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Volkskunst - Heimarbeit

cerambyx

Active member
Volkskunst - Heimarbeit

Grüß Euch!

Durch eine Anfrage von Oksana nach dem bei uns in Oberösterreich früher sehr bekannten "Ebenseer Kreuzstich" bin ich animiert worden, sowohl eine Bildergalerie mit Handarbeiten unter "cerambyx" einzurichten und aufzubauen, als auch dieses Thema hier im Forum aufzugreifen.

Bei Interesse werde ich gerne auch über angewandte Praktiken meiner selbstverfertigten Handarbeiten - aber auch über die Gründe, wieso in der heutigen Zeit überhaupt noch solche Arbeiten entstehen können "referieren" ... (z.B. wie kommt es, dass ein EDV-Spezialist stickt???)

Liebe Grüße an Euch alle
und besonders an unsere russische Freundin Oksana

Norbert aus'm Steyrtal
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
cerambyx schrieb:
Bei Interesse werde ich gerne auch über angewandte Praktiken meiner selbstverfertigten Handarbeiten - aber auch über die Gründe, wieso in der heutigen Zeit überhaupt noch solche Arbeiten entstehen können "referieren" ... (z.B. wie kommt es, dass ein EDV-Spezialist stickt???)

Hallo Norbert,
das würde mich schon interessieren. Nicht nur die Technik sondern auch wie man dazu kommt.
Bis Weihnachten ist ja noch etwas Zeit. Wäre sicher eine gute Geschenkidee, wenn man es könnte und die Zeit dazu hätte.
Gruß Volker
 
Hallo Norbert,

hast also nicht vergessen :smi_blume Danke!
Deine Arbeiten sind wirklich sehr schoen und fein gemacht! :smiley_da Bewundernswert!
Und ich habe natuerlich sofort Fragen (bin sicher, waere auch fuer die anderen interessant das zu erfahren):
  • Wie ist es wirklich dazu gekommen, dass Du in deiner Freizeit stickst? Stickende, sowie strickende oder naehende Maenner sind eine seltene Erscheinung, zumindest in meiner Umgebung gibt es keine solche Maenner.
  • Wie findest du Zeit dafuer??? Das ist doch eine Beschaeftigung, die wirklich enorm viel Zeit braucht! Ich wollte auch einige Male das mit Sticken probieren, aber nie Zeit dazu gefunden...
  • Wo findest Du die Muster? Ob es Muster gibt, die Du von Deinen Eltern oder Grosseltern „geerbt“ hast? Ob ueberhaupt jemand aus Deiner Familie frueher gestickt hat?
So viele Fragen dazu im Moment.

Danke fuer die Gruesse, auch ganz liebe Gruesse zurueck nach Steyrtal aus der regnerischen nordrussischen Hafenstadt
Oksana
 
Hallo Norbert,

wow, das wird ein spannendes Thema!

Neben der Dokumentation Deiner eigenen Arbeit, würde es mich freuen, wenn Du die "Ebenseer Stickkunst" nun wieder einem breitem Publikum bekannt machen und zu neuem wirtschaftlichem Erfolg verhelfen wirst.

Warum ich das so "frech" behaupten kann?

Heute früh habe ich als erstes gehört, dass meine Wohnung neue Vorhänge brauchen würde ... und da gäbe es so schöne Beispiele Ebenseer Stickkunst... :floet:

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Oksana schrieb:
...Wo findest Du die Muster? Oksana

Hallo Oksana!
Ich Danke für das Lob!
Die Stickmuster sind hier in Österreich allgegenwärtig: In jedem Handarbeitsgeschäft und im Buchhandel sind die Musterkataloge zu finden; auch Literatur ist zu haben ... ich habe schon einiges schriftlich zusammengefaßt und hierbei werde ich auch diese Liste beilegen. Und Museen, Heimarbeit-Ausstellungen, Adventmärkte und Messen bergen zahllose Exponate mit alten Mustern und Vorlagen ...

In meiner Familie wurde nicht gestickt - meine Vorfahren stammen fast ausschließlich aus Wien - und gestickt wurde ja vorwiegend in "besseren Häusern" und in Landwirtschaften (Besitz und Freizeit!), nicht in "Wohnungen" (Arbeit und Lebenskampf!); und noch mein Vater war einfacher Schichtarbeiter ...

