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Seelenfenster - Seelebalgge

SAGEN.at

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Über die Diskussion beim Ratespiel angeregt, habe ich nun Literatur zum "Seelenfenster" gesucht. In "Schweizer Volkskunde", Heft 6, 1947 findet sich folgender Artikel:

Der Seelebalgge.
Von A. Büchli, Chur.

Die Mitteilung J. R. Stoffel's in seinem Buche „Das Hochtal Avers" über die „Seelenfenster" hat im Kanton Graubünden großes Interesse geweckt, aber auch Widerspruch hervorgerufen. Die Tatsache, dass der Ausdruck „Seelebalgge" sonst nirgends bekannt war, ließ Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Averser Überlieferung aufkommen. Wohl entdeckte man solche kleinen Nebenfenster mit glaslosen Schiebern in der Strickwand einzelner Häuser im Davoser Unterschnitt. Allein diese ließen sich als Öffnungen zum Passen auf Füchse oder auch als Türchen für die Hennen, die winters unter dem Ofen gehalten wurden, deuten.

In jüngster Zeit sind jedoch drei Zeugen, die von Stoffels Buch nicht wussten, für den Ausdruck „Seelenfenster" und den damit verknüpften Glauben in Davos und im Prätigau aufgetreten.

1. Eine ältere Frau, die in Monstein aufgewachsen ist, erzählte, sie habe, etwa 1903, ihre Tante auf dem Wissigen Boden nach dem kleinen Fenster neben dem großen der „Nebetstube" gefragt, weil ihr dieses aufgefallen war. Die Tante gab ihr zur Antwort: „Das ischt iez äbe derne Seelebalgge. Wenn d Lüt am Stärbe sien, mües me dä Balgge-n-offe mache, dass d See! ûs chönn, wil sch zum Pfänschter nid ûs chönni." Die Öffnung ist jetzt inwendig durch das Getäfel verdeckt, aber an der Aussenwand noch gut zu bemerken. Der Ofen reicht nicht in die Nebenstube. Als Hennentürchen konnte dieses kleine Fenster nicht dienen.

2. Ein 88 jähriger Schanfigger, der von seiner Mutter her ein Gut in Valzeina besaß und bewirtschaftete, erklärt: „Das weiss i noch guet, das han i vil ghöört säge, in de 70 er Jahr noch, dr Seelebalgge. Das ischt en Extrabalgge, nid es gwendlis Pfänschter — eifach es Loch. Mid eme Zapfe isch es vermachet chon oder mid eme Stosrigel. Und de heindsch gseid: Wenn eis im Stärbe-n-isch gsin, heindsch dä Seelebalgge offe getan. Speter, dass me-n-an nüt meh glaubt hed, hed me-n-em Schutzloch gseid zum de Fügsch passe. Seelebalgge, das git's in de Bärge, in dene Wildene." Damit will der Gewährsmann offenbar betonen, dass es sich um eine Vorstellung und Einrichtung der Walser handelt. Ein solches Schiebfenster lässt sich ja auch nur am Blockbau leicht anbringen.

3. Vorstellung und Handhabung des Seelenbalggens in Avers um 1907.
Ein einstiger Averser Schafhirt hörte es so: „Wenn eis am Sterbe sei, de tüends das Chrank in die Zuekammere, und denn machens de Balgge (Seelebalgge) nume halbe ûf. Und wenn „er" gstorben ischt, hend si ganz ûfgmacht, dass „er" goh chönn. Jez denn gangi di Seel fort (haben sie gemeint). Und wenn si denn fort sind mit em (mit der Leiche), hend si en Tag lang ganz zuegmacht, dass „er" nid grad zum Loch i komm. Und noher hend si es tunkels Vorhengli dervor ghenkt (vor den offenen Seelenbalggen, um ein Zurückkehren der Seele zu verhindern). Aber niemert ischt denn ihi in das Gmechli, und si hend au ke War ingstellt; und nochher, wenn di Zit verbi gsi ischt (den Zeitraum kann der Gewährsmann nicht mehr genau angeben), hend si das Vorhengli ewegg und de Balgge zuegmacht, und denn sind si sicher gsi". (vgl. J. R. Stoffel, Das Hochtal Avers, S. 91 ff., bes. S. 92.)

