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Romeo und Julia auf dem Dorfe

Babel

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Eine Freundin bat mich heute, ihr einen Brief in Sütterlinschrift in "Klartext" zu übersetzen. Geschrieben hat ihn eine reiche Bäuerin an eine arme, nachdem sie Briefe von deren Tochter an ihren eigenen Sohn und künftigen Hoferben gefunden hatte. Dies ist der Wortlaut des Briefes:

19. Juli 1936

Sehr geehrte Frau!

Ich muß mit einer Angelegenheit an Sie herantretten was Ihnen wohl vieleicht nicht ganz behaglich sein wird. Wir haben nämlich herausgekriegt, daß öfters Briefe vermutlich von Ihrer Tochter zu uns kommen, adressiert an unsern Sohn in denen wie ersichtlich ein Liebes- bzw. Heiratsverhältnis ersichtlich ist.

Wir möchten Ihnen darüber unsere Äußerung geben, daß wir als Eltern kein Einverständnis dazu geben. Warum? Weil bei uns noch keine Übergabe bevorsteht, zudem müssen Sie doch selber soviel verständig sein, vorausgesetzt wenn Sie davon wissen, daß dieses Hin und Her denn keinen Sinn hat, da man ja wenn es je einmal zur Übergab kommt in einen Erbhof auch entsprechend will, das verstehen nämlich die jungen Leute nicht, oder wollen wenigstens dies nicht verstehen, denn sie meinen wirklich nur sie seien da. Da könnte es wenn es ja einmal soweit kommt gehen wie bei manchen Leute, daß die Sache nicht zusammen stimmt u das sind die Vermögensverhältnisse. Wir ersuchen, daß Sie ablassen sollen von der Sache, damit Ihre Tochter ja für eine andere Partie nicht unhaltbar ist. Desweiteren müßten wir Ihnen andeuten, daß mit angeführtem Verhältnis dies in unserer Familie blos zu Unannähmlichkeiten führt u. das werden Sie wohl doch nicht haben wollen.

Familie Hieber

Der junge Mann, der seine Auserwählte nicht heiraten durfte, beging Suizid; der Hof fiel an sehr entfernte Verwandte. Das Mädchen hat später geheiratet.
 
Ein tragisches und sicher früher kein Einzelschicksal.

Und so wie die reichen mit den armen Bauern verfahren sind, machten es die gar nicht reichen Bauern mit den "Marktmentschern", also den Frauen aus der Marktgemeinde, die ja auch nicht ebenbürtig waren. Erlebt hab ich das bei meinem Stiefvater, der 8 Jahre lang mit seinen Eltern verfeindet war, weil meine Mutter nach dem Tod meines Vaters "nix hatte außer einem Kind".
 
Wenn es um einen Hof ging, wurden die Kinder bzw. Hofeserben reicher Bauern möglichst
untereinander verheiratet. Der Hof sollte im Ganzen bleiben und möglichst
durch Heirat vergrößert werden. Den Eltern ging es auch um die eigene
Altersversorgung, sog. Altenteil. Wer den Hof bekam mußte sich auch
um die Eltern kümmern. Die alten Bauern durften sich
nicht mehr einmischen, wenn der Sohn den Hof übernahm, hatte die
Schwiegertochter im Haushalt das Sagen. Ein armes Mädchen war nicht erwünscht,
man bevorzugte eine Bauerntochter mit einer Mitgift.
Von Liebe wurde nicht viel geredet! Oft mußten auch jüngere Brüder
als Knecht auf dem Hof des Erben arbeiten, wenn sie keine passende" Partie"
fanden. Viele gingen zur See oder wanderten damals nach Amerika aus, um
sich eine Zukunft zu schaffen. Es gab auch regional das Erbrecht für den
Jüngsten, so war die Garantie, dass die Familie möglichst lange bestand.
Kam also noch ein"Nesthäkchen" an, Pech für die schon fast erwachsenen
Brüder. -Ulrike
 
Ein tragisches und sicher früher kein Einzelschicksal.

Und so wie die reichen mit den armen Bauern verfahren sind, machten es die gar nicht reichen Bauern mit den "Marktmentschern", also den Frauen aus der Marktgemeinde, die ja auch nicht ebenbürtig waren. Erlebt hab ich das bei meinem Stiefvater, der 8 Jahre lang mit seinen Eltern verfeindet war, weil meine Mutter nach dem Tod meines Vaters "nix hatte außer einem Kind".

So schlimme Sachen gab oder gibt es nicht nur bei Bauern. Meine Schwiegermutter hat mich abgelehnt, weil meine Eltern keine Akademiker waren und sie sie nicht mit einem Titel ansprechen konnte. ... also hat sie überhaupt nicht mit ihnen gesprochen.
 