Aber Oberösterreich hat mich scheinbar ab meinem ersten Atemzug nach der Geburt geprägt: der Dialekt ist hervorragend für Mundartgedichte und Mundartprosa geeignet; ohne die für Oberösterreich typischen Erdäpfel (Kartoffeln) könnte ich nicht überleben; und die Ebenseer Stickerei war für mich immer auffällig durch die unaufdringliche Klarheit der Muster ... und somit Ausdruck der Häuslichkeit, Geduld und Schönheit ...

Dass Oberösterreich als Industrieland auch technisch in vielen Belangen führend war, hat wieder meinen Weg zur EDV (bereits ab 1970) und damit zum analysieren, rationalisieren, beobachten und datensammeln ermöglicht und begründet! Und nur so kam dieses Gemenge an Kultur, Brauchtum (ich war auch mal Tanzmeister einer Volkstanzgruppe und beherrsche noch so manchen Schuhplattler), Volkskunst, Mechanik, Programmierung und EDV in mir zur Vereingung und zum Ausdruck.

Also um auch Deine Frage nach der Zeit zu beantworten: auch meine Hobbies habe ich soweit möglich rationalisiert, um den wesentlichen Dingen an diesen Hobbies treu bleiben zu können:
Das Erwandern der Roten Kreuze z.B. ist mir wichtiger als das Dokumentieren, drum dokumentiere ich alles digital.
Das Bergsteigen ist mir wichtiger als das Fotografieren, drum nutze ich ein digitales Bildarchiv zum raschen ablegen und wiederfinden und nutzen.
usw. usw.

Liebe Grüße nach Russland aus dem Steyrtal
Norbert
 
Vor längerer Zeit schon für Euch zusammengeschrieben:

Über den „Ebenseer Kreuzstich“

In einer Fassung der Wolfdietrich-Sage lernt der Königssohn Hugdietrich extra die Kunst des Stickens (!), um sich bei Hagen (eigentlich Walgund, König von Salneck) als Frau verkleidet einschleichen zu können. Hagens Tochter Hildburg wird eifersüchtig bewacht in einem Turm vor allen Männern versteckt gehalten – doch Hugdietrich gelingt es mit seiner großen Fertigkeit in der Stickkunst als Lehrerin und Gespielin (oje!) zu dieser Tochter vorzudringen – mit den daraus entstehenden Folgen in Form des kleinen Wolfdietrich …

Ich glaube, nur selten huldigen heutzutage Männer dieser volkstümlichen Kunst (und wenn, dann aus anderen Gründen!). Dabei war es eine in der Historie geübte Kunst jener Männer, die auch Bildhauerei und Malerei betrieben, diese Stickmuster für die edlen Frauen zu entwerfen! Die Ausführung der Stickereien oblag anfangs ausschließlich den herrschaftlichen Frauen und deren engerem Gesinde, weil sie durch die Form der luxuriösen Haushaltsführung mit Bediensteten die Zeit hierfür aufbringen und sich auch das hierfür notwendige „gute feine Leinen“ leisten konnten.

Es wird angenommen, dass die Wurzeln der Stickerei im Orient zu finden sind; als preiswerte Kopie von unerschwinglichen Teppichen entstand unter anderem unser „Tischtöppich“. Der geometrischen Fadenführung folgend wurden exakte Muster aus Kreuzen (Kreuzstich) und einfachen Linien (Holbeinstich) entwickelt.

Seit Jahrhunderten werden diese Muster überliefert und weitergegeben – früher in Form von „Mustertüchern“, auf denen Mustersammlungen oder Buchstaben- und Zahlenreihen in gestickter Form bewahrt wurden. Später wurden Sammelmappen mit den Mustern gedruckt – und heute gibt es sogar Computerprogramme, die Muster – leider dann oft unfachmännisch gefertigt – für jeden passenden und unpassenden Anlass entwerfen lassen.

Tücher, Vorhänge, Tischtücher, Schultertücher, Almfahrtltücher, Bordüren, Streifen, Glockenzüge, Altartücher, Ostertücher, Tauftücher, Holzkästchen und Spanschachteln, Etuis und Bucheinbände …. Alles dies wurde mit einfachen Mitteln und großer Liebe und Sorgfalt bestickt. Früher auf grobes Leinen mit oft ungleichen Fadenstärken, heute auf sogenanntem „Stickleinen“, bei dessen Auswahl darauf geachtet werden kann, dass beim Gewebe Kett- und Schussfaden gleich stark sind, um quadratische Kreuze zu erhalten und so das Muster berechenbarer zu machen. Übrigens Berechenbar: oberstes Gebot ist bei der Planung einer solchen Stickerei, das „Eingehen“ des Leinens durch Waschen zu berücksichtigen! Seitlich herabhängende Borten von Tischtüchern ragen sonst plötzlich unhübsch über die Kante der Tischplatte … Aus diesem Grund kaufe ich immer beim gleichen Weber das Material ein und kann mich auf gleich bleibende Ergebnisse verlassen!

