Ersehnt und enttäuschend: Tanzstunde in den 50er Jahren
"Und – links! Und – links!" Heute würde sie, wenn sie noch lebte, Rekruten drillen, aber das durften Frauen damals noch nicht. Also wurde sie Tanzlehrerin und drillte uns.
Es gab mehrere Tanzschulen in der Stadt, aber natürlich wurde ich in die "feinste" geschickt. Dort kam ein Mädchen nicht mit Tanzpartnern aus ungebildeten Kreisen in Berührung. Die Standesgrenzen waren noch sehr stabil, und sie trennten vor allem Akademiker- und Nichtakademikerfamilien. Unsere "Herren" gingen aufs Jungengymnasium und wir auf die Mädchenoberrealschule.
Wir hatten der Tanzstunde entgegengefiebert. Nun waren wir endlich sechzehn und damit im passenden Alter. Die Gedanken von Mädchen dieses Alters drehten sich im wesentlichen um "Jungs", und wir kannten keine, denn Koedukation gab es nicht, und wenn etwa eine Freundin einen älteren Bruder hatte, war der doof und kümmerte sich nicht um uns, weil er uns für alberne Gänse hielt. In der Tanzstunde würde natürlich alles ganz anders sein! Endlich Gelegenheit, tolle Männer kennenzulernen!
Anders war es schon. Daß unsere Tanzschule so "fein" war, merkten wir vor allem daran, daß sie mindestens ebenso viel "gutes Benehmen" lehrte wie Tanzen. Dabei hatten wir Mädchen eigentlich nicht viel zu lernen: Ordentlich dasitzen, die Beine nicht übereinanderschlagen – das war's eigentlich schon. Aber die "Tanzstundenherren" (so hießen diese siebzehn-, achtzehnjährigen Bengel offiziell) wurden geradezu gestraft mit Verhaltensmaßregeln: Wenn die Musik einsetzt, erhebt sich der Herr und knöpft den dritten Knopf seines Dreireihers bzw. den zweiten Knopf seines Zweireihers zu (die Jacke würde sich ausbeulen, wenn er auch im Sitzen alle Knöpfe geschlossen hielte). Er geht gemessenen Schrittes auf die Dame zu, die er auffordern will; keinesfalls darf er losstürzen, und wenn ein anderer trotzdem schneller ist als er, hat er eben Pech gehabt. Wenn er vor der Dame steht, verbeugt er sich und fragt: "Darf ich bitten?" (ablehnen darf sie nicht), dann macht er aus seinem Arm einen Henkel, in den die "Dame" ihren Arm einhängt, und so führt er sie bis zur Tanzfläche. Keinesfalls darf man tanzen, ohne zu sprechen. Unsere Tanzlehrerin hatte ein Stöckchen, mit dem stupste sie stumme Tanzpartner in den Rücken und zischte: "Konversation! Konversation!" Wenn man sich auf eben erst gelernte Schritte konzentrieren muß, ist es nicht leicht, pausenlos Konversation zu machen, aber wie es schien, war sie das Wichtigste beim Tanzen.
Wenn die Musik endet, führt der Herr die Dame in derselben Art (Henkel in Henkel) an ihren Platz, rückt ihr den Stuhl zurecht, damit sie sich mühelos setzen kann, verbeugt sich wieder und darf gehen. Nun war gerade das nicht zu machen, denn tatsächlich saßen wir Mädchen auf einer langen Bank an einer Seite des Saales, die Jungs auf einer langen Bank gegenüber. Es gab aber ein Tischchen in der Ecke, an dem alle das mal einzeln üben mußten.
Die "Herren" müssen furchtbar gelitten haben. Jeden neuen Tanzschritt mußte erst die ganze Mädchenreihe gemeinsam – ohne Partner – üben, danach die ganze Männerreihe. Die Arme mußte man halb hochheben, weil das angeblich die Bewegungen lockerer machte. Uns Mädchen fiel das nicht schwer, aber die Jungens stellten sich ungeschickt an, kamen sich natürlich idiotisch vor und wurden knallrot bei unserem Gekicher. Natürlich gehörte es sich nicht, zu kichern, aber wie will man es vermeiden beim Blick auf eine Reihe junger Männer, die steif, mit steif erhobenen Armen, irgendwelche Drehungen vollführen (und es gab immer einige, die rechts und links nicht unterscheiden konnten und also beim Drehen mit dem Nebenmann zusammenstießen).
