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Tatort Himmelsscheibe

Tatort Himmelsscheibe
Rezension der MZ
Stichwörter: Himmelsscheibe
Der dpa-Journalist Thomas Schöne hat den Weg der Himmelscheibe intensiv wie kein anderer begleitet. Nun liegt sein Buch über seine Erlebnisse und Erfahrungen vor

(sts) "Himmelsscheibe" und kein Ende. Der Sensationsfund beschäftigt Medien, Gerichte, Wissenschaftler, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker gleichermaßen. Und so steht den noch wenigen fachlichen Publikationen ine Unzahl populärer journalistischer Beiträge gegenüber, Gerüchte aus dritter, zumeist vorgehaltener Hand durchziehen diverse Internetforen. Vom Neid zerfressene, universitäre Einzelschicksale reiben sich an der Frage der "Echtheit" und finden ihren Widerhall in den Medien. Dokumentarfilme unterschiedlicher Qualität werden von Sender zu Sender gereicht. Busladungen ergießen sich in das Besucherzentrum "Arche" bei Nebra. Und wenn am 23. Mai im Landesmuseum die "Scheibe" wieder im Original zu sehen sein wird, dürften die Schlangen am Eingang lang und die Parkplätze im beschaulichen Umfeld knapp werden. Auch wenn Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados nach eigenem Bekunden für letzteres Problem nach einer Lösung sucht.

Aber was macht eigentlich die besondere Faszination des archäologischen Sensationsfundes aus, der sogenannten "Mona Lisa" der Mitteldeutschen Archäologie? Thomas Schöne, Hallescher Autor und dpa-Journalist, bringt es in seinem Sachbuch "Tatort Himmelsscheibe", das am 13. März auf der Leipziger Buchmesse erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird, auf den Punkt: "Die »Himmelsscheibe von Nebra« hat alles, was ein Weltstar braucht: eine aufregende Geschichte, ein gutes Aussehen und eine sagenhafte Ausstrahlung, mit der sie bei ihren Auftritten stets für ein großes Interesse in der Öffentlichkeit sorgt."

Die Forschergruppe um den Landesarchäologen Harald Meller wird mit der detaillierten Auswertung der Fakten um den Jahrhundertfund und bis zu einer abgerundeten Publikation sicher noch eine angemessene Zeit benötigen. In dem Sachbuch "Tatort Himmelsscheibe" verfolgt Schöne ohnehin keinen wissenschaftlichen Anspruch: er versteht sich als objektiver Chronist der Ereignisse rund um die Himmelsscheibe seit ihrem Fund.

Seit Februar 2002 berichtet Schöne regelmäßig über den prähistorischen Fund für die Deutsche Presse Agentur. Keinen Verhandlungstag der endlosen und ermüdenden Strafprozesse gegen Hehler und Raubgräber ließ er aus, recherchierte im grauen Kunstmarkt nach Hintergründen, stocherte und bohrte in trüben und klaren Gewässern, interviewte die mit dem "Fall Nebra" befassten Archäologen, Naturwissenschaftler und Kriminaltechniker. Und so hat er in Journalisten-Kreisen schon seinen Spitznamen weg: "Scheiben-Schöne", blieb er doch immer an der Geschichte dran. Seine dpa-Meldungen zu Ereignissen rund um die Himmelsscheibe lassen die Nachrichtenarchive überquellen. Nichts, das irgendwie mit der Himmelsscheibe zu tun hat oder zu tun haben könnte - Wissenschaftler, Ermittler, Gerichte, Staatsanwaltschaft, Raubgräberszene - ließ er aus.

"Tatort Himmelsscheibe" ist dennoch weitaus mehr als die Summe seiner dpa- Meldungen, auch wenn die "Schreibe" gelegentlich daran erinnert. Schöne schnörkelt nicht. Wenn jemand etwas "sagte", dann wird nicht der Thesaurus bemüht, ob er es vielleicht auch "meinte", "äußerte", "zu Bedenken gab" oder "verlauten ließ". Ein literarisches Kunstwerk ist der "Tatort Himmelsscheibe" gewiss nicht, aber spannend ohne Ende. Thomas Schöne muß sich nicht mit Henning Mankell messen lassen. Auch wenn die Himmelsscheibe kein Todesopfer gefordert hat, die reale Story fesselt genug, da bedarf es keiner Kunstgriffe.

Für die kurze Forschungsgeschichte zum Thema Himmelsscheibe ist Schönes Sachbuch jetzt schon ein interessantes Lehrstück. Seine Chronik ist auch die der Ideen und Ansichten. Der aufmerksame Leser bemerkt, wie Wissenschaftler ihre Ansichten entwickeln, fallen lassen, korrigieren, revidieren, überprüfen, wie sie sich bei Kollegen Rat einholen, aber auch wie sie zu Spekulation neigen und Angriffe erwidern. Also auch für Wisssenschaftstheoretiker eine Fundgrube.

Auch wenn Schönes Buch eine Chronik sein soll, so sind die Kapitel nicht streng chronologisch aufgebaut. Das Anfangskapitel "Sternstunde in Basel" beginnt, wie Harald Meller, Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte, die Scheibe erstmals in den Händen hält. "Ihre bildnishafte Qualität überwältigte mich, ich war fasziniert" wird er zitiert. "Drei Jahre zuvor" lautet das folgende Kapitel, in dem die Raubgrabung geschildert wird und der zwielichtige Weg des Fundes durch die dunklen Kanäle des illegalen Kunsthandels. "Geheimoperation Scheibe": es folgt die ausgesprochen brillante Schilderung der Ermittlungen bis zur Beschlagnahme der Funde in Basel und dem glücklichen Landesarchäologen.

Damit der nicht glücklich bleibt – denn dann wäre die Geschichte ja aus – schließen sich die folgenden Kapitel an. Der Prozess. Bei dem so ziemlich alles in Frage gestellt wird. Hier schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten glücklichen Landesarchäologen, der im Kapitel IV erst einmal in den Skiurlaub fährt. Damit wäre die Geschichte normalerweise aus. Aber hier weit gefehlt, denn die Dramaturgie fordert, dass die "Helden" noch vor weitere Prüfungen gestellt werden. Die Suche nach dem wahren Fundort der Scheibe, noch mehr Kriminalistik. Die Finder sagen aus, die Hehler werden verurteilt, die Sache scheint rund zu sein, der Fundort passt zur Scheibe, ein bronzezeitliches Sonnenobservbaorium auf dem Mittelberg, im beschaulichen Wangen bei Nebra? Bürgermeister und Landräte streiten sich um Namensrechte, doch das Drama darf nicht in einer beschaulichen Provinzposse enden.

Dafür sorgt das Berufungsverfahren, ein "bizarrer Prozeß", wie der Auto titelt. Das Universum wird in seinen Grundfesten angegriffen. "Ist die Scheibe eine Fälschung, alles nur ein genialer Trick des Landesarchäologen?" Der Prozess droht einer der längsten der Justizgeschichte Mitteldeutschlands zu werden. Schöne beschreibt anschaulich, wie Wissenschaft und Scharlatanerie sich vor Gericht Gehör verschaffen, Medien instrumentalisiert werden und sich instrumentalisieren lassen, von gewaltigen Verschwörungen ist die Rede, ein psychiatrischer Gutachter wird zu Rate gezogen.
Bei den ermüdenden, teils tumulthaften, teils höchst amüsanten Prozesstagen saß Schöne immer mit dem Schreibblock in der ersten Reihe. Die naturwissenschaftlichen, kriminalistischen, psychologischen und juristischen Argumentationslinien führt er in erstaunlicher Weise akribisch aus, er erläutert Hintergründe, nimmt aber niemals eindeutig Partei, wie es sich für einen Chronisten gehört. Was das Kapitel über den Prozeß so lesenswert macht: gerade die komplexen Verwicklungen eines Strafprozesses vermag er dem Leser anschaulich zu vermitteln, ohne zu verflachen oder zu vereinfachen. Damit erhebt sich der Autor weit über den Horizont des Tagesjournalismus.

Was in dem "Dokumentarsachkrimi" irritiert, geradezu unheimlich wirkt, ist die ängstliche Behandlung der Personennamen. Ein großer Teil der handelnden Personen wird namentlich korrekt wiedergegeben, aber einige erhielten Pseudonyme, obwohl sie ganz real existieren, und in Fleisch und Blut im Gerichtssaal standen. Warum diese Vorgehensweise gewählt wird verschweigt der Autor. Oder tat er es bewusst?

Auf dem Buchcover hätte das "Corpus Delicti" prangen müssen, oder aber: besser nichts. Denn wer nicht weiß, wie die "Scheibe" aussieht, kauft das Buch nicht. Statt dessen prangt auf dem Cover der Aussichtsturm auf dem Mittelberg, als sei er das Motiv gewesen für die spannende "Jagd nach den Sternen".
Tatort Himmelsscheibe: Eine Geschichte mit Raubgräbern, Hehlern und Gelehrten[Broschiert]
Thomas Schöne (Autor), Harald Meller (Vorwort)
4.0 von 5 Sternen Alle Rezensionen anzeigen (1 Kundenrezension)
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