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manni

Member
Liebe Leute,

wieder einmal ist im Großraum Innsbruck ein Technikdenkmal abrissgefährdet. Es geht um den Bahnhof Patsch, gelegen in den südlichen Ausläufern der Landeshauptstadt. Genaugenommen ist er viel mehr als ein S-Bahnhof, vielmehr ist vor allem das Aufnahmegebäude I aus 1867 untrennbar mit den frühen Jahren der Brennerbahn verbunden, aber auch das weiter südlich gelegene Aufnahmegebäude II, das ab 1910 den alten Bahnhof ersetzte und noch bis 1994 in Betrieb war.
Mit Inbetriebnahme von Aufnahmegebäude II wurde der "alte" Bahnhof zum Wohnhaus, eine kleine Landwirtschaft wurde dort betrieben. Unterhalb der beiden Gebäude, am Ufer des Sillflusses, befanden sich außerdem Obst- und Gemüsegärten. Ein noch weiter nördlich gelegenes Bahnwärterhaus wurde bereits vor einer Weile abgerissen.

Zu weiteren geschichtlichen Details möchte vielleicht jemand anderer etwas schreiben oder hilft Tante Google, in meinem kleinen Bericht will ich mich auf Bilder vom heutigen Zustand der Gebäude konzentrieren.

Heute bleiben an den beiden mit den in den 1990er-Jahren beliebten Klinkersteinen ausgelegten Bahnsteigen nur noch täglich zwei S-Bahn-Züge für "Hardcore-BahnpendlerInnen" stehen, für sie wurde ein winziges Beton-Wartehäuschen errichtet. Die halbstündlich verkehrenden Züge der Linien S2 und S3 fahren ohne Halt durch. Das Hauptproblem ist die Anbindung an den Ort: nur eine etwa 1,5 Kilometer lange, abschnittweise extrem steile und sehr schmale, wenn auch asphaltierte, Straße führt zur Station. Sie könnte allenfalls mit Kleinbussen befahren werden, die steilen Abschnitte müssten aber im Winter aufwändig vor Vereisung geschützt werden und wären bei Schneelage unpassierbar. In früheren Zeiten waren die Menschen bereit, solche Wege bei jedem Wetter zu Fuß zurückzulegen, heute würden das viele wahrscheinlich gar nicht mehr schaffen. Die Verkehrsversorgung von Patsch übernimmt heute die Buslinie 4141, mit der die Fahrt ins Stadtzentrum allerdings wesentlich länger dauert als mit der S-Bahn.

Da für das Aufnahmegebäude II eine Kosten verursachende funktionierende Wasserversorgung vorgeschrieben ist, möchte die Gemeindeverwaltung von Patsch nun den Denkmalschutz aufheben lassen. Man kann nur hoffen, dass dieses Ansinnen abgewehrt wird.

Begeben wir uns jetzt zum Aufnahmegebäude II. Eine Ansicht gegen Süden:

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http://forum.strassenbahn.tk/ext/20120505_bhf-patsch/20120505_patsch_02.jpg

Die Gebäudefront, leider im Gegenlicht:

20120505_patsch_02.jpg

Der heute noch genutzte westseitige Bahnsteig:

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Anichten gegen Norden und Nordosten. Alles ist mit Spanplatten verrammelt:

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Jetzt geht es ins Innere des Gebäudes, zuerst sehen wir uns das Erdgeschoss an. Ein Aufenthaltsraum:

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Auch die Sperrholzplatten konnten das Fenstergas nicht vor Vandalismus schützen:

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Raumdekor der 1960er- und 70er-Jahre in der ehemaligen Dienstwohnung:

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Auch hier Zerstörung:

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Dieser WC-Wasserkasten könnte noch aus der Zeit der Errichtung stammen:

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Diese Wendeltreppe führte in eine nachträglich angebaute Aussichtswarte, die nicht mehr existiert:

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Jetzt begeben wir uns in den Keller:

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Rechts hinten führten Starkstromleitungen ins Gebäude, wahrscheinlich auch Leitungen für die Signal- und Weichensteuerung:

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Ans Eingemachte - die Gäser sind noch gefüllt. Man beachte das Schild an der Innenseite des Kistendeckels!

