Nachfolgend den Text zum Stichwort Hufeisen aus dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (ohne die Fußnoten).
Grüße
Klaus
Hufeisen. Der über die ganze Erde verbreitete1) Glaube an die übelabwehrende, glückbringende Kraft des H.s ist auch aus allen deutschen Landschaften reich bezeugt2).
Fast immer wird verlangt, daß das H. gefunden sein muß; doch darf man's nicht suchen3). Seine Wirksamkeit wird dadurch beträchtlich erhöht, daß in dem vollständigen Eisen noch die Nägel4), zum mindesten drei5), stecken; aber es genügt auch die Hälfte6) oder ein Bruchstück7). Besondere Bedeutung wird gelegentlich dem H. zugeschrieben, das ein zum ersten Male beschlagenes Füllen verloren hat8).
Schon das Finden eines H.s an sich bedeutet Glück9); »he lacht as de Buur, wenn he'n Hoofisen findt« (Holstein 1840)10). Daß man es dann aber aufhebt und nach rückwärts wirft (s. rückwärts), ist ein Ausnahmefall11); vielmehr versucht man, sich dieses Glück durch den Besitz des H.s zu sichern. Man darf auf keinen Fall an einem H. vorbeifahren12). Kann man es nicht mitnehmen, soll man wenigstens dreimal darauf treten13); sonst trägt man es nach Haus14), stillschweigend15), ohne es mit der Hand berührt zu haben16). Hier wird es nicht nur einfach aufbewahrt17), sondern auch an ganz bestimmten Stellen angebracht. In den meisten Fällen wird es auf die Schwelle18), häufig aber auch an Haus-, Stall-, Stubentür, an Scheunentor oder Eingangspforte genagelt19); bisweilen findet es sich am Deckenbalken20) oder am Giebel21), an den Bäumen des Hofplatzes22), auch wohl einmal an einem Gefäß23). Kraftwagenfahrer befestigen es an Motorrad und Auto24), Seeleute nageln es an den Mast ihres Schiffes25).
Dabei sind Zeitpunkt und Art der Anbringung nicht gleichgültig. Während man in Schlesien den Silvesterabend26), in Anhalt die Johannisnacht27) wählt, erscheint dem Bauern der Lüneburger Heide der Karsamstag am geeignetsten, und zwar aus dem Grunde, weil der an diesem Tage zur Hölle niederfahrende Heiland alle bösen Erdengeister dort um sich versammelt habe und man das H. somit ungehindert anbringen könne28). Die deutsche Überlieferung stimmt im allgemeinen darin überein, daß das H. bei senkrechter Lage mit der offenen Seite nach unten hängen müsse29), geht hingegen nicht einig in der Frage, wie die Anbringung in der wagerechten Lage, also z.B. auf der Schwelle, zweckmäßig zu erfolgen habe; der Ansicht, daß es mit der offenen Seite nach innen zeigen müsse und so nach außen dem Bösen den Eintritt verwehre30), stehen Zeugnisse31) gegenüber, die das Gegenteil fordern; wenn das H. so aufgenagelt würde, als ob das Pferd mit ihm hinausschritte, so ginge auch das Glück mit ihm fort32).
Die richtige Anbringung aber soll eben im allgemeinen Glück bringen, im besonderen Eheglück33), Nahrung, Brot34), Käufer und Gewinn35); doch ist das offenbar nur die positive Wendung des Glaubens an die Abwehrkraft des H.s: Es soll Unglück fernhalten36) und dient daher zum allgemeinen Schutz des Hauses37), gegen allen bösen Anfall38), gegen Teufel, Hexen, Unholden mancherlei Art und ihren Zauber39); »dor schall de Düwel mit de Klauen in hängen bliewen«40). Es hilft außerdem gegen Wetterschlag41) und Feuersbrunst42), wie gegen Krankheiten43). Man trägt es deshalb auch bei sich als Talisman44), hängt es schleifengeschmückt und bronzevergoldet in der Stube auf, legt es, in Samt eingenäht, in eine Truhe45), den männlichen Leichen in den Sarg46) und besonders in die Wiege, wo es Kinderkrämpfe verhindert oder heilt47). Ins Schweinefutter getan, gibt es den Tieren Gedeihen48), in der Tranktonne bewahrt, läßt es die Sau nicht »hulsch« (= brünstig) werden49). Blut auf ein heißes H. tropfen lassen, stillt das Nasenbluten50), Milch darauf träufeln, macht im Gegenzauber eine behexte Kuh wieder melk51). Gegen Magen- und Verdauungsbeschwerden soll man Bier auf ein glühendes H. gießen und dann trinken52); ein Kind schützt man vor Zauber durch ein Bad in einem Wasser, in dem ein glühendes H. abgelöscht wurde53). Armringe aus H.54), Fingerringe aus Hufnägeln55) (s. überhaupt Hufnagel) bewahren den Träger und seine Familie vor Krankheit und Kriegsverletzung56); eine Stange aus H. ist gut zum Ausbrennen von Bißwunden eines tollwütigen Hundes57).
