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Gasthöfe "Zum Wilden Mann"

Babel

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In der Fotogalerie hat klarad gefragt: Weshalb nennt man eine Gaststätte "Zum Wilden Mann"?

Auf der sehr ausführlichen Wikipedia-Seite zum Thema "Wilder Mann" heißt es: "In der Gastronomie diente der Wilde Mann früher als häufiger Namensgeber für Gaststätten und Hotels, die entweder am Rande von Gebirgen und unzugänglichen Waldgebieten oder einfacher vor den Toren einer Stadt außerhalb der Mauern lagen." Ich erlaube mir, das zu bezweifeln. Die Gasthäuser dieses Namens, die ich in der Bildergalerie vorgestellt habe, liegen nicht nur innnerhalb der mittelalterlichen Stadtbefestigung, sondern meist ausgesprochen zentral (am Marktplatz, in unmittelbarer Nähe des Rathauses etc.); das trifft auch auf den bei Wikipedia erwähnten "Wilden Mann" in Hannoversch Münden zu.

Ich sehe auch keine rechte Logik in dieser Behauptung. Nach allem, was ich jetzt über die Benennung von Häusern, auch Wirtshäusern gelesen habe, gibt es keinen ernstzunehmenden Hinweis darauf, daß die Besitzer des jeweiligen Hauses nicht in der Wahl des Namens frei waren. Je wilder die Gegend war, in der ein Gasthaus lag, desto mehr war es ein Zufluchtsort (Reisen war früher recht gefährlich). Warum sollte ein Wirt die Wildheit der Umgebung auch noch im Namen seines Hauses betonen? Ein Name, der Solidität und Sicherheit ausdrückt, wäre angemessener.

Ganz allgemein aber müßte man fragen, welche Namen von Gasthäusern überhaupt bevorzugt wurden und warum. Der Löwe ist angeblich das gesamteuropäisch verbreitetste "Gasthof-Tier"; in meiner Sammlung fotografierter Ausleger kommt er 14mal vor. Ich habe außerdem 12mal "Adler" und 13mal "Roß" bzw. "Rößle". Löwe, Adler, Pferd sind prestigeträchtige Tiere, vor allem die ersten beiden sind als Symbole für Kraft, Macht, ja Wildheit allgegenwärtig in der Heraldik, die ihre Ursprünge im Kriegs- und Turnierwesen hat. Die Hausnamen bzw. -zeichen kann man wohl als eine bürgerliche Form der Heraldik ansehen (es gab ja auch Zeiten, in denen sich selbst der biedere Handwerker ein Familienwappen nach Art des Adels zulegte). In ein solches Umfeld von zur Schau gestellter Kraft, Gewalt, Wildheit paßt der "Wilde Mann" ganz gut hinein. Er war freilich eine mythologische, keine reale Gestalt, aber auch Löwe und Adler waren bei uns reine Symbole, keine realen Tiere – wer hatte schon mal einen Löwen gesehen? Und selbst einen Adler ...? Wilde Männer sind auch in der Heraldik recht häufig, entweder als Bestandteil eines Wappens oder als Schildhalter.
 
Manchmal ist der "Wilde Mann" auch nur eine clevere Geschäftsidee, wie beim ehemaligen geichnamigen Dresdner Gasthof, der diese Bezeichnung einem ganzen Stadtteil samt ÖPNV-Haltestelle übertrug.

Die Sage, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts über den Namen allgemein verbreitet ist, »scheint nichts weiter zu sein, als die Geschäftstaktik des Eigentümers des ehemaligen Gasthofs ‚Wilder Mann‘ Gustav Emil Weber (1852 –1932), der sich dadurch eine größere Anziehungskraft für seinen Gastwirtsbetrieb versprach.«

Im Gastraum hatte er ein Ölgemälde des Kunstmalers Schmiegelow anbringen lassen, das eine Kampfszene darstellt, die im Walde bei Trachenberge angesiedelt ist. »Ein ritterlicher Herr, der von Wegelagerern überfallen ist, wird durch die bärtige Gestalt eines wilden Mannes befreit.« Offensichtlich besteht auch ein Zusammenhang zwischen der »Werbestrategie« Webers und einer im »Dresdner Anzeiger« des Jahrganges 1895 erstmals veröffentlichten »Sage vom Wilden Mann«. Sie handelt im Dreißigjährigen Krieg und berichtet von der Befreiung des sächsischen Kurfürsten Johann Georg (1585–1656) aus den Händen kroatischer Söldner durch die »bärtige Gestalt« eines wilden Mannes. Handlungsort ist der Wald an den Trachenbergen. In der Sage heißt es abschließend:

