassen. Auf jeden Fall eine außergewöhnliche Geschichte, von der ich dachte, dass es einige in diesem Forum interessieren könnte.
 
Hallo ulli292,

der Inhalt dieses Artikels würde mich ebenfalls sehr interessieren und schließe mich daher Wolfgangs Bitte um Zusammenfassung an.

Habe gerade in der "Brixener Chronik" vom 20.05.1892 einen bayrischen Besessenheitsfall aus dem Jahr 1891 gefunden, der dort ausführlich geschildert wird. Demnach wurde ein Bub von der Nachbarin (einer Protestantin) verwünscht, das Kind musste mindestens 5 Exorzismen durchstehen. Zum Schluss galt er als geheilt, denn er besuchte die katholische Kirche und betete fleißig... Der Pater Aurelian, der den Teufel austrieb, hat seinen Bericht darüber "zum ewigen Andenken für das Provincial-Archiv in Altötting, sowie für das Klosterarchiv Wemding verfasst", wie es abschließend in dem Artikel heißt. Meiner Ansicht nach ging es in diesem Fall um Protestantismus versus Katholizismus.

Und jetzt bin ich wirklich neugierig, was es mit dem spektakulären Votivbild am Dachboden in Hatting und dem damit verbundenen Besessenheitsfall von vor ca 300 Jahren auf sich hat :)

LG,
Dolasilla
 
Zuletzt bearbeitet:
Tut mir leid, das mit der Paywall hatte ich komplett übersehen. Hier eine Zusammenfassung des Artikels.

Geschichte eines „Besessensheitsfalles“: Exorzismus in Tirol vor 300 Jahren -​

Tiroler Tageszeitung, online veröffentlicht am 23.1.2023, Autor: Michael Domanig

Bei der Suche nach passenden Materialien für die Ausstellung "Hatting - anno" stießen der Chronist der Musikkapelle Hatting, Markus Geyr, und Pfarrkoordinatorin Erika Auer am Dachboden des Hattinger Widums auf eine Votivtafel, die an ein bis dato unbekanntes Ereignis in der Dorfgeschichte erinnern sollte.
Auffallend war für Markus Geyr zunächst die Darstellung des alten Barockaltars sowie des Innenraums der Pfarrkirche, bei der es sich lt. Herrn Geyr um die älteste bekannte Darstellung der Hattinger Kirche handeln soll.
Dargestellt wird außerdem ein Exorzismus, der vor 300 Jahren an einer Hattinger Frau durchgeführt wurde. Anhand der Bildlegende kann das Geschehen auf dem Bild nachverfolgt werden: Die Votivtafel wurde von einem gewissen Georg Girner zum Dank dafür gestiftet, dass seine Ehefrau 1722 von einem "bösen Geist", von dem sie drei Jahre lang besessen gewesen sei, befreit wurde.
Die Votivtafel wurde auf Kosten des in Hatting ansässigen Antiquitätenhändlers Bruno Sailer fachgerecht restauriert und ist seit September 2022 in der Pfarrkirche Hatting zu sehen - gleich rechts neben dem Eingang.
Mit dem Bild befasst wurden auch der Telfer Historiker Stefan Dietrich und Hansjörg Rabanser vom Ferdinandeum.

Zitat aus dem Artikel:

"Er habe sich mit dem Hattinger Votivbild noch nicht intensiver beschäftigt und auch noch keine Quellenstudien dazu angestellt, schickt Rabanser, studierter Historiker und Kunstgeschichtler, im TT-Gespräch voraus. Dennoch sind ihm bereits eine Reihe von interessanten Einzelheiten aufgefallen: Votivbilder mit Darstellungen von Exorzismen seien bekannt – viel üblicher seien aber natürlich Bilder über Hochwasserkatastrophen, Wagenunglücke oder ähnliche Notlagen. Das „sehr schöne, toll restaurierte" Hattinger Bild zeichne sich durch den Realismus der Darstellung aus, von Altar und Kirchenraum bis zu den „auffällig charaktervoll gezeichneten" Personen. Auch im Hinblick auf deren Tracht, Kopfbedeckung etc. sei das Werk kulturgeschichtlich sehr interessant."

Es folgt eine genaue Beschreibung des Bildes sowie der Ereignisse, die auf dem Bild dargestellt sind.

Weitere Forschungen sollen folgen, zum Beispiel könnte im Diözesanarchiv in Brixen nach Aufzeichnungen zu diesem Fall gesucht werden. Ein weiterer Aspekt, den Markus Geyr nachverfolgen möchte, ist der Verbleib des barocken Altars, der auf dem Bild zu sehen ist.
 
