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Volkskunde/ Europäische Ethnologie

dolasilla

Active member
Folgende Frage beschäftigt mich schon seit längerer Zeit: Warum heißt das Forschungsgebiet bzw Studiuim "Volkskunde" mittlerweile "Europäische Ethnologie"?

Liegt es möglicherweise daran, dass die frühen, heute so genannten, klassischen Volkskundler (wie z.B. J.N. Sepp, Richard Eysn, u.a..) meist durchwegs Antisemiten (was in deren Zeit leider üblich und weit verbreitet war ; eine löbliche Ausnahme ist hier Rudolf Kriss, der während der Nazizeit Widerstand leistete) waren, also, dass das Gebiet der Volkskunde (später) von den Nazis missbraucht wurde und man in der heutigen Zeit nunmehr - als Abgrenzung zur Nazi-Zeit - daher einen neuen Begriff dafür suchte?

Oder liegt es daran (ich gebe zu, das ist mein persönlicher, völlig unwissenschaftlicher und zugleich fieser, boshafter Verdacht), dass der Begriff "Volkskunde" mehr nach tumben, nasebohrenden Bauerntölpeln klingt; hingegen der Begriff "Europäische Ethnologie" sich deutlich wissenschaflticher - und somit seriöser - anhört und deswegen dahingehend umbenannt wurde? Das ist wie gesagt, nur meine eigene Theorie...

Anzumerken ist, dass die wenigsten der auch heute noch so genannten Volkskundler (siehe oben) "gelernte" Volkskundler waren, sondern die meisten gingen einem sogenannten "Brotberuf" nach (ich weiß jetzt ehrlich gestanden auch nicht grade auswendig, wann genau das Studium der Volkskunde entstand bzw wann dieses auch für Frauen offen stand). Jedenfalls bildete die mit Abstand größte Gruppe Hochschulprofessoren der Nachbarwissenschaften, allen voran die Germanisten, gefolgt von Historikern und Kunsthistorikern, was auch deutlich macht, aus welchen geistigen Interessen Annäherungen an das Fach Volkskunde möglich waren (siehe Heidrun Alzheimer-Haller: Frauen in der Volkskunde in der Empirischen Kulturwissenschaft, der Europäischen Ethnologie/Ethnographie und Kulturanthropologie in Deutschland, Würzburg 1994).

Wolfgang weiß da sicher mehr :)
 
Guten Abend

Aus dem griechischen Ethnos, "Nation", "Ethnizität" und Logos, "Rede".

Gewöhnlicher Sinn
Wissenschaft, die sich dabei auf
Daten aus der Ethnographie,
neigt dazu, eine erklärende Theorie zu bilden
und globale Unternehmen (am häufigsten
traditionell), die sie studiert

Verbunden
Anthropologie, Ethnographie, Rassismus

Jetzt versuchen Sie
Das Wort Ethnologie auszutauschen mit Volkskunde

"Europäische Ethnologie"
das Wort ist wertlos, denn es gibt viele verschiedene Volksgruppen .... :)

Hoffentlich war das eine kleine Hilfe
@
 
Offenbar haben Sie meine Frage nicht verstanden, denn ihr Kommentar hat mit meiner Fragestellung nichts zu tun.

Vielleicht haben Sie noch nicht entdeckt, was auf der Startseite von Sagen.at steht: "Datenbanken zur Europäischen Ethnologie/Volkskunde"?

Soviel zum Thema "wertlos"...
 
Eine kleine Bemerkung zur Volkskunde (Definition) meine Heimat Westfalen betreffend.
Die Universitätsstadt Münster ist auch der Sitz des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), dort 6 wissenschaftliche Komissionen, eine davon
die Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen-1928 gegr. unter dem Namen Volkskundliche Kommission.Sie erforscht und dokumentiert
das alltägliche Leben u. seine kulturellen Ausdrucksformen (Arbeit, Wohnen, Nahrung, Brauch, Glaube, Erzählung, Freizeit ...) Die anderen 5 Kommissionen : Altertumskomm.,Geograph. K., Historische K., Literatur K., Kommission für Mundart (hier Plattdeusch) u. Namenforschung.
Dolasilla hat Recht mit der Nazi-Vergangenheit. Den Buchtipp nehme ich dankbar auf, denn tatsächlich kenne ich auch nur Männer aus diesem
Bereich und ihre Veröffentlichungen. -
Wolfgang wird sicherlich demnächst hier für Aufklärung sorgen. - Ulrike
 