Meistens sind es symbolisch dargestellte Motive, die wichtige Lebensinhalte oder Wünsche an das Leben versinnbildlichen: die Fruchtbarkeit, den Lebenslauf mit Geburt, Hochzeit und Tod; Lebensbäume, Tiere, Pflanzen, Früchte, Vasen, prächtige Blumengirlanden und aus nur wenigen Stichen bestehende winzige Blüten, Jahreszeiten, Arbeiten und Tätigkeiten. Aber auch gotische Rautenmuster finden sich, ebenso wie geschlossene Muster des Barock und lockere Rokoko-Ranken. Hirsche im Alpenraum, maurisch wirkende Bänder und Ornamente aus dem Spanien des 15. Jahrhunderts, schmiedeeiserne Schnörkel … vielfältig stellt sich das Musterinventar dar – so vielfältig wie die sprachlichen Dialekte in den verschiedenen Lebensräumen der Menschen mit ihren differenten Temperamenten.

Viele Einflüsse haben die Motive außerdem geprägt: China ist vertreten durch Blumen, Drachen, Einhorn, Vögel; die Kreuzzüge brachten Adler, Löwen und den Pfau; aus dem Orient kamen Mäander- und Rautenmuster; … in Ungarn gab es aber lange deswegen keine Tier- und Menschenmotive, weil der Islam diese bildlichen Darstellungen verbietet.

Die Farbgebung ist regional verschieden, aber meist einfarbig – in Niederösterreich findet man blaue Stickereien, im oberösterreichischen Salzkammergut altrosa, aber auch zartes blau; Tirol, Kärnten und Niederösterreich verwendeten oft auch die Kombination Rot-Blau, ganz Oberösterreich wieder verwendet oft ein leuchtendes Kirschrot; zweifarbige Muster wie z.B. Rot-Schwarz oder Blau-Rot sind manchmal aus maurischen Einflüssen entstanden.

Streng sind die Vorgaben, diese Stickarbeiten auszuführen, dabei aber logisch nachvollziehbar – und diesen wenigen Vorgaben folgend sowie mit Übung und räumlichem Verständnis lassen sich quadratmetergroße Stickereien ausführen, ohne ein einziges Mal einen Faden beschneiden zu müssen – außer dem Letzten in einer oft wochenlangen Stickfolge….

Die Deckfäden laufen immer von rechts unten nach links oben. Der Fadenverlauf auf der Rückseite des Werkstückes verläuft immer parallel in EINE Richtung

Für Extreme: es gibt stickbare und nicht-stickbare Muster! Nicht-stickbare Muster sind solche, bei denen auf der Rückseite des Werkstückes der Fadenverlauf nicht parallel sein KANN – z.B. durch einzelne, etwas außerhalb des Stickmotives befindliche einzelne Kreuze! Solche Muster vermeidet der Kenner und Könner, da es sich dabei oft um „neuzeitliche“ Mustervorlagen handeln kann, die durch Unwissende, wenn auch grafisch talentierte Zeichner entstanden sind. (Bestimmt jedoch persönlicher Geschmack und nicht Überlieferung die Produktion eines solchen Werkstückes, steht natürlich dem fröhlichen Schaffen nichts im Wege! Das Produkt bleibt dennoch ein wertvolles Unikat, dem die Achtung des Betrachters unbedingt gebührt!).

In Ebensee im .oberösterreichischen Salzkammergut bildete sich im Laufe der Zeit eine Schule heraus, die dieses traditionelle Handwerk erhielt und ihm auch zu einer gewissen Größe verhalf. Hiervon leitet sich auch die Bezeichnung „Ebenseer Kreuzstich“ ab