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Zurück hinauf ins Erdgeschoss:

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Wie in allen derartigen Gebäudem finden auch hier Obdachlose Unterschlupf:

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Jetzt begeben wir uns etwa 500 Meter nach Norden, zu Aufnahmegebäude I. Etwa auf halbem Weg kommen wir am 1994 errichteten Fahrgastunterstand vorbei:

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Der Blick zurück nach Süden zeigt den Weg zu Aufnahmegebäude II, das rechts im Bildhintergrund hinter den Bäumen liegt.
Auf der linken Seite ist der zugewachsene ehemalige Erschließungsweg zum "alten" Bahnhof, also dem Aufnahmegebäude I, an dem wir jetzt angekommen sind. Als dieses noch in Betrieb war, gab es hier einen Bahnübergang.

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Oft werden abgenutzte Schienen als Zaunpfosten verwendet, so auch hier diese Schiene aus 1895:

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Diese Gebäude wurde in massiver Steinbauweise errichtet:

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Wir begeben uns ins Innere. Auch hier erwarten uns Spuren von temporären BewohnerInnen:

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Ein Holz-Kohle-Herd aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts:

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Die meisten Einrichtungsgegenstände haben die Zerstörungswut mancher Eindringlinge allerdings nicht überlebt:

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Die Styropor-Stuckdecke dürfte aus den 1980ern stammen:

20120505_patsch_27.jpg

Der Raum ist im Stil der 1980er-Jahre verfliest:

20120505_patsch_28.jpg

Ein Sanitärbereich:

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Im Wohntrakt gegenüber ein 50 bis 60 Jahre alter E-Herd:

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Zerstörung und Müll überall:

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Auch die Kloschüssel blieb nicht verschont:

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Lampenschirm aus den 1970ern oder 1980ern:

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Im ersten Stock ist ebenfalls alles kaputt:

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Ein Blick auf den Dachboden:

20120505_patsch_36.jpg

Die Stockwerke sind mit einem geräumigen Stiegenhaus mit schöner Steintreppe verbunden - hier hat leider meine Kamera die Bilddateien nicht richtig abgespeichert.

Bleibt mir nur zu sagen, dass, wenn schon das Aufnahmegebäude II nicht erhalten werden kann, wenigstens das Gebäude I eine neue Verwendung finden sollte.

Die Bausubstanz scheint bei beiden Gebäuden noch intakt zu sein, es ist im Inneren trocken und es waren keine Risse zu sehen.
Nach abschnittsweisem Neubau der Erschließungsstraße könnte eine Kleinbuslinie die Anbindung des Ortes an die S-Bahn herstellen und damit die Reisezeit für PendlerInnen zum Hauptbahnhof von 45 auf 15 Minuten verkürzen.

Abschließend noch ein Bild der Front von Gebäude I, das dessen ehemalige Schönheit erahnen lässt. Der zugemauerte Steinbogen war der Zugang zum Wartebereich.

20120505_patsch_40.jpg

Gruppe zur Erhaltung des Bahnhofs Patsch: http://www.facebook.com/#!/groups/Bahnhofpatsch/
 
Hallo Manni,

ein grandioser Bericht mit beeindruckenden Fotos! Absolut Top!

Ich brauche wohl nicht extra zu betonen, dass mich bei Deinen exzellenten Fotos der Neid frisst... - ich fahre relativ häufig am Bahnhof Patsch vorbei und dieser steht schon seit langer Zeit auf meinem nächsten fotografischen Besuchsprogramm.

Nicht ganz sicher bin ich bei Deiner Bezeichnung "S-Bahnhof"? Ich glaube, der Bahnhof Patsch ist genau bei der österreichweiten Umbenennung von "Regionalzug" in "S-Bahn" eben als Bahnhof eingestellt worden. Aber ganz hundertprozentig sicher bin ich mangels Fakten leider nicht.

Über den Bahnhof Patsch könnte man ohne weiteres ein ganzes Buch schreiben!

Es ist eine Schande unserer Kultur, dass unsere Gesellschaft sich nicht mehr Mühe macht, diese wunderbaren erhaltenen Hochbauten aus der Monarchie zu erhalten. Dass es sich die Gemeinde Patsch überhaupt noch erlaubt, über einen Abriss des Bahnhofs nachzudenken, ist sowieso ein unglaublicher Skandal. Es bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Bürgerinitiativen solchen Überlegungen einen entsprechenden Denkzettel geben...