Die meisten Tänze fanden wir schrecklich. Beim Tango war äußerst "eng" zu tanzen; wurde diese Anweisung nicht befolgt, zischte die Tanzlehrerin bei dem Stups in den Rücken: "Tuchfühlung!!!" Und wer möchte schon eng an einen Kerl gequetscht werden, der einem zutiefst zuwider ist? Foxtrott und langsamer Walzer waren öde, aber die Qual der Qualen war der Wiener Walzer: Rasend schnell, kaum einen ganzen Tanz lang durchzuhalten, es wurde einem furchtbar schwindlig dabei, und wie einem dabei die "Herren", die das Tempo nicht bewältigten, auf die Füße traten! Welche Erleichterung, wenn wir nach all dem Samba oder Rumba tanzen durften!
Was wir dort lernten, hatte mit der Realität nichts zu tun. Außerhalb der Tanzstunde tanzte man damals Rock 'n Roll, wozu wir leider keine Gelegenheit hatten, denn die einzige Möglichkeit für Sechzehnjährige, tanzen zu gehen, waren die sogenannten "Übungsabende" der Tanzschulen. Wer schon einen Freund und das Bedürfnis nach "Tuchfühlung" hatte, schlich zu etwas Langsamem wie Blues dahin. Alles übrige wurde zu einer Art Foxtrott vereinfacht, und wenn ein Wiener Walzer erklang, pausierte man und holte sich eine Cola. Und natürlich sagte niemand "Darf ich bitten?" oder kümmerte sich um seine Jackettknöpfe.
Der Anstand verlangte, daß jeder "Herr" eine "Dame" zum Abschlußball aufforderte; erstaunlicherweise durfte die Dame hierbei einen Interessenten ablehnen. Ich wurde in der dritten Stunde (von insgesamt zwölf) aufgefordert. Das war früh, und der Herr gefiel mir nicht; da ich mich aber für ein besonders häßliches Mädchen hielt, akzeptierte ich, denn ich nahm an, etwas Besseres würde nicht nachkommen. Es war ein Irrtum, aber das konnte ich nicht wissen, und so mußte ich meinen "Tanzstundenherrn" eben ertragen. Zu den Verpflichtungen eines Tanzstundenherrn gehörte es, die Dame nach der Stunde nach Hause zu bringen. In meinem Fall waren das etwa zwanzig Minuten Fußweg. Da auch hier Konversation vorgeschrieben war, gab sich der Herr redliche Mühe, mich zu unterhalten – meist mit Berichten über seine verschiedenen Sportaktivitäten (nichts interessierte mich weniger als Sport!), und bis heute ist es mir nicht gelungen zu vergessen, daß er sich mal beim Tauchen das Trommelfell verletzt hat. Ich war sicher, daß mich alle andern Mädchen wegen dieses blöden Kerls bedauerten oder schadenfroh darüber grinsten. Meine Genugtuung brachte das "Zwischenkränzchen", eine Art Halbzeit-Ball, bei dem einige der Herren sich der Musikinstrumente bemächtigten und es sich zeigte, daß mein Partner wundervoll "Trompeters Wiegenlied" spielen konnte.
Das Ganze endete natürlich mit dem Abschlußball. Ich war nicht dabei. Dafür gab es zwei Gründe. Der erste war das Ballkleid. Weil unsere Tanzschule so unerhört "fein" war, verlangte sie ein bodenlanges Kleid. Nun war das total out, und keine andere Tanzschule verlangte es; man trug damals "Ballerina-Länge" – Kleider, die eine Handbreit oberhalb des Knöchels endeten. Es würde also nie wieder eine Verwendung für das bodenlange Kleid geben, und für so etwas viel Geld auszugeben schien unangemessen. Außerdem gab es eine strikte Ordnung, welche Pflichttänze wer mit wem auf dem Abschlußball zu tanzen hatte, und da wurde auch die Mitwirkung des Vaters verlangt. Mein Vater aber weigerte sich strikt, auf den Ball mitzugehen. Ich sah keine Lösung für diese Schwierigkeit. Es muß damals, zehn Jahre nach dem Krieg, viele vaterlose Mädchen gegeben haben – ich weiß nicht, wie die das Problem gelöst haben, vielleicht gab es einen Onkel oder einen Hausfreund. Das obligatorische Tanzstundenfoto mußte jedenfalls ohne mich auskommen.