Da hat denn der Fürst befohlen, zu bauen Gehöft und Haus,
An selbiger Stelle wo ihn der Riese gehauen heraus,
Dem soll es gehören zum Dank für das, was er getan,
Und soll geheißen werden das Haus »Zum wilden Mann«.

Der Name »Wilder Mann« ist aber auch urkundlich belegt. Der in der Gunst August des Starken (1670–1733) stehende Lüder Hildebrand, bis zu seinem Tode 1734 Eigentümer des zweihundert Jahre später abgerisenen Weingutes an der Döbelner Straße, hatte am Ausschank ein »Gastzeichen« mit der Abbildung eines wilden Mann befestigt. Das findet zumindest in einer am 7. Mai 1710 ausgestellten Urkunde Erwähnung. Da Hildebrand aus Niedersachsen stammte, ist es durchaus möglich, dass ihm als Vorbild dafür die Wappenfigur des »Wildermanntalers« diente. Das vom 16. bis 19. Jahrhundert in Braunschweig und anderen Städten des heutigen Niedersachsen verbreitete Geldstück zeigte als Münzbild einen wilden Mann.

Im Jahre 1773 hatte die damalige Eigentümerin des Weingutes den Ausschank nebst Gastzeichen an die nahe Großenhainer Straße verlegen und einen Gasthof errichten lassen. Dieser wurde 1894 vom oben erwähnten Gustav Emil Weber durch ein größeres Gebäude im »altdeutschen Stile« ersetzt. Den Namen des Gasthofes »Wilder Mann« hatte man um 1900 auf die weitere Umgebung der heutigen Straßenbahn-Endhaltestelle der Linie 3 übertragen.

Zitat: http://www.dresdner-stadtteilzeitungen.de/wilder-mann-name/
 
Das ist sehr interessant! Danke! :)

Ich habe in den letzten Tagen eine Anzahl von Gasthäusern/Hotels/Restaurants mit diesem Namen gegoogelt und festgestellt: Von denen, die auf ihrer Website etwas über die Geschichte ihres Hauses sagen, ist die Mehrzahl recht alt; einzelne entstammen aber auch dem 19. Jahrhundert – was nicht verwunderlich ist, wenn man an die Mittelalter- und Sagenbegeisterung dieser Zeit denkt. Den Dresdner "Wilden Mann" hatte ich natürlich auch gefunden; dessen Website geht nicht auf die Geschichte des Hauses ein, aber dafür gibt es ja die Wikipedia-Seite zum Thema.

Viele der heute gern als "uralt" bezeichneten Sagen stammen ja aus dieser Zeit. Auch Ulms berühmteste "Sage", die vom Ulmer Spatzen, wurde im 19. Jahrhundert erfunden und verdankt ihren bis heute anhaltenden Erfolg dem Konditor Tröglen, der ab 1860 Spatzen aus Zuckerzeug verkaufte und ihnen eine von ihm gereimte Fassung der Sage beilegte. (Heute bekommt man die Spatzen im Café Tröglen in verschiedenen Größen aus Schokolade).
 
Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Bergstadt Wildemann, gelegen im Oberharz und Teil des UNESCO Weltkulturerbes Oberharzer Wasserwirtschaft.

Die folgende Sage beschreibt, wie Wildemann zu seinem Namen gekommen ist.

