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Lisa schreibt ans Christkind

Elfie

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Liebes Christkind!

Sicher ist dir schon aufgefallen, dass seit deiner Geburt und meiner Kindheit sich Manches verändert hat.

Früher, da bist du in der Zeit vor deinem Geburtstag fleißig herumgeflogen und hast den braven Kindern Schokoengerln ins Fenster gelegt. Das hat so manchen Streit verursacht, denn ich sah dich vorbeifliegen und wollte sofort nachschauen, auch wenn die Mutter grad mittendrin war im Zöpfe flechten.
„Bleib sitzen, da war nichts“ sagte sie und ich hab nicht verstanden, warum sie immer Recht behielt.
Auch bei den Großeltern hab ich dich genau gesehen, wenn du durchs dunkle Vorhaus gehuscht bist und das Glöckchen geläutet hast. Da war ja das Glas in der Küchentür, ich ließ es während des Betens nie aus den Augen und beim ersten Klingeling sprang ich vom Schoß der Mutter, ich wusste: jetzt steht in der Stube – so hieß das damals wirklich – der Lichterbaum.

Später, als die Schachtel mit den Schokoengeln entdeckt und Großvater als Glöckner enttarnt war, blieben die Visionen aus.

Inzwischen bleibst du selber aus!
Warum schickst du immer öfter eine Vertretung?
Was haben wir mit Santa Claus zu tun? Wir haben doch unseren Nikolaus, den braven Bischof von Myra – und seinen Knecht Ruprecht, der mittlerweile zum Krampus geworden ist, weil es ohne Teufel scheinbar nicht geht.

Aber zu Weihnachten, da wollen wir dich.
Und wir wollen auch gar nicht herum studieren, wer dieses Christkind denn wirklich ist. Das Kind im Stall kann ja kaum Geschenke schleppen.
Vielleicht ein Engel?
Also hast du immer schon eine Vertretung geschickt?
Diese Nacht ist ein Geheimnis und nach einem solchen fragt man nicht.
Da glauben wir nicht, was geschieht, da passiert das, was wir glauben.
Zumindest war das früher so.

Wie geht es dir heute, wenn die Menschen im Kampf um deine Gaben durch die Einkaufsstraßen hasten mit Gesichtern als zögen sie in den Krieg?
Woher kommt dieses X-Mas und was soll das Ho-Ho-Ho?
Tauben vertreiben in der Stadt und auf dem Land die Hühner?

Schickst du deshalb diesen Claus, weil der hinter seinen Bart gute Miene zum bösen Spiel machen kann, während du dir ja nicht dein Goldhaar raufen kannst?
Vermutlich willst du auch nicht in die grellen, mit Hektik überfüllten Stuben, wo sich entnervte Erwachsene erschreckende Blicke zuwerfen, Kinder langsam zwischen Papier und Plastik verschwinden und der Hund sich in eine Ecke verdrückt, in die er das Jahr über nie freiwillig gehen würde.

Vielleicht gehst du stattdessen lieber in dunkle Gassen, wo immer noch das Mädchen mit den Schwefelhölzern friert.
Du nimmst ihm das Feuerzeug aus der Hand, es lässt den Löffel mit dem weißen Pulver fallen und geht mit dir ins Licht.

Stille Nacht.

In einem Brief ans Christkind darf man sich was wünschen und das tu ich auch:
Bitte, schick uns einen Stromausfall!
Bring uns wieder echte Kerzen, Schokoengerln, Tannenduft und für diese eine Nacht Augen, die dich sehen können.

Dann ist wieder Weihnachten.

Deine Lisa
 
Ein sehr guter und beispielhafter Brief.
Ein wahrer Brief, bei den man sich selber bei der Nase nehmen muß.:headscrat
 
Der Brief ist so schön, dass er an alle Zeitungen verschickt werden sollte ! Aber der Wunsch, dass er veröffentlicht werden könnte, wird so wenig erfüllt werden wie der Wunsch nach einem Stromausfall !
 
das glaub ich gar nicht. ich würds an deiner stelle einfach TUN elfie. an alle regionalen redaktionen schicken. und dich freuen, wenn er veröffentlicht wird, weil das vielleicht einige doch zum nachdenken bringt und etwas bewirkt. dann h#ättest du indirekt einigen kindern eine große chance gegeben, auch mal ein besinnliches, ruhiges weihnachten zu erleben. :)
 
Danke euch - naja, es gibt so viele kompetente Menschen, die sich den Mund fusselig predigen, wie man einander das Leben schöner machen könnte, nützt auch nicht viel. Ich mach mir halt meine (kritischen) Gedanken, schreib sie auf und freu mich SEHR, wenn sie dem ausgewählten Publikum gefallen ;).
Meine "Arbeitsbiographie" findet sich demnächst zwischen 2 Buchdeckeln im Sammelband: "Arbeit ist das halbe Leben", hrsgg. vom Institut f. Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Wien im Böhlau-Verlag. Das streichelt die Eitelkeit und das war eine Eigenwerbung :).
 
gratuliere! yeah, voi cool und i woass, dass deine arbeitsgeschichten super gschrieben san!
bin gespannt!

alles liebe, sonja
 
Dein Brief ans Christkind spricht mich in tiefster Seele an, Elfie!
Wunderbar gezeichnet unsere teilweise schon grausliche Zeit.

Du solltest diesen Text wirklich an Redaktionen senden, dann können sich mehr Leut dran freuen. :)

LG
althea
 
Ist schon eine Zeit her, dass jemand hier hinein geschrieben hat. Ich hoff' ich darf trotzdem sagen, wie schön ich diese Gedanken zur "staaden Zeit" finde.

Ja, man kann nur hoffen, dass diese Einstellung sich wieder ausbreitet!
Das Nachdenkliche, das Demütige und Zufriedene. Der Blick für das Wesentliche halt.

Schön, wenn dieser Text seinen Weg in die breite Öffentlichkeit findet. Wenn nicht, können immer noch die, die ihn gelesen haben, seinen Inhalt weitergeben - wie ein Weihnachtslicht.

In diesem Sinne: Ich wünsch' Euch eine schöne staade Zeit! :)
 
Danke dir - ja, es muss vielleicht jeder für sich herausfinden, dass nur er es in der Hand hat, die Zeit zu finden in sich selber staad zu werden.

Ein bisschen trainieren s´Jahr über, dann klappts schon ;).
 
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