Regeln hab ich jedenfalls nie gelesen ...
... man bekam einfach mit, was sich gehörte ...
Die Meldung deines Freundes galt vermutlich auch damals - nachdem es in keiner Gebrauchsanweisung zu finden war - wie heute schlicht als arrogant. Oder sein Standesbewusstsein hat irgendwann mal etwas falsch verstanden.
Vielleicht seh ich das auch falsch, auf dem Land grüßte jedenfalls Jeder Jeden.
Mein erster Arbeitsplatz ... Aber nicht nur deshalb hab ich mich wohl gefühlt, ich merkte auch, dass sich ALLE auf Augenhöhe begegneten. Dass Männer einen anderen Stellenwert hatten, war normal, vor allem, weil sie hier Meister und Vorarbeiter waren.
In ein Lokal ging man hier ausschließlich in Begleitung, in ein Kaffeehaus gingen Frauen natürlich schon allein, meist aber mit Freundinnen.
Aufgefallen ist mir, dass es ziemlich unmöglich war, selbst zu zahlen, man war immer von irgend einer Seite "eingeladen" ...
Dieser Brauch hielt sich ziemlich lange, nachdem ich nie gern in Lokalen war, ist mir eine ungute Behandlung in diesem von dir erwähntem Fall nie aufgefallen, auch nicht gegenüber anderen. Aber getratscht wurde natürlich schnell.
Das war in der Stadt nicht anders – Anstandsbücher habe ich erst als Erwachsene gelesen, nicht um richtiges Benehmen zu lernen, sondern weil ich die Vergleiche interessant fand. (Die ersten Anstandsregeln las ich mit dreizehn in einem Buch 1904 erschienenen meiner Großmutter, in dem es heißt, man solle ein junges Mädchen, wenn es "in die Gesellschaft eingeführt" werde, nicht aufdonnern: "Sein schönster Schmuck sei Anmut und Bescheidenheit."
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)
Meine Mutter hat mir allerdings schon einiges beigebracht. Ich erinnere mich, wie sie mich einmal auf der Straße darauf hinwies, ich ginge an ihrer falschen Seite. Es hat mich sehr verblüfft: Wieso war es von Belang, wer rechts und wer links ging? Es wurde auch nicht begründet; Anstandsregeln gab es eben, und man hinterfragte sie nicht.
Daß auf dem Land jeder jeden grüßte, hat mich bei meinem ersten Besuch bei Verwandten auf dem Land verwundert. Interessant finde ich, daß sich diese Sitte in anderem Umfeld erhalten hat. Ich wohne hier in einem Vorort – siehe Abbildung unten. Leute, die sich auf den Fußgängerwegen (gestrichelte Linien) zwischen den Häusern, Gärten und Grünanlagen begegnen, grüßen einander, ob sie sich kennen oder nicht. Man sagt "Grüß Gott" – das anderswo weitgehend übliche "Hallo" (mit dem einen inzwischen auch die Angestellten in den Geschäften begrüßen) wäre zu formlos. Auf den Fahrstraßen (Buchenland-, Stäudlenweg) grüßt man nicht. Man grüßt Unbekannte auch in freier Landschaft – auch hier vorwiegend mit "Grüß Gott", aber "Hallo" ist auch schon möglich.
Auch ich habe meinen ersten Arbeitsplatz so angenehm gefunden, weil man sich "auf Augenhöhe" begegnete und ernstgenommen wurde. Bei uns waren die Männer Beamte (und Vorgesetzte), die Frauen Angestellte. Das störte nicht; alle arbeiteten gleichermaßen, und jeder sah, was der andere tat und leistete.
Stimmt, als Frau konnte man eigentlich nur ins Café gehen, auch allein. Mir ist es schon passiert, daß ich im Lokal nicht bedient wurde. Frau konnte problemlos in einem "Wienerwald" ("Heute bleibt die Küche kalt ... gab es die Lokale in Österreich überhaupt?) und vergleichbaren Lokalen essen gehen, aber in "gehobenen" Häusern war man bis in die 60er Jahre durchaus der Meinung, eine Frau, die alleine kam, könne unmöglich eine solide Person sein, und man beachte sie besser gar nicht ...
Daß man als Frau nicht bezahlte, war klar. Wenn man sich besser kannte, mußte man nicht "eingeladen" werden, sondern konnte sich einfach drauf einigen, ob und wohin man essen ging und wer bezahlte. Das sah dann aber so aus, daß entweder die Frau dem Mann ihr Portemonnaie unauffällig unter dem Tisch rüberreichte oder ihm das Geld nach Verlassen des Lokals gab. Der/die Kellner/in überreichte automatisch dem Mann die Gesamtrechnung für beide. In den 80er, 90er Jahren hatte sich das geändert. Auch wenn es früher indiskutabel schien – ich habe später oft Männer dienstlich zum Essen eingeladen und bezahlt (und die übliche Quittung für die Spesenabrechnung verlangt)
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und nie mehr an das Frauenverbot bei Siemens
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gedacht.
"Getratscht wurde schnell", schreibst du – meine Freundin aus der Kleinstadt Krumbach erzählte mir erst neulich von einer Frau, die dort ein Café eröffnet hat: "Sie hat natürlich bald pleite gemacht. Bei uns geht man nicht ins Café, schon gar nicht in eins, wo die Leute von draußen sehen, wer drin sitzt. Da würde es ja gleich heißen: ,Hat die zu Hause nichts zu tun, daß sie sich ins Café setzen kann?’" Bei mir daheim war man übrigens auch der Meinung, wenn ein Paar oder eine Familie auswärts essen geht, dann nur, weil die Frau zu faul zum Kochen ist.
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