Die Volkskunde wurde als Vehikel für die NS-Ideologie missbraucht und in der NS-Zeit zu einer "staatstragenden Wissenschaft". Sie erlebt einen starken Institutionalisierungsschub. Die meisten Fachvertreter nutzen den staatlichen Rückhalt und betreiben eine "völkisch orientierte und anwendungsbezogene Forschung. die Errichtung der ersten volkskundlichen Ordinariate erfolgte in den 1930er Jahren. An der Wiener Uni wurde das Volkskundeinstitut unter Richard Wolfram 1939 gegründet.
Wolfram war auch Mitarbeiter der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. (SS-Ahnenerbe). Dennoch wurde Wolfram 1949 wieder Professor und Ordinarius bis 1972. Er erhielt sogar das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Erst spät in den 1970er Jahren wurde zaghaft mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit begonnen.
Genaueres ist auf einer Internetseite des Instituts für Europäische Ethnologie an der Universität Wien nachzulesen.
 
Meine erste Vermutung hat sich also bestätigt.

Danke, Harry, für den Link! Der Absatz "Auch Instituts-Namengebungen, die sich aus dem Standort, seinen Akteuren sowie strukturellen Rahmenbedingungen ergeben, haben diesbezüglich Signalwirkung: Im Jahr 2000 wurde das vormalige „Institut für Volkskunde“ an der Universität Wien in „Institut für Europäische Ethnologie“ umbenannt. Damit wurde die längst vollzogene paradigmatische und thematische Wende im Fach auch namentlich dokumentiert und die dezidierte Abkehr von der weltanschaulich und politisch geprägten Geschichte der akademischen Institutionalisierung des Faches in Wien bekundet, deren Beginn in das Jahr 1942 zurückreicht." sagt alles.

Das Österreichische Museum für Volkskunde in Wien hat ebenfalls eine stark von NS-Ideologie geprägte Geschichte. Der Volkskundler Michael Haberlandt, der bereits 1894 einen Verein für Volkskunde und ein Jahr später (1895) die Zeitschrift für österreichische Volkskunde gründete, schrieb darin postivie Rezensionen zu rassenkundlich-antisemitischen Werken. Im selben Jahr begründete er das heute noch bestehende Österreichische Museum für Volkskunde mit, wo er von 1911 bis 1923 zum staatlich besoldeten Direktor des Museums avancierte. 1924 übernahm sein Sohn Arthur Haberlandt die Leitung des Österreichisches Museum für Volkskunde. Bereits 1933 gehörten vier von fünf Mitarbeitern des Museums der (damals noch illegalen) NSDAP an: So war Arthur Haberlandt maßgeblich an der Radikalisierung (bzgl NS-Ideologie) des Museums beteiligt. Sein Vater, Michael Haberlandt, hat sich nie davon distanziert, sondern im Gegenteil die nationalsozialistische, rassistische Ausrichtung des Museums mitgetragen. Dabei hat er ganz gezielt jüdische Forschende in ihrer Arbeit behindert und ausgesperrt. Darunter auch die Ethnologin Eugenie Goldstern (zu ihr komme ich weiter unten noch).

Als Michael Haberlandt 1940 starb, wurde ihm von der damaligen nationalsozialistischen Stadtregierung ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof zuteil. Dieser Status wurde ihm erst 2011 (!) aberkannt, da eine Kommission zur Untersuchung der Ehrengräber aus der NS-Zeit zu dem Schluss gekommen war, dass zwar Haberlandts Lebenswerk internationale Bedeutung erlangte, der rassistische Gehalt einiger seiner Werke und die stille Duldung der Radikalisierung des Volkskundemuseums den Status als Ehrengrab nicht rechtfertigen würden. Da kann ich der Kommision nur recht geben...

Eugenie Goldstern hingegen wurde 1942 von den Nazis in das Lager Izbica deportiert und dort ermordet. Zuvor gab sie ein Bündel ihrer handgeschriebenen wissenschaftlichen Arbeiten, die sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft schon seit Jahrzehnten nicht mehr veröffentlichen konnte, in die Obhut ihrer Trafikantin Aglaia Truck. Den Zeitungsladen von Aglaia Truck in der Währingerstraße hätte sie aufgrund von Einkaufsbeschränkungen für jüdische Menschen eigentlich schon lange nicht mehr nicht betreten dürfen, doch die beiden Frauen wohnten im selben Haus, kannten sich schon lange und so bestand ein Vertrauensverhältnis. 2004 gab es im Österreichischen Museum für Volkskunde eine Ausstellung zu Eugenie Goldstern (die ich damals gesehen habe).

