Ich denke, das größere Problem von Frauen zu allen Zeiten war nicht, möglichst viele Kinder zu gebären (Gebären war ja immer risikoreich - zu allen Zeiten starben Frau und Kind bei Geburten), sondern nur so viele Kinder zu bekommen, wie sie haben und auch ernähren konnten.
Geburtenkontrolle war für Frauen immer viel wichtiger, als ungebremst möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Das ist ja heute auch noch so
Die Steuerung der Geburten war (und ist) absolut notwendig, die meisten Frauen woll(t)en nicht Jahr um Jahr gebären, sondern nur so viele Kinder bekommen, wie sie gut versorgen können. Dass das im Widerspruch zur Meinung der christlichen Kirche steht, ist uns wohlbekannt:
"Ob sie sich aber auch müde und zuletzt todt tragen, das schadet nichts, lass' sie nur todt tragen, sie sind darumb da!" hat Martin Luther (1483-1546) schon geschrieben, und die Kirche ist ja bis in die heutige Zeit gegen die Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Vermutlich konnte die Kirche den Brauch, einem Mädchen/einer Frau Rosmarin zwecks Geburtenkontrolle zu überreichen, nicht ausrotten und wandelte die Bedeutung von Rosmarin als Abtreibungskraut in ein Fruchtbarkeitssymbol um. Das hat die Kirche ja oft gemacht: Was sie an alten Kulten nicht wegkriegen konnten, haben sie christlich vereinnahmt. So sagte z.B. Papst Gregor I.:
"...man solle die Bräuche und Glaubenslehren der Völker nutzen und nicht versuchen, sie auszulöschen. Wenn eine Gemeinschaft einen Baum anbete, so solle man ihn, anstatt ihn umzuhauen, Christus weihen und sie ihre Anbetung fortsetzen lassen...".
Aber so war es nicht immer...
In der Antike waren sogenannte Periodemittel (ein Kraut, das die Monatsblutung auslöst) äußerst verbreitet. Der griechische Arzt Dioscorides (um 50 n.u.Z.) gibt insgesamt 117(!) Pflanzen als Periodemittel an, vergleichsweise aber nur 17 Arten, die zur Verhütung benutzt wurden. Auch interessant: er gibt weiters 17 Kräuter an, die Unfruchtbarkeit verursachen (Efeu, Seidelbast, Rittersporn u.a.), aber im Gegensatz dazu nur drei Pflanzen, die
"die Gebärmutter der Empfängnis fähig" macht. In der Antike wurde insbesondere Beifuß und Wermut als Periodemittel benutzt. Dioscorides schrieb über den Rosmarin:
„treibt die Monzeit der Frawen“.
Auch viele der Kräuter, die im Frauenbuschen am Kräuterweihtag (15.August, hieß auch "Großer Frauentag", Beginn des Frauendreißigers - der Brauch wurde christinanisiert und heißt nun Maria Himmelfahrt) drin waren (und sind), sind Abtreibungs- oder Periodenkräuter (z.b. eben der bereits genannte Rosmarin). Nur allein der Rosmarin war vermutlich nicht stark genug, er wurde zwecks Abtreibung oft mit anderen Kräutern kombiniert, z.b. mit dem Sadebaum (Stinkwacholder), dessen Zweigspitzen sehr giftig sind.
Der Begriff der Abtreibung war in der Antike als solches nicht bekannt. Das ungeborene Kind galt als ein Teil der Eingeweide der Mutter - deswegen galten Abtreibungen auch nicht als verwerflich.
Im Mittelalter galt ein Periodemittel - auch bei verspäteter Menstruation - nicht als Abtreibungsmittel. Wenn eine Frau also ein Kraut gegen eine verspätete Menstruation einsetzte, konnte ja niemand feststellen, warum die Regel ausgeblieben war. Entweder war die Frau tatsächlich schwanger gewesen oder die Menstruation war einfach so halt mal später dran (das kennt jede Frau!). Das waren also Kräuter, die quasi als "Verspätungsmittel" eingesetzt wurden, und somit einen fließenden Übergang zwischen Periode- und Abtreibungsmittel darstellen.