Liebe Ulli,
vielen herzlichen Dank für deine Zusammenfassung des Artikels!

Mir persönlich stellt sich da die Frage, was mit dem "bösen Geist", von dem die Ehefrau erfasst wurde, wohl gemeint gewesen sein könnte. War sie vielleicht einfach nur widerspenstig, ungehorsam, zornig, frech, störrisch, abweisend, ungebührlich laut oder hat sie sich sonst irgendwie unbotmäßig verhalten...? Das alles könnte ihren Ehemann Georg Girner durchaus gestört und ihn davon überzeugt haben, sie wäre nun von einem "bösen Geist" besessen.

Ein durchgeführter Exorzismus ist alles andere als ein harmloses Kinderspiel. Ich bezeichne das als Folter. An den sogenannten "Teufelsaustreibungen" sind Menschen gestorben: Sehr bekannt ist ja der Fall von Anneliese Michel, an der 67 (!) mal ein Exorzismus zelebriert wurde, woran sie schließlich auch elendiglich verreckt ist (das geschah Mitte des 20. Jahrhunderts). Erschreckenderweise werden sogenannte Teufelsaustreibungen auch heute (im 21. Jahrhundert!) noch gemacht, an der päpstlichen Hochschule in Rom finden bis heute Exorzistenausbildungen für Priester statt. Dabei geht es den würdigen Herren angeblich vor allem um einen „Dienst der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit“.

Bestimmt war Georg Girner sehr froh, dass seine Ehefrau nach der überstandenen Tortur der Exorzismus (die diese offenbar auch überlebt hat) nach drei Jahren "Besessenheit" endlich wieder "normal" war (sprich: im Alltag wieder reibungslos funktionierte), denn über dieses "freudige" Ereignis hat er eine Votivtafel anfertigen lassen.

LG,
Dolasilla

PS: Ich habe Antonio Vivaldis Musik, u.a. seine "Vier Jahreszeiten" immer sehr geschätzt und diese Vertonungen gern gehört - seit ich weiß, dass Vivaldi Exorzist war, mag ich ihn nimmer.
 
Was man auch in Betracht ziehen kann, wäre dass die Frau u. U. an einer psychischen Erkrankung gelitten haben könnte, je nach Erkrankung gibt es Symptome, die zur damaligen Zeit sowohl von der Patientin als auch von deren Umfeld als „Besessenheit“ interpretiert werden konnten. Auch Epilepsie könnte eine Rolle gespielt haben.

Ich stimme dir zu, dass es sich hier um ein Ereignis handelt, das für diese Frau entsetzlich gewesen sein muss. Bleibt zu hoffen, dass die „Heilung“ von Dauer war und sie sich von dieser Tortur wieder erholt hat.
 
Herzlichen Dank, Wolfgang!
Das hat mir jetzt eine Menge Arbeit erspart ;)

Die Worte "auß Vorbit" würde ich mit "auf Fürbitte" übersetzen.

Einige Fragen sind für mich noch offen:

"Under Weren der beschwehrung (Beschwörung) sich Maria ..." bereitet mir noch etwas Kopfzerbrechen. Das klingt für mich so, als hätte sich Maria Buesshartin gegen die Beschwörung gewehrt und Maria (die Gottesmutter) hat sich dreimal zu ihr geneigt, was offenbar erfolgreich zur Austreibung des bösen Geistes führte.

"Und lachend erzeugt laut eidlicher Aussage der Maria Buesshartin" erschließt sich mir ebenfalls nicht ganz. Eventuell heißt es nicht "erzeugt", sondern was anderes? Ich kann das Wort leider nicht gut lesen. Ich dachte kurz an "erfreut", aber das geht sich buchstabenmäßig nicht aus. Hm...

Und auch: Wer hat gelacht? Die Maria Buesshartin oder Maria, die Gottesmutter?

Verwirrend finde ich auch, dass das Bild der Hl. Maria, auf das die andere Maria blickt, als Bild von Einsiedeln ("Unser lieben Frau Pildi von Einsideln") benannt wird. Und das ist ja eigentlich eine schwarze Madonna, ein Aspekt, der auf dem Votivbild so gar nicht zu erkennen ist.

Ich wage nicht zu hoffen, dass das jemand schlüssig beantworten kann, ich möchte diese Fragen einfach nur mal in den Raum stellen...