Nicht nur Arm u. Reich - auch die "falsche" Religion war oft ein
Hinderungsgrund. Da kenne ich einige Geschichten, wo ev. u. kath. nicht
heiraten durften. -Ulrike
P.S. Und dies vor gar nicht langer Zeit!
 
Meine Schwiegermutter hat mich abgelehnt, weil meine Eltern keine Akademiker waren und sie sie nicht mit einem Titel ansprechen konnte. ... also hat sie überhaupt nicht mit ihnen gesprochen.
Ja, das waren unsere Standesschranken. Als ich mich geweigert habe, weiterzustudieren, war das für meine Eltern eine Katastrophe. Nicht, daß sie der Meinung gewesen wären, ich sollte oder müßte je einen Beruf ausüben – aber mit abgeschlossenem Volksschullehrerstudium war ich eine passende Partnerin für einen Ehemann mit Diplom bzw. Doktortitel. Nun war ich bereits verlobt mit einem, der zweifellos promovieren und vielleicht Professor werden würde. Der könnte nun vielleicht abspringen, wenn ich nicht mehr vorzeigbar wäre ... (Um die Titel ging es bei uns nicht, das war eine österreichische Variante, bei uns ging es nur um den Bildungsgrad.)

Wir hatten aber auch selbst die "Schere im Kopf". Der einzige meiner Freunde, mit dem – aus meiner heutigen Sicht – eine Ehe hätte funktionieren können, hatte nur Volksschule und einen Handwerksberuf. Ich habe eine solche Mesalliance keinen Augenblick in Erwägung gezogen, weil ich der Meinung war, niemand in meinem ganzen Umkreis würde sie tolerieren. Von dem Augenblick an, da er eine Heirat ansprach, wurde das (ohnehin geheim gehaltene) Verhältnis für mich bei aller Liebe unakzeptabel.

Das scheint heute alles sehr seltsam, und schon der Generation meiner Tochter wäre es kaum noch verständlich zu machen.
 
... auch die "falsche" Religion war oft ein Hinderungsgrund.
Wir waren evangelisch, aber niemand in meiner Familie machte den Eindruck, als glaube er an irgendwas. Trotzdem wurde uns Mädchen von klein auf eingehämmert, daß ein Katholik nie!!! in Frage käme. :D

Ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert für ein Paar, das sich durch solche Auffassungen nicht vom Heiraten abhalten ließ, habe ich in dem Text über meinen Lieblingsfriedhof erwähnt – mit Link zu einem Bild; hier die ganze Geschichte.
 
Eine wunderschöne Geschichte, die zeigt, dass alle diesbezüglichen Einschränkungen, egal aus welcher Ecke sie kommen und welcher Ideologien sie sich bedienen, einfach nur beschränkt sind!
 
Eine wunderschöne Geschichte, die zeigt, dass alle diesbezüglichen Einschränkungen, egal aus welcher Ecke sie kommen und welcher Ideologien sie sich bedienen, einfach nur beschränkt sind!
Das Problem ist, daß man die Beschränktheit erstmal erkennen muß. Wer in einer ideologisch homogenen Umgebung aufwächst, hat den Eindruck von etwas Normalem, das gar nicht anders sein kann.
 
Das stimmt schon und ich habe auch nur die Einmischung von Außen gemeint!
Denn man hat seine persönliche Meinung, sein Weltbild, seine Interessen, was auch immer und woher das kommt, ist erst mal weniger wichtig. Zu hinterfragen beginnt man meist später, hoffentlich.
Und das muss auch erst mal mit denen des anderen zusammenpassen. Doch wenn sich zwei Menschen einig sind - lieben möchte man sagen, ist aber nicht mehr so modern ;) - dann sollten sie miteinander leben können.

Und später feststellen: Mama hatte Recht gehabt :D.

Es gibt da ein so herrliches Stück von Kishon: "Es war die Lerche", da beschreibt er das weitere Leben von Romeo und Julia, die die Gruft-Szene überlebt haben. Zum Schreien, aber auch zur Erkenntnis, dass die ewigen großen Lieben die sind, die nix geworden sind - also tragisch und fatal geendet habe.
Zum Glück gibt es ja auch positive Beispiele :). Viele, die man nicht kennt und solche, die in den Medien waren, zuletzt Hans und Lotte Hass und irgendwann sah ich ein Portrait von Heinz von Foerster mit seiner Frau, sehr berührend. Oder eben deine über die Mauer Verbundenen. Naja, fast könnte man neidisch werden ;).

Oder auch so :)
 
Das Ehepaar,dessen Gräber sich links und rechts der Mauer befinden, zeigt
krass die Trennung unserer beiden christlichen Kirchen. Ökumene sollte
"Mauern niederreißen" - die Mauer, die unser Land teilte, steht zum Glück nicht mehr. Auch sie verhinderte z.B. die Teilnahme an Beerdigungen, Besuch von
Friedhöfen u.a. - Ulrike
 
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