Durch den frühchristlichen Kirchenlehrer Augustinus (354-430) wurde Abtreibung mit Mord gleichgesetzt. Im Mittelalter entstand dann eine lebhafte Diskussion, ab wann das Ungeborene "beseelt" sei (Mädchen und Buben wurden unterschiedlich bewertet: Mädchen galten bis zum 80.Tag, Buben bis zum 40.Tag der Schwangerschaft als "unbeseelt"). Eine schwangere Frau galt nur dann als eine "Mörderin", wenn sie
nach diesen Terminen abtrieb (wobei auch unterschieden wurde, ob die Frau aus Armut und Not oder wegen "Unzucht" abgetrieben hatte).
Die mittelalterlichen Gesetze bestraften also nur jene Frauen, die einer ausbleibenden Menstruation gegenüber tatenlos blieben.
Die Angst vor dem Ausbleiben der Menstruation dürfte also nicht so schlimm gewesen sein, da Frauen die wirksamen Kräuter, die die Periode auslösen, kannten. Sie mussten nicht voller Angst darauf warten, ob die Regel nun kam oder nicht, sondern nahmen ein wirksames Kraut, das die Monatsblutung auslöste (ein sog. Periodenmittel, auch „Emmenagogum“ genannt).
Im Vergleich zum Mittelalter sind Frauen heute viel machtloser...
Heute ist Abtreibung ein medizinisch-technisch-rechtlicher Vorgang, bei dem viel Zeit vergeht. Zuerst mal bleibt die Menstruation aus, frau wird unruhig, dann folgt ein Schwangerschaftstest, dann muss frau mit dem Ergebnis selbigens zurechtkommen und das verarbeiten, dann eine Entscheidung treffen, weiters eine Ärztin oder einen Arzt finden, die/er eine Abtreibung durchführt (auch in Österreich heute noch kein einfaches Unterfangen, wenn frau nicht im „richtigen“ Bundesland wohnt), die Kosten dafür auftreiben, und zuletzt erfolgt dann der chirurgische Eingriff. Und das muss sich alles innerhalb der gesetzlich erlaubten 12 Schwangerschaftswochen ausgehen. In Österreich ist Abtreibung übrigens erst seit 1975 erlaubt (die sog. Fristenlösung).
In der mittelalterlichen Heilkunde waren Frauen Wundärztinnen und Heilkundige. Sie kannten sich in der Geburtshilfe aus, einschließlich der Schmerzmittel, der Abtreibungs- und Verhütungsmittel, der Beobachtungen von Muttermundveränderungen und Zyklusstörungen, der Diagnose schwieriger Kindslagen im Mutterleib und deren Behebung durch verschiedene kleine Operationen wie den Dammschnitt. Auch der Kaiserschnitt fand bereits Anwendung. Kenntnisse über Techniken der Abtreibung und Empfängnisverhütung waren weit verbreitet. Das Heilwissen bestand aus der überlieferten Volksmedizin, die durch Erfahrung und Experiment weiterentwickelt wurde und dem natürlichen Umgang mit magischen Kräften in der Natur. Dieses Wissen umfasste Anatomie, Kräuter und Drogen, Herstellung von Arzneien und schließlich die Magie.
Heilkundige Frauen und Hebammen standen bei der Bevölkerung in hohem Ansehen. Zunächst waren heilkundige Frauen und Hebammen die Ärztinnen des Volkes. Paracelsus sagte, all sein Wissen hat er von den "weisen Frauen" gelernt. Die Heilkundigen Frauen und Hebammen waren die Vertrauten der Frauen, auch die der Frauen in höheren Gesellschaftsschichten.
Die damaligen (männlichen) Ärzte dagegen hatten ein sehr geringes Ansehen beim Volk. Ihr Wissen über den Körper der Frau war um vieles geringer, weil die Kirche den Männern eine intensive Beschäftigung mit dem Körper der Frau strikt untersagte.
