• Willkommen im SAGEN.at-Forum und SAGEN.at-Fotogalerie.
    Forum zu Themen der Volkskunde, Kulturgeschichte, Regionalgeschichte, Technikgeschichte und vielem mehr - Fotogalerie für Dokumentar-Fotografie bis Fotogeschichte.
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst Du eigene Beiträge verfassen und eigene Fotos veröffentlichen.

Die Siedlung Leschukonskoje und ihre Umgebung

Oksana

Active member
Im März 2007 bin ich nach vielen Jahren für 5 Tage nach Leschukonskoje gefahren, um meine Verwandten zu besuchen. Leider ist es so gegangen, dass ich zum einen wegen des schlechten Wetters und zum anderen wegen vieler Verwandtentreffen nicht viele Fotos machen konnte. Zum Glück hat mein Onkel (der Mann von Kusine meiner Mutter) ein Auto, er hat mich an diesen Tagen noch schnell in andere in der Nähe liegende Dörfer gefahren und mir etwas gezeigt, dafür bin ich ihm sehr dankbar. Die Fotos und Eindrücke von dieser Reise sind bei mir aber etwas chaotisch. Auch die Reise selbst liegt schon eine ganze Weile zurück, ich konnte in meinem Kopf all das nicht zu einem einheitlichen Bericht zusammenfügen, wie ich es bisher gewöhnlich nach einer Reise gemacht habe.

Darum habe ich beschlossen, diese Fotos mit kurzen Beschreibungen in die Fotogalerie herunterzuladen.

Zuerst möchte ich doch einige Informationen zu der Siedlung selbst und zu meiner Fahrt geben, damit Ihr Euch genauer vorstellen könnt, was es ist und wo es liegt.


Die Siedlung Leschukonskoje mit etwa 6000 Einwohnern ist das administrative Zentrum von Leschukonskij Bezirk des Archangelsker Gebietes. Der Leschukonskij Bezirk, oder - wie man einfach im Volk sagt - Leschukonje, umfasst das Territorium von fast 29.000 Quadratkilometer und liegt im mittleren Flusslauf der Mesen. Die Mesen entspringt in der Republik Komi (oberer Flusslauf), fließt über den Leschukonskij (mittlerer Flusslauf) und Mesener (unterer Flusslauf) Bezirke des Archangelsker Gebietes und mündet im Norden in das Weiße Meer ein.

Leschukonskoje liegt am Unterlauf des Flusses Waschka, 5 km entfernt von seiner Mündung in die Mesen. Das ist eine der ältesten Siedlungen an der Mesen, vermutlich wurde hier schon in der Mitte des 14.Jahrhunderts eine Ansiedlung (zum Vergleich: die aktive Besiedlung der Mesen von Slawen begann erst im 15.Jahrhundert). Ursprünglich waren hier mehrere kleinere Dörfer mit Anzahl von Bauernhöfen von 2 bis 22. Die Zählung von 1623 nennt 9 solche Dörfer und insgesamt 65 Bauernhöfe. Später vereinigten sie sich zu drei größeren Dörfern – Werhnij Konez („oberes Ende“), Nishnij Konez („unteres Ende“) und Leschukow Konez. Die Namen von ersten zwei Dörfern wiesen auf ihre Lage bezüglich den Flusslauf, und das Dorf Leschukow Konez („Ende von Leschukow“) wurde so nach dem Familiennamen eines der ersten Ansiedler genannt. Dieser Name wurde mit der Zeit mehrmals verändert – Leschukow Konez, das Dorf von Leschukow, das Dorf Leschukowskaja, dann das Dorf Leschukonskaja. Auch diese drei Dörfer wurden schlussendlich zu einer größeren Siedlung, die Anfang des 20.Jahrhunderts den Namen Ustwaschka bekommen hat (von „Ustje“/„Mündung“ + „Waschka“) und in den Jahren 1920-1921sogar als Stadt Ustwaschsk bezeichnet wurde. Dieser Name klang aber ungewohnt, darum bekam die Siedlung bei der Gründung des Bezirkes im Juli 1929 ihren alten Namen und wurde wieder Siedlung Leschukonskoje, und der Bezirk selbst hat dementsprechend den Namen Leschukonskij Bezirk bekommen.

Leschukonje war immer eine schwer zugängliche Gegend. Bis heute lebt im Volk die sprichwörtliche Redensart „Leschukonje ist das Land der Wunder und der Gesetzlosigkeit“. Das beutet, dass diese Region durch ihre geografische Lage so abgesondert ist, dass hier alles Mögliche und Unmögliche passieren kann.

Es gibt keine Eisenbahnlinie Richtung Leschukonje, da konnte man früher entweder mit Flugzeug direkt aus Archangelsk nach Leschukonskoje kommen oder zuerst mit Flugzeug in eine andere Siedlung an der Mesen fliegen, wo es einen Flughafen gab, und dann mit Schiff oder Boot nach Leschukonskoje fahren. In der Sowjetzeit wurde viel geflogen, weil es ziemlich billig war. Junge Leute konnten z.B. in Archangelsk studieren und fast jedes wenn nicht jedes Wochenende nach Hause zu den Eltern fliegen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war es nicht mehr möglich, heute fliegen die Maschinen nach Leschukonskoje nur dreimal in der Woche und die Flugkarten kosten auch ziemlich viel, nicht jeder kann sich einen Flug leisten. Da hat man noch eine andere Möglichkeit entdeckt – das Auto. Bis Sommer letzten Jahres war es zwar nur im Winter möglich, von Leschukonskoje nach Archangelsk zu kommen, wo der Fluss gefroren war, denn es gibt keine Brücke über die Mesen. Und im Sommer funktioniert zwar eine Fähre, aber der Bau der Straße dauerte so lange und man muss sich klar vorstellen, dass es keine gute asphaltierte Autostraße ist. Es ist teilweise nur ein Waldweg, nur einzelne Strecken des Weges sind asphaltiert. Auch nicht jedes Auto kommt natürlich durch. Wie dem auch sei, im Sommer 2007 hieß es, die Autostraße Archangelsk-Leschukonskoje ist nun offiziell für ganzjährigen Verkehr geöffnet (heute doch immer noch keine LKWs) und es gibt heute schon ziemlich viele Fahrer, die damit ihr Geld verdienen. Die Fahrt mit so einem Auto (bis 8 Passagiere kommen in ein Auto) dauert im Winter etwa 8 Stunden, und die Entfernung ist etwa 350 km. So sind auch wir im März 2007 gefahren. Und neulich, gerade eine Woche vor Neujahr ist eine Verwandte von mir für drei Tage nach Leschukonskoje gefahren, ebenso mit solch einem Auto. Und sie erzählte, der Fahrer hat alle Passagiere gebeten, auszusteigen und über die Mesen zu Fuß zu gehen, aus Sicherheitsgründen, denn der Eis auf dem Fluss war nicht so fest. Es ist also manchmal auch einfach lebensgefährlich.
 
Hallo Oksana,

das ist ja wirklich ein spannender Bericht!
Meine Güte, eine Gegend in Europa, die fast nicht zu erreichen ist - das war mir vor Deinem Bericht fast nicht vorstellbar.

Von den Annuschkas (An-2) habe ich schon einmal gehört, dass diese unter größtem fliegerischen Können in die Dörfer fliegen und Post und Medikamente bringen.

"Ein Land der Wunder und Gesetzlosigkeit" - kannst Du bei Gelegenheit mehr darüber erzählen? Wir würden uns freuen und ich denke, das würde ziemlich viele Leser interessieren :smiley_da

Wolfgang (SAGEN.at)
 
Zurück
Oben