Der Wilde Mann

Als vor vielen Generationen die ersten Bergleute die heutige Bergstadt Wildemann besiedelten, dachten sie, sie wären die einzigen Menschen.
Doch bald trafen sie auf zwei riesige Menschen – einen Mann und eine Frau, die nur mit einem Lendenschurz aus Laub und einer Mooskappe bekleidet waren. Der Mann hatte außerdem einen langen Bart, der ihm bis zur Taille reichte und hielt eine mit den Wurzeln aus der Erde gerissene Tanne in der Hand.
Als die Bergleute die beiden ansprachen, ergriffen der Mann und die Frau die Flucht. Während die Frau entkommen konnte, wurde der Wilde Mann, wie die Bergleute ihn nannten, gefangenen genommen worden.
Es heißt, der Wilde Mann habe vor Wut eine Linde an der Stelle seiner Gefangennahme in die Erde gerammt. Dort steht das heutige Hotel Rathaus und auch die Linde befindet sich noch an diesem Ort.
Auf die Frage, wer er sei und was er wolle, gab der Wilde Mann keine Antwort. Weder aß noch trank er etwas. Er sprach kein einziges Wort und niemand wusste, ob er nicht sprechen konnte oder ob es einfach nicht wollte. Auch die Höhle wurde entdeckt, in der die Waldmenschen gehaust hatten. Da die Bergleute mit dem Wilden Mann nichts anzufangen wussten, entschieden sie sich, ihn zum Herzog nach Braunschweig zu bringen, damit dieser über das Schicksal des Waldmenschen entscheiden konnte. Doch auf dem Weg dorthin starb der Wilde Mann. Im Augenblick seines Todes soll, der Legende nach, die erste Erzader in der Höhle entdeckt worden sein.
Die erste Grube wurde von den Bergleuten nach ihm „Wilder Mann“ genannt.
Quelle: (Administrator: Link existiert nicht mehr)
 
Danke für die interessanten Antworten zu meiner Frage. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass es in Österreich weniger oder gar keine Gasthöfe zum 'Wilden Mann' gibt, dafür natürlich unendlich viele zum Ross, Rössl, Hirschen usw..
 
Danke für die interessanten Antworten zu meiner Frage. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass es in Österreich weniger oder gar keine Gasthöfe zum 'Wilden Mann' gibt, dafür natürlich unendlich viele zum Ross, Rössl, Hirschen usw..

Auch hier ist der "Wilde Mann" eher selten; gerade wegen der Seltenheit habe ich Fotos von den wenigen Exemplaren gemacht, die mir begegnet sind.

Aber daß die Verteilung regional sehr verschieden ist, läßt sich immer beobachten. Seit ich wieder in Süddeutschland wohne (2007), also der Region mit den geschmiedeten "Auslegern", habe ich alle Ausleger fotografiert, an denen ich zu Fuß vorbeigekommen bin. Würde ich dagegen bei jedem Ausleger anhalten, an dem ich mit dem Auto vorbeifahre, sähe die Verteilung schon wieder anders aus: Wahrscheinlich würde das "Lamm" alle anderen Gasthof-Namen dominieren. Jedes Dorf auf der Schwäbischen Alb hat sein "Lamm", was daran liegt, daß früher gerade an den Albhängen kaum Landwirtschaft möglich war – außer Schafhaltung.

Auch das "Rößle" wäre dann noch häufiger. Das Pferd war gerade in ärmeren Regionen das Prestige-Tier par excellence; man unterschied (zumindest hier) reiche und arme Bauern danach, ob sie Pferde besaßen oder nicht. Bei der Benennung von Gasthöfen hat gewiß auch eine Rolle gespielt, daß das Pferd früher das "Reise-Tier" war – als Reit- oder Zugpferd (letzteres nicht nur für Kutschen, sondern auch für Warentransporte).
 
In der Stadt Salzburg gibt es ein Gasthaus "Zum Wilden Mann".
Wie in der Geschichte des Hauses zu lesen ist, erhielt das Haus den Namen vom gegenüberliegenden Brunnen.
Die Sage zur Brunnenfigur "Wilder Mann" in Salzburg ist hier nachzulesen.
 
Ich denke, es hat etwas mit dem Wiedererkennungswert zu tun. Wenn damals die Handelsreisenden behaupteten : " ich komme von .....", so wurden Sie nach den Sehenswürdigkeiten oder etwas Bestimmten gefragt, ob Ihre Aussage auch wahr ist.

Es gibt auch eine Sage, dass ein wilder Mann gefangen wurde und Krieg prophezeite, welcher dann wirklich ausbrach. 50 Jahre später wurde eine wilde Frau gefangen, welche den Frieden prophezeite. Sie wurde auf Befehl des Landesherrn frei gelassen. Ich glaube es war zur Zeit der Glaubenskriege.
 
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