© Norbert Steinwendner

Quellen:
• Österreichisches Heimatwerk, Kreuzstich, Klöppeln, Filetarbeiten; Margareta Pokorny, Verlag Kremayr & Scheriau
• Alte Volkskunst Kreuzstich – Ein Werkbuch; Leopold Stocker Verlag
• Alpenländische Handarbeitsmuster von Elfriede Rottenbacher Erste bis Dritte Mappe, Verlag Alpenland-Buchhandlung
• Alte Kreuzstichmuster 1984 gesammelt und herausgegeben von Marianne Kurz
• Im Jahreskreis – Kreuzstichmuster von Josefine Brogyanyi, Verlag Alpenland-Buchhandlung Graz
• Segen und Abwehr – Symbole im Kreuzstich, Elfriede Rottenbacher, Eigenverlag? (keine Angabe)
• Gestickte Volkskunst – Kreuzstichmuster aus Oberösterreich; Selbstverlag des OÖ. Heimatwerkes; Druck: A. Draschny, Linz
• Wie aus Kreuzstichen Muster entstehen – Eine Auswahl aus meinen Sammlungen; Margareta Pokorny, Oberösterreichisches Heimatwerk
• Die schönsten Stickmuster aus alter Zeit – Sonderausgabe von „Schöne alte Stickereien“ und „Stickereien in Bauernstuben“; Irmgard Gierl; Verlag Rosenheimer
 
Zuletzt bearbeitet:
volker333 schrieb:
Bis Weihnachten ist ja noch etwas Zeit. Wäre sicher eine gute Geschenkidee, wenn man es könnte und die Zeit dazu hätte.

Hallo Norbert,
habe mir deine tollen Erklärungen durchgelesen. Schockiert hat mich etwas die Rückansicht der Stickerei. Ich hätte da eigentlich mit ähnlichem Aussehen gerechnet.
Also Weihnachten halt ich, allerdings frühestens 2008. Wenn ich mich bis dahin nicht erstochen habe.
Ein erfurchstvoller, sich verneigender
Kreuzstichlehrling.:smi_schnu

X....X......XXXX....X........XXXX.............X......X..........XXXX
X....X......X.........X........X....X............ XX..XX..........X
XXXX......XXX......X........XXXX.............X.X.X.X.........XXXX
X....X......X.........X........X.................. X..X..X..........X
X....X......XXXX....XXX....X...................X......X..........XXXX
 
Oksana schrieb:
Wie ist es wirklich dazu gekommen, dass Du in deiner Freizeit stickst? Stickende, sowie strickende oder naehende Maenner sind eine seltene Erscheinung, zumindest in meiner Umgebung gibt es keine solche Maenner.
Oksana

Hallo Oksana!
Nachfolgend der Versuch einer Antwort auf Deine Frage ...

Ein Mann stickt? oder Mein Weg zum Ebenseer Kreuzstich

Was immer es ausgelöst hat: ich bin ein Beobachter! Ich bestaune lebende Dinge und versuche zu erraten, was sie als nächstes warum tun werden. Was ich nicht verstehe, das akzeptiere ich ganz einfach. Ich ordne das Gesehene ein und bewahre es in meinem Gedächtnis … Ich bestaune tote Dinge und versuche zu erraten, wie sie das geworden sind, was sie nun sind …. Ich versuche sie in ein Schema einzuordnen, ein Muster zu entdecken, Gemeinsamkeiten zu finden. Was ich nicht verstehe, das akzeptiere ich ganz einfach.

Da war einst ein Stück Leinen – und darauf sind rote Kreuze. Viele rote Kreuze – und eins sieht aus wie das andere; eigentlich kaum beachtenswert. Aber – diese vielen roten Kreuze bilden Muster, Girlanden, Blumen, Symbole, Fabelwesen – manche deutlich wahrnehmbar, manche nur angedeutet – symbolisch, werde ich später einmal lernen. Aber alle Deckstiche laufen in eine Richtung … nein, hier und da hat die Stickerin scheinbar einen Fehler gemacht, aber sonst laufen alle in die gleiche Richtung …

Da war einst ein Stück Leinen – und darauf sind lauter gerade Fadenverläufe, genau in Richtung der Webfäden; es ist die Rückseite des gleichen Stückes Leinen. Manchmal wirken sie verdickt, diese Linien – und wie ich es genauer betrachte, sehe ich dass es die Fadenenden sind, eingeflochten, vernäht in genau der gleichen Richtung wie alle Fäden … nein, hier und da hat die Stickerin scheinbar einen Fehler gemacht, und ein Fadenende springt von einer Linie auf die nächste über … na klar, es ist zu wenig Substanz da zum vernähen; sie musste wechseln, es blieb nichts anderes übrig ….

