Ja, auch diese Geschichten habe ich - in minimalen Variationen - unzählige Male gehört.
Für mich zählen sie zu den sogenannten "Urban Legends".
So empfinde ich solche Erzählungen als private Aneignung einer heute gesellschaftlich wünschenswerten Haltung:
Erzählungen aus der schrecklichen NS-Zeit von bzw. über die goscherte Oma oder den aufmüpfigen Opa.
Diese dien(t) en vermutlich der eigenen, psychischen Entlastung der erzählenden Person und sollen in Form von heiteren Anekdoten glaubhaft dokumentieren, dass "wir keine Nazis waren" . (Nazis waren schließlich immer nur die anderen...).
Das war vor allem nach dem Krieg sehr wichtig und ist es ganz offensichtlich auch Jahrzehnte nach Kriegsende noch, sonst wären diese Erzählungen heute nicht mehr in dieser Häufigkeit im Umlauf.
So habe ich - wohl kaum überraschend - noch nie Erzählungen darüber gehört, dass die liebe Omi ein Hitlerbild am Nachtkastl stehen hatte, der gütige Opi bei der Waffen-SS war oder sonst was in dieser Preisklasse.
Sowas erzählt verständlicherweise niemand gern.
Dann schon lieber Geschichten, die die persönliche Widerständigkeit einer nahestehenden Person demonstrieren sollen. Dass es sich hierbei (fast) immer um ein Familienmitglied handelt, soll dem Wahrheitsanspruch Genüge tun, auch wenn sie nicht belegbar sind.
Gerne möchte ich mit diesem Beitrag dazu anregen, Narrative dieser Art - auch (bzw vor allem!) wenn diese aus dem trauten Familienkreis stammen - kritisch zu hinterfragen.
Zurück zur Feldherrnhalle: Historisch Interessierten lege ich folgenden Podcast über den Hitlerputsch, der vor der Münchner Feldherrnhalle endete, ans Herz:
https://www.br.de/mediathek/podcast...erputsch-anfang-vom-ende-der-demokratie/33596.
Dabei möchte ich auch auf Paula Schlier aufmerksam machen. Diese mutige junge Frau schlich sich als 24-Jährige im Herbst 1923 undercover in die Redaktion des "Völkischen Beobachters", dem Kampfblatt der NSDAP. (heute nennt sich das "Investigativer Journalismus"). Sie bewarb sich dort als einfache Schreibkraft und sammelte heimlich Material über Hintergründe, Pläne und Aktivisten der nationalsozialistischen Bewegung, weil sie den um sich greifenden Nationalsozialismus ergründen und Hitlers Bewegung entlarven wollte. So erlebte sie hautnah mit, wie Adolf Hitler und seine Partei am 8. / 9. November 1923 einen Putschversuch gegen die demokratische Regierung Deutschlands unternahmen. Ihre ganz persönlichen Erlebnisse und Eindrücke notierte sie in ihrem 1926 (!) veröffentlichten Tagebuch.
Mehr darüber hier:
Die Redakteure grölen machttrunken, der Tisch klebt nach Schnaps: Mittendrin sitzt Paula Schlier bei einer der ersten deutschsprachigen Investigativrecherchen. Sie schleicht sich 1923 in den “Völkischen Beobachter” ein, dem Hetzblatt der NSDAP. Undercover möchte sie herausfinden, wie die...
www.ardaudiothek.de
Paula Schliers Nachlass wird im Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck aufbewahrt, dort befinden sich nicht nur ihre Texte, sondern auch weitere sehr interessante Dokumente von und über sie:
None
www.uibk.ac.at
U. a. den Zeitungsartikel "Wie eine Neuburgerin die Nazis reinlegte" von Fabian Kluge, der mehr über ihr Leben erzählt, als es der müde Wikipedia Eintrag vermag:
Solche Geschichten sollten wir weitererzählen. Diese nähren zwar nicht den familieneigenen Mythos, sind dafür aber wahr.