I
Um den großen runden Tisch sitzen acht Männer. Manche haben sich eine Tasse Tee oder Kaffee und ein paar Kekse geholt, andere nicht, jeder wie er will, man ist ja nicht zum Kaffeeklatsch da.
Reihum stellt sich jeder vor: „Heinz, Alkoholiker, heute trocken.” – „Frank, Alkoholiker.” – „Theo, trocken.” Nachname, Titel und Adresse interessieren nicht. Wir sind bei einem Meeting der Anonymen Alkoholiker. Aber was wollen denn die hier, die gar nicht mehr trinken, die „trocken” sind? Und wieso bezeichnen sie sich immer noch als Alkoholiker?
Man betrachtet Alkoholismus hier als eine Krankheit, die nicht zu heilen ist, die aber zum Stillstand gebracht werden kann, indem man jegliche Form von Alkohol meidet. „Wenn man aufgehört hat zu trinken, sagen einem die Leute immer: Jetzt hast du’s ja geschafft! Sie wissen nicht, daß es in Wirklichkeit erst anfängt.” Das sagt einer von ihnen. Denn der Kampf gegen die Versuchung, rückfällig zu werden, hört nie auf.
Einer meldet sich und spricht, dann der nächste, dann wieder einer. Sie erzählen von der letzten Woche, von Problemen bei der Arbeit und in der Familie, aber auch von Erfolgen: davon, ein Behördengespräch gut abgeschlossen zu haben, statt der Sache aus dem Weg zu gehen wie früher; Ruhe bewahrt zu haben in einer heiklen Situation. Sie sprechen von kleinen Freuden, von denen sie früher nichts wußten: „Da drehte sich ja alles bloß um die Flasche.” Und immer wieder betont einer, er schaffe es nur, weil er diesen Kreis von Freunden habe, in dem er sich aussprechen, Bestätigung und Ermutigung finden könne.
Keiner unterbricht einen anderen. Es gibt kein „Du mußt ..., du solltest ..., du darfst nicht ...”. Jeder spricht von sich. Der gute Vorsatz, nie wieder zu trinken, hilft nicht, das haben sie erfahren. Es geht darum, heute nicht zu trinken, das erste Glas stehen zu lassen. Jeder hört von den anderen, wie die es schaffen. Das hilft besser als alle guten Ratschläge Außenstehender.
II
Die Frau:
Manchmal wollte ich meinen Mann umbringen. Dann wieder wollte ich mich umbringen. Immerzu hab ich mich gefragt: Bin ich schuld? Was mach ich falsch?
Ich hab seine Flaschen versteckt oder weggekippt, ich hab ihn kontrolliert und überwacht, soweit ich konnte, ich geh ja arbeiten, einer muß arbeiten, er hat ja längst seine Stelle verloren. Geholfen hat das natürlich nichts. Ich hab mich bemüht, es vor aller Welt zu verheimlichen, auch vor den Kindern. Fix und fertig war ich mit den Nerven und dachte bloß noch: Nächstens lande ich in der Klapsmühle.
Da muß man nun hilflos zugucken, wie der Mensch, mit dem zusammen ist, sich zu Tode säuft. Meine Kolleginnen sagen: Trenn dich, laß dich scheiden! Du kannst auch einen Besseren kriegen! Das sagt sich leicht. Aber ich hab immer noch gedacht: Wenn er mich liebt, muß er doch aufhören können?! Er hat dann ja auch die Therapie gemacht. Er kam trocken wieder, und ich dachte: Jetzt kommt der Himmel auf Erden. Vier Tage nur, dann hat er wieder getrunken.
Schließlich bin ich zu so 'ner Gruppe von Frauen gegangen, die mit Alkoholikern zusammenleben. Ich hab lange gebraucht, bis ich mich hingetraut habe. Hab auf der andern Straßenseite gestanden und gedacht: Geh ich rüber, geh ich rein? Es ist ja so schwer, darüber zu sprechen. Beim ersten Treffen hab ich bloß geheult.
Ich dachte, die sagen mir jetzt, was ich tun muß, um ihn trocken zu kriegen. Statt dessen hörte ich: „Wir sind dem Alkohol gegenüber machtlos.” Ja, was sollte ich dann da? Man bekommt keine Rezepte, und das ist auch der Grund, warum manche nicht wiederkommen.
Ich bin geblieben, und ich bin heute froh darüber. Meine Gruppe ist wie eine kleine Familie für mich. Wir sind in derselben Lage, ich muß nichts verschweigen und vertuschen. Ich hab gelernt, daß ich den Alkoholismus meines Mannes nicht zum einzigen Mittelpunkt meines Lebens machen darf. Schließlich hab ich auch selbst noch ein Leben, nicht? Ich hab gelernt, wieder was für mich selbst zu tun, mich wieder unter Menschen zu trauen. Ich hab mein Selbstbewußtsein aufpoliert, hab mühsam gesunden Egoismus gelernt.
Zuerst, als ich in die Gruppe ging, hat er gemault: „Dann hast du für mich ja gar keine Zeit mehr!” – „Du brauchst mich gar nicht”, hab ich gesagt, „du brauchst bloß deine Flaschen.” Das hätte ich früher nie geschafft. Ich nehme ihm nicht mehr alle Verantwortung ab. Ich weiß: Nicht meine Anstrengungen können ihn vom Alkohol wegbringen, sondern nur seine eigenen. Er will ja.
Vielleicht wird es ja irgendwann.
