stanze
Well-known member
Von R. M. Rilke
Jeden Mittag ging der Dichter in Begleitung eines jungen
Mädchens auf einem Platz an einer Bettlerin vorbei, die die
Hand ausgestreckt hielt. Die Frau saß immer an derselben Stelle,
sie schaute die Vorübergehenden nicht an, noch bat sie um
Almosen, und sie zeigte auch keine Dankbarkeit, wenn ihr
jemand etwas gab. Während seine Freundin des öfteren
eine Münze spendete, gab Rilke der Frau niemals Geld.
Einmal fragte das junge Mädchen den Dichter weshalb
er ihr nichts gab, und er antwortete: "Mann müßte ihrem
Herzen schenken nicht ihrer Hand."
Einige Tage später legte Rilke der Bettlerin eine Rose in die
rissige Hand. Da geschah etwas unerwartetes. Die Frau hob
den Blick, küsste die Hand des Dichters und ging davon.
Der Platz der Bettlerin blieb eine Woche lang leer, bevor
sie sich wieder dort niederließ.
"Wovon mag sie all die Tage gelebt haben?" fragte das
Mädchen.
Und Rilke gab zur Antwort: "Von der Rose."
Jeden Mittag ging der Dichter in Begleitung eines jungen
Mädchens auf einem Platz an einer Bettlerin vorbei, die die
Hand ausgestreckt hielt. Die Frau saß immer an derselben Stelle,
sie schaute die Vorübergehenden nicht an, noch bat sie um
Almosen, und sie zeigte auch keine Dankbarkeit, wenn ihr
jemand etwas gab. Während seine Freundin des öfteren
eine Münze spendete, gab Rilke der Frau niemals Geld.
Einmal fragte das junge Mädchen den Dichter weshalb
er ihr nichts gab, und er antwortete: "Mann müßte ihrem
Herzen schenken nicht ihrer Hand."
Einige Tage später legte Rilke der Bettlerin eine Rose in die
rissige Hand. Da geschah etwas unerwartetes. Die Frau hob
den Blick, küsste die Hand des Dichters und ging davon.
Der Platz der Bettlerin blieb eine Woche lang leer, bevor
sie sich wieder dort niederließ.
"Wovon mag sie all die Tage gelebt haben?" fragte das
Mädchen.
Und Rilke gab zur Antwort: "Von der Rose."