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Jenseits von Brasilien
18. Juli 2012 bis 7. Januar 2013

Museum für Völkerkunde
Neue Burg, Heldenplatz, 1010 Wien

Öffnungszeiten:
Täglich außer Dienstag 10 - 18 Uhr
Einlass ist jeweils bis eine halbe Stunde vor Schließzeit!
https://www.weltmuseumwien.at/

Katalog zur Ausstellung:
Claudia Augustat (Hrsg.): Jenseits von Brasilien. Johann Natterer und die ethnographischen Sammlungen der österreichischen Brasilienexpedition 1817 bis 1835. Museum für Völkerkunde Wien, 199 Seiten.

Buchhinweis:
Kurt Schmutzer: „Der Liebe zur Naturgeschichte halber“. Johann Natterers Reisen in Brasilien 1817 - 1835. Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Medizin, 360 Seiten 59,50 Euro.


Im Seitentrakt der Hofburg werden im Rahmen der Ausstellung „Jenseits von Brasilien“ Exponate gezeigt, die spektakulär sind - wenn man sich denn für klassische Ethnographie begeistern kann. Zum Beispiel ein Schädel, dessen Augenhöhlen und Mund mit Wachs geschlossen sind, damit die Energie nicht austreten kann. Munduruku-Indianer hatten früher Feinde gejagt und ihre Köpfe dann der „Wildschweinmutter“ geopfert, die eine gute Jagd garantieren sollte.

Oder die unterschiedlichen Varianten von Federschmuck. Die bunte Farbe wurde oft nicht nachträglich angebracht. Sondern Vögeln wurden Federn ausgerissen und in die Poren danach Froschsekret getröpfelt. Dann wuchsen dort bunte Federn nach.

In einem ersten Reflex könnte man sagen: Aus exotistischem Interesse wird wieder einmal zusammengestohlenes Zeug aus dem Süden ausgestellt. Ganz so leicht kann man es sich jedoch nicht machen, zumindest nicht in diesem Fall. Die Sammler zogen hier nicht den Conquistadores nach und nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Manche der Waren wurden gegen Messer, Spiegel und ähnliche Gegenstände getauscht. Vieles wurde von Dritten erworben - jeweils anderen Stämmen oder von Sammlern.

Der Zoologe Emmanuel Pohl hat akribisch festgehalten, wie er an jeden einzelnen Gegenstand gelangt ist - eine echte Ausnahme und Besonderheit. Sein Kollege Johann Natterer, hat das verabsäumt. Er dürfte ein wahrlich zwanghafter Sammler gewesen sein. Alleine im Völkerkundemuseum befinden sich von ihm rund 2.400 Objekte, weit mehr noch im Naturhistorischen Museum: 12.000 Vögel, 8.000 Säugetiere und 32.000 Insekten.

Pohl war für damalige Verhältnisse außerordentlich freigeistig - er legte den Indianern nichts weniger als den bewaffneten Widerstand nahe, weil er eingesehen hatte, dass jede andere Strategie im Umgang mit den Kolonialherren sinnlos war - die würden sich niemals an ihre Versprechungen halten. Ganz anders, weit weniger wertschätzend, trat Natterer auf. Er kaufte sich sogar zwei Sklaven, einer davon ein zwölfjähriger Bursche. Die Sklaverei hielt er für eine gute Sache.

In der Ausstellung nehmen Natterers Sammlerstücke viel Raum ein. Aber auch das historische Umfeld wird gezeigt. Die Expedition fand anlässlich der Vermählung von Erzherzogin Leopoldine mit dem portugiesischen Thronfolger Dom Pedro im Jahre 1817 statt. Der österreichische Hof entsandte die naturkundliche Expedition nach Brasilien - sie sollte Land, Leute, Zoologie und Botanik für das Hause Habsburg erschließen.

Leopoldine wird noch heute von den Brasilianern dafür verehrt, dass sie 1822 unter die Unabhängigkeitserklärung des Landes ihre unscheinbare Unterschrift setzte. Die Habsburger waren es auch, die die Expedition finanzierten. Die Erforschung ferner Länder gehörte zu den unerlässlichen Statussymbolen damaliger Herrscherhäuser.

Und besonders wichtig ist es Kuratorin Claudia Augustat, dass die Ausstellung einen Bogen zur Gegenwart schlägt. Immerhin existieren viele der Völker, von denen die Artefakte stammen, auch heute noch. Deshalb wurden zwei Forscher ausgesandt, um von Indianern aktuelle Kunstgegenstände zu kaufen. Eine interessante Mischung an Kleidung und Alltagsgegenständen ist zusammengekommen: vom T-Shirt mit indigenem Aufdruck bis hin zu Gegenständen, deren Form und Farbe sich in den letzten 200 Jahren kaum geändert zu haben scheint.

„Not about them without them“ (Nicht über sie ohne sie) - ist ein Leitspruch des neuen Direktors des Völkerkundemuseums, des Holländers Steven Engelsman. Deshalb wurden im Vorfeld der Ausstellung die beiden Satere-Mawe-Indianer Obadias Batista Garcia und Ranulfo de Oliveira nach Wien eingeladen. Sie standen der „Trophäensammlung“ zunächst skeptisch gegenüber. Doch dann hätten sie durch Gespräche ihre Meinung geändert, heißt es in einem Text, den sie dem Museum hinterlassen haben.

Kultur vermittle sich über Wissen, nicht über Objekte. Deshalb gehe Kultur auch nicht verloren, wenn Kunstgegenstände durch Tausch oder Verkauf ins Ausland verkauft werden. Und auch ihre Völker selbst könnten durch solche Sammlungen viel über die Vergangenheit lernen. Die beiden beriefen zu diesem Thema sogar einen Ältestenrat ein, nachdem sie nach Brasilien zurückgekehrt waren.

Und noch ein Aspekt gefällt ihnen. Die Objekte seien hier in Österreich Lobbyisten für die Anliegen der Indianer. Denn die indigenen Völker Brasiliens (die übrigens die Bezeichnung Indianer - „Indios“ - für sich nicht ablehnen), stehen heute mehr denn je unter Druck. Landlose und skrupellose Geschäftemacher halten sich nicht an die Grenzen der Reservate - und ein neues Gesetz hat die Rodung von Urwald erleichtert.

Quelle: Simon Hadler, ORF.at, 18. Juli 2012


Wolfgang (SAGEN.at)
 
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