Um den großen runden Tisch sitzen acht Männer. Manche haben sich eine Tasse Tee oder Kaffee und ein paar Kekse geholt, andere nicht, jeder wie er will, man ist ja nicht zum Kaffeeklatsch da.
Reihum stellt sich jeder vor: „Heinz, Alkoholiker, heute trocken.” – „Frank, Alkoholiker.” – „Theo, trocken.” Nachname, Titel und Adresse interessieren nicht. Wir sind bei einem Meeting der Anonymen Alkoholiker. Aber was wollen denn die hier, die gar nicht mehr trinken, die „trocken” sind? Und wieso bezeichnen sie sich immer noch als Alkoholiker?
Man betrachtet Alkoholismus hier als eine Krankheit, die nicht zu heilen ist, die aber zum Stillstand gebracht werden kann, indem man jegliche Form von Alkohol meidet. „Wenn man aufgehört hat zu trinken, sagen einem die Leute immer: Jetzt hast du’s ja geschafft! Sie wissen nicht, daß es in Wirklichkeit erst anfängt.” Das sagt einer von ihnen. Denn der Kampf gegen die Versuchung, rückfällig zu werden, hört nie auf.
Einer meldet sich und spricht, dann der nächste, dann wieder einer. Sie erzählen von der letzten Woche, von Problemen bei der Arbeit und in der Familie, aber auch von Erfolgen: davon, ein Behördengespräch gut abgeschlossen zu haben, statt der Sache aus dem Weg zu gehen wie früher; Ruhe bewahrt zu haben in einer heiklen Situation. Sie sprechen von kleinen Freuden, von denen sie früher nichts wußten: „Da drehte sich ja alles bloß um die Flasche.” Und immer wieder betont einer, er schaffe es nur, weil er diesen Kreis von Freunden habe, in dem er sich aussprechen, Bestätigung und Ermutigung finden könne.
Keiner unterbricht einen anderen. Es gibt kein „Du mußt ..., du solltest ..., du darfst nicht ...”. Jeder spricht von sich. Der gute Vorsatz, nie wieder zu trinken, hilft nicht, das haben sie erfahren. Es geht darum, heute nicht zu trinken, das erste Glas stehen zu lassen. Jeder hört von den anderen, wie die es schaffen. Das hilft besser als alle guten Ratschläge Außenstehender.
II
Die Frau:
Manchmal wollte ich meinen Mann umbringen. Dann wieder wollte ich mich umbringen. Immerzu hab ich mich gefragt: Bin ich schuld? Was mach ich falsch?
Ich hab seine Flaschen versteckt oder weggekippt, ich hab ihn kontrolliert und überwacht, soweit ich konnte, ich geh ja arbeiten, einer muß arbeiten, er hat ja längst seine Stelle verloren. Geholfen hat das natürlich nichts. Ich hab mich bemüht, es vor aller Welt zu verheimlichen, auch vor den Kindern. Fix und fertig war ich mit den Nerven und dachte bloß noch: Nächstens lande ich in der Klapsmühle.
Da muß man nun hilflos zugucken, wie der Mensch, mit dem zusammen ist, sich zu Tode säuft. Meine Kolleginnen sagen: Trenn dich, laß dich scheiden! Du kannst auch einen Besseren kriegen! Das sagt sich leicht. Aber ich hab immer noch gedacht: Wenn er mich liebt, muß er doch aufhören können?! Er hat dann ja auch die Therapie gemacht. Er kam trocken wieder, und ich dachte: Jetzt kommt der Himmel auf Erden. Vier Tage nur, dann hat er wieder getrunken.
Schließlich bin ich zu so 'ner Gruppe von Frauen gegangen, die mit Alkoholikern zusammenleben. Ich hab lange gebraucht, bis ich mich hingetraut habe. Hab auf der andern Straßenseite gestanden und gedacht: Geh ich rüber, geh ich rein? Es ist ja so schwer, darüber zu sprechen. Beim ersten Treffen hab ich bloß geheult.
Ich dachte, die sagen mir jetzt, was ich tun muß, um ihn trocken zu kriegen. Statt dessen hörte ich: „Wir sind dem Alkohol gegenüber machtlos.” Ja, was sollte ich dann da? Man bekommt keine Rezepte, und das ist auch der Grund, warum manche nicht wiederkommen.
Ich bin geblieben, und ich bin heute froh darüber. Meine Gruppe ist wie eine kleine Familie für mich. Wir sind in derselben Lage, ich muß nichts verschweigen und vertuschen. Ich hab gelernt, daß ich den Alkoholismus meines Mannes nicht zum einzigen Mittelpunkt meines Lebens machen darf. Schließlich hab ich auch selbst noch ein Leben, nicht? Ich hab gelernt, wieder was für mich selbst zu tun, mich wieder unter Menschen zu trauen. Ich hab mein Selbstbewußtsein aufpoliert, hab mühsam gesunden Egoismus gelernt.
Zuerst, als ich in die Gruppe ging, hat er gemault: „Dann hast du für mich ja gar keine Zeit mehr!” – „Du brauchst mich gar nicht”, hab ich gesagt, „du brauchst bloß deine Flaschen.” Das hätte ich früher nie geschafft. Ich nehme ihm nicht mehr alle Verantwortung ab. Ich weiß: Nicht meine Anstrengungen können ihn vom Alkohol wegbringen, sondern nur seine eigenen. Er will ja.
Vielleicht wird es ja irgendwann.