Vor längerer Zeit schon für Euch zusammengeschrieben:
Über den „Ebenseer Kreuzstich“
In einer Fassung der Wolfdietrich-Sage lernt der Königssohn Hugdietrich extra die Kunst des Stickens (!), um sich bei Hagen (eigentlich Walgund, König von Salneck) als Frau verkleidet einschleichen zu können. Hagens Tochter Hildburg wird eifersüchtig bewacht in einem Turm vor allen Männern versteckt gehalten – doch Hugdietrich gelingt es mit seiner großen Fertigkeit in der Stickkunst als Lehrerin und Gespielin (oje!) zu dieser Tochter vorzudringen – mit den daraus entstehenden Folgen in Form des kleinen Wolfdietrich …
Ich glaube, nur selten huldigen heutzutage Männer dieser volkstümlichen Kunst (und wenn, dann aus anderen Gründen!). Dabei war es eine in der Historie geübte Kunst jener Männer, die auch Bildhauerei und Malerei betrieben, diese Stickmuster für die edlen Frauen zu entwerfen! Die Ausführung der Stickereien oblag anfangs ausschließlich den herrschaftlichen Frauen und deren engerem Gesinde, weil sie durch die Form der luxuriösen Haushaltsführung mit Bediensteten die Zeit hierfür aufbringen und sich auch das hierfür notwendige „gute feine Leinen“ leisten konnten.
Es wird angenommen, dass die Wurzeln der Stickerei im Orient zu finden sind; als preiswerte Kopie von unerschwinglichen Teppichen entstand unter anderem unser „Tischtöppich“. Der geometrischen Fadenführung folgend wurden exakte Muster aus Kreuzen (Kreuzstich) und einfachen Linien (Holbeinstich) entwickelt.
Seit Jahrhunderten werden diese Muster überliefert und weitergegeben – früher in Form von „Mustertüchern“, auf denen Mustersammlungen oder Buchstaben- und Zahlenreihen in gestickter Form bewahrt wurden. Später wurden Sammelmappen mit den Mustern gedruckt – und heute gibt es sogar Computerprogramme, die Muster – leider dann oft unfachmännisch gefertigt – für jeden passenden und unpassenden Anlass entwerfen lassen.
Tücher, Vorhänge, Tischtücher, Schultertücher, Almfahrtltücher, Bordüren, Streifen, Glockenzüge, Altartücher, Ostertücher, Tauftücher, Holzkästchen und Spanschachteln, Etuis und Bucheinbände …. Alles dies wurde mit einfachen Mitteln und großer Liebe und Sorgfalt bestickt. Früher auf grobes Leinen mit oft ungleichen Fadenstärken, heute auf sogenanntem „Stickleinen“, bei dessen Auswahl darauf geachtet werden kann, dass beim Gewebe Kett- und Schussfaden gleich stark sind, um quadratische Kreuze zu erhalten und so das Muster berechenbarer zu machen. Übrigens Berechenbar: oberstes Gebot ist bei der Planung einer solchen Stickerei, das „Eingehen“ des Leinens durch Waschen zu berücksichtigen! Seitlich herabhängende Borten von Tischtüchern ragen sonst plötzlich unhübsch über die Kante der Tischplatte … Aus diesem Grund kaufe ich immer beim gleichen Weber das Material ein und kann mich auf gleich bleibende Ergebnisse verlassen!
Meistens sind es symbolisch dargestellte Motive, die wichtige Lebensinhalte oder Wünsche an das Leben versinnbildlichen: die Fruchtbarkeit, den Lebenslauf mit Geburt, Hochzeit und Tod; Lebensbäume, Tiere, Pflanzen, Früchte, Vasen, prächtige Blumengirlanden und aus nur wenigen Stichen bestehende winzige Blüten, Jahreszeiten, Arbeiten und Tätigkeiten. Aber auch gotische Rautenmuster finden sich, ebenso wie geschlossene Muster des Barock und lockere Rokoko-Ranken. Hirsche im Alpenraum, maurisch wirkende Bänder und Ornamente aus dem Spanien des 15. Jahrhunderts, schmiedeeiserne Schnörkel … vielfältig stellt sich das Musterinventar dar – so vielfältig wie die sprachlichen Dialekte in den verschiedenen Lebensräumen der Menschen mit ihren differenten Temperamenten.