Da war einst ein Stück Leinen, das drehe ich um und um in meinen Händen – vorne Kreuze, hinten gerade Fadenverläufe … ich stelle mir das vor: die Näherin muss die Nadel entweder immer aufwärts oder abwärts halten, niemals seitlich … es muss ein System geben…

Da waren einst eine Menge Kopien von Kreuzstichmustern – tolle Muster, tolle Wirkung … ich beginne zu fragen: Wieviele Kreuze in der Minute stickt man so? Lachen! Aber das weiß sie doch nicht …. Aber lange dauerts, und langsam geht’s …

Da ist eine Anleitung bei den Mustern – unbrauchbar, wie die Meisten … und doch … ein Stoffrest wird genommen und los geht’s. Hm … eigentlich logisch, die Stickerei… und ich bin ja Programmierer, also talentierter Logiker … es schreitet hurtig voran, aber mit einer kleineren Nadel werden die Wege noch kürzer, die Geschwindigkeit bei sparsamen Bewegungen noch höher …. und immer schneller flitzt die Nadel..

Wenige Tage darauf habe ich die erste Borte gestickt, und gleich darauf einen Bucheinband für eine Bibel – dabei bin ich gar nicht katholisch!

Einförmige Muster haben mir Routine gebracht, ich weiß, wieviel Stiche ich in der Minute durchschnittlich mache, wie lange das Vernähen brucht und wann ich es optimal in den Arbeitsfluss einbinde. Ich habe die Regeln erfasst, erlernt – nicht durch fragen, sondern durch tun. Auf Fragen habe ich immer Antworten mit Ausnahmefällen erhalten, was mir zeigte, dass immer nur versucht wurde es so richtig wie möglich zu machen. Ich wills aber nicht versuchen, sondern RICHTIG MACHEN!

(Fortsetzung folgt ...)

Norbert
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Mann stickt? oder Mein Weg zum Ebenseer Kreuzstich
Teil 2

Schon sitze ich vor einem großen Stoffstück: Ein Tischtuch mit Borte, Mittelmotiv und Eckmotiven. Ich weiß jetzt dass die Eckmotive mit ihrem Gewicht eine schöne Falte werfen werden, wenn die Lage genau richtig ist, die Platzierung genau richtig erfolgt. Was ich noch nicht weiß ist dass ich diesmal den falschen Stoff vor mir habe. Einige Wochen später rast die Nadel stresslos aber mit sicheren Stichen über das Gewebe. Ich habe alle regeln erlernt, sie erspürt – ich sticke einen „endlosen Faden“, selbstgewählte Form einer selbstgewählten Norm: Ich werde niemals innerhalb einer Borte, eines Motivs einen Faden abschneiden, nur beim aller-allerletzten Faden des Motivs ist das notwendig, wenn man alles so richtig macht, wie ich es als richtig verstehen gelernt habe!

Und es gelingt – bei der Tischdecke, und bei zwei Deckchen für die Nachtkästchen in der gleichen Machart … Jahre später werde ich alles wegwerfen müssen: die Garne waren falsch, der Stoff war falsch – durch das Waschen haben sich Garn und Stoff verschieden verändert, es beginnt sich zu krausen, zu verziehen, zu wellen und zu werfen …

Egal, eine Reihe von Vorhängen, diesmal aus echtem Leinen entsteht; Schmuckborten entstehen, verschiedene kleine und große Bilder, ein Lampenschirm; alles nach Maß – alle Tricks sind bekannt inzwischen: Maßnehmen, Auszählen der Bortenlängen und kalkulierte Eckbildungen, Schrumpfung durch Waschen, Schrumpfung durch den Fadenzug der Stickerei, richtiges Garn, stickbare und nicht stickbare Muster und Mustervorlagen, historische Muster und Formen und „nachgemachte“ von selbsterwählten Spezialisten …

Sticken ist für mich eine beruhigende Beschäftigung: es kommt meinem logischen Denken extrem entgegen durch die einfache Logik gepaart mit Vorstellungsvermögen, die in dieser Form der Stickarbeit benötigt wird. Ohne Denken zu müssen entstehen prächtige Muster, wahre Kunstwerke, und erinnern an vergangene Zeiten und vergangene Menschen die diese Muster entworfen und auch schon gestickt haben. Und sie erinnern an meine eigene vertrödelte Zeit, in der ich nichts ordentliches gemacht habe, nichts Gewinnbringendes begonnen habe, sondern nur einfach eine Nadel in eine von Millionen Gewebekreuzungen hineingesteckt und einen Faden durchgezogen habe … Schaue ich ein solches Produkt an, denke ich schmunzelnd: schon wieder so lang stundenlang nix getan … aber schön isses wieder g´worden !!