Unter den besonders angefertigten H. schreibt man den aus einem Richtschwert oder aus einem Eisen, mit dem Einer umgebracht wurde, geschmiedeten die Kraft zu, die mit ihnen beschlagenen Pferde behende zu machen58). Ein H., das stillschweigend vor Sonnenaufgang mit einer ungleichen Zahl von Löchern gemacht wurde, hilft, in die Butterkarne getan, gegen Butterdiebstahl der Hexen59), wie man denn schon durch das Einbrennen des bloßen H.zeichens auf Holz die Hexen zeichnen kann60). H.amulette61) sind aus Deutschland kaum bekannt (vgl. oben 44)); wohl aber sind aus verschiedenstem Material gearbeitete H. als Geschenkartikel, sowie ihre bildlichen Darstellungen auf Glückwunschkarten noch durchaus gebräuchlich.
All diese Anschauungen müssen trotz ihrer großen Verbreitung verhältnismäßig jungen Ursprungs sein; denn wenn auch nicht mit Sicherheit zu bestimmen ist, wann das genagelte H. aufgekommen ist, so steht doch fest, daß es in der eigentlichen Antike nicht verwandt wurde62). Zur Erklärung des H.aberglaubens wird aber trotzdem zunächst eine ganze Reihe allgemeiner Vorstellungen herbeizuziehen sein: Schon dem Eisen (s.d.) schlechthin wird eine zauberbannende Kraft zugeschrieben, wie, in beschränkterem Maße, allen gefundenen Dingen63) (s. finden); ferner wird die geöffnete Kreisform des H.s nicht ohne Einfluß gewesen sein, was aus den genauen Angaben über seine Anbringung ersichtlich ist (s. oben) und in einem Einzelfall zutage tritt, wo das H. gegen Mondsucht schützen soll64). Vielleicht spielt auch der Schuhaberglauben (s. Schuh) hinein65), wie denn gelegentlich66) bezeugt ist, daß ein verlorenes Stiefeleisen ähnliche Eigenschaften habe wie das H. Unter der Voraussetzung, daß das H. durch seine sorgfältige Befestigung ein Teil des Hufes (s.d.)67) wird, können auch ähnliche Vorstellungen übertragen worden sein, wie sie dem Zauber mit Haaren und Nägelschnitzen (s.d.) zugrunde liegen; das ist z.B. zu vermuten bei der Verwendung von Hufnägeln aus gefundenen H. zum Vernageln68). Aber selbst die Erwägung, daß das verlorene H. durch die Häufigkeit seines Vorkommens69) diese Vorstellungen gewissermaßen auf sich gezogen habe, reicht nicht aus, lediglich aus ihnen allein die vielen Bräuche zu erklären. Ausschlaggebend ist doch, daß das H. vom Pferde stammt, und in diesem Sinne wird es weniger ein »Stellvertreter des Roßfußes und -schenkels« und seiner »Dämonen bekämpfenden Funktion«70) sein, als vielmehr des ganzen Rosses. Die hohe Bedeutung des Pferdes in Glauben und Kult besonders auch der germanischen Vorzeit (s. Pferd) wird sich in der zauberischen Verwendung des H.s ebenso auswirken wie z.B. in dem Annageln von Pferdeschädeln und der Anbringung von Giebelbrettern mit geschnitzten Pferdeköpfen. Daß die H. im besonderen noch als Opfer und zwar wahrscheinlich als stellvertretendes Pferdeopfer gedient haben, geht mit einiger Sicherheit aus verschiedenen Funden von H.lagern, meistens an Quellen und Bächen, hervor71). Ihr Zweck wird in der Förderung eines reichlichen Wasserflusses gesehen72), was gut stimmt zu der sagenhaften Überlieferung von Rossen, die durch ihren Huftritt eine Quelle aufschlugen73). In diesen Zusammenhang gehören vielleicht auch die H.eichen, die hin und wieder in Norddeutschland angetroffen werden, alte Bäume am Wegesrand, die mit H. benagelt sind74). Solche heidnischen Opfer, mit denen auch die h.förmigen Gebäcke in Verbindung gebracht werden75), finden ein Gegenstück, wenn nicht gar eine unmittelbare Fortführung in den christlichen Votiven (s.d.), die als H. den Schutzpatronen der Pferde, dem hl. Leonhard und dem hl. Stephan, sowie andern Heiligen dargebracht und meistens an die Türen der ihnen geweihten Kirchen geschlagen wurden76). Doch mag bei der Erklärung dieser und ähnlicher Erscheinungen nicht unerwähnt bleiben, daß H. auch als Zinsabgaben auftreten77).