"Und – links! Und – links!" Heute würde sie, wenn sie noch lebte, Rekruten drillen, aber das durften Frauen damals noch nicht. Also wurde sie Tanzlehrerin und drillte uns.
Es gab mehrere Tanzschulen in der Stadt, aber natürlich wurde ich in die "feinste" geschickt. Dort kam ein Mädchen nicht mit Tanzpartnern aus ungebildeten Kreisen in Berührung. Die Standesgrenzen waren noch sehr stabil, und sie trennten vor allem Akademiker- und Nichtakademikerfamilien. Unsere "Herren" gingen aufs Jungengymnasium und wir auf die Mädchenoberrealschule.
Wir hatten der Tanzstunde entgegengefiebert. Nun waren wir endlich sechzehn und damit im passenden Alter. Die Gedanken von Mädchen dieses Alters drehten sich im wesentlichen um "Jungs", und wir kannten keine, denn Koedukation gab es nicht, und wenn etwa eine Freundin einen älteren Bruder hatte, war der doof und kümmerte sich nicht um uns, weil er uns für alberne Gänse hielt. In der Tanzstunde würde natürlich alles ganz anders sein! Endlich Gelegenheit, tolle Männer kennenzulernen!
Anders war es schon. Daß unsere Tanzschule so "fein" war, merkten wir vor allem daran, daß sie mindestens ebenso viel "gutes Benehmen" lehrte wie Tanzen. Dabei hatten wir Mädchen eigentlich nicht viel zu lernen: Ordentlich dasitzen, die Beine nicht übereinanderschlagen – das war's eigentlich schon. Aber die "Tanzstundenherren" (so hießen diese siebzehn-, achtzehnjährigen Bengel offiziell) wurden geradezu gestraft mit Verhaltensmaßregeln: Wenn die Musik einsetzt, erhebt sich der Herr und knöpft den dritten Knopf seines Dreireihers bzw. den zweiten Knopf seines Zweireihers zu (die Jacke würde sich ausbeulen, wenn er auch im Sitzen alle Knöpfe geschlossen hielte). Er geht gemessenen Schrittes auf die Dame zu, die er auffordern will; keinesfalls darf er losstürzen, und wenn ein anderer trotzdem schneller ist als er, hat er eben Pech gehabt. Wenn er vor der Dame steht, verbeugt er sich und fragt: "Darf ich bitten?" (ablehnen darf sie nicht), dann macht er aus seinem Arm einen Henkel, in den die "Dame" ihren Arm einhängt, und so führt er sie bis zur Tanzfläche. Keinesfalls darf man tanzen, ohne zu sprechen. Unsere Tanzlehrerin hatte ein Stöckchen, mit dem stupste sie stumme Tanzpartner in den Rücken und zischte: "Konversation! Konversation!" Wenn man sich auf eben erst gelernte Schritte konzentrieren muß, ist es nicht leicht, pausenlos Konversation zu machen, aber wie es schien, war sie das Wichtigste beim Tanzen.
Wenn die Musik endet, führt der Herr die Dame in derselben Art (Henkel in Henkel) an ihren Platz, rückt ihr den Stuhl zurecht, damit sie sich mühelos setzen kann, verbeugt sich wieder und darf gehen. Nun war gerade das nicht zu machen, denn tatsächlich saßen wir Mädchen auf einer langen Bank an einer Seite des Saales, die Jungs auf einer langen Bank gegenüber. Es gab aber ein Tischchen in der Ecke, an dem alle das mal einzeln üben mußten.
Die "Herren" müssen furchtbar gelitten haben. Jeden neuen Tanzschritt mußte erst die ganze Mädchenreihe gemeinsam – ohne Partner – üben, danach die ganze Männerreihe. Die Arme mußte man halb hochheben, weil das angeblich die Bewegungen lockerer machte. Uns Mädchen fiel das nicht schwer, aber die Jungens stellten sich ungeschickt an, kamen sich natürlich idiotisch vor und wurden knallrot bei unserem Gekicher. Natürlich gehörte es sich nicht, zu kichern, aber wie will man es vermeiden beim Blick auf eine Reihe junger Männer, die steif, mit steif erhobenen Armen, irgendwelche Drehungen vollführen (und es gab immer einige, die rechts und links nicht unterscheiden konnten und also beim Drehen mit dem Nebenmann zusammenstießen).