Zu Eugenie Goldstern gibt es hier auch eine Biografie aus dem wirklich lesenswerten und umfangreichen Buch "Wissenschafterinnen in und aus Österreich, Leben - Werk - Wirken, Brigitta Keintzel / Ilse Korotin (Hg.), Wien 2002, S. 258 - 259" zu lesen, siehe auch https://www.sagen.at/doku/biographien/Goldstern_Eugenie.html. Für weitere, sehr ausführliche Infos zu Eugenie Goldstern kann ich die Website von Albert Ottenbacher sehr empfehlen: http://www.albert-ottenbacher.de/artikel.php. Auch den Austellungskatalog "Ur-Ethnographie: Auf der Suche nach dem Elementaren in der Kultur", welcher anlässlich der Ausstellung im Österreichischen Museum für Volkskunde im Jahr 2004 herausgegeben wurde, kann ich Interessierten wirklichssehr ans Herz legen.

@ Ulrike: Ja, es gab und gibt sie: die Frauen in der Volkskunde/Europäische Ethnologie: Ich denke da z.B. an Marie Andree-Eysn (von der übrigens - im Unterschied zu ihrem Ehemann Richard Andree - keinerlei antisemitischen Äußerungen überliefert sind), auch an Etta Becker-Donner. Und natürlich Eugenie Goldstern. Basis-Informationen über die Genannten findest du auch hier auf sagen.at: https://www.sagen.at/doku/biographien/biographien.html.

Hier noch eine Zusatz-Information zu Marie Andree-Eysn, die als Begründerin der Wallfahrtsforschung gilt. Sie legte sich auf ihren ausgedehnten Reisen, die sie weit über die Grenzen Europas hinausführten und bei Wanderungen durch die Alpen, eine große volkskundliche Sammlung an. Erst spät veröffentlichte sie wissenschaftliche Arbeiten. Ihre Wirkung auf das Fach war auf Dauer beträchtlich, denn sie hat die bis dahin von der mythologischen Betrachtungsweise außer acht gelassenen Zeugnisse des religiösen Volksglaubens zur Grundlage einer eigenen Forschungsdisziplin gemacht. 1903 heiratete sie im Alter von 56 Jahren den damals 68jährigen verwitweten Ethnographen R. Andree aus Braunschweig in München und trat zugleich zur evangelischen Kirche über. Gemeinsam strukturierten sie die Sammlungen, so daß ihr Mann 1904 den Band "Votive und Weihegaben des katholischen Volkes in Süddeutschland". Sie selbst legte 1910 eine Aufsatzsammlung mit dem Titel "Volkskundliches aus dem bayerisch-österreichischen Alpengebiet" vor. Nach dem Ersten Weltkrieg litt sie -1912 Witwe geworden - unter bis dahin nie gekannten materiellen Sorgen. Auch in Berchtesgaden, wohin sie sich nach dem Tod ihres Mannes zurückgezogen hatte, belastete sie die Unsicherheit ihrer Situation schwer, bis sie auf Einladung des Kronprinzen Rupprecht von Bayern mit ihren Völkerkunde-, Volkskunde-, Kunst- und Büchersammlungen in dessen Berchtesgadener Bauernhaus "Brandholzlehen" übersiedeln durfte. Dort starb sie 1919 im Alter von 82 Jahren. Ihr Werk war für den Berchtesgadener R. Kriss und seine berühmten Sammlungen Vorbild und Anstoß. Sie arbeitete und sammelte zwar in Bayern, schenkte jedoch den größten Teil der Votivgaben zwischen 1898 und 1916 nach und nach dem "Berliner Museum für Deutsche Volkskunde", da es in Bayern damals noch kein offizielles Interesse an solchen Dingen gab. Weitere wertvolle Stücke verkaufte sie 1925-27 im Zuge der Inflation an das Museum. Während des Zweiten Weltkrieges wurden die "Berliner" Votivbilder zunächst in Salzburg, dann in Hessen ausgelagert und nach 1945 ins Museum zurückgebracht, der Rest der Sammlung wurde bei einem Bombenangriff am 3.2.1945 stark dezimiert. Nur ein paar Eisen- und Keramikvotive überstanden den Brand, von denen sich die meisten heute in Berlin befinden. (Quelle: Heidrun Alzheimer: Frauen in der Volkskunde, wie oben zitiert).

Von den aktuellen (sprich: heute lebenden) finde ich Dorothea Steinbacher ganz interessant, ihre regelmäßigen Beiträge im Bayern Podcast "Habe die Ehre" mag ich recht gern.

Dutzende anderer Volkskundlerinnen findest du im Buch von Heidrun Alzheimer: Frauen in der Volkskunde - das ich weiter oben schon erwähnt habe. Das Buch gibt es komplett als PDF zum Download hier: https://fis.uni-bamberg.de/handle/uniba/43802

Liebe Grüße,
Dolasilla
 
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