Wie Du schreibst, ist der Bahnhof leider in seiner gesamten Anlage nicht mehr ganz vollständig. Vor allem fehlt am Hauptgebäude die hohe Aussichtskanzel, die noch Anfang der 1980er Jahre bestanden hat. Weiters fehlen heute die meisten Nebengebäude und schon seit längerer Zeit auch jegliche Spuren der Wasserabfüllanlagen der ehemaligen Dampfmaschinen.

Der Bahnhof war wie alle solchen Hochbauten der Brennerbahn bewohnt und ich fürchte, dass über die soziale Funktion der Regionalbahnhöfe und Bahnwärterhäuschen mangels Dokumentation und mangels Erhaltungswille bald kein Mensch mehr Bescheid wissen wird...

Man kann nur hoffen, dass wenigstens der Denkmalschutz hier nicht wieder weich und die Verantwortung seiner Funktion wahrhaben wird.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Hi Wolfgang,

es freut mich, dass dir der Bericht gefällt.

Ich brauche wohl nicht extra zu betonen, dass mich bei Deinen exzellenten Fotos der Neid frisst... - ich fahre relativ häufig am Bahnhof Patsch vorbei und dieser steht schon seit langer Zeit auf meinem nächsten fotografischen Besuchsprogramm.

Ebendas ist ja das Problem, das mit dem Vorbeifahren :) Da muss ich auch gleich meinen Bericht korrigieren: es ist die S4, die in Patsch hält, und zwar die ab Hauptbahnhof um 13:52 und dann nochmal die mit Abfahrt 17:52.
Via Matrei kann man auch mit der S3 ab Hbf 7:22 fahren. Rückfahrt mit S4 ab 18:02 via Matrei, dort umsteigen in die S3 in Gegenrichtung um 18:21. Reichlich kompliziert.

Nicht ganz sicher bin ich bei Deiner Bezeichnung "S-Bahnhof"? Ich glaube, der Bahnhof Patsch ist genau bei der österreichweiten Umbenennung von "Regionalzug" in "S-Bahn" eben als Bahnhof eingestellt worden. Aber ganz hundertprozentig sicher bin ich mangels Fakten leider nicht.

Die S-Bahn gibt es in Innsbruck und Graz als Zuggattung erst seit 2007, in Kärnten seit 2010, in Salzburg noch ein paar Jahre länger und in Wien sowieso schon ewig. Ich habe die Bezeichung gewählt, weil heute nur S-Bahnen dort halten.

Über den Bahnhof Patsch könnte man ohne weiteres ein ganzes Buch schreiben!

Hast du Material darüber?

Es ist eine Schande unserer Kultur, dass unsere Gesellschaft sich nicht mehr Mühe macht, diese wunderbaren erhaltenen Hochbauten aus der Monarchie zu erhalten. Dass es sich die Gemeinde Patsch überhaupt noch erlaubt, über einen Abriss des Bahnhofs nachzudenken, ist sowieso ein unglaublicher Skandal. Es bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Bürgerinitiativen solchen Überlegungen einen entsprechenden Denkzettel geben...

Das hoffe ich auch. Es muss endlich Schluss sein mit dieser völligen Missachtung unserer Industriekultur. Mir ist auch unverständlich, wie eine Gemeinde ihre kulturellen Wurzeln dermaßen vergessen kann. Ohne diesen Bahnhof würde es den Ort Patsch heute vielleicht gar nicht mehr geben, weil schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts alle EinwohnerInnen in die Stadt abgewandert wären.

Wie Du schreibst, ist der Bahnhof leider in seiner gesamten Anlage nicht mehr ganz vollständig. Vor allem fehlt am Hauptgebäude die hohe Aussichtskanzel, die noch Anfang der 1980er Jahre bestanden hat. Weiters fehlen heute die meisten Nebengebäude und schon seit längerer Zeit auch jegliche Spuren der Wasserabfüllanlagen der ehemaligen Dampfmaschinen.

Der Bahnhof war wie alle solchen Hochbauten der Brennerbahn bewohnt und ich fürchte, dass über die soziale Funktion der Regionalbahnhöfe und Bahnwärterhäuschen mangels Dokumentation und mangels Erhaltungswille bald kein Mensch mehr Bescheid wissen wird...

War die Aussichtskanzel nicht ein nachträglich errichteter Aufbau? Wurde mir zumindest so beschrieben. Deshalb konnte sie auch trotz Denkmalschutz entfernt werden.