Den H.aberglauben auch in der höheren Mythologie zu verankern, ist bedenklich. Denn wenn auch gelegentlich einmal78) die Wilde Jagd mit einem besonderen H. in Verbindung gebracht wird, so berechtigt doch kaum etwas zu der Annahme79), daß die Kraft des H.s auf Wotan zurückzuführen sei. Noch weniger ist mit Howey80) zu schließen, daß das angenagelte H. bedeute »the all-embracing arms of the Motherhood of God«.
Trotzdem hat natürlich die Sage den Aberglauben übersponnen und auch zu ganz selbständigen Formen ausgestaltet. Geheimnisvolle Reiter lassen sich in einer Schmiede H. anfertigen81); ein sagenhafter Gaul verliert sie zum Nutzen der Menschen82), wenn sie nicht gar von den Hexen herstammen, die der Teufel reitet83). Solche Eisen sind meistens kleiner als die gewöhnlichen und anders gestaltet; aus ihnen lassen sich zauberkräftige Waffen schmieden84). In Tirol nannte man sie Pfaffeneisen, weil sie von Pfaffenköchinnen oder -haushälterinnen herstammen sollten, die, in Teufelsrösser verwandelt, auf hohen Alpen und Saumpfaden herumspukten; jeder siebente Stamm einer Schmiedefamilie wäre ausersehen, ein solches Teufelsroß mit einem dreilöchigen H. zu beschlagen, das sich in der Art der Wünschelrute zum Schatzfinden gebrauchen ließe85). Der Teufel beschlägt überhaupt Menschen, die sich ihm verschrieben haben, bisweilen mit H.; hat er das vierte angenagelt, so sind sie nicht mehr zu retten, wenn sie bereits umgehen, nicht mehr zu bannen86). Auch von den H. an Kirchtüren gibt es sagenhafte Überlieferungen87); häufig sind sie Erinnerungszeichen an eine glückliche Errettung einer Person oder Gemeinde von Kriegsnot88), ähnlich den in vielen Erzählungen auftretenden H.eindrücken, Trappen, auf Steinen89). Durch ganz Deutschland verbreitet ist ferner noch das Sagenmotiv vom verkehrt aufgeschlagenen H.: Raubritter und Wegelagerer der verschiedensten Art entziehen sich der Gefangennahme dadurch, daß sie ihren Pferden die H. umgekehrt annageln und so die Verfolger irreführen. Hierbei scheint der in der Umkehrung überhaupt liegende Zauber (s. verkehrt) nicht ohne Einwirkung gewesen zu sein.
Schließlich tritt das H. noch in formelhaften Redewendungen auf. Einmal sagt man in Schlesien und Siebenbürgen von einem Sterbenden, daß ihm die H. bald abgerissen werden90), und im Frankenwald vergleicht man die Beichte des Todkranken mit dem Abreißen der Hufeisen, die man den Pferden nicht mit ins Grab gibt91). Volksmund und Forschung finden dafür verschiedene Erklärungen; die einfachste wird die sein, daß durch das Abreißen der Eisenbeschläge an den Absätzen, wie durch das Ausziehen der Schuhe überhaupt, das Ende des Erdenganges symbolisiert, vielleicht auch eine Wiederkehr des Toten verhindert wird. Ferner heißt es in verschiedenen Gegenden Deutschlands von einem gefallenen, unverheiratet niedergekommenen Mädchen, daß es ein H. verloren habe92), eine Redensart, die schon Liebrecht93) als eine scherzhafte Übertragung von dem nach Verlust eines H.s lahmenden Pferde auf die unverehelichte Wöchnerin gedeutet hat.