Der gleiche Gewährsmann erzählte auch von folgendem Glauben in Avers:

„Wenn e schlechte Mann, wo Schelmerei getribe hed, gstorben ischt (sodass man fürchten musste, er gehe nachher um), denn sind si dri Wuche lang am Obed niene higgange, dass „em" niemert begägni — sind nid ûs, bis' helle Tag gsin ischt.

Und sobald ass' mit em (mit der Leiche) ewegg gsi sind, hend si es Brittli mit eme (eingeschnitzten) Krüzli drüf vor d' Türschwelle 'gleit und hend das Brittli dri Wuche gglo und denn verbrennt. Und derno hends chönne goh, wos hend welle."

Zum „Seelenbalggen" erhielten wir noch folgende Mitteilung von Tumasch Dolf in Tamins:

In meinem Elternhaus in Mathon, einem altromanischen Dorf am Schamserberg, befindet sich im Schlafzimmer über der Wohnstube in der Wand auf der Nordseite eine kleine fensterartige Öffnung von ca. 20 X 30 cm. Sie ist durch ein Schiebebrett verschlossen. 1927 wurde das Zimmer getäfelt und das Fensterchen so zugedeckt. In der daneben liegenden Fleischkammer ist es noch zu sehen. Der Teil des Hauses, zu dem die Fleischkammer gehört, wurde sehr wahrscheinlich bei der Renovation des Hauses in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts an das alte Haus angebaut. Das Haus selber wurde 1643 erbaut. — Es könnte sich bei dem Fensterchen um einen Seelenbalken handeln.

Die Totenrückkehr.

Seit Stoffel in seinem Buch über Avers den „Seelenbalggen" (Balkche, Balche = Fenster, Fensterladen, s. Schweiz. Id. 4, 1188 ff.) entdeckt hat, ist überall Jagd gemacht worden auf die kleinen Fensterlein mit Schiebern, die, wie der Name sagt, der Seele eines Verstorbenen durch eine besondere Öffnung ermöglichen, das Haus zu verlassen. Wenn dann der Balken verschlossen ist, so kann sie das Haus nicht mehr betreten. Diesen Balken suchte man im Wallis, auch in Bosco, weil man ihn als Walser Eigentümlichkeit ansah.

Man hätte nicht so lange suchen müssen. Ähnlich sind die auch in Graubünden bekannten Bräuche, Fenster oder Türen zu öffnen, wenn jemand stirbt, und nachher zu verschließen, damit die Seele nicht zurückkommt. Es gehört zu den weit verbreiteten Bräuchen, den Toten mit aller Ehrfurcht zu behandeln, ihm den Abschied zu erleichtern, nachher aber alle Mittel anzuwenden, um seine Rückkehr zu verhindern.

Ganz besonders klar wird einem der Sinn dieser Bräuche in der Form, wie sie uns in Jütland, in Italien und anderswo begegnet. Hier ist am Haus auch ein besonderes „Leichentor" angebracht, eine Pforte, die zugemauert ist, bis ein Todesfall eintritt. Nun wird sie aufgebrochen, man trägt die Leiche durch die Öffnung hinaus, und dann wird die Pforte wieder zugemauert, gewiss ein sicheres Mittel gegen die Rückkehr des unheimlichen Toten (Hdwb. D. Abergl. V 1048. 1134 ff; VIII 444.)

In der Schweiz ist der Seelenbalken das einzige Beispiel einer solchen Öffnung, die nur dem Toten dient. P. G."

Quelle: A. Büchli, Der Seelenbalgge, in: Schweizer Volkskunde, 37. Jahrgang, Heft 6, Basel 1947, S. 110 - 113.
Fotos: E. Büchli.


Wolfgang (SAGEN.at)
 

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