Wann ich das mache, werde ich oft gefragt … nun, ich habe kein Fernsehgerät, ich habe auch kein Radio, ich lese keine Zeitungen, ich reise nur in Österreich – und am liebsten zu Fuß … so ermittle ich für mich im Tag durchschnittlich einen Zeitgewinn von drei Stunden!!! (Der Durchschnittsösterreicher bringt es so angeblich auf bis zu 5 Stunden vor'm Fernseher!!) Und damit meine ich den Wochentag – die Wochenenden kommen extra in voller Länge noch dazu. Das sollte doch zum Leben reichen, oder?

Und diese Stickereien zeigen eben dieses ruhige, besinnliche Leben in einer der schönsten Bildersprachen die ich kenne…

© Norbert Steinwendner
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Norbert,

ich bin zufällig auf diese Seite gekommen, würde aber gerne mehr über traditionelle österreichische Stickereien, Muster, etc. erfahren, da ich in der nächsten Zeit mein Diplomarbeit aus diesem Thema schreiben möchte. Bitte, wenns möglich, kontaktiere mich irgendwie...

Danke
Kati
 
Hallo Kati,

ich bin sicher, Norbert wird sich in Kürze melden. Zwischenzeitlich erlaube ich mir eine Frage:

Weil ich in Bezug auf Wissenschaft bzw. den wissenschaftlichen Interessen unserer Forumsbesucher immer ein klein wenig neugierig bin: Darf ich fragen, was Du studierst? Möchtest Du über Dein Studium berichten?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Hallo Wolfgang,

danke für die rasche Antwort.
ich mache übersetzer und dolmetschausbildung und möchte meine diplomarbeit über das thema stickereien, traditionelle muster in österreich, (eventuell auch geschichte der stickereien miteinbezogen), etc schreiben. da ich selber leidenschaftlich gern sticke, interessiert mich das thema sowieso, ich dachte mir nur, ich nutze es gleich und schreib darüber. also bitte, wenn ihr mir helfen könnt, wo ich anfangen soll- das ist für mich schon eine große hilfe.
grüße
Kati
 
Hallo Kati,

auf Übersetzerin hätte ich nicht getippt :cool:

Wissenschaftliche Dokumentationen und Untersuchungen zum Thema Stickerei sind großteils Thema der traditionellen Volkskunde. Es sollten sich in älterer volkskundlicher Literatur dazu ziemlich einige Hinweise finden.
In der heutigen Europäischen Ethnologie sind mir - ich möge mich gerne irren - kaum mehr Arbeiten zu traditioneller Kleidungsforschung bekannt.

Ich möchte Dir mal zum Anfang zwei Texte vorstellen:

- Der Federkielgürtel der tirolischen Bauerntracht auf SAGEN.at

- Das Buch von Adolf Mais "Österreichische Volkskunde für Jedermann" aus dem Jahr 1952 enthält zum Beispiel als üppige Beilage einen Bogen "Trachtenschnitte", also Schnitte zu donauländischen Trachten.

Zum Thema "Stickerei" schreibt er:

Stickereien

Obwohl Österreich nicht zu den stickereireichsten Gebieten gehört, so ist doch eine Mannigfaltigkeit der Farben und Formen gegeben. Meistens ist weißes Leinen die Grundlage der Stickarbeiten, und nur für die zarte Weißstickerei werden feinere Leinenarten, wie Batistleinen, Halbleinen usw. verwendet. Das Stickgarn ist in Österreich zum größten Teil rot, das durch oftmaliges Waschen ziemlich verblaßt. In Kärnten haben
wir dagegen bei den Slovenen ein sattes Braun, Rostrot und mitunter auch Grün in Verwendung, und in den deutschen Gebieten Kärntens, aber auch im südlichen Salzkammergut, gesellt sich zu der roten Farbe Blau hinzu. In der Steiermark können wir an der Südgrenze ähnliche Farbenzusammenstellungen beobachten. Im Burgenland wieder haben wir es mit der kräftigen Palette der ungarischen Buntstickerei zu tun, und in den renaissancebetonten Bordüren der kroatischen Stickerei ist Krapprot die Hauptfarbe. Die verbreitetsten Stiche sind der Kreuz- und der Flachstich, wobei sich ersterer besonders zum Auszählen nach Vorlagen eignet. Kettel-, Hexen-, Stil-, Zopf- und Schlingstich treten dagegen ganz zurück.