In der Neuzeit wurden die Hebammen und ihr Wissen diskreditiert und diffamiert, da nun Männer in die Frauenheilkunde drängten. Die Ausübung des Heilberufes setzte nun ein Universitätsstudium voraus und nachdem Frauen an Universitäten nicht zugelassen waren, konnten sie vom Beruf der Heilkunde erfolgreich ausgeschlossen werden. Außerdem wurden Lizenzgesetze geschaffen, die ausschließlich männlichen Ärzten die Praxis gestatteten. Diese Gesetze konnten zwar nicht konsequent eingehalten werden, aber sie genügten, um Hebammen und anderen heilkundigen Frauen das Leben schwer zu machen. Die heilkundigen Frauen waren eine ernsthafte Konkurrenz zu der sich gerade etablierenden Ärzteschaft.
Männliche Ärzte übernahmen die Kontrolle über das Gebären und unternahmen alles, um die menschliche Reproduktion dem weiblichen Einfluss zu entziehen. Dieser Prozess war Anfang des 19. Jhtds weitgehend abgeschlossen. Allerdings hatten diese Ärzte im Bereich der Geburtshilfe und Frauenheilkunde keine besseren medizinischen Kenntnisse als die Hebammen – im Gegenteil. Hebammen durften nur mehr „normale“ Entbindungen machen, an denen die Ärzte nicht interessiert waren, da sie dort keine Möglichkeiten sahen, ihre neu erworbenen & prestigeträchtigen Errungenschaften wie Zangen, Sägen, Haken u.a. auszuprobieren.
In vielen Städten wurden Entbindungsanstalten errichtet, die als Orte für die praktische Anwendung der Wissenschaften dienten. In der Folge stiegen in den Städten die angeblichen Komplikationen bei Geburten, die damit in den Kompetenzbereich der männlichen Ärzte fielen, sprunghaft an, während sie auf dem Land (wo Hebammen dafür zuständig waren) stagnierten. In den Kliniken waren insbesondere arme Frauen Untersuchungs-, Experimentier- und Lernobjekte für Ärzte und Studenten – unzählige Frauen und Säuglinge bezahlten das mit ihrem Leben. Kein Wunder, dass sich Frauen scheuten, in Kliniken zu gehen. Einen Beleg dafür, welche gesundheitlichen Risiken damit verbunden waren, zeigt das Kindbettfieber, welches mit der Errichtung o.g. Kliniken in erschreckendem Ausmaß aufflammte. Zwar kam das Kindbettfieber auch bei Hausgeburten vor, nicht aber in dieser Häufigkeit, da die gebärenden Frauen nur mit ihren eigenen Keimen in Berührung kamen, gegen die sie weitgehend resistent waren. In Kliniken jedoch wurden die Keime von den Ärzten und Studenten auf die Frauen und da von einer zur anderen übertragen.
1847 starben in der Gebärklinik in Wien in der Abteilung für Ärzte 11,4 %, dagegen in der Abteilung für Hebammen nur 2,7 % der Wöchnerinnen am Kindbettfieber.
Je mehr die Abtreibung zu Beginn der Neuzeit mit "Unzucht" in Verbindung gesetzt wurde, um so mehr wurden die wirksamen Kräuter in Misskredit gebracht. In der Neuzeit (die Zeit der sog. Hexenverfolgungen) wurde solch ein Wissen nicht mehr toleriert bzw in den Kräuterbüchern aus dieser Zeit schlichtweg verschwiegen.
Wichtige Bereiche des antiken Kräuterwissens wurden geleugnet: Bauhin, ein Arzt dieser Zeit, gibt unter dem Stichwort "lebendige Frucht abtreiben" nur mehr ein einziges Kraut an (Beifuß). Und als Mittel, um Unfruchtbarkeit zu erzeugen, fällt ihm auch nur mehr ein einziges ein (Waldrebe).
Zum Vergleich, wieviel Dioscorides nannte, bitte nochmal weiter oben nachlesen...
LG,
Dolasilla