Was mir auch aufgefallen ist, dass die Eheschließung mit Georg Girhner offenbar nach der "Beschwörung" stattgefunden hat.

LG,
Dolasilla
 
Einige Fragen sind für mich noch offen:

"Under Weren der beschwehrung (Beschwörung) sich Maria ..." bereitet mir noch etwas Kopfzerbrechen. Das klingt für mich so, als hätte sich Maria Buesshartin gegen die Beschwörung gewehrt und Maria (die Gottesmutter) hat sich dreimal zu ihr geneigt, was offenbar erfolgreich zur Austreibung des bösen Geistes führte.

"Und lachend erzeugt laut eidlicher Aussage der Maria Buesshartin" erschließt sich mir ebenfalls nicht ganz. Eventuell heißt es nicht "erzeugt", sondern was anderes? Ich kann das Wort leider nicht gut lesen. Ich dachte kurz an "erfreut", aber das geht sich buchstabenmäßig nicht aus. Hm...

Und auch: Wer hat gelacht? Die Maria Buesshartin oder Maria, die Gottesmutter?

Verwirrend finde ich auch, dass das Bild der Hl. Maria, auf das die andere Maria blickt, als Bild von Einsiedeln ("Unser lieben Frau Pildi von Einsideln") benannt wird. Und das ist ja eigentlich eine schwarze Madonna, ein Aspekt, der auf dem Votivbild so gar nicht zu erkennen ist.
Auch von mir vielen Dank für das Bild und das Transkript!

"lachend erzeugt" - eventuell "erzeigt"? Im oben erwähnten Zeitungsartikel findet sich diese Interpretation:

"Faszinierend ist daran auch das Marienbild, das der „Besessenen“ laut Bildlegende während der Beschwörung dreimal zugenickt und sich ihr "lachend erzeugt", also zugelächelt, habe - worin man den Grund für die Heilung erkannte. Gemeint ist dabei nicht die am Altar erkennbare Kopie der berühmten Cranach-Madonna, sondern vielmehr das rechts davon dargestellte, ebenfalls sehr bekannte „Einsiedler Gnadenbild“, zu dem die "erlöste und nunmehr danksagende Maria Girnerin" von der Bildmitte aus aufblickt."

Der Text deutet tatsächlich darauf hin, dass die Eheschließung möglicherweise erst nach dem Exorzismus stattgefunden hat. Ich bin diesbezüglich dabei, die Heiratsbücher der Pfarre Flaurling zu durchforsten - ich glaube, die war damals für Hatting zuständig, eine eigenständige Pfarre wurde Hatting erst im 20. Jahrhundert. Mal schauen, ob ich auf diese Art etwas über das Ehepaar Girner herausfinden kann.
 
In den Flaurlinger Heiratsbüchern habe ich vorerst keinen Hinweis auf das Paar finden können. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass die Hochzeit in einer anderen Pfarre (z.B. dem Heimatort der Braut?) stattgefunden hat. Ich werde meine Suche auf die umliegenden Pfarren ausweiten.

Im Sterbebuch ist ein Georg Girner vermerkt, welcher am 24. November 1746 verstorben ist. Im Dokument finden sich aber keine weiteren Informationen, die eine eindeutige Identifikation des Verstorbenen zulassen würden (z.B. Alter zum Sterbezeitpunkt oder Sterbeort). Der Name Girner ist aber kein Name, der in den Pfarrmatriken häufig vorkommt. Der Familienname "Bueshart" ist mir bisher auch nicht untergekommen.
 
Hm, diese Recherche ist bestimmt schwierig (auch zeitaufwendig).

Wenn der Ehemann Georg vor Maria verstorben ist und sie danach wieder geheiratet hat, hatte sie danach ja wieder einen andern Nachnamen...

Abgesehen von den verschiedenen, möglichen Schreibweisen des Namens Bueshart.

Konntest Du mittlerweile was rausfinden?
 
Leider nein, es war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Rechtschreibung speziell von Namen teilweise sehr variiert hat - so habe ich auch nach dem Namen "Possard / Possart" gesucht - konnte ich die Frau in den Pfarrmatriken nicht finden. Der einzige Hinweis ist, wie oben schon erwähnt, der Eintrag von Georg Girner im Sterbebuch. Da aber hier nur der Name und das Sterbedatum vermerkt wurde, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich dabei um den Mann handelt, der das Bild in Auftrag gegeben hat. Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich.
 
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