Der heutige Formen- und Motivschatz ist ein Endpunkt jahrhundertelanger Kunstübung und geht, heute allerdings fast nur mehr bei den Kroaten und Slovenen Österreichs, noch auf Vorlagen zurück, die besonders in Form der Muster- und Modelbücher aus Italien kamen und seit dem Ende des 16. Jahrhunderts auch von Süddeutschland aus große Verbreitung fanden. Besonders günstige Aufnahme fanden die 1593 erschienenen Musterbücher Johann Sibmachers, die noch im 19. Jahrhundert mehrfache Neudrucke erlebten. Bot so ein Musterbüchlein einen ziemlich großen Formenschatz, so genügte oft der angehenden Hausfrau ein einfaches Mustertüchlein, das sie sich selbst, meist in Kreuzstich, in der Schule, im Kloster oder bei einer stickkundigen Frau anfertigte. Stets wird so ein Mustertüchlein, das auch schon auf ein Alter von Jahrhunderten zurückblicken kann, mit dem Alphabet eingeleitet. Dann kommen ornamentale Borten und figürliche Muster und schließlich — als Endkomposition — der Name der Stickerin und die Jahreszahl.

Die Motive hängen häufig vom Zweck des bestickten Gegenstandes ab. Sind es kirchliche Textilien, wie Altartücher, Kelchtüchlein oder auch Stolen und Meßgewänder, so herrschen neben rein religiösen Motiven (Süßer Name Jesu, Brennendes Herz usw.) Blätterranken und Blumengewinde vor. Natürlich ist es im Hausgebrauch in erster Linie die Ausstattung der Braut, die mit reicher Auszier versehen wird. Charakteristisch dafür sind z. B. die Tiroler Brautleintücher aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die neben Wein- und Blumengirlanden und dem obligatorischen Doppeladler Monstranzen, Engelsköpfe, Vasen und Blumen, das Jesuskind, die Kreuzigung usw. zum Gegenstand haben.

Für Kärnten sind dagegen die Weihkorbdecken bezeichnend, die zum Zudecken der zu Ostern geweihten Eier und Gebäcke dienen. Streng stilisierte Herz- und Nelkenmotive, aber auch Vasen mit Blumensträußen und der Name Jesu sind der wesentliche Inhalt dieser Tücher. Das Nelkenmotiv kehrt auch auf den Kärntner Polsterüberzügen des Zollfeldes wieder, wozu noch geometrisierend Mann und Frau mit dazwischen-stehendem Kind eingestickt sind.

Burgenland wieder wartet mit zum Teil überaus reich bestickten Bettuchbesatzstreifen auf, worauf alle Stickmotive der Spätzeit ihren Niederschlag finden. Der Lebensbaum, manchmal in Form eines schlanken Nadelbäumchens, oft aber als kräftiger Lebenssproß mit einer Granatapfelfrucht (Abb. S. 177) aus einem mit dem Doppeladler verzierten Herzen wachsend, oder ein reichgegliedertes Tulpenmuster sind der pflanzliche Teil der Auszier, zu dem sich der Doppelvogel, aber stets ein gegenständiges Vogel- oder Hirschenpaar hinzugesellt. Das Vogelpaar sind meist Pfauen, deren Schwanz bunt ausgeführt ist. Ein für das Burgenland charakteristisches und brauchtümlich gebundenes Stück ist auch das Totentuch, Übertan oder Leilach genannt, das über den Toten gebreitet wird und ebenso wie das Bettuch mit festlicher Zier versehen ist. Stickerei auf hausindustrieller Grundlage wird vor allem in Kärnten ausgeführt. Das Gailtal ist durch seine Hausindustrie-Stickereien mit farbiger Wolle auf Leinwand und feine Weißstickereien, das Rosental durch seine Stickereien in Zopf- und Kreuzstichtechnik in Rot und Blau bekannt, die besonders als schöne Weihkorbdecken Verwendung finden. Neben dem Lavanttal ist vor allem das Nockgebiet zu erwähnen, das durch rote Kreuzsticharbeiten mit einfachen Mustern charakterisiert ist.
(Quelle: Adolf Mais, Österreichische Volkskunde für jedermann, Wien 1952, S. 180 - 182)