Die meisten Tänze fanden wir schrecklich. Beim Tango war äußerst "eng" zu tanzen; wurde diese Anweisung nicht befolgt, zischte die Tanzlehrerin bei dem Stups in den Rücken: "Tuchfühlung!!!" Und wer möchte schon eng an einen Kerl gequetscht werden, der einem zutiefst zuwider ist? Foxtrott und langsamer Walzer waren öde, aber die Qual der Qualen war der Wiener Walzer: Rasend schnell, kaum einen ganzen Tanz lang durchzuhalten, es wurde einem furchtbar schwindlig dabei, und wie einem dabei die "Herren", die das Tempo nicht bewältigten, auf die Füße traten! Welche Erleichterung, wenn wir nach all dem Samba oder Rumba tanzen durften!
Was wir dort lernten, hatte mit der Realität nichts zu tun. Außerhalb der Tanzstunde tanzte man damals Rock 'n Roll, wozu wir leider keine Gelegenheit hatten, denn die einzige Möglichkeit für Sechzehnjährige, tanzen zu gehen, waren die sogenannten "Übungsabende" der Tanzschulen. Wer schon einen Freund und das Bedürfnis nach "Tuchfühlung" hatte, schlich zu etwas Langsamem wie Blues dahin. Alles übrige wurde zu einer Art Foxtrott vereinfacht, und wenn ein Wiener Walzer erklang, pausierte man und holte sich eine Cola. Und natürlich sagte niemand "Darf ich bitten?" oder kümmerte sich um seine Jackettknöpfe.
Der Anstand verlangte, daß jeder "Herr" eine "Dame" zum Abschlußball aufforderte; erstaunlicherweise durfte die Dame hierbei einen Interessenten ablehnen. Ich wurde in der dritten Stunde (von insgesamt zwölf) aufgefordert. Das war früh, und der Herr gefiel mir nicht; da ich mich aber für ein besonders häßliches Mädchen hielt, akzeptierte ich, denn ich nahm an, etwas Besseres würde nicht nachkommen. Es war ein Irrtum, aber das konnte ich nicht wissen, und so mußte ich meinen "Tanzstundenherrn" eben ertragen. Zu den Verpflichtungen eines Tanzstundenherrn gehörte es, die Dame nach der Stunde nach Hause zu bringen. In meinem Fall waren das etwa zwanzig Minuten Fußweg. Da auch hier Konversation vorgeschrieben war, gab sich der Herr redliche Mühe, mich zu unterhalten – meist mit Berichten über seine verschiedenen Sportaktivitäten (nichts interessierte mich weniger als Sport!), und bis heute ist es mir nicht gelungen zu vergessen, daß er sich mal beim Tauchen das Trommelfell verletzt hat. Ich war sicher, daß mich alle andern Mädchen wegen dieses blöden Kerls bedauerten oder schadenfroh darüber grinsten. Meine Genugtuung brachte das "Zwischenkränzchen", eine Art Halbzeit-Ball, bei dem einige der Herren sich der Musikinstrumente bemächtigten und es sich zeigte, daß mein Partner wundervoll "Trompeters Wiegenlied" spielen konnte.
Das Ganze endete natürlich mit dem Abschlußball. Ich war nicht dabei. Dafür gab es zwei Gründe. Der erste war das Ballkleid. Weil unsere Tanzschule so unerhört "fein" war, verlangte sie ein bodenlanges Kleid. Nun war das total out, und keine andere Tanzschule verlangte es; man trug damals "Ballerina-Länge" – Kleider, die eine Handbreit oberhalb des Knöchels endeten. Es würde also nie wieder eine Verwendung für das bodenlange Kleid geben, und für so etwas viel Geld auszugeben schien unangemessen. Außerdem gab es eine strikte Ordnung, welche Pflichttänze wer mit wem auf dem Abschlußball zu tanzen hatte, und da wurde auch die Mitwirkung des Vaters verlangt. Mein Vater aber weigerte sich strikt, auf den Ball mitzugehen. Ich sah keine Lösung für diese Schwierigkeit. Es muß damals, zehn Jahre nach dem Krieg, viele vaterlose Mädchen gegeben haben – ich weiß nicht, wie die das Problem gelöst haben, vielleicht gab es einen Onkel oder einen Hausfreund. Das obligatorische Tanzstundenfoto mußte jedenfalls ohne mich auskommen.