Viele Einflüsse haben die Motive außerdem geprägt: China ist vertreten durch Blumen, Drachen, Einhorn, Vögel; die Kreuzzüge brachten Adler, Löwen und den Pfau; aus dem Orient kamen Mäander- und Rautenmuster; … in Ungarn gab es aber lange deswegen keine Tier- und Menschenmotive, weil der Islam diese bildlichen Darstellungen verbietet.
Die Farbgebung ist regional verschieden, aber meist einfarbig – in Niederösterreich findet man blaue Stickereien, im oberösterreichischen Salzkammergut
altrosa, aber auch zartes blau; Tirol, Kärnten und Niederösterreich verwendeten oft auch die Kombination Rot-Blau, ganz Oberösterreich wieder verwendet oft ein leuchtendes
Kirschrot; zweifarbige Muster wie z.B. Rot-Schwarz oder Blau-Rot sind manchmal aus maurischen Einflüssen entstanden.
Streng sind die Vorgaben, diese Stickarbeiten auszuführen, dabei aber logisch nachvollziehbar – und diesen wenigen Vorgaben folgend sowie mit Übung und räumlichem Verständnis lassen sich quadratmetergroße Stickereien ausführen, ohne ein einziges Mal einen Faden beschneiden zu müssen – außer dem Letzten in einer oft wochenlangen Stickfolge….
Die Deckfäden laufen immer von
rechts unten nach links oben. Der Fadenverlauf auf der Rückseite des Werkstückes verläuft
immer parallel in EINE Richtung …
Für Extreme: es gibt stickbare und nicht-stickbare Muster! Nicht-stickbare Muster sind solche, bei denen auf der Rückseite des Werkstückes der Fadenverlauf nicht parallel sein KANN – z.B. durch einzelne, etwas außerhalb des Stickmotives befindliche einzelne Kreuze! Solche Muster vermeidet der Kenner und Könner, da es sich dabei oft um „neuzeitliche“ Mustervorlagen handeln kann, die durch Unwissende, wenn auch grafisch talentierte Zeichner entstanden sind. (Bestimmt jedoch persönlicher Geschmack und nicht Überlieferung die Produktion eines solchen Werkstückes, steht natürlich dem fröhlichen Schaffen nichts im Wege! Das Produkt bleibt dennoch ein wertvolles Unikat, dem die Achtung des Betrachters unbedingt gebührt!).
In Ebensee im .oberösterreichischen Salzkammergut bildete sich im Laufe der Zeit eine Schule heraus, die dieses traditionelle Handwerk erhielt und ihm auch zu einer gewissen Größe verhalf. Hiervon leitet sich auch die Bezeichnung „Ebenseer Kreuzstich“ ab
© Norbert Steinwendner
Quellen:
• Österreichisches Heimatwerk, Kreuzstich, Klöppeln, Filetarbeiten; Margareta Pokorny, Verlag Kremayr & Scheriau
• Alte Volkskunst Kreuzstich – Ein Werkbuch; Leopold Stocker Verlag
• Alpenländische Handarbeitsmuster von Elfriede Rottenbacher Erste bis Dritte Mappe, Verlag Alpenland-Buchhandlung
• Alte Kreuzstichmuster 1984 gesammelt und herausgegeben von Marianne Kurz
• Im Jahreskreis – Kreuzstichmuster von Josefine Brogyanyi, Verlag Alpenland-Buchhandlung Graz
• Segen und Abwehr – Symbole im Kreuzstich, Elfriede Rottenbacher, Eigenverlag? (keine Angabe)
• Gestickte Volkskunst – Kreuzstichmuster aus Oberösterreich; Selbstverlag des OÖ. Heimatwerkes; Druck: A. Draschny, Linz
• Wie aus Kreuzstichen Muster entstehen – Eine Auswahl aus meinen Sammlungen; Margareta Pokorny, Oberösterreichisches Heimatwerk
• Die schönsten Stickmuster aus alter Zeit – Sonderausgabe von „Schöne alte Stickereien“ und „Stickereien in Bauernstuben“; Irmgard Gierl; Verlag Rosenheimer