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Lieber Wolfgang,

vielen-vielen herzlichen Dank für Deine Hilfe, der hinzügefügte Text ist einfach klasse!!!!
Wenn Du mir erlaubst, werde ich Dich weiterhin über dieses Thema ausquetschen!;)
Interessierst Du Dich auch für Sticken? Oder ist es eher die Volkskunde (vielleicht auch im weitesten Sinne des Wortes), die Dich verzaubert hat?
Vielleicht möchtest Du auch wissen, wie ich auf dieses Thema gekommen bin...
Ursprünglich komme ich aus Ungarn und bei uns gibt es viele verschiedene, eher sehr bunte traditionelle Stickereien, die mich schon sehr früh durch meine Großmutter in ihren Bann gezogen haben....
Als ich nach Östereich kam und mein Studium angefangen habe, brachte mich mien Professor auf die Idee, eine Terminologiearbeit über dieses Thema zu schreiben und dabei die Traditionen der zwei Länder miteinander zu vergleichen. Ich bin noch ziemlich am Anfang meiner Recherchen, da ich zuerst all das Übliche (sprich Vorlesungen, erster Studienabschnitt,etc) :)
hinter mir haben muss, aber wenn ich an meine Arbeit denke, kann ich es kaum erwarten, endlich zu beginnen.... na ja, bin halt ein eher ungeduldiger Typ:)
Also, wenn Dir noch etwas einfällt, welche Bücher da mir hilfsreich sein könnten...

Vielen Dank noch mal und schönes Wochenende!
Kati
 
Hallo Kati,

ich bin keine Experte für Stickerei! Ein Experte für Stickerei ist zweifellos Norbert - vielleicht melden sich noch weitere Leser?

Mein Interesse ist aus der Sicht der Europäischen Ethnologie (Volkskunde); eines der Dinge die man bei diesem Studium lernt, ist relativ rasch zu wissen, wo man nachschauen muss...:)

Allerdings ist das gesamte Gebiet der Volkskunde so riesig, dass man auch viele Literaturfunde erst im Lauf der Zeit macht. Dummerweise arbeitet man etwa schon an einem ganz anderen Thema, wenn man plötzlich zum vorherigen Thema wieder einen Literaturbeleg "entdeckt". Wenn ich also etwas zur Stickerei finde, werde ich es hier bringen.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Servus Kati!

Herzlich Willkommen hier im sagen.at !!

Ich war die letzten Tage leider dauernd unterwegs, daher erst jetzt:

... und gleich ein Tipp für weitere Recherchen: Schloß Trautenfels in der Steiermark ist eine zentrale Anlaufstelle für Stickereien - hier werden traditionelle Stickereien aus alten Sammlungen (!) bewahrt neben Alltagskunst und anderem mehr.

Ein Mitarbeiter des Vereins Schloss Trautenfels OstR Prof. Mag. Dr. Josef Hasitschka arbeitet als Heimat- und auch Sagenforscher intensiv bei meinen "Nachbarn", dem Nationalpark Gesäuse mit, wodurch ich ihn wiederum kennenlernte. Seine eMail-Adresse hab ich im Büro, und ich werde ihn montags kontaktieren und den Kontakt herstellen.

Bis dann einstweilen - muß das Wetter nutzen für "Rote Kreuze" ;-)

Liebe Grüße aus dem Steyrtal an alle
Norbert
 
Auch wenn du schon sehr ausführliche Antworten bekommen hast möchte ich dir dennoch die Handarbeitsmuseen ans Herz legen, ad hoc fällt mir das Handarbeitsmuseum in Traunkirchen im Bezirk Gmunden (Salzkammergut, Oberösterreich) ein - aber es gibt sicher noch viele mehr!!

Berit
 
Liebe Leute,

hab am Wochenende wieder mal nichts zu tun gehabt :) und habe in meinen Büchern über unser Lieblingsthema geblättert...
dabei ist mir ein Buch besonders aufgefallen, und zwar ist es ein kleines Heftchen über eine spezielle Stickerei namens " Teneriffa-Stickerei"....
Kann mir jemand von Euch etwas darüber erzählen? Hat jemand schon davon gehört?
(ich muss allerdings dazu sagen, das Heftchen wurde noch in der k.u.k Zeiten herausgegeben...)
Liebe Grüße
Kati
 
AW: Volkskunst - Heimarbeit

Hallo Kati,

in verschiedenen Lexika finde ich leider nichts zum Thema "Teneriffa-Stickerei".

Könnte es sein, dass es sich um eine Methode handelt, bei der mit einer dieser spanischen Insel typischen Sache gearbeitet / oder eingearbeitet wird?
Etwa eine eingestickte Muschel oder ein bestimmter Faden?

Wolfgang (SAGEN.at)
 
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