Interessant zu wissen wäre, wie die bahntechnischen Anlagen des ersten Bahnhofs strukturiert waren. Man kann leider nicht mehr erkennen, wo einst der Bahnsteig war - er muss im Bogen gelegen haben, wenn es nicht überhaupt nur ein Erdbahnsteig war - und ob es Nebengleise gab. Man sieht nur noch den gesperrten alten Zugangsweg. Hast du darüber zufällig Unterlagen?
Ich finde dieses erste Bahnhofsgebäude aus 1867 beeindruckender als das aus 1910. Im Inneren erinnert es an die Gründerzeithäuser im Saggen, Stiegenhaus mit Steintreppen, schmiedeeiserne Geländer mit Holzhandläufen; unter den Teppichen und PVC-Böden finden sich garantiert schöne polierte Steinböden.
Die massive Steinbauweise mit dem zugemauerten einstigen Portal zur Wartehalle auf der Vorderseite macht Eindruck. So ein Gebäude erwartet man in einer dermaßen abgelegenen Gegend nicht. Die einstige Pracht eines Provinzbahnhofs lässt sich noch ein wenig erahnen, auch wenn dort heute nur noch das Bahnhofsgespenst wohnt...
 
Hallo Manni,

hier zwei historische Fotos vom Bahnhof Patsch mit der Aussichtskanzel und vor allem mit den Nebenanlagen:

Bahnhof_Patsch.jpg

Diese Aufnahme von Helmut Bogner vom 27. August 1980 zeigt einen Zug auf dem 3-gleisigen Bahnhof Patsch. Er schreibt zum Bild: "Beachtenswert ist das 1912 an das Aufnahmsgebäude angebaute Mittelstellwerk mit der hohen Kanzel, von der aus der ganze Bahnhof gut übersehbar ist."

Die zweifellos leider während der Fahrt aufgenommene Aufnahme von Helmut K. Mißbach aus seinem Buch "Eisenbahnen in Tirol" (Stuttgart 1979) S. 44 zeigt den Bahnhof Patsch von Norden, aber dennoch sehr schön die Aussichtskanzel:

Bahnhof_Patsch_2.jpg


Nun zu Deiner Diskussion:

es ist die S4, die in Patsch hält

Es stimmt, mein Zug hat unlängst mal zu meiner Überraschung bei einer Fahrt in den Süden auch in Patsch gehalten!
So gesehen ist die Bezeichnung "S-Bahnhof" ja tatsächlich richtig :)

Trotzdem finde ich es grundsätzlich recht lustig, wie mit neuen Bezeichnungen sozusagen neue Identitäten geschaffen werden und unzählige Berater daran gut verdienen. :)
Die paar Haltestellen an der Brennerbahn ohne seit 1867 jemals die Bahnstrecke auf österreichischer Seite zu verbessern, großspurig anstelle Regionalzug als "S-Bahn" zu bezeichnen hätten sich wohl selbst die Erbauer nicht träumen lassen...
Ich bin schon neugierig, was wohl die nächste Beraterfirma kassiert, die dann entweder "S-Bahn" oder "Brennerbahn" auf Englisch übersetzt?


Zitat:
Über den Bahnhof Patsch könnte man ohne weiteres ein ganzes Buch schreiben!
Hast du Material darüber?

Ich habe zum Bahnhof Patsch leider kein Material, aber der Ansatz hinter meiner Aussage ist ein ganz anderer:

Es gibt gute Bücher zur Brennerbahn, aber diese wurden in der Regel von Technikern oder Bahnexperten geschrieben. Als Beispiele der jüngsten Veröffentlichungen und im Buchhandel noch lieferbaren Bücher seien etwa genannt:

- Helmut Petrovitsch, Schienentransit Brenner, Betrieb und Technik Kufstein - Bozen, Alba-Verlag 2008, Düsseldorf

- Angela Jursitzka, Helmut Pawelka, Tirols Schienenweg in den Süden, Alba-Verlag 2007, Düsseldorf

So sehr ich diese beiden Bücher schätze, es sind doch recht techniklastige Bücher, die sich nur um die Technik der Brennerbahn handeln.

Der volkskundliche Ansatz wäre aus meiner Sicht in heutiger Zeit sowohl wissenschaftlich wesentlich wichtiger, auch populär mehr gefragt und würde zum einen mehr Menschen interessieren und vermutlich auch bedeutend mehr wirkliches Interesse für die Brennerbahn bringen.

Allerdings scheint mir leider im Fall der Brennerbahn heute eine historisch-volkskundliche Erforschung relativ schwierig zu sein, wenn sich keine Leser mit Erzählungen, Tagebüchern, alten Fotos oder Anekdoten melden...

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Hallo Manni,
hier zwei historische Fotos vom Bahnhof Patsch mit der Aussichtskanzel und vor allem mit den Nebenanlagen:

Danke, das sind interessante Bilder.
Es gibt ja heute noch ein "Bahnhofsgleis", ostseitig, auf dem der Löschwagen auf Einsätze wartet.

Es stimmt, mein Zug hat unlängst mal zu meiner Überraschung bei einer Fahrt in den Süden auch in Patsch gehalten!
So gesehen ist die Bezeichnung "S-Bahnhof" ja tatsächlich richtig :)

Trotzdem finde ich es grundsätzlich recht lustig, wie mit neuen Bezeichnungen sozusagen neue Identitäten geschaffen werden und unzählige Berater daran gut verdienen. :)
Die paar Haltestellen an der Brennerbahn ohne seit 1867 jemals die Bahnstrecke auf österreichischer Seite zu verbessern, großspurig anstelle Regionalzug als "S-Bahn" zu bezeichnen hätten sich wohl selbst die Erbauer nicht träumen lassen...
Ich bin schon neugierig, was wohl die nächste Beraterfirma kassiert, die dann entweder "S-Bahn" oder "Brennerbahn" auf Englisch übersetzt?

( OT: ) Sehe ich nicht ganz so, mit der S-Bahn wurden in und um Innsbruck Takte verdichtet bzw. überhaupt erst eingeführt. Die Regionalzüge zuvor verkehrten unregelmäßig und das Wagenmaterial war hoffnungslos veraltet, heute haben wir z.B. alle 15 Minuten eine S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Hall und es gibt nur noch moderne Triebwagengarnituren. Es fehlen natürlich noch die geplanten neuen Stationen in der Kernstadt.

Ich habe zum Bahnhof Patsch leider kein Material, aber der Ansatz hinter meiner Aussage ist ein ganz anderer:

Es gibt gute Bücher zur Brennerbahn, aber diese wurden in der Regel von Technikern oder Bahnexperten geschrieben. Als Beispiele der jüngsten Veröffentlichungen und im Buchhandel noch lieferbaren Bücher seien etwa genannt:

- Helmut Petrovitsch, Schienentransit Brenner, Betrieb und Technik Kufstein - Bozen, Alba-Verlag 2008, Düsseldorf

- Angela Jursitzka, Helmut Pawelka, Tirols Schienenweg in den Süden, Alba-Verlag 2007, Düsseldorf

So sehr ich diese beiden Bücher schätze, es sind doch recht techniklastige Bücher, die sich nur um die Technik der Brennerbahn handeln.

Der volkskundliche Ansatz wäre aus meiner Sicht in heutiger Zeit sowohl wissenschaftlich wesentlich wichtiger, auch populär mehr gefragt und würde zum einen mehr Menschen interessieren und vermutlich auch bedeutend mehr wirkliches Interesse für die Brennerbahn bringen.

Allerdings scheint mir leider im Fall der Brennerbahn heute eine historisch-volkskundliche Erforschung relativ schwierig zu sein, wenn sich keine Leser mit Erzählungen, Tagebüchern, alten Fotos oder Anekdoten melden...

Ja, sehe ich auch so. Die technischen Aspekte sind nur für eine Minderheit interessant. Gerade Eisenbahnen sind aber viel mehr, mit ihnen entwickeln sich Städte und Regionen und mit ihrer Stilllegung, was heute ja leider zumindest in Ostösterreich immer noch passiert, gehen sie unter oder werden bedeutungslos.

Ich glaube, Winfried Werner Linde, der auch gegen die Aufhebung des Denkmalschutzes auftritt (s. oben verlinkte Facebook-Seite) sieht das ähnlich.
 
Winfried W. Linde bringt in der Facebook-Seite Für die Erhaltung des Bahnhofs Patsch den entscheidenen Punkt:

"...was dazu gehörte: Die Waschküche, in der sich die Menschen auch badeten, die Anbauten als Holzschupfen, die Tenne und die Stallung für die Kühe des Nebenerwerbsbauern - all das ist bereits weg. Von den Gärtchen und Äckern (am Talfuß neben der Sill gab es einige) ganz zu schweigen.Das meinte ich mit Sozialgeschichte und Sozialgeschichten."​

Winfried W. Linde nennt es Sozialgeschichte und Sozialgeschichten, ich nenne es volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Ansatz, was aber in etwa das gleiche bedeutet.

Man müsste Erzählungen sammeln, Tagebücher, alte Fotos und jene Geschichten wieder erzählen, die der Bahnhof Patsch in den letzten 145 Jahren erlebt hat. Dazu bräuchte es natürlich Mithilfe von der Bevölkerung und sehr viel Forschung in Archiven wie etwa Studium von Polizeiakten, Bahnarchiven usw.

Und für mich erzählt schon jeder Winkel Deiner Fotos ausführliche Geschichten!
Als Beispiel nenne ich die drei wunderschönen in die Bahnhofsarchitektur eingebundenen und derzeit verwaisten Blumenkisteln...


Noch etwas anderes:

den Vorwand der Gemeinde Patsch zum Abriss des Bahnhofs, die Wasserleitung zum Bahnhof käme zu teuer, kann ich einfach in keiner Weise als glaubhaft betrachten!

Erstens muss - sollte das Argument überhaupt stimmen? - 1 Kilometer Wasserleitung für eine Gemeinde eine lächerliche Distanz sein! In Patsch gibt es mit Sicherheit entlegenere Höfe mit Wasseranschluss.

Dann zeigen ja Deine Fotos ausführlich Toilettenanlagen mit Wasserspülung. Weiters war ja eine der Hauptfunktionen des Bahnhofs die Befüllung von Dampflokomotiven mit Wasser. Also muss dort ausreichend Wasser vorhanden sein.
Der Band "Weichen und Wahrzeichen, Bahnlandschaft Bozen - Innsbruck. Technisches Kulturgut im Rampenlicht", Bozen 2007, bringt auf den Seiten 184 bis 187 ein Portrait des Bahnhofs Patsch und dokumentiert dort den Bahnhofshausbrunnen mit Foto und Planzeichnung sehr wohl als Normwasserleitung...

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Der Denkmalschutz für den Bahnhof Patsch wurde aufgehoben!

Patsch – Für die beiden Gebäude des Bahnhofs Patsch (Aufnahmehalle und Wohngebäude) ist endgültig die letzte Weiche gestellt – und die führt zum Abbruch. Bis spätestens 30. September, dem Ende der Brennerbahnsanierung, sollen die seit Langem ungenutzten und langsam verfallenden Häuser verschwunden sein.

Dieser Lösung war ein langes Ringen vorausgegangen. Denn das Bundesdenkmalamt (BDA) in Wien hatte zunächst gar kein Verständnis für die ÖBB-Pläne, die als typisch für die 1867 eröffnete Brennerbahnstrecke geltende Architektur dem Erdboden gleichzumachen, die TT berichtete. Man könne nicht einfach Objekte aus dem Schutz herausnehmen, entgegnete das BDA auf Angebote der Bahn, andere Bahnhöfe (z. B. Gries am Brenner) für Patsch einzutauschen. Die ÖBB hatten u. a. damit argumentiert, dass die abgelegenen Gebäude, die über keine zeitgemäße Zufahrt verfügen, nicht verwertbar und gleichzeitig immer wieder das Ziel von Vandalen seien.

Unterstützung erhielt die Bahn von der Gemeinde Patsch, die bis dato die Wasserversorgung für die unbewohnten Häuser aufrechterhalten musste. Ein Klotz am Bein, den Bürgermeister Andreas Danler angesichts der anstehenden Sanierung des betroffenen Hochbehälters loswerden wollte.

Diese Sorge ist Danler jetzt los. Nach mehreren und laut ÖBB-Sprecher Rene Zumtobel „konstruktiven“ Gesprächen und einigen Briefen nach Wien halten Bahn und Gemeinde einen Bescheid über die Aufhebung des Denkmalschutzes in Händen. In dem Papier kommt das BDA laut Zumtobel nach Prüfung aller Entscheidungsgrundlagen zum Schluss, dass die Erhaltung des Gebäudes „nicht realisierbar“ sei. Die Bundesbahn hatte auch ein Gutachten erstellen lassen, wonach die Gefahr für Leib und Leben durch herunterstürzende Dachteile bei Föhnstürmen nicht zu unterschätzen sei. Das BDA erkläre in dem Schreiben auch, dass die Architektur an der Brennerbahn durch die verbleibenden Objekte „ausreichend dokumentiert“ sei.

„Wir sind froh, dass wir eine gemeinsame Lösung im Sinne aller Beteiligten erreicht haben“, bilanziert Zumtobel. Der Abriss der Gebäude sei dadurch noch während der Brennerbahnsanierung möglich und werde über die Schiene abgewickelt. Wann genau der Bagger anrückt, hänge vom Bauzeitplan ab.

Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom Sa, 30.06.2012

Wolfgang (SAGEN.at) - erschüttert und sprachlos...
 
Man muss sich diese Worte erst einmal auf der Zunge zergehen lassen:

- dass die Erhaltung des Gebäudes „nicht realisierbar“ sei.
Warum soll das Gebäude denn nicht erhaltbar sein? Da ist überhaupt nichts gesagt?
Die Gebäude bestehen seit 1867 und plötzlich seien sie nicht erhaltbar?

- ein Gutachten erstellen lassen, wonach die Gefahr für Leib und Leben durch herunterstürzende Dachteile bei Föhnstürmen nicht zu unterschätzen sei.
Diesen Gutachter würde ich gerne kennen lernen...!
Das Dach des Bahnhofs Patsch ist aus den 1980er Jahren und sicher nicht gefährlicher als jedes weitere Dach jedes beliebigen Gebäudes im ganzen Wipptal. Dem zufolge müsste man wohl alle Gebäude im Wipptal abreißen, da die möglicherweise herabstürzenden Dachteile eine "Gefahr für Leib und Leben" sind.
Man hat also irgendeinen Gutachter gesucht, der für ein schönes Gutachterhonorar irgendetwas schreibt. Völlig egal ob der Zettel einen Sinn ergibt, es brauchte offenkundig nur 2 Seiten Text.

- Das BDA erkläre in dem Schreiben auch, dass die Architektur an der Brennerbahn durch die verbleibenden Objekte „ausreichend dokumentiert“ sei.
Bei solcher Argumentation vom Bundesdenkmalamt zweifle ich an der kulturellen Kompetenz dieser Einrichtung.

- „Wir sind froh, dass wir eine gemeinsame Lösung im Sinne aller Beteiligten erreicht haben“
Wer sind denn bitte hier "alle Beteiligte"?
Die Bevölkerung - die ich hier als Hauptbeteiligte sehe - will sicher keinen Abriss der Gebäude!

Meine konstruktiven Vorschläge zur Erhaltung wären:

- die Gebäude vermieten. Es gäbe genug interessierte Mieter, die die Gebäude sofort mieten würden!

oder:
- eine Langzeitkonservierung der Gebäude, bis man eine andere Lösung findet oder wieder Interesse an kulturgeschichtlicher Architektur erkennt.
Solche Langzeitkonservierungen sind selbst an der Brennerbahn schon ein paar Kilometer weiter südlich des Brenners durchaus üblich. Dabei werden die Fenster und Türen vermauert und die Gebäude absolut unzugänglich gemacht. Damit können Gebäude ohne weiteres weitere 50 Jahre erhalten bleiben, eine Zeitspanne, in der Zeit für neue Lösungen ist.

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Wie ich von Manni eben erfahren habe, wurden in den letzten Tagen die vormals denkmalgeschützten Gebäude abgerissen.

Durch dieses verantwortungslose Vorgehen ist Tirol wieder um ein bedeutendes Denkmal zur Technikgeschichte ärmer. :(

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Ich finde es auch sehr Traurig das mann so ein Schönes Historisches Bahnhofsgebäude einfach abgerissen hat, so einen Bau wie diesen bekommt mann heute mit der Bauart nicht mehr Zustande.
Dabei sah es noch richtig gut aus im Vergleich in Südtirol gibt es viele Bahnhofsgebäude die viel Schlimmer aussehen und einfach den Zerfall der Zeit überlassen werden.
Jetzt ist es mehr nur mehr eine Bahnhaltestelle als Bahnhof hat der Patscher Bahnhof an Bedeutung Verloren. Leider
Traurig aber War
 
Ich fände ein paar Fotos auch richtig klasse. Ich bin zwar noch neu hier, wie ihr vielleicht anhand meiner Beiträge erkennen könnt. Dennoch bin ich ein großer Fan von Bahnhöfen meiner Heimat.

Gib doch ein kurzes Feedback.

Gruß
 
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