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Eindrücke von Peking

siegi

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Eindrücke aus Peking

Mittlerweile schaut die westliche Welt gespannt nach Běijīng (Peking), der Tür zum bevölkerungsreichsten Land der Welt. Ich habe mich dort kurz umgesehen und viel Neues und Bekanntes kennen gelernt.
Schon nach der Landung fällt mir auf, es fehlt mir was, am Gate stehen keine Horden von Menschen, die auf die Ankommenden warten. Man wird zu einer Bahn geleitet, die an eine U-Bahngarnitur erinnert, aber sich durch einen gläsernen Tunnel bewegt. Die Fahrt von ca 4 Minuten mit ungefähr 30 km/h lässt erahnen, dass man sich im größten geschlossenen Gebäude der Welt befindet, dem Terminal III, entworfen von Sir Norman Foster, der auch die Berliner Reichstagskuppel entwarf. Rund 60 mio. Menschen sollen hier jährlich abgefertigt werden, obwohl man das Gefühl hat, es ist nichts los. Fast blendend, die Sauberkeit, die hier herrscht. Alle paar Minuten begegnet man einem Reinigungstrupp. Dass Personalstärke keine Rolle spielt, sieht man auf Schritt und Tritt durch die Hauptstadt.
Die 27 km Fahrt auf einer 6-spurigen (in eine Richtung) Autobahn ins Zentrum, ist eine Reise durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dorfähnliche Bezirke, mit den typischen Häuschen und den geschwungenen Dächern und kleine Vorgärten, Vorstadtsiedlungen, die an westliche Hochhausbauten der 90er erinnern und gigantische Wolkenkratzerbaustellen wechseln einander ab.
Vom Verkehrsaufkommen anderer Weltstädte, wie London, Kairo, New York, Hongkong usw. ist Peking noch meilenweit entfernt, obwohl es in Stoßzeiten zu Stauungen und Stop and Go kommen kann. Taxi ist zu dieser Zeit natürlich keines zu bekommen, außer man wagt sich so wie ich, in einen Luxustempel von Hotel, von dem ich in Wien im hohen Bogen rausgeflogen wäre, mit der Bitte ein Taxi zu rufen. Höflich bat mich die Lady am Empfang um etwas Geduld, winkte einen der 5 uniformierten Türsteher heran, der sich dann auf die Straße stellte und in ein paar Minuten kam ein Taxi auf den Vorplatz, Mit Audi, BMW, Wolga und fast alle Typen von SUVs sind die Chinesen schon modern unterwegs, obwohl man vielerorts noch Autos aus den kommunistischen Bruderländern antreffen kann. LKW, die in punkt westlicher Verkehrstauglichkeit und Beladung, jedem Europäer die Haare zu Berge stehen lassen, sind die Norm.
Verkehrsregeln werden großteils genau eingehalten, kein Wunder bei dieser enormen Polizeipräsenz, vor allem in der City. Abgeschleppt wird rigoros, mit polizeieigenen Fahrzeugen u. Kranwagen.
An jedem Zebrastreifen sind Lotsen in Uniformen, die ein gefahrloses überqueren der Straße ermöglichen, immer unter Beobachtung eines Streifenwagen, der in unmittelbarer Nähe parkt.
Uniformen scheinen überhaupt sehr beliebt zu sein. Ob Lotsen, Parkplatzwächter bei den Kaufhäusern, Türsteher vor fast jedem Geschäft, Portiere und Ordnungswächter. Da fällt einem oft die Unterscheidung zur Polizei gar nicht mehr so leicht. Vor allem, dürften sie alle Respektpersonen sein, wie man leicht am Verhalten der Einheimischen beobachten kann.
Die Innenstadt präsentiert sich mit Prachtstraßen in enormer Breite, gigantischen Fußgängerzonen, in denen alle vertreten sind, die in der westlichen Welt einen Namen haben. Im nebelähnlichen Smog enormer Stärke, bummeln die einkaufswütigen Touristen, auffällig elegant gekleideten Hongkong-Chinesen und gut situierte Einheimischen von Kaufhaus zu Kaufhaus, Boutiquen, Elektronikläden und Restaurants. Ein Blick in den fast 500 m langen Donghuamen-Nachtmarkt, wo gegrillt und gekocht wird, zB.: Zikaden, Heuschrecken, Nieren, Garnelen, Engerlinge.Schlange, trieb mich schleunigst in einen von mir in A verpönten Laden. Mc Donalds sei Dank. Da fühlt man sich fast geborgen. Nur muss man anmerken, dass sich die chinesische Küche in China und die europäischen China-Restaurants, wie Tag und Nacht unterscheiden. Einzig in Restaurants, mit Ausrichtung auf Europäer, kann man hervorragend speisen, ohne Gefahr zu laufen, Hund, Katze, Wurm oder Schlange vorgesetzt zu bekommen.
Begleitet von Lautsprecherdurchsagen einer Sprecherin der Stadtverwaltung, die alle 10 min. irgendwelche Anordnungen, Befehle oder Parolen herausgibt, ziehen Trupps der Polizei oder des Militärs in Marschformation durch die Innenstadt. Vielleicht zur Wachablösung oder auch nur um Präsenz zu zeigen.
Zu einem Besuch in Peking, gehören natürlich die vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt, angefangen von der „Great Wall“, über die „Verbotene Stadt“, dem Sommerpalast oder dem Himmelstempel-Park. Für das ungeübte Auge eines Westtouristen, schauen die Gebäude und Paläste, abgesehen von der Größe, fast alle gleich aus. Ob die architektonische Bauweise, die Bemalung, oder die herrlichen Schnitzereien und Mosaike, hat man eines gesehen, hat man fast alle gesehen. Innen sind fast alle Paläste leer, oder nur ganz spärlich mit Altären oder Liegestätten ausgestattet. Abgesehen davon, dass die chinesische Kultur jener Zeit, Einrichtungen, wie wir sie aus jenen Tagen gewöhnt sind, gar nicht kannte. Die wertvollsten Stücke befinden sich natürlich in den Museen der Stadt.
Die fast 800 Gebäude und Paläste der „Verbotenen Stadt“ (über 1 mio. m²) kann man sowieso nicht alle besuchen, sonst wird’s ein einwöchiger Aufenthalt, obwohl nicht mal die Hälfte (430.000 m²) freigegeben ist. Über 200 Handwerker brauchen 1 Jahr für Restaurierungen und Erhaltung, um danach wieder von vorne anzufangen.
Die „Große Mauer“ ist der Hit jeder Chinareise. Von den Chinesen oft als Mauer der 10.000 Li ( 1Li entspricht etwa einen halben km, also ungefähr 5000 km), davon fast ein Drittel Stufen, zieht sich von Noerdkorea über die Mongolei bis hinauf nach Lop Nur in Xinjiang. Weite Teile sind fast verfallen, werden aber wieder restauriert. Interessanter Weise hat Marco Polo die Mauer in keinem seiner Reiseberichte erwähnt.
Der Kaiserliche Sommerpalast ist eine großartige riesige Gartenanlage von 590 ha, mit einer 10 km langen Mauer umbaut. 90% davon sind Seen, Hügel, kleine Wäldchen und Ebenen. Hier befindet sich auch die Marco Polo-Brücke, die eine kleine Insel mit dem Festland verbindet.
Ich war natürlich auch an kleinen Kunsthandwerksfirmen interessiert, und konnte ein paar besuchen und besichtigen. Die Qualität der Maschinen und Geräte war teilweise aus der Zeit der 50er/60er in Europa, teilweise ohne Schutzvorrichtungen und gesundheitsgefährdend.
Großteils aber großartige Handwerkskunst. Ob Keramik, Jade oder Holz. Moderne Betriebe konnte ich nicht besichtigen. Obligat war natürlich die etwas englisch sprechende Begleitung in jedem Betrieb. Stolz auf die „modernen“ Maschinen, die vieles erleichtern.
Natürlich kann man hier nur einen Bruchteil der Eindrücke schildern, sonst müsste man ein Buch schreiben.


Ich möchte den Bericht mit einem Zitat von Richard Nixon beenden:
„Die Große Mauer ist eine großartige Mauer und nur eingroßartiges Volk, mit einer großartigen Vergangenheit, kann eine großartige Mauer haben.
Und ein solch großartiges Volk, mit einer solch großartigen Mauer hat bestimmt eine großartige Zukunft.“


In der Galerie werde ich mit den Fotos noch ein paar Eindrücke schildern.
Leider hat meine Kamera den Smog nicht vertragen und den Geist aufgegeben, daher sind viele Fotos mit einer kleinen Leihkamera gemacht worden.
 
Vielen Dank für deine sehr informativen Ausführungen zu Peking im Jahre 2009.
Es ist interessant und äußerst bemerkenswert, wie China den Spagat zwischen zunehmend westlicher Lebensweise und traditionellen Werten zu bewältigen versucht - und das noch dazu mit der traditionellen chinesischen Gelassenheit und Freundlichkeit (siehe dazu auch die chinesischen Raktionen auf die diesjährige Frankfurter Buchmesse).

Einiges in deinen Ausführungen erinnert mich an meine Reisen in die ehemalige UdSSR, welche schon über 25 Jahre zurückliegen. Auch dort war die Gastfreundschaft gegenüber allen ausländischen Besuchern sprichwörtlich und es wurde alles getan, um deren Wünsche zu erfüllen - selbst wenn eigene Bedürfnisse deshalb weit zurückgeschraubt werden mussten. Unterschiede gab es freilich zwischen uns DDR-Bürgern und Reisenden aus kapitalistischen Staaten - vor allem im Hinblick auf die Konsumtion von Luxusgütern.

Eine kleine Anmerkung zu deiner Ausführung:
Verkehrsregeln werden großteils genau eingehalten, kein Wunder bei dieser enormen Polizeipräsenz,

Die Einhaltung gesellschaftlicher Regeln, nicht nur im Straßenverkehrsbereich, ist nicht primär der Polizeipräsenz zuzuordnen, sondern einem allgemeinen Werteverständnis, welches die ehemaligen sozialistischen Länder und heute auch China auszeichnet. Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Vordergrund, so ordnet sich der Einzelne den gesellschaftlichen Normen unter. Ganz anders in unserer Gesellschaft, wo das Individuum im Vordergrund steht. Diese Entwicklung war für mich, neben den Veränderungen in der Eigentumsstruktur und auf dem Arbeitsmarkt, eine der sichtbarsten Prozesse in den "neuen deutschen Bundesländern". Notwendige gesellschaftliche Normen haben für immer mehr gesellschaftliche Gruppen bestenfalls Empfehlungscharakter und selbst dort, wo massive staatliche Polizeipräsenz ist, wird munter zur gewaltsamen Auseinandersetzung aufgerufen und diese auch praktiziert, Gewalttourismus ist an der Tagesordnung. Beispiele dafür: "Brisanzfußballspiele" (selbst in unteren Spielklassen); Dresden rund um den 13. Februar; Berlin und Hamburg am 1. Mai; Leipzig am gestrigen 17. Oktober.

Zu deiner Bemerkung
Uniformen scheinen überhaupt sehr beliebt zu sein.
kann ich dir nur bestätigen, dass dies auch in den ehemaligen sozialistischen Ländern so war. Ebenso betrifft dies Orden und andere Ehrenzeichen. Es war Normalität in der damaligen Zeit und man war auch stolz darauf. In der heutigen Rücksicht betrachtet man viele Dinge natürlich differenzierter - aber "hinterher" ist man halt immer klüger.

Nochmals vielen Dank für deine ausführlichen Schilderungen.

Dresdner
 
Ich möchte mich für diese/n Bericht/e bedanken!!!
Äußerst informativ, als ob man selbst dabei wäre.
lg far.a
 
Danke für diesen hochinteressanten und anschaulichen Bericht - Du hast da Peking anschaulich vor mein inneres Auge